Samstag, der 15. Mai 1976

31-0614

Samstag, 15. Mai 1976

Frau Weinberger, eine Fotografin, die ihre Meisterprüfung macht
hat ersucht, man solle als Politiker ihr zur Verfügung stehen.
Kreisky hat den Wunsch an alle Minister weitergeleitet. Es hat sich
aber scheinbar niemand anderer dazu bereiterklärt als ich selbst.
Ich habe angenommen, die Fotografin wird bei uns echte Aufnahmen
machen. In Wirklichkeit hat sie nur Bilder gestellt, die so unnatür-
lich sind, d.h. in meinen Augen so kitschig, dass man damit wirklich
nur in einer Schule noch Erfolg haben kann. Ich wäre gerne bereit
gewesen, ein wirkliches "Morgengefühl" darzustellen. Auch meine
Söhne hätten sicher mitgewirkt. Was die aber wollte, waren 5-Groschen-
Roman-Bilder. Aufnahmen mit Händchenhalten, Frühstücksporträts und
dann zum Schluss noch Abschiedsgruss von Frau. Ich sagte ganz leise
und dachte mir immer, nicht möglich, so etwas verlangt man heute
vom Fotografen in der Ausbildung.

Beim Wiener Landesparteitag hat Kreisky bei seiner Begrüssung neuer-
dings auf die kritische weltwirtschaftliche Situation hingewiesen.
Seiner Meinung nach steht die grosse Krise nach wie vor bevor, wenn es
doch nicht gelingen sollte, eine bessere Lösung der Wirtschafts-
probleme zu finden als bisher. Noch immer sind so viele Arbeitslose,
dass er befürchtet wie im Jahre 1929, es handelt sich nur noch um
einen Scheinaufschwung. Seiner Theorie nach waren es im Höhenpunkt des
heurigen Winters 17 Mio. und im Jahre 1930 waren es auch nur 25 Mio.
Arbeitslose. Kreisky vergisst nur eines, die Beschäftigtenanzahl
dem gegenüberzustellen. Natürlich war die Arbeitslosigkeit heuer
auch sehr hoch. Wir aber müssen ausser die Arbeitslosen auch die
Beschäftigtenzahlen vergleichen, dann sehen die 25 Mio. Arbeitslosen
in den 30er-Jahren ganz anders aus, als die 17 Mio. jetzt.

ANMERKUNG FÜR TIEBER: Reim soll eine Analyse der Beschäftigten- und
Arbeitslosenziffern der einzelnen Länder l929/30 und 1975/76 machen.

Gratz ging in seinem Referat sehr geschickt indirekt auf die Angriffe
ein, die in letzter Zeit insbesondere von der bürgerlichen Presse
aber auch von der Kronenzeitung gegen die Gemeinde Wien vorgetragen
wurden. Gratz wendete aber sofort das Blatt und meinte, wenn man alle
Leistungen positiv aufzählte wofür er sich denn entschuldigen oder
gar genieren sollte. Gratz hat es wahrlich nicht leicht, als Bürger-


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meister mit seinem neuen Team jetzt das alles auszulöffeln, was ihm
mehr oder minder Slavik und einige andere Stadträte eingebrockt
haben. Die Grossvorhaben waren nämlich meiner Meinung nach in den
Jahrzehnten vorher zu wenig gestreut und wurden daher in den letzten
Jahren ganz konzentriert in Wien in Angriff genommen. Die Folge
davon ist, dass tatsächlich die einzelnen Projekte an und für sich
richtig sind, in der Durchführung aber und in der Konzentration
grosse Schwierigkeiten entstehen müssen. Die finanziellen Beteili-
gungen des Bundes an diesen Grossprojekten wurden sogar teilweise
in der Vergangenheit mit absoluten Beträgen abgegolten. Durch die
Ausweitung der Projekte, aber vor allem auch durch die Preissteigerungen
wurde nun der Bundesanteil immer kleiner. Gratz versucht deshalb bei
jeder Gelegenheit von Androsch und z.B. im Nahverkehr auch von Lanc
entsprechende zusätzliche Leistungen zu bekommen. Mit grosser Freude
und Stolz verkündete er, dass dies ihm endlich jetzt gelungen sei.
Trotzdem wird die direkte Belastung der Gemeinde und damit auch der
Wiener durch die Preisentwicklung immer grösser werden. Der einzige
Vorteil in meinen Augen ist der, dass durch die ungeheure Belastung
der Grossprojekte die Gemeinde sparen muss und dies sich vielleicht
auch auf den Beamtenstand ein klein wenig auswirkt. Auf alle Fälle
ist Gratz um diese Arbeit nicht zu beneiden. Wieder einmal mehr
bestätigt sich mir, wie gut es ist, wenn man zu gewissen Aufgaben
nicht berufen wird. Ich weiss nicht wie ich dieses Problem, wenn ich
tatsächlich wie manche Leute glaubten, Bürgermeister von Wien geworden
wäre, hätte lösen können. Ich war eigentlich in bisherigen Funktionen
bestenfalls zu meinem Glück Nummer Zwei. Mit dieser Position war
ich immer sehr einverstanden und zufrieden. Ich kann überhaupt nicht
verstehen, wie jemand Nummer Eins anstreben kann. Mir fällt es schon
schwer genug die Aufgaben die mir als Nummer Zwei zugewiesen wurden
und die ich vor allem glaube erkennen zu müssen und lösen zu müssen,
zu erfüllen. Mehr kann und will ich nicht anstreben. Ich hoffe dass
es mir auch erspart bleibt. Heindl ist wieder anderer Meinung. Bei der
Wahl in den Wiener Vorstand, die ja geheim erfolgt, glaubt Heindl
wieder einen neuen Beweis für meine Popularität gefunden zu haben.
Durch Zufall wurde ich nur zweimal gestrichen, Gratz 14 mal, was in
meinen Augen ein phantastisches Resultat ist und Hofstetter am meisten,
da er mit der Bauring-Affaire doch schwer belastet ist. Heindl sieht
darin mehr als einen Zufall. Hier glaube ich aber irrt er.



