Donnerstag, 8. Jänner 1981
Das WIFO hat mit Unterstützung der Banken etliche Symposien in
den letzten zehn Jahren organisiert. Das heurige beschäftigte sich
mit Entindustrialisierung. Zu meiner größten Überraschung war die
Veranstaltung im Hotel Intercontinental sehr gut besucht. Burian
hat, wie ich feststellen konnte, mir die Eröffnung dieses Sympo-
siums eingebrockt. Prof. Seidel, der Leiter des Instituts, der
jetzt auch als Staatssekretär im Finanzministerium von Kreisky
berufen wird, leitete das Symposium ein. Abgesehen davon, daß ich
ja auf alle Fälle beabsichtigte einen Einleitungsvortrag humorvoll
zu gestalten, begrüßte er mich als Minister für Handel und Wieder-
aufbau. Dies war natürlich ein guter Aufhänger. Das Ministerium
heißt nämlich schon seit längerer Zeit schon Handel, Gewerbe und
Industrie, Industriepolitik ist daher ein Teil des Handelsministe-
riums, ein wichtiger Teil. Anhand der Daten, die mir Sekt.Chef
Marsch geliefert hat, konnte ich klar nachweisen, daß es im letzten
Jahrzehnt keine Entindustrialisierung gegeben hat, wie dies immer
wieder behauptet wird. Der Beschäftigungsanteil der Industrie an
unselbständigen Beschäftigten ist zwar von 25,9 % im Jahre 69 auf
22,5 % zehn Jahre später gesunken, die absolute Beschäftigung aber
von 610.000 auf 623.000, also um 2 % ca. gestiegen. Wenn man aller-
dings die höchste Beschäftigungsziffer der Industrie 1979 mit
676.000 heranzieht, dann ist natürlich ein wesentlicher Rückgang
der Beschäftigten der Industrie festzustellen. Ein weit wichtigeres
Kriterium ist meiner Meinung nach der Beitrag zum Bruttoinlands-
produkt, BIP, dieser ist zu laufenden Preisen zwar von 26,2 % auf
24,2 % gefallen oder der Beitrag der Industrie nur 85 Mrd. zu BIP
auf 202 Mrd. um 138 % gestiegen. Da das gesamte Bruttoinlandspro-
dukt auf 157 %, nämlich von 324 Mrd. auf 831 Mrd. gestiegen ist,
ergäbe sich hier tatsächlich eine wesentliche Einbuße. Diese Ver-
gleichsziffer wäre aber falsch. Man muß die realen Verhältnisse
berücksichtigen. Da der inplizierte Preisindex von der Gesamtwirt-
schaft 180 beträgt, die Industrie aber nur 154 ausmacht, sehen die
realen Beiträge wesentlich anders aus. Hier ist der Anteil der
Industrie am BIP von 28,9 % auf 30,1 % gestiegen. Veränderung er-
gibt für den Beitrag der Industrie 54 % gegenüber dem gesamten
BIP von 48 %. Mit der Mär, Österreich hat also eine Entindustri-
alisierung durchgemacht, habe ich glaube ich vollkommen zu Recht
aufgeräumt. Das Handelsministerium hat auch dazu durch die Textil-,
Bekleidungs-, Leder- und vor allem Papier-Investitions-Aktion wesent-
58-0016
lich dazu beigetragen.
Ein neuer Schwerpunkt wird, wie ich auch dort verkündete, das dritte
große Investitionsprogramm der Regierung sein. Das erste war das der
1300 Experten im großen Wirtschaftsprogramm der Sozialisten 1968 er-
stellte, welches im Anfang der 70er Jahre in Angriff genommen wurde.
Nach dem großen Ölschock 73/74 und der weltweiten Rezession wurde
dann ein Investitionsprogramm gestartet, welches uns ermöglichte
unter das Konjunkturtief durchzutauchen, allerdings mit einer sehr
starken Verschuldung des Staates. Jetzt soll die Wirtschaftskommissi-
on der SPÖ noch im Laufe dieses Monats ein großes Investitionskonzept
entwickeln, um der zu erwartenden Rezession zu begegnen. Natürlich
stellte ich dort einmal mehr die Bedeutung des Small-Business fest.
