Samstag, der 22. April 1978

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Samstag, 22. April 1978

Der Landesparteitag der Wiener Organisation, früher sprach man
immer von Landeskonferenzen, stand eigentlich ganz im Zeichen
der Angriffe auf ÖVP und insbesondere FPÖ. Sowohl Kreisky bei
seiner Begrüssung als auch Gratz bei seiner Begrüssung und auch
im Referat sowie der Landesparteisekretär Edlinger in seinem
Jahresbericht haben sich alle nur mit, wenn man so sagen kann,
Gegnern beschäftigt. Unwillkürlich musste ich an unsere Gesamt-
vorstandssitzung denken, wo von Genossen kritisiert wurde, dass
wir uns viel zu viel mit den Gegnern beschäftigen, viel zu wenig
unsere Leistungen herausstreichen und auch keine innerparteiliche
Kritik führen. Dies war ganz besonders natürlich auf den Landespartei-
tag festzustellen. Die Sozialistische Jugend und die Junge Generation
hatte einige Resolutionen eingebracht, die sich hauptsächlich aber
mit aussenpolitischen Fragen beschäftigten. Da viele von ihnen
wirklich unausgegoren waren, dies soll keine Kritik, sondern nur
eine Feststellung sein, hat die Antragsprüfungskommission gar keine
andere Möglichkeit gehabt, als sie den Vorstand zur Behandlung zuzu-
weisen. Damit waren natürlich die Vertreter der Jugend nicht einver-
standen und sie meldetet sich ständig zu Wort um zu begründen,
warum man die Resolution oder den Antrag sofort abstimmen sollte.
Fast würde ich sagen, sind sie selbstverständlich mit diesen Wünschen
nicht durchgekommen. Die Absicht der jungen Leute, der Partei eine
gewisse andere Richtung zu geben, halte ich für sehr löblich. Daran
hat sich nichts geändert, auch nicht zu der Zeit, wo ich noch in der
Sozialistischen Jugend oder bei den Studenten tätig war. Durch
reinen Zufall habe ich eine Publikation der SPÖ Wien, wo die
Programm und Daten und Fakten seit 1945 aufgezeichnet sind, durch-
geblättert und dabei entdeckt, dass auch ich 1945/46 im Wiener Vor-
stand als Jugendlicher kooptiert und bei der ersten Jahreskonferenz
für die SJ berichtet habe. Obwohl ich als Rechter galt und sicherlich
auch einer war, habe ich damals auch Kritik geübt oder zumindestens
andere Vorstellungen gehabt, wie man eine Partei führt und aufbauen
soll, als die alten Genossen. Ich erinnere mich noch genau, dass der
damalige Obmann Speiser von mir sehr skeptisch betrachtet wurde.
Vor dem Sturz des Hitler-Regimes hatte ich über Vermittlung unseres
ehemaligen Schutzbundkommandanten Dworak, mit dem ich in der illegalen
Zeit immer zusammengearbeitet habe, er war gleichzeitig auch mein
Hauptschullehrer, Speiser im Spital kennengelernt. Damals sind viele


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im Allgemeinen Krankenhaus untergetaucht. Der an und für sich
prononcierte Nazi und Leiter des Krankenhauses, Schönbauer,
hat dies wissentlich getan und gedeckt. Dworak hat mich damals
Speiser vorgestellt und dieser meinte, das ist sehr gut, so gute
ausgebildete junge Genossen zu haben, denn in der Verwaltung
wird man sie alle dringend brauchen. Ich war damals so enttäuscht,
weil ich angenommen habe, wir würden versuchen, grosse Revolution
zu machen. Statt dessen hat Speiser schon die Posten verteilt.
Rückblickend muss ich allerdings jetzt zugeben, dass die richtige
Politik in der Mitte lag. Zwischen der revolutionären Idee und
Begeisterung der Jungen und der Erfahrung und zu lösender Ver-
waltungsaufgaben der Alten. Mein Credo, wer in der Jugend nicht
links war, war nicht jung – und wer im Alter noch links ist, hat
nichts dazugelernt, gilt glaube ich noch immer. Da ich scheinbar
in der Parteiöffentlichkeit mit dieser meiner Stellungnahme, die
natürlich eine gewisse Konzilianz beinhaltet, bekannt bin, bekomme
ich bei den Wahlen verhältnismäßig immer wenig Streichungen. Heindl
sieht darin eine gewisse Popularität, ich persönlich glaube aber,
da es sich ja immer nur selbst bei den grössten umstrittenen
höchstens um ein paar Dutzend Stimmen handelt, darin gar kein besonde-
res Anzeichen. Wenn ich irgendwo in einem Bezirk einmal eine härtere
Diskussion leite, z.B. über die Frage der Atomenergienutzung, bin
ich überzeugt, könnte man durch entsprechende Propaganda sofort
ein paar Dutzend Streichungen bekommen. Meine Einstellung dazu
ist deshalb kurz und bündig, wer nichts macht, wer nicht viel
bekannt ist, bekommt daher auch kaum irgendwelche Streichungen.
Der Landesparteitag zeigte wieder eine verhältnismäßig sehr große
Geschlossenheit, dass dies bei einem bevorstehendem Wahlkampf
für die Sozialistische Partei selbstverständlich ist und sein soll,
wurde wieder einmal mehr bestätigt. Gratz ist Gott sei Dank unbe-
stritten und ich hoffe, bin aber auch überzeugt, dass er auch die
Wähler, nicht nur innerhalb unserer Parteimitglieder, sondern auch,
was ja in einer Demokratie so ungeheuer wichtig ist, auf andere
eine entsprechende Anziehungskraft hat. Auch bei Gratz kann ich
allerdings feststellen, dass der Einfluss Kreiskys sehr gross ist.
Davon kann aber nur er und auch letzten Endes die Wiener Partei ent-
sprechend profitieren. Alle Referate und Äusserungen zeigten klar
und deutlich, dass in Wien niemals Kontra-Regierung – wie dies leider
in manchen Bundesländern von Teilen der Sozialistischen Parteien
dort gemacht wird, polemisiert, sondern höchstens einmal mehr unter-
strichen wurde, Wien und die Bundesregierung. Ich bin sehr gespannt,
wie sich diese Politik bei den Oktoberwahlen auswirken wird.

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TB Dr. Wais betr. Wr. SPÖ-Konferenz 1978, 24.4.1978




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      Tätigkeit: Arzt, bei Kriegsende Leiter des AKH


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        Tätigkeit: Bundeskanzler
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          Tätigkeit: Hauptschullehrer Staribachers, Schutzbundkommandant


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            Tätigkeit: Unterrichtsminister, Bgm. Wien


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              Tätigkeit: 1970-1973 Büro Staribacher, SPÖ-NR-Abg., stv. Vors. SPÖ-Landstraße
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                Tätigkeit: SPÖ-Politiker


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