Freitag, der 8. September 1972

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Freitag, 8. September 1972

In der Arbeitsgruppe des Beirates für Wirtschafts- und Sozial-
fragen, die die Gewerbepolitik behandelt, wurde in drei Unteraus-
schüssen Organisation, technische Pränz und Finanzierung versucht,
für die einzelnen Probleme eine gemeinsame Lösung zu finden. Da in
diesem Beirat immer nur versucht wird, gemeinschae Beschlüsse zu
fassen, kann ich damit rechnen, daß ein Minimum an Übereinstimmung
zwischen der Arbeiterkammer und Gewerkschaft auf der einen Seite
und Handelskammer und Landwirtschaftskammer auf der anderen Seite
versucht wird. Die Beiratsmitglieder, insbesondere der Vorsitzende
der Kammeramtsdirektor der Handelskammer von Salzburg ist sehr er-
staunt, daß ich als Zuhörer erscheine und vor allem mich nicht in
den Mittelpunkt setzen will. Bevor ich weggehe erkläre ich noch, daß
für unsere Gewerbepolitik ihre Arbeit von größter Bedeutung sein
wird, weil ich auf Grund dieser Studie im Handelsministerium wie
bei der Studie über die Industriepolitik ebenso vorgehen werde. Hier
lege ich mich ja bewußt schon fest, die Sozialpartner Übereinstimmung
für die Grundlage meiner Politik zu machen. Als wir eine Diskussion
mit Kreisky und den anderen Mitgliedern des Verhandlungskomitees mit
der ÖVP über die EWG-Begleitmaßnahmen habe erkläre ich, daß die Zucker-
industrie bis jetzt abgelehnt hat, einen geteilten Zuckerpreis einzu-
führen. Der Grund dafür ist, daß die Zuckerindustrie befürchtet, daß
die Arbeiterkammer und insbesondere Der Gewerkschaftsbund dann eben-
falls für die Verbraucher einen verbilligten Zuckerpreis wünscht, den
die Zuckerindustrie bereit wäre, noch der Verarbeitungsindustrie, d.h.
Süsswaren, Zitronensäureerzeugung, usw. zu gewähren. Mein Hinweis, daß
die Zuckerindustrie ja die Möglichkeit hätte im Rahmen der Paritäti-
schen Kommission von Seiten der Arbeiterkammer und vor allem des ÖGB
seine diesbezügliche Verpflichtungserklärung zu verlangen, kontert
Kreisky sofort, da könnten sie sich ja an die Regierung wenden. Da-
rin unterscheiden sich eben seine und meine Auffassung bezüglich
einer zweckmäßigen Politik in Österreich. Wenn die Zuckerindustrie
bereit wäre auf den gespaltenen Zuckerpreis einzugehen, so würde ich
an ihrer Stelle auch nur eine diesbezüglich schriftliche Erklärung
der Interessensvertretungen als Grundlage nehmen. Die längere Konti-


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nuität hat für mich noch immer eine Zusage von Interessenver-
tretungen, weil diese dann kaum auch von Nachfolgern anderer
Präsidenten so leicht außer Kraft gesetzt werden können. Bei einer
Bundesregierung sieht dies meiner Meinung nach doch wesentlich anders
aus.

Bei den Verhandlungen über die EWG-Begleitmaßnahmen wird zuerst
von den einzelnen Ministern die Detailverhandlungen mit ÖVP-Mitgliedern
geführt, haben berichtet, Androsch hat in den Wünschen der ÖVP die
unklaren Formulierungen dazu benützt, um Zeit zu gewinnen und erklärt
jetzt mit Recht, daß es bei der letzten Sitzung in der Arbeitsgruppe
ihm von Seiten der Handelskammer auseinandergesetzt wurde, was sie
eigentlich bezüglich des Strukturverbesserungsgesetzes und insbesondere
der anderen Kapitalmarktgesetzen wünschen. Er könne deshalb noch
keine endgültige Stellungnahme abgeben. Nur bezüglich der Strukturver-
besserung einigt man sich auf eine weitere Verlängerung in der Frage
der Auslandsinvestitionen kommt es zu einer prinzipiellen Zusage, daß
man die Serviceorganisationen und Dienstleistungsbetriebe für den
Exporteur auch im Ausland gegebenenfalls berücksichtigen wird. Ausge-
schlossen bleibt auf alle Fälle eine Produktionsstätte im Ausland.

Bei der Abschöpfungs- und Erstattungsfrage konnten wir uns in der
Vorbesprechung nicht einen Schritt näher kommen. Die Abschöpfung ist,
wie ich berichtete im Handelsministerium bis auf die kleinste letzte
Einheit ausdiskutiert zwischen Interessensvertretungen und kann jetzt
unverzüglich ins Parlament gebracht werden. In der Erstattungsfrage
wurde nur von mir als einziges Postulat in Brüssel durch die Dele-
gation bei Gesprächen erklärt, daß nicht unter dem Weltmarktpreis
erstattet wird. Auch dieser Punkt war zwischen den Interessenver-
tretungen unbestritten, bildet aber natürlich überhaupt
keine Grundlage für eine weitere Verhandlung, nachdem Kreisky
und Androsch nach wie vor ganz entschieden eine Erstattung ablehnen.
Ich sehe schon als Kompromiß wird dann aber doch irgend eine Lösung
herauskommen, wonach die Abschöpfungsbeträge in einen gemeinsamen
Fonds mit vielen anderen reinfließen werden und aus diesem gemein-
samen Fonds, wenn wie dies im Brief Androsch seinerzeit schon zuge-
sichert wurde, keine anderen Möglichkeiten mehr existieren, dann