Humorvoll meinte ich, daß ich überrascht bin, wieviele von anderen Sek-
tionen als der Industriesektion Beamte des Handelsministeriums teil-
nehmen. Sie können, wie ich sagte, Gott sei Dank Englisch und wußten
sofort, daß es hier auch um ihre Interessen geht, denn in dem Sym-
posium wurde angekündigt, daß man die Bedeutung des Gewerbes auch ein-
beziehen möchte. Tatsächlich ist ja der Anteil der Dienstleistung mit
52 % heute wahrscheinlich einer der größten, der jemals in der 2. Re-
publik, ja sogar seit dem Bestehen der Republik überhaupt, festgestellt
wurde. Die Sachgüterproduktion macht ja nur mehr 40 % aus und insbe-
sondere der Anteil der Land- und Forstwirtschaft, der ja einmal 33 %
in der Republik betragen hat, nur mehr 8 %. Die Leistungen der In-
dustrie liegen darin, daß die Produktivität, welche die Beschäftigen
insgesamt 143,7 beträgt, bei der Industrie 152,8 ausmacht. Österreich
ist nie und wird auch daher nie ein Land der Skilehrer und Stuben-
mädchen, wie man provokant vor dem 70er Jahren teilweise sogar in der
AK formuliert hat. Auf die Schwachstellen der Industrie bin ich nicht
eingegangen, da mir dazu zu wenig Zeit zur Verfügung stand. Den
wichtigsten Punkt, den auch Marsch mir besonders ans Herz legt, näm-
lich die Energiesituation, habe ich natürlich gestreift. Dort liegt
für die Industriepolitik ein weites Feld. Ich halte zwar nichts davon,
wenn man kurzfristig glaubt, durch eine entsprechende Propaganda und
vielleicht sogar auch noch durch Subvention die kritische Energie-
frage lösen zu können. Die Industrie muß sowieso mit jedem Groschen
rechnen, die Verteuerung der Energie führt daher automatisch zu einer
Umwandlung des Öl- und Gasverbrauches wahrscheinlich wieder in stär-
kerer Kohleverwendung.
ANMERKUNG FÜR SEKTIONSCHEF MARSCH: Wie ging das Symposium dann weiter?
Ein typisches Energieproblem Industrie ist jetzt die Versorgung
Österreichs mit Gas. Die OÖ-Ferngas, eine Gesellschaft, an der die
Industriebetriebe OÖ größtenteils beteiligt sind, hat seit eh und je
geringere Gasmengen bekommen, als sie glaubt, absetzen zu können.
Da die Eigenproduktion von der RAG in OÖ zurückgeht, zusätzliche Im-
portmengen derzeit nicht zu bekommen sind, hat die OÖ-Ferngas ihren
Industrieabnehmern mitgeteilt, ab 1. April muß sie um 50 % ihre Verträ-
ge kürzen. Ich habe dieses Schreiben sofort der ÖMV zur Stellung-
nahme geschickt. Da die OÖ-Ferngas damit auch in die Öffentlichkeit
gegangen ist, stürzen sich jetzt die Massenmedien auf diese ungünsti-
ge Versorgungssituation. GD Bauer von der ÖMV behauptet mir gegenüber,
daß es sich überhaupt nicht um eine Gasversorgungsproblematik handelt,
sondern um ein OÖ-Problem. Er behauptet fest und steif, daß die
Sowjets ihre Lieferverträge einhalten. Die im ersten Quartal vorge-
sehenen geringeren Lieferungen werden in den andren drei Quartalen
ausgeglichen. Dies würde eigentlich bedeuten, daß ab 1. April nicht,
wie Oberösterreicher behaupten, eine 50%ige Kontingentkürzung notwen-
dig ist, sondern, da ja die anderen drei Quartale gegebenenfalls eine
geringere Lieferung vom 1. Quartal ausgeglichen werden soll, sogar
eine bessere Beschickung Österreichs durch die Sowjets erfolgen wür-
de. Auf alle Fälle stimme ich mit Bauer überein, daß es unzweckmäßig
wäre, jetzt eine Hysterie zu erzeugen. Da ich durch reinen Zufall, die
Erkrankung von Patolitschew, das langfristige zehnjährige Abkommen
mit der Sowjetunion jetzt am 20. Jänner in Moskau unterschreiben
soll, werde ich die Reise nach Moskau dazu benützen, um natürlich
auch wieder dieses Problem zur Sprache zu bringen. Ich habe von Bauer
die notwendigen Unterlagen verlangt.
ANMERKUNG FÜR SATZINGER: Bitte auch von der Energiesektion alles zu-
sammenstellen lassen.
