Freitag, der 6. Oktober 1972

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Freitag, 6. Oktober 1972

Vor der konstituierenden Sitzung des Gemischten Ausschusses auf
Grund des Interimsabkommens hatte ich Gelegenheit mit Leitner
und Wellenstein über die Probleme der EWG-Entwicklung zu sprechen.
Insbesondere versuchte ich Wellenstein davon zu überzeugen,
dass für die Landwirtschaft auf dem Molkereiproduktesektor etwas
getan werden müsste. Kreisky hat berichtet, dass er bei Premier-
minister Heath vollstes Verständnis gefunden hat für die Exportwünsche
der österreichischen Landwirtschaft. Zu diesem Zeitpunkt war auch
von ÖMOLK Komm.Rat Erhart draussen und beide waren der Meinung,
dass es möglich sein müsste, auf dem Milchpulversektor Zugeständnisse
zu bekommen. Bei Butter haben die Engländer sofort erklärt, wird es
derzeit keine Möglichkeit von Exportgarantien geben. Wellenstein
teilt diese Meinung keinesfalls. Milchpulverexporte werden von
Österreich kaum in die EWG durchgeführt werden können, auch nicht
nach Grossbritannien. Derzeit beginnen nämlich die Milchprodukte
in der EWG wieder riesige Vorratslager zu bilden und es ist deshalb
aus prinzipiellen Gründen nach Auffassung Wellensteins unmöglich,
dass es zu einem wirklich positiven Abschluss von Verhandlungen auf
diesem Sektor kommen kann. Dies ging so weit, dass Wellenstein dann
– wie ich beim Mittagessen feststellen konnte – Pultar nicht einmal
die Zusicherung machen wollte, dass ins Kommunique aufgenommen wird,
bei der nächsten Gemischten Tagung wird das Problem der Butterexporte
und Milchpulverexporte behandelt. Er selbst meint, das Maximum wäre,
wenn man in das Gemeinsame Kommunique aufnehmen würde, dass die
beiden Punkte auf die Tagesordnung kommen würden. Der Aus-
druck "behandeln" erschien ihm schon als ein zu grosses Zugeständnis.

über die anderen Probleme wie z.B. die Geschäftsordnung des Gemischten
Ausschusses gab ich meiner Überzeugung Ausdruck, dass es mit der
Unterstützung Wellensteins gelingen wird, alle Probleme zu lösen.
Wellenstein selbst hat zwar anfänglich erklärt, dass sie bereits
mit den ständigen Vertretern, d.h. mit den Regierungen die Geschäfts-
ordnung und mit anderen Worten die gesamte Tagesordnung bereits abgespro-
chen und fixiert haben, sodass jedwede Änderung fast unmöglich ist.
In der Praxis hat sich dann aber während der Verhandlungen gezeigt,


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dass sehr wohl eine gewisse Flexibilität auch von Brüssel vorhanden
ist. Praktisch glaube ich müssen wir aber richtiger Weise so
vorgehen, wie es in den Vorbesprechungen bei uns erarbeitet wurde.
Wir sollen gleichzeitig mit der Bestellung von Michitsch als
Sekretär für den Gemischten Ausschuss, der selbstverständlich in
Wien seinen Sitz hat, auch in Brüssel einen Mann der Botschaft be-
stimmen, der täglich dem Sekretär von der Brüsseler Seite die Post
gemeinsam durchgeht. In diesem Fall hätten wir dann nämlich
sofort ein Aviso, welches Land und welches Problem in Brüssel
im Gemischten Ausschuss das nächste Mal zur Sprache kommen kann.
Um nun sofort die entsprechenden österreichischen Vorschläge
zu den Punkten oder gegebenenfalls unsere Abänderungswünsche
vor allem in Brüssel zeitgerecht deponieren zu können, müsste
dann unverzüglich eine Stellungnahme zu den eingegangenen
Briefen, Wünsche, Anregungen von Wien in die Mission geschickt
werden. Dort hätte man dann bereits den österreichischen Stand-
punkt im Büro des Gemischten Ausschusses zu deponieren, sodass
die Brüsseler Seite bereits weitestgehend unsere Wünsche berück-
sichtigen kann.

ANMERKUNG FÜR WANKE: Leitner hat Reiterer Dr. Legtmann
vorgeschlagen.