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Avram hat mir am Flugplatz wie ich ihn abholte bereits mitgeteilt,
er möchte mit Gen.Dir. Koller zusammenkommen. Der Handelsdelegierte in
Rumänien Orisich hat mir bereits gesagt, dass dieser Wunsch von
Avram bei ihm deponiert wurde. Die VÖEST hat in den letzten Monaten
grosse Schwierigkeiten mit rumänischen Wünschen auch bei Dritt-
landslieferungen gehabt. Diese Projekte hat die VÖEST nicht weiter
verfolgt, sondern zeigt sehr wenig Interesse daran. Die Rumänen haben
nun mit Syrien einen Drittlandvertrag abgeschlossen und hoffen, dass
die VÖEST jetzt mit Ihnen die notwendigen Vereinbarungen trifft.
Ich habe mich nur bereit erklärt, mit Gen.Dir. Koller sofort Kontakt
aufzunehmen um ihm den Wunsch der Rumänen auf eine Aussprache zu über-
mitteln. Auch mit Steyr-Daimler-Puch möchte die rumänische Seite ein
grosses Kooperationsabkommen schliessen. Ich hier habe ich mich nur
verpflichtet, die neue Führung insbesondere Gen.Dir. Malzacher von
diesem Wunsch zu verständigen. Avram hat von Ceausescu den Auftrag
jetzt einige Grossprojekte in Angriff zu nehmen. Ob dies gelingen wird,
wird die Zukunft zeigen. Vom handelspolitischen Standpunkt wäre es sehr
interessant, weil wir dadurch unser grosses Aktivum teilweise ab-
bauen könnten.

Bei der Ansprache beim offiziellen Essen konnte ich auf die politi-
schen Beziehungen zwischen Rumänien und Österreich und auf die einzigen
offenen Probleme verweisen, nämlich die wirtschaftlichenl Avram wird
Gelegenheit haben die Bundesländer zu besuchen und dort Fabriken sehen
und gleichzeitig auch Besprechungen zu führen. Dadurch komme ich rein
zeitmässig über die Runden, da am Mittwoch und Donnerstag ja Parlament
ist.

Da zum gleichen Zeitpunkt als Avram ankam auch die ungarische Delegation
Ministerpräsident Lazar und Handelsminister Biro eintrafen, hatte ich
nur Gelegenheit Biro schnell im Imperial, wo auch Avram abgestiegen
ist, zu begrüssen. Biro möchte unbedingt, dass wir Sachgespräche währen
seiner Aufenthaltes hier führen. Er wäre sogar bereit gewesen auf
einen Besuch der Böhler-Werke am Dienstag zu verzichten. Da ich aber
an diesem Tage sowieso keine Zeit habe, schlug ich ihm vor, den Mitt-
woch, wo wir Parlament haben, entsprechende Verhandlungen zu führen.
Am Abend bin ich dann nach den Festessen noch zum Heurigen in die
Armbrustergasse gefahren. Kreisky hat dort nicht nur Regierungsmit-
glieder Firnberg und Häuser geladen, sondern auch Wirtschaftler die
er gut kennt, wie Kahane, Künstler wie Hollreiser und Muliar, Skala