Der neue Vorsitzende des Bundesrates, Dr. Schwaiger, ein Holzhändler
aus Tirol, der eigentlich sogar schon früher Vorsitzender war, wollte
sich unbedingt bei mir vorstellen. Einen solchen Höflichkeitsbesuch
halte ich für unnötig, ich habe ihm dies auch in aller Freundschaft
gesagt. Interessant war, daß er mir mitteilte, schon das letzte Mal
wollte er einen solchen Höflichkeitsbesuch abstatten. Damals hat ihn
aber der Tiroler Sekretär Tieber im Sekretariat schon abgefangen und
erklärt, das brauchts net. Natürlich habe ich dann die Aussprache
dazu benützt zu klären, wie jetzt Schwaiger seine Holzexporte nach
58-0018
Libyen, Tunesien usw. abwickeln kann. Da er gleichzeitig ja ein
Transportunternehmen primär betreibt, hat er jetzt auch die libyschen
Transporte unternehmen . Einmal mehr hat er mir bestätigt, daß auch
mit afrikan. Staaten über den Schreibtisch kaum ein Geschäft zu machen
ist. Sein Bruder und er waren mindestens 80-mal jetzt in Libyen und
Tunesien. Seiner Meinung nach gäbe es dort noch viele Exportmöglich-
keiten, die Firmen müßten nur wesentlich mehr den persönlichen Kontakt
pflegen. Hier stimme ich mit ihm 100-%ig überein. Allerdings muß ich
zugeben, daß auch ich als Minister wahrscheinlich wesentlich mehr mich
persönlich gerade in diesen, wie ich sie bezeichne, Staatshandelslän-
der stärker einsetzen müßte. Einen Vorwurf muß ich mir aber insofern
nicht machen, als wahrscheinlich noch niemals ein Handelsminister so-
viel in Staatshandelsländer tatsächlich gereist ist. Meine Philosophie
dazu ist, daß in dem freimarktwirtschaftlichen Raum, seien es die EG-
Staaten oder Amerika, ja selbst sogar Japan, ein Minister kaum etwas
am Wirtschaftsverkehr beeinflussen kann. Wesentlich anders sieht dies
bei den Staatshandelsländern, ob COMECON oder jetzt im afrikan., ja
selbst wahrscheinlich sogar im asiatischen Raum, aus. Auch Südamerika
muß man schön langsam dazuzählen. Dort spielt das Antichambrieren
der Firmenvertreter, womöglich des Besitzers, in den dortigen Bürokra-
tien eine große Rolle. Auch das Auftauchen des Ministers wäre und ist
dort von großer Bedeutung. Für mich gibt es seit 1970 dazu dann noch
die Überlegung, seit dem Staatsvertrag bin ich nämlich fest davon über-
zeugt, daß wir als Österreicher Erhaltung der Neutralität immer nur
die Staatshandelsländer wie Comecon-Staaten fürchten müssen. Weder
ein NATO-Staat, geschweige denn andere Weststaaten können uns ernst-
lich bedrohen. Militärisch möge es Sandkastenspiele geben, wo auch
der neutrale Staat vom Westen in die Verteidigung, wenn auch gegen
dessen Willen, einbezogen wird. In der Praxis, und dies hat die Praxis
gezeigt, ist es unvorstellbar, daß eine Demokratie einen neutralen
Staat überfällt. Wesentlich, und dies zeigt die Geschichte, sieht dies
aber von Diktaturen, Quasi-Diktaturen, oder wie immer man die Staats-
handelsländer bezeichnen will, aus. Mein Bestreben war und ist daher
gerade mit diesen Staatshandelsländern in jeder Beziehungen in guten,
wenn auch in distanzierten Beziehungen zu bleiben. Dort droht die Ge-
fahr in jeder Beziehung, dort muß man versuchen, die Stimmung und das
Klima für Österreich gut zu halten. Wirtschaftlich, wehrpolitisch
oder, wenn man so sagen will, überhaupt politisch ist dies mein Credo
gewesen und wird es sicherlich bleiben.
Bei der Gesamtvorstandssitzung der Lebensmittelarbeiter ist aus
Sekretariatsversehen meine Anwesenheit in der Fraktion unterblieben.
Dadurch konnte ich dort keinen politischen Bericht geben, den man
eigentlich erwartet hat. Die Sitzung war daher viel früher zu Ende
als die vorgesehene Stunde. Da die letzten beiden Male die christl.
Fraktion auch warten mußte, weil wir länger gebraucht haben, worüber
die nicht sehr erfreut sind, konnte ich ihnen diesmal, als ich sie
am Gang getroffen habe, sagen, seht, ich gehe jetzt nicht einmal mehr
in die sozialistische Fraktion, damit ich als Obmann der Lebensmittel-
arbeiter ja nicht zu sehr parteipolitisch belastet werde. Diesen
Schmäh hat mir natürlich niemand abgenommen, denn jedermann wußte,
daß ich aus Versehen nicht gekommen bin. Tatsächlich aber sind gerade
die christlichen Gewerkschafter bei uns Lebensmittelarbeitern mit
meiner Amtsführung mehr als zufrieden. Noch niemals hat es in den
Jahrzehnten eine Beschwerde darüber gegeben. Mein Prinzip, man muß die
Minderheit besonders gut behandeln, weil eben Minderheiten sowieso
eine Benachteiligung sind, hat sich auch hier bestens bewährt. In der
Vorstandssitzung gab es über meinen Wirtschaftsbericht eigentlich
keine Diskussion. Interessant aber dann war die Beschwerde des OÖ-Lan-
desobmannes Pfanzagl, daß jetzt die Brau-AG bezüglich ihrer Rationali-
sierungsmaßnahmen einen Krieg mit den Betriebsräten bekommt. Seitdem
GD Beurle auch gleichzeitig Präsident der Industriellenvereinigung
ist, glaubt die Belegschaft, daß er jetzt besonders radikal gebärdet.