Bei der 100-Jahrfeier des österr. Genossenschaftsverbandes
habe ich Sallinger auseinandergesetzt, dass die Entlastungs-
verhandlungen zwischen den Sozialpartnern wieder auf einem
sehr kritischen Punkt angelangt sind. Der ÖGB, Präs. Benya ist
nicht bereit, vereinbarte Sätze noch einmal zu revidieren,
weil z.B. die Bundeskammer – Mussil – erklärt, er komme bei
seinen Leuten nicht durch. Ich selbst hätte – und darüber liess
ich ihn nicht im Unklaren – keine andere Möglichkeit, als die
Vorratsentlastungssätze in einem solche Falle anzuwenden.
Da Mussil auf dem Standpunkt steht, dass dies für sie tödlich
ist, war er natürlich dann bereit, mit Lachs noch einmal zu
sprechen, um die Verhandlungen wieder flott zu kriegen. Wie
mir Benya aber am Abend bei seiner Geburtstagsfeier erzählte,
hat ihn Sallinger sofort dann angerufen und erklärt, er müsste


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mit ihm dieses Problem noch einmal durchbesprechen, denn
selbstverständlich wünscht die Handelskammer, dass die Verhand-
lungen positiv abgeschlossen werden. Sollte es wider Erwarten
zu keinem positiven Abschluss kommen, so werde ich tatsäch-
lich die Entlastungssätze ungeheuer hoch festsetzen, wahrscheinlich
nach den Sätzen der Vorratsentsteuerung. Sallinger und ganz be-
sonders Mussil müssen nämlich spüren, dass wenn sie in der Sozial-
partnerschaft auf hart und stur schalten, dass bei mir die gegen-
teilige Wirkung ausgelöst wird als sie erwarten. Ich werde dann
nicht als der konziliante Mittler auftreten, sondern wenn es zum
Bruch gekommen ist in einer Angelegenheit, mit allen mir zur
Verfügung stehenden Mitteln die härteste Lösung für die Handels-
kammer wählen. In diesem Fall hoffe ich, dass dann die vernünftigen
Leute in der Handelskammer Oberwasser bekommen und erklären, es
wäre doch besser gewesen auf der Sozialpartnerebene zu einer Einigung
zu gelangen. Ich sehe darin den einzigen Weg, die Kräfte, die
jetzt auf allen Seiten wirken, um die Sozialpartnerschaft oder
Wirtschaftspartnerschaft zurückzudrängen, wieder zu festigen.
Kreisky hob zwar bei seiner Ansprache zu Benyas Geburtstag vor
den Gewerkschaftern nicht nur die besondere Leistung von Benya
heraus, sondern auch die Bedeutung der Wirtschafts- und Sozial-
partnerschaft. Er meinte, dass man dieses Rezept von uns im Aus-
land gerne übernehmen würde, dass aber der Doktor, der dieses
Rezept verschreibt nicht exportiert werden kann, nämlich Präs.
Benya, den wir dringendst brauchen. Kreisky ist jetzt bereit,
in aller Öffentlichkeit Benya die entsprechende Anerkennung auszu-
sprechen. Kreisky erkennt glaube ich sehr genau, dass er es sich
mit dem Gewerkschaftsbund gut stellen muss, auch dann wenn seiner-
zeit bei seiner Wahl zum Parteivorsitzenden gerade Benya für einen
Teil der Gewerkschaft zumindestens ganz entschieden gegen Kreisky
Stellung genommen hat. Sicherlich war die damalige Stellungnahme
von Benya aus seinem Treueverhältnis des zu Waldbrunner und
ganz besonders zu Pittermann bedingt. Benya, der als beinharter
Mann gilt, ist in Wirklichkeit ein batschweicher. Ein Kollege,
mit dem man über alle Probleme wahrscheinlich auch zu einer
Einigung kommen kann. Voraussetzung dafür ist nur, dass man ehrlich
spielt und ihn nicht unfair angreift oder unfaire Handlungen unter-
schiebt. Er selbst hat das einmal so ausgedrückt, bei uns Gewerk-
schaftern ist es üblich, selbst wenn wir hart Auseinandersetzungen
führen, uns nachher zu einem Bier zusammensetzen und dann die


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Angelegenheit als erledigt betrachten. Hoffentlich verstehen alle
Genossen, die mit ihm zu tun haben, diese gerade Art zu schätzen.

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Tagesprogramm, 6.10.1972


Tätigkeit: öst. Botschafter EWG


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        Tätigkeit: brit. PM bis 1974


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              Tätigkeit: Gen.Sekr. HK, ÖVP-NR-Abg., später AR-Präs. Verbund


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                  Tätigkeit: Beamter HM


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                          Tätigkeit: Sektionschef HM, Diplomat, Verteter bei der EG


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                            Tätigkeit: Handelskammer-Präsident


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