Dienstag, 14.3.1972
In der Klubsitzung hatte ich Gelegenheit festzustellen, dass Androsch
mit seinem Referat über die Lohn-Steuer- und Einkommensteuerreform
nicht die allgemeine Zustimmung fand. Heinz Fischer meldete sich vor
allem und erklärte, dass er keinen Grund sieht, dass im Zuge dieser
Steuerreform die höchste Steuerbelastung von 63,8 % um diese 0.8 %
reduziert werden soll. Er meinte, er könnte keine Erklärung geben,
wenn ihn irgendwer fragt, welchen Grund das hat, die Millioneneinkommen
hier zu schonen. Androsch konnte auch keinen zwingenden Grund angeben,
ausser dass er eben erklärt hatte, überall sollte eine Steuersenkung
im Zuge dieser grossen Steuerreform eintreten. Bei einer längeren
Erklärung setzte er auseinander, dass die höchsten Steuerbelastungen
durch entsprechende Gestaltungsmöglichkeiten wirkungslos werden kön-
nen. In den kapitalistischsten Ländern wie Amerika z.B. würde die
höchste Steuerbelastung kaum wirksam, die Gestaltungsmöglichkeit
selbst bei einem Steuersatz von 110 % nur optischen Charakter hätte.
Besonders wies er darauf hin, dass in einem modernen Staat eben man
der modernen Entwicklung der Einkommensgