Montag, der 23. Oktober 1972

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Montag, 23. Oktober 1972

Bevor ich zur Vollversammlung des Europarates vor, habe ich dem
Botschafter versprochen, ihn in seinem Büro zu besuchen. Auch hier
habe ich Schieder mitgenommen, da er am Abend vorher sehr lange
mit einem Übersetzer, der Genosse ist und anderen Parlamentariern
bis 1 Uhr früh debattiert hat. Die Methode des Europarates und
vor allem seine Arbeitsweise entspricht glaube ich wirklich dem,
was sich manche Parlamentarier unter "Parlamentarismus" vorstellen.
Jeder kann dort mit jedem entsprechende Besprechungen führen, Pläne
wälzen und letzten Endes sogar dann in der Versammlung nicht nur das
Wort ergreifen und seine eigene Meinung sagen, sondern auch dann bei
der Abstimmung tun und lassen, was er will. Schieder z.B. baut jetzt
bereits vor, den derzeitigen Generalsekretär, ehemaligen österreichi-
schen Aussenminister Tončić, abzulösen. Die soz. österr. Delegation
hat damals gegen die Bestellung von Tončić gestimmt. Jetzt kennen
glaube ich auch schon die Konservativen der anderen Länder, dass
sie hier einen Fehlgriff getan haben. Tončić soll zwei Monate auf
Urlaub gewesen sein und 120 Tage auf Dienstreisen. Man erzählt sich,
dass er jetzt mit den Fidschi-Inseln Besprechungen aufnimmt, weil
er dort ebenfalls eine Reise hinmachen will. In Niederlande, das
kann man nur erraten aber es ist wahrscheinlich, hat er ange-
fragt, er hätte einige Probleme mit der Regierung zu besprechen.
Als er darauf eingeladen wurde, nach Amsterdam zu kommen, soll er
dort 14 Tage mit Familie verbracht haben und am letzten Tag zur
Rezeption gegangen sein und erklärt haben, die Rechnung bezahlt
die Regierung, obwohl er eigentlich gar nicht eine offizielle Ein-
ladung der Regierung erhalten hat. Vor allem aber nicht für 14
Tage. Er soll immer nur herumreisen, das Büro soll kopflos arbeiten
und die Sekretariatsleistung dadurch sehr minder sein, da sie nicht
koordiniert wird. Schieder hofft nun, dass wenn Tončić nicht mehr
kandidiert wird, obwohl er noch herumgeht und erklärt, die österr.
Bundesregierung wird ihn neuerdings aufstellen, dass sogar ein
sozialistischer Generalsekretär gewählt werden könnte. Für den Typ
von Politikern, der nur mit diesen Personalproblemen sich primär
beschäftigt und dessen ganze Tätigkeit darin besteht, einen abzu-
schiessen und einen anderen wieder aufzubauen, ist also der
Europarat eine ideale Betätigung. Darüber hinaus gibt es, wie ich
mich selbst dann bei einer Sitzung überzeugen konnte, manchmal


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ganz interessante Debatten. Um 1/2 Uhr war die Versammlung einbe-
rufen, begann tatsächlich um 3/4 10 Uhr, der Präsident ist erst um
diese Zeit erschienen, der Generalsekretär war überhaupt noch nicht
anwesend und es wurde ein Bericht über die Wiener Tagung für die
Menschenrechte gegeben. Ein junger Abgeordneter, sicher ein Sozialist,
hat dann die Türkei bei dieser Gelegenheit hart attackiert wegen
der Inhaftierung von türkischen Journalisten und sonstigen Frei-
heitskämpfern. Der türkische Parlamentarier antwortete ganz energisch
dagegen, obwohl der Vorsitzende die Redezeit auf 7 Minuten beschränkt
hatte, weil eine umfangreiche Tagesordnung zur Diskussion stand, hielt
sich natürlich fast niemand genau an diese Beschränkung. Zum Schluss
kamen zwei Ergänzungsanträge zu dem Bericht zur Abstimmung und zu
meiner grössten Verwunderung wurde dort tatsächlich von der Ver-
sammlung anders entschieden als der Berichterstatter vorschlug. Es
ging um die Freiheit des Arbeitsplatzes und um die Freiheit des
Wohnsitzes. Diese Abänderung wurde nach einem mit grossen Pathos
vorgetragenen Antrag auch tatsächlich akzeptiert. Nach welchen Ge-
sichtspunkten die einzelnen Abgeordneten abstimmen, war für mich
nicht leicht zu durchschauen. Als sich zum Schluss zur Begründung
seiner Abstimmung der türkische Delegierte noch einmal zum Wort mel-
dete und dort neuerdings natürlich die Angriffe, die vorher wegen die
Türkei gerichtet waren, zurückwies, meldete sich Peter Schieder zur
Geschäftsordnung und fragte, ob der Präsident in Hinkunft es immer
zulassen werde, dass ein Delegierten dann unter dem Geschäftsordnungs-
punkt Begründung seiner Stimmenabgabe neuerdings die Debatte aufrollt.
Der Vorsitzende, ein Italiener, der meiner Meinung nach sehr loyal
aber umso legerer den Vorsitz führte, meinte mit Recht, er könnte
bei der Wortmeldung nicht wissen, was der Delegierte sagen wird,
in Hinkunft aber wird er ihn unterbrechen. Czernetz meinte, dass
der Vorsitzende viel straffer die Verhandlungen führen müsste. Ausser-
dem wäre es notwendig, dass der Vorsitzende wenn die entsprechenden
Tagesordnungspunkte länger dauern als vorgesehen, die angekündigten
Minister zu dem von ihm festgelegten Zeitpunkt auch tatsächlich
sprechen lassen müsste. Minister Firnberg, die ebenfalls vor einigen
Tagen eine Erklärung abgeben sollte, hat 2 Stunden auf ihr Referat
warten müssen. Vor mir kam nun der Schweizerische Justizminister zu
Wort, der einen Bericht über die Justizministertagung der 14 west-
europäischen Staaten in Basel gab. Da er ehemaliges Mitglied des
Europarates war, wurde er nicht nur vom Präsidenten herzlichst be-
grüsst sondern vor allem auch natürlich von einigen Kollegen, die


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ihn aus dieser Zeit noch kannten und deshalb auch wahrscheinlich
sein Referat anhörten. Als ich zum Worte kam, war es bereits
3/4 1 Uhr und deshalb hat sich der Saal, der an und für sich nur sehr
spärlich besetzt war, dann in Wirklichkeit fast nur auf die österr.
Delegierten reduziert. Nur der israelische Beobachter blieb ebenfalls,
weil er nämlich anschliessend an mein Referat noch zu den Erklärungen
des Berichterstatters ein Statement herunterliest. Ich selbst habe
pflichtgemäss diese sehr kurze Erklärung abgegeben, dann aber doch
frei über die weitere Entwicklung der EFTA gesprochen. Tončić näm-
lich hatte mir am Vortag bei einem Abendessen mitgeteilt, dass die
Abgeordneten weniger auf Ziffern interessiert wären, sondern
vielmehr Probleme angeschnitten sehen möchten. Er meinte, dass ganz
besonders meine Erklärung über die Schwierigkeiten, die wir mit der
Ursprungsregelung jetzt feststellen könnten und die ich doch
einigermassen in der Arbeitssitzung erörterte, auch die Vollver-
sammlung interessieren würde. Ich habe mit grosser Genugtuung fest-
gestellt, weil ich gar nichts anderes erwartet habe, dass die Voll-
versammlung überhaupt nichts interessiert, sondern sie den Saal
soweit sie in Strassburg anwesend war, verliess. Ich betrachte das
keinesfalls als eine Missachtung meiner Person sondern als die
Arbeitsweise der Europa-Rates. Da ein Bericht sowieso stinkfad ist
und da ausserdem kaum etwas von dieser Problematik die Parlamenta-
rier, die austreten aus der EFTA, interessiert aber auch die die
drinnen bleiben kaum aus dem Bericht oder dem Statement dazu irgend-
welche neue Erkenntnisse schaffen können, muss es meiner Meinung
nach dazu führen, dass eine diesbezügliche flaue Stimmung dort
herrscht. Wanke hat also vollkommen recht gehabt, als wir darüber
diskutierten, ob man nicht wirklich eine grössere Redevorbereiten
sollte oder nur eine Erklärung, wie sie eben das Sekretariat teilweise
vorgeschlagen hat. Czernetz meint zwar, dass es zielführend wäre,
nachdem jetzt ein Jahr vergangen ist, dass Kreisky ebenfalls jetzt
wieder beim Eruoparat eine Ansprache hält und dass vor allem auch
ich als Wirtschaftsminister öfters an diesen Tagungen durch Erklärungen
hervortreten sollte, doch teile ich diese Meinung keinesfalls.
Sicherlich wird es möglich sein, wenn Kreisky angekündigt wird,
dass mehrere Mitglieder des Europarates anwesend sein werden,
da schon allein der Name Kreisky dafür bürgt. Wenn ich aber an Kreisky
Stelle zu entscheiden hätte, würde ich über diese Forum nur dann
erscheinen, wenn ich wirklich eine grundsätzliche neue Idee zu


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verkünden hätte. Die europäischen Staatsmänner haben nämlich
immer so gehalten, ob dies Adenauer oder Churchill gewesen ist.
Dies sind dann sicherlich die Sternstunden des Europarates und
geben ihm auch dann die Möglichkeit, nicht ganz in Vergessenheit
zu geraten. Kirchschläger allerdings, mit dem ich einmal über
dieses Problem diskutiert habe, meinte, wenn aus dem Europa-Rat
gar nicht anderes mehr herauskommt als die schon beschlossene
Menschenrechtskonvention, dann hat er sich schon bezahlt gemacht.

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Aktennotiz AK, wipol. Abt. an Präs. Hrdlitschka betr. Strompreis-Entlastungssätze, 23.10.1972

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hs. Notizen (Aktennotiz AK Rückseite)


Tätigkeit: ehem. Außenmin., ÖVP


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