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doch auch Erstattungen gegeben werden können. Ich bin neugierig,
ob ich mich hier täusche, d.h. ein Kompromiß gefunden wird, oder
ob doch Kreisky seine harte Linie durchzieht. Sicher ist unsere
Verhandlungsposition in der Beziehung sehr günstig. Die ÖVP hat
keine andere Wahl, als den Vertrag meiner Meinung nach zuzustimmen
und müßte deshalb die härteste Formulierung letzten Endes doch ak-
zeptieren. Wie weit allerdings Kreisky in dieser Beziehung gehen
will, kann ich nicht beurteilen. Bei den anderen steuerlichen Vor-
schlägen der ÖVP hat er nämlich bei Vorbesprechungen und auch nach-
her wieder erklärt, es würde sich Androsch schon mit der ÖVP auf
irgendeinen Kompromiß einigen. Er selbst betrachtet dies als eine
Detailfrage, die schließlich ja auch richtig in der Kompetenz des
Finanzministers liegt und deshalb von ihm allein mit der Handels-
kammer ausgehandelt werden soll. Anders in der Erstattungsfrage. Hier
hat er sich festgelegt, andererseits hat Weihs, obwohl er dies jetzt
bestreitet, vage Zusicherungen der Landwirtschaft gemacht und Kreisky
möchte deshalb auf alle Fälle bei der Ablehnung bleiben. Das Gute bei
Weihs ist jetzt, daß er dafür kompetenzmäßig auch nicht zuständig ist,
sondern der Finanzminister, und deshalb schweigen kann. Bei der Verab-
schiedung hat Schleinzer zu ihm und mir, wir sind zufällig zusammenge-
standen, gesagt, bei der nächsten Sitzung werden wir beide uns doch
auch zur Erstattungsfrage äußern müssen. Ich selbst konterte sofort
und erklärte, ich hätte bereits meine diesbezügliche Meinung immer
eindeutig festgelegt, nämlich daß ich 1. dafür nicht zuständig bin
und für die Verhandlungen nur eine einzige Erklärung gebraucht habe,
daß wir nämlich nicht unter dem Weltmarktpreis erstatten. Mussil
bemerkte zynisch, daß ich damit eigentlich so wenig die Interessen von
Industrie vertrete. SVerständlich hätte er es sehr gerne, wenn auch
ich hier der VP-Verhandlungsgruppe eine bessere Angriffsmöglichkeit
geben würde.

In der Vorstandsfraktion in der AK habe ich neben meinem allge-
meinen Bericht auch die letzte Situation über Ladenschlußzeit be-
kannt. Skritek war leider in Moskau und so konnte ich dort ohne Dis-
kussion und Widerspruch berichten, daß ich eben doch auf lange Sicht
gesehen, hier eine Entscheidung werde treffen müssen, die insbeson-
dere im Einvernehmen mit den Handelsangestellten, aber auch mit der


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AK erfolgen soll. Da die Arbeiterkammer sicherlich nicht dieselbe
orthodoxe Haltung einnimmt. als die Handelsangestellten, hoffe ich
daß es gelingt, diese beiden Standpunkte gegenüber der Handelskammer
und der anderen Institutionen auf einen gemeinsamen Nenner zu brin-
gen. Zum Glück hatte ich dann nicht mehr viel Zeit als Hrdlitschka
meinte, ich sollte beim nächsten Punkt unbedingt noch anwesend sei,
wo er dann berichtete über die Tatsache, daß immer mehr Kollegen
der Arbeiterkammer von Ministern abgeworben werden. Er hätte einen
diesbezüglichen Brief an Kreisky geschrieben und Kreisky hätte ihm
versprochen, daß dieses Problem in der Regierung diskutiert wird, aber
die Grundauffassung von Hrdlitschka, daß nämlich jetzt Schluß sein
muß, akzeptiert. Zum Glück hatte ich bereits bei der Eröffnung
der Sitzung meinen Zeitplan genau dargelegt und so kann es mir nicht
als Flucht angelastet werden, als ich eben diesen Tagesordnungspunkt
mir die Einzelheiten nicht mehr anhörte. Ich erklärte noch, daß
ich die Meinung des Präsidenten ja genau kenne und verschwand. Für
die Arbeiterkammer Wien ergab die Regierungsbildung wirklich ein
großes Problem. Die AK hat doch noch die meisten Genossen die auch
fachlich vorgebildet sind, um entsprechende Positionen, sei es in
den Ministerien, aber vor allem jetzt in Institutionen zu besetzen,
die ein Minister zur Verfügung hat. Dadurch ergab sich ein richtiger
Aderlass. Traurig ist, daß aus den anderen Länderkammern leider
nur sehr vereinzelt Leute für diese Funktionen herangezogen werden
können.

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Tagesprogramm, 8.9.1972

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hs. Notiz (Tagesprogramm Rückseite)


Tätigkeit: SPÖ-NR-Abg., Sekr. GPA


Einträge mit Erwähnung:
    Tätigkeit: Finanzminister
    GND ID: 118503049


    Einträge mit Erwähnung:
      Tätigkeit: Gen.Sekr. HK, ÖVP-NR-Abg., später AR-Präs. Verbund


      Einträge mit Erwähnung:
        Tätigkeit: AK, ÖIAG
        GND ID: 128336552


        Einträge mit Erwähnung:
          Tätigkeit: Landwirtschaftsminister bis 1976
          GND ID: 130620351


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            Einträge mit Erwähnung:
              Tätigkeit: Bundeskanzler
              GND ID: 118566512


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