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vom Rundfunk usw. Ich nützte die Gelegenheit um Bielka über
Nairobi zu berichten. Bielka teilt die Meinung der Leute in Nairobi
dass es unzweckmässig ist, jetzt für Idi Amin eine Entwicklungs-
hilfe zu geben. Kreisky hat eine Gruppe beauftragt, eine fishibility-
Studie über die Errichtung einer Zementfabrik zu erstellen. Eine
Delegation war daher in Uganda, ohne dass vorher die Handelskammer,
der Handelsdelegierte, ja nicht einmal ein anderes Ministerium davon
etwas wusste. Ich habe deshalb, als die Ungarn dann schon weg waren
Kreisky mitgeteilt, dass man überall von einer Unterstützung Idi
Amins
jetzt warnt. Kreisky meinte man wird sehen, doch bemerkte er,
dass kaum wäre ich in Nairobi gewesen, hätte ich auch schon den
Standpunkt von Kenia übernommen. Ich erklärte sofort, ich übernehme
überhaupt keine Standpunkte, sondern habe nur wiedergegeben was
man hört. Richtig in der Kritik Kreisky ist, dass mein Prinzip ja
auch ist, beide zu hören. Da ich nicht in Uganda war, kann ich mir
daher kein objektives Urteil machen. Ich bin auch der Letzte der in
Kenia die vollendete Demokratie erblickt. Ich erzählte ganz im Gegen-
teil, das was ich über die Frau von Kenyatta hörte und dass auch ich
überzeugt bin, wenn der Alte stirbt, gibt es dort einen grösseren
Umschwung. Was man aber aus Uganda hört, ist noch schlechter. Viel-
leicht herrscht dort weniger Korruption, aber die Ideen Idi Amins
sind auch nicht dazu da, normale Beziehungen und Verhältnisse zu
schaffen. Der wirklich einzige integere Politiker ist Nyerere in
Tansania. Dort aber ist die wirtschaftliche Situation so schlecht,
dass zwar alle Entwicklungshelfer von den Idealen Nyereres begeistert
sind, aber zugeben müssen, dass es dort leider nicht den wirtschaftliche
Erfolg gegeben hat, den sich alle wünschten. Afrika bleibt für mich
ein mysteriöser Erdteil. Zugegebenermassen habe ich mich aber damit
viel zu wenig beschäftigt. In der Aussprache mit Bielka stellte ich
wieder eine weitgehende Übereinstimmung fest. Interessant, dass
ich mich mit den nicht-parteigebundenen Aussenministern, sei es
Kirchschläger oder Bielka gewesen, so gut verstehe. Zum Schluss
sagte ich ihm nur, dass er daran Schuld ist, dass ich nach Nairobi
fahren musste. Wenn mich der Bielka nicht hierher geschickt hätte.
Dieser Gag stammt nicht von mir, sondern vom Qualtinger, als er
als Travnicek von seinen eigenen Reisebüro rund um die Welt ge-
schickt wurde und dann immer raunzte, wenn mich das Reisebüro nicht
vermittelt hätte.

31_0613_01

Tagesprogramm, 16.5.1976

31_0613_02

hs. Notiz (Tagesprogramm Rückseite)


GND ID: 130327808


Einträge mit Erwähnung:
    Tätigkeit: Kfm. Dir. ORF


    Einträge mit Erwähnung:
      Tätigkeit: rum. Maschinenbauminister


      Einträge mit Erwähnung:
        Tätigkeit: ung. Außenhandelsmin.


        Einträge mit Erwähnung:


          Einträge mit Erwähnung:
            Tätigkeit: Sekr. JS, Tiroler SPÖ-Politiker


            Einträge mit Erwähnung:
              Tätigkeit: Finanzminister
              GND ID: 118503049


              Einträge mit Erwähnung:
                Tätigkeit: GD Steyr-Daimler-Puch


                Einträge mit Erwähnung:
                  Tätigkeit: Wr. SPÖ-GR-Abg., Obmann Wr. Naturfreunde


                  Einträge mit Erwähnung:
                    Tätigkeit: Bundeskanzler
                    GND ID: 118566512


                    Einträge mit Erwähnung:
                      Tätigkeit: ung. Ministerpräsident


                      Einträge mit Erwähnung:
                        Tätigkeit: Beamter HM


                        Einträge mit Erwähnung:
                          Tätigkeit: Staatpräs. Rumänien


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                            Tätigkeit: Wr. Bgm. bis 1973
                            GND ID: 107489872


                            Einträge mit Erwähnung:
                              Tätigkeit: GD VÖEST


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                                  Tätigkeit: Handelsattaché öst. Botsch. Bukarest


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                                    Tätigkeit: Wissenschaftsministerin
                                    GND ID: 11869104X


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                                      Tätigkeit: Vizekanzler, Sozialminister


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                                        Tätigkeit: Unterrichtsminister, Bgm. Wien


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                                          Tätigkeit: Unternehmer


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                                            Tätigkeit: 1970-1973 Büro Staribacher, SPÖ-NR-Abg., stv. Vors. SPÖ-Landstraße
                                            GND ID: 102318379X


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                                                Tätigkeit: Außenminister, Bundespräsident
                                                GND ID: 118723189


                                                Einträge mit Erwähnung:
                                                  Tätigkeit: Wirtschaftsmin. Tansania


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