Donnerstag, der 23. Oktober 1975

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Donnerstag, 23.10.1975

Bei der Eröffnung des EKAZENT-Donaustadt Einkaufszentrum waren ab
4 Uhr bereits Massen angestellt um sofort die Sonderangebote, die
insbesondere von den grossen Kaufhäusern geboten wurden, zu ergattern.
Da wir um 9 Uhr die offizielle Eröffnung hatten, um 10 Uhr aber
erst das Publikum zugelassen wurde plädierte ich sofort dafür und
der Bürgermeister Gratz war genau derselben Meinung, man solle
doch die Leute hereinlassen. Natürlich war dann eine entsprechende
Unruhe, die Organisatoren wollten dies wahrscheinlich vermeiden,
doch für mich gab es einen guten Gag. Ich sagte die einen sind hier
um zu feiern und die anderen aber um zu kaufen und die sind die
wichtigeren. Gratz verwies darauf, dass Donaustadt, als man es vor
25 Jahren gründete, ein Dorf war und dass es jetzt, wäre es wirk-
lich selbstständig und nicht eben ein Teil von Wien, die zehntgrösste
Gemeinde von Österreich. Ich verwies darauf dass dies Experiment
erstmalig und einmalig in Österreich ist. Grosse Kaufhäuser mit
40 privaten kleineren Läden und Handwerker kombiniert sollte meiner
Meinung nach demonstrieren, dass beide leben können. Ich bin wirk-
lich gespannt, wie sich die Geschäfte dort im einzelnen entwickeln.
Direktor Hahn vom EKAZENT hat zwar nur das ganze Projekt finanziert
und errichtet, doch glaube ich kann man jetzt schon sagen, dass
dies ein Erfolg sein wird.

ANMERKUNG für REIM: Wir sollten einen Informationsfluss über die
laufenden Geschäftssituationen mit Kaufhäusern usw. aufbauen.

Bei der Sekretärsbesprechung wurde mir wieder eine Erfahrung be-
stätigt. Der Gewerkschaftsbund hat für seine Angestellten ein neues
Schema mit dem Betriebsrat vereinbart. Es bringt wesentliche Er-
höhungen für jeden Einzelnen, verschiebt aber die Relationen zwischen
den Kolleginnen und Kollegen. Dadurch fühlen sich manche benachtei-
ligt, weil sie sich ungerechtfertigt eingestuft fühlen. Meine uralte
Erkenntnis wieder einmal bestätigt, es kommt weniger darauf an, wie-
viel man bekommt, sondern ob man sich im Verhältnis zu irgendjemanden
anderen benachteiligt fühlt. Je grösser die Organisation ist, die
dieses Problem lösen muss und der Gewerkschaftsbund als Ganzes ist
halt eine zu grosse Organisation, umso mehr Unzufriedenheit in den
einzelnen Gewerkschaften, wahrscheinlich sogar in den einzelnen


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Gruppen.

In der Parteivorstandssitzung berichtet Kreisky über die Regierungs-
erklärung, die Regierungsmannschaft, sagt er, bleibt unverändert,
weil er vor der Wahl dies dezidiert erklärt hat. Kreisky war
übrigens der Meinung, dass es unzweckmässig gewesen wäre, vor der
Wahl eine neue Regierungsmannschaft zusammenzustellen, den der
Wähler sollte die Leute gut kennen und sie entsprechend beurteilen
können. Dies sei für die Regierungspartei unerlässlich, die Opposi-
tion hat die Möglichkeit dieses Problem erst nach der Wahl sozusa-
gen lösen zu müssen. Jetzt wird er nach einem 3/4 Jahr bis 1 1/2 Jah-
re eine Änderung vornehmen. Auch hier wird er aber auch mit jedem
Einzelnen sprechen, soweit der Betreffende überhaupt ausscheiden
will, wahrscheinlich auch mit denen die nicht unbedingt ausscheiden
wollen und die er dann letzten Endes austauschen möchte, sodass
nicht der Eindruck entsteht es wird einer weggeschickt, sondern
jeder will sozusagen selbst nicht mehr in der Regierung sein.
Kreisky erklärte auch gleichzeitig, dass er auf dem Standpunkt
steht, in der Regel sollte der Minister auch Abgeordneter sein,
dies gilt scheinbar für die, die jetzt gewählt wurden und dann
noch immer Regierungsmitglieder bleiben resp. neu werden. Ob er
dies spezifisch auf mich bezogen hat, weiss ich nicht. Er meinte
nur in England sei es Pflicht, dass der Minister gleichzeitig dem
Unterhaus angehört, in der Schweiz sei es dagegen verboten dass
ein Bundesrat dem Nationalrat angehört. Österreich nimmt mit vielen
anderen Staaten eine Mittelstellung ein, in der Regel sollte aber
der Minister auch dem Nationalrat angehören. Ich bin seit Anfang
an anderer Meinung gewesen, sehe aber ein, dass momentan gar
keine Möglichkeit bestünde die Partei davon zu überzeugen.