Unter anderem soll er erklärt , die Rationalisierung wird im nächsten
Aufsichtsrat beschlossen, was immer die Betriebsräte auch dazu sagen
respektive dagegen Stellung nehmen. Eine solche Vorgangsweise er-
scheint mir unmöglich und ich kann auch nicht glauben, daß Beurle
dies beabsichtigt. Wir haben daher beschlossen, unverzüglich ein
Schreiben an die Brau-AG zu richten, wo wir gegen eine solche Vor-
gangsweise auf das härteste protestieren. Die Betriebsräte selbst
wollten zuerst, daß wir abwarten, und wenn die Brau-AG so eine Vor-
gangsweise einschlägt, dann sofort mit Kampfmaßnahmen antworten.
Eine interessante, wenn auch unangenehme Diskussion ergab sich dann
auch über einen Artikel in unserer Lebensmittelarbeiterzeitung. Dort
hat unser Redakteur einen größeren, sehr positiven Bericht der Betriebs-
ratsleistung der Firma Marietta gebracht. Vielleicht, weil er noch zu
jung ist, vielleicht hat er auch auf die Geschichte der Marietta ver-
gessen, auf alle Fälle unterstreicht dieser Bericht, was die Betriebs-
räte alles erreicht haben. Der Betriebsrat der Anker-Brotfabrik be-
schwerte sich dann bitter darüber, daß vorher nicht mit ihm über die-
58-0020
sen Bericht gesprochen wurde. Die Marietta ist eine Tochtergesell-
schaft der VNI, seinerzeit wurden die Anker- und Hammerbrotfabrik
zusammengelegt, Marietta als ein Teil der Hammerbrotfabrik mußte
saniert werden, jetzt noch behauptet der Betriebsrat der Anker, also
der VNI, daß Marietta nur existieren kann, weil ein Teil der Kosten
von der VNI, Vereinigte Nahrungsmittelindustrie, nicht gleichmäßig
auf Marietta überwälzt wird. Viele Erfolge hat daher der Betriebs-
rat nur erzielen können, weil sie mit 76 Beschäftigten gegenüber den
1200 der Ankerbrotfabrik anders agieren konnten. Bessere Leistungen
z.B. für Professionisten, wie bei Marietta ein Schlosser, ein Elektri-
ker und ein Maurer ist, können für drei also leicht durchgesetzt oder
erhalten werden gegenüber 240, wie sie bei Anker sind. Dazu kommt noch
daß der Direktor Voramidi sowohl bei Anker als auch bei Marietta
gleichzeitig agiert. Die 1200 Beschäftigten bei Anker drängen also
den Betriebsrat, daß er dieselben Begünstigungen durchsetzen soll.
Zur Sanierung der Ankerbrotfabrik mußte aber der Betriebsrat vor
Jahren Sozialleistungen von 30 Mio. S streichen, die damalige Betriebs-
leitung hatte ja das mehrfache noch von ihm verlangt. Ich konnte dann
diesen Streit einigermaßen beilegen. Für mich war typisch, daß man
eben nicht genug bei Publikationen aufpassen kann und wahrscheinlich
auch in Zukunft muß. Nichts ist so kritisch als ein geschriebenes
Wort, welches dann entsprechende Verbreitung findet. Ich bin überzeugt,
daß normalerweise der Lebensmittelarbeiter keinesfalls sehr genau
gelesen wird, am wenigstens von unseren Mitgliedern, vielleicht noch
am meisten von den Unternehmern. Wenn aber ein Betrieb, der bekannt
ist und gewisse Beziehungen zu einem anderen Betrieb hat, dann irgend-
welche Ergebnisse mitteilt, dann wird sehr wohl sehr genau schon allein
durch den Hinweis, kennst den Artikel, für eine entsprechende Ver-
breitung gesorgt. Dann geht, wie dies jetzt klar an diesem Beispiel
demonstriert wurde, der positive Effekt leicht verloren und der
negative bleibt. In unseren Wirtschaftssystem gibt es nicht nur den
freien Konkurrenzkampf der Unternehmer und der Unternehmungsleitungen,
sondern leider auch einen harten Existenzkampf der Beschäftigten, ver-
treten durch ihre Betriebsräte. Dies ist kein neues Erkenntnis, doch
muß man es immer wieder sich in Erinnerung rufen und auch berück-
sichtigen.
Tagesprogramm, 8.1.1980