Wie erwartet wurde vom Parteipräsidium vorgeschlagen, dass Kreisky
Obmann des Klubs wird und Fischer geschäftsführender Klubobmann.
Der zweite Stellvertreter wird Pansi sein. Als Ordner wird Thal-
hammer
vorgeschlagen und die anderen Funktionen soll dann das
Klubpräsidium resp. der Vorstand bestimmen. Das Nationalratspräsi-
dium wird Benya und Probst vorgeschlagen. Bei beiden Punkten gab
es keine Diskussion. Da ich zur Fraktionssitzung der Lebensmittel-
arbeiter gehen musste, hatte ich dann den Punkt Parteiarbeit bis
zum Parteitag nicht mehr ganz miterlebt. Die Junge Generation hatte
Kreisky einen Brief geschrieben, wo sie sich mit der AZ-Äusserung


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Kritik an den Jugendorganisationen auseinandersetzt. Sie meinen,
dass insbesondere die Behauptung, die politische Arbeit der Jungen
Generation negative Auswirkungen auf das Wählerverhalten der Ziel-
gruppe Jungwähler hatte, falsch ist, dass man vor der Wahl nicht
die Jugendorganisationen und ihre Vertreter in der politischen
Öffentlichkeit präsentieren kann und nach der Wahl die geleistete
Arbeit pauschal und undifferenziert kritisiert. Kreisky war über
diesen Brief glaube ich sehr wütend, denn er liess ihn vor allem
dem Parteivorstand in Abzügen zukommen. Ist das schon ein ziemlich
ungewöhnliches Verhalten, war dann sein Bericht noch viel härter.
Er meinte die Spanien-Demonstration und insbesondere die Zusammen-
arbeit mit den anderen Gruppen wie Kommunisten, ERM, Chaoten und
wie die alle heissen, hätte uns die Wahl kosten können, wenn die
ÖVP längere Zeit gehabt hätte. dies entsprechend zu nützen. Er be-
antragte deshalb dass der Parteivorstand ihn ermächtigt, mit den
Jugendorganisationen zu verhandeln, dort aber klar und deutlich mit
aller Härte diesen Standpunkt zu vertreten. Kreisky ist auch sehr
erbost, dass sozusagen Konecny sich als sein linkes Gewissen
im Wahlkampf präsentiert hat, niemand hat mit ihm über diese Idee
gesprochen, geschweige denn dass er sie gefördert hätte. Das wirk-
liche Problem liegt aber darin, dass er durch die Regierungsge-
schäfte er selbst viel zu wenig Zeit hatte mit unseren Linken, die
wahrscheinlich ein ganz verschwindender, nicht einmal Promillesatz
sondern einige Dutzend Leute sind, zu sprechen. Die Junge Generation
meint, ein einziges Mal hätte eine solche Aussprache stattgefunden
und sie möchten eben einen dauernden Kontakt haben. Ich konnte die
ganze Diskussion nicht mitmachen, ein Teil war aber der Meinung man
solle endlich jetzt die ganze Angelegenheit begraben, ein anderer
Teil aber man solle die ganze Angelegenheit tatsächlich bereinigen.
Ich frage mich nur, wie kann man etwas bereinigen, das mehr oder
minder auf persönliche Sympathie oder Antipathie beruht. Natürlich
kann es auf Grund der Erfahrungen in Deutschland aus solchen
Entwicklungen auch zu entsprechenden JUSOS-Bildungen oder linken
Gruppen kommen, die sich dann in der Partei nicht mehr wohlfühlen.
Genau dies aber muss und sollte verhindert werden. Wenn Kreisky
erst einmal mit den Jugendlichen wieder spricht und mehr Kontakt hat,
bin ich überzeugt davon wird ihm dies auch sicherlich gelingen.



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In der Fraktion der Gesamtvorstandssitzung berichtete ich über
die Wahl und über die weiteren Schritte die jetzt gemacht werden
müssen. Unsere Jugendlichen, insbesondere unser Jugendsekretär,
der sich selbst als Berufsjugendlicher bezeichnet, weil er natür-
lich schon über die Altersgrenze der Jugend hinaus ist, war in der
Diskussion sehr zufrieden, dass ich zum Schluss wenigstens er-
wähnte, dass wir eben auch sozialistische Politik betreiben sollten
und müssen. Er beschwerte sich bitter, dass es so schwer ist, hier
humane Aktionen wie Chile, jetzt aber auch gegen Spanien Unterlagen
zu bekommen und teilweise auf KP-Unterlagen oder DDR-Unterlagen
angewiesen ist. Serini wieder berichtete dass nach der Rehabili-
tierung von Peter durch Kreisky in den Betrieben sofort sich
einzelne Leute, die bis jetzt still und ruhig waren, zur SS bekannt
haben. Er meint, wir müssten kritisch eingestellt bleiben und
verhindern, dass die Volkspartei uns nicht links überholt. Suko
wieder, war zufrieden dass wir keine Lohnsteuererhöhung durchführen,
meinte aber auch bezüglich der Krankenkassen oder Sozialversicherungs-
beiträge dürfe sich nichts ändern. Gludowatz wieder verwies auf die
Reformen, die auch auf den Steuern durchgeführt werden und wurden
und auf die Änderung zur Einstellung der indirekten Steuer, un-
sozial direkte Steuer, sozial, wie wir sie in der Vergangenheit immer
erklärten. Die jungen Freunde warnte ich nur zu glauben, dass wenn
man Material von der DDR oder sonst irgendwo bezieht, dass dieses
auch wirklich objektiv ist. Gerade alle Linken haben, das habe ich
in meiner Jugend selbst erfahren, bei Aktionen kaum die humanitären
Gesichtspunkte als wirkliches Motiv ihrer Tätigkeit, sondern aus-
schliesslich machtpolitische. Diese können sich zeitweise mit den
humanitären decken, aber sind immer nur Mittel zum Zweck. Suko
konnte ich nicht beruhigen, denn im Gegenteil, ich erklärte ihm
nachdem er selbst die Situation bei den Krankenkassen kennt, dass
spätestens 1977 etwas geschehen muss. Die Einnahmen sind dort
wesentlich geringer als die explosionsartig steigenden Ausgaben.
Eine Diskussion über die Theorie der Steuern, wie wir sie vor
20 Jahren gehabt haben und heute noch teilweise vorfinden, geht
von falschen Voraussetzungen aus. Die Erkenntnis hat gezeigt,
dass bei steigenden Lebensstandard und noch viel mehr bei einer
Hochkonjunktur der Unternehmer bereit ist, die direkte Steuer
genauso zu kalkulieren als die indirekte Steuer und auf den Preis
zu überwälzen. Die Unternehmungen haben ihre grossen Finanzierungs-
pläne dort im Cash-flow entsprechende Mittel sich errechnet und
um diesen Cash-flow zu erhalten, wird bei direkter Steuererhöhung


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auch entsprechende Preiskorrektur vorgenommen. Natürlich nur soweit
es der Markt zulässt. Die Grossen Unternehmungen sind aber so markt-
beherrschend, dass sie meistens diese Überwälzung der direkten Steuern
ebenfalls zustande bringen.

In der Gesamtvorstandssitzung berichtete Ing. Löw vom gewerkschaft-
lichem Datenverarbeitungszentrum wegen einer Umstellung auf Mit-
gliederverrechnung EDV. Unsere Gewerkschaft ist dazu noch nicht
entschlossen. Ich selbst bin der Meinung dass noch immer es zu
kostspielig für eine kleine Gewerkschaft ist. Wir müssten damit
rechnen, dass bis zu 1.20 Schilling pro Mitglied und Monat dafür
gezahlt werden müsste. Dies ist ein verhältnismässig hoher Betrag.
Trotzdem bin ich überzeugt, dass wir früher oder später, eher sogar
früher, diese Umstellung machen müssen. Ich liess deshalb das
Präsidium ermächtigen, die entsprechenden Vorbereitungen und Be-
sprechungen mit der EDV zu führen.

Aus den Berichten der Landessekretäre im Anschluss daran ging ein-
deutig hervor, dass im Westen die Beschäftigungslage noch sehr
günstig ist. Die Umstrukturierung in einzelnen Betrieben setzt
aber immer wieder Arbeitskräfte frei. Die Ablöse der Gastarbeiter
durch österreichische Arbeiter schreitet auch in unserer Branche
stark vorwärts. Insbesondere in Salzburg. Dort haben wir um 1.700
Beschäftigte mehr, wenn man aber abrechnet dass 2.000 Gastarbeiter
auch ersetzt wurden, sind es sogar 3.700 die neue Arbeitsplätze
in der Lebensmittelbranche in Salzburg gefunden haben. Stark
kritisiert wurde, dass in OÖ jetzt einige Brauereien von der Brau AG
selbst geschlossen werden. Die Brau AG hat einen 7%igen Zuwachs
angenommen und deshalb ihre Kapazitäten entsprechend ausgeweitet.
Jetzt ist der Konsum aber rückläufig, sodass eben Überkapazitäten
entstanden und alte Betriebe wie in Gmunden und Mattighofen still-
gelegt werden. Den Betriebsräten ist es dort gelungen nicht zuletzt
indem sie immer erklärt haben, sie werden den Minister Staribacher
als ihren Obmann entsprechend informieren und einschalten, einen
Sozialplan zu erstellen, der für die dortigen Beschäftigten und
vor allem die zur Kündigung kommen, eine einmalig gute finanzielle
Ablösung bringt. Trotzdem sagen die Betriebsräte jetzt dass sie
fast über 200 eingespart und dadurch der Drau AG 80 Millionen
Schilling im Jahr an Lohnkosten ersparen. Die Brau AG hat eben
in meinen Augen zu spät den Umstellungsprozess eingeleitet oder


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überhaupt zu spät und falsch ihre Dispositionen bezüglich der
Produktion getroffen. Auch bei Knorr und Haas gibt es sowie bei
Molkereien Beschäftigungsrückgänge. Auch in der Steiermark sind
in Göss die Mälzerei und in Puntigam die Fassbinderei geschlossen
worden. NÖ wird jetzt die Molkerei Stockerau endgültig geschlossen.
Ich kann mich noch erinnern wie ich in den 40er Jahren mich
in den Milchwirtschaftsfond gegen die vor meiner Zeit errichtete
Molkerei gewendet habe. Sie war damals halb fertig und ich habe
erklärt, ein Wahnsinn vor den Toren Wiens eine solche Molkerei
zu errichten, die kaum ein entsprechendes Einzugsgebiet hat. Für
mich ist es leider überhaupt keine Befriedigung wenn ich nach länge-
rer Zeit feststelle dass ich Recht gehabt habe. Viel lieber wäre
es mir, wenn man erst gar nicht in eine solche Situation käme.
Auch für die dort Beschäftigten muss jetzt eine entsprechende Lö-
sung gefunden werden. Was mich persönlich aber am meisten berührt
war, dass von Mirabell berichtet wurde, dass der Unternehmer dort
Leistungszusagen, sozusagen nach dem schönen Gesicht der einzelnen
gibt, Dies ist meiner Meinung nach vollkommen unmöglich und unsere
Sekretäre werden sich jetzt bemühen eine Objektivierung zu erreichen.
Die Berichte der Landessekretäre zeigt, dass ein unterschiedliches
Bild, im grossen und ganzen aber keinerlei Krisensituation
innerhalb der Lebensmittelarbeitergewerkschaft.

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Tagesprogramm, 23.10.1975

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hs. Notizen (Tagesprogramm Rückseite)


Tätigkeit: Sekr. ÖGB Sbg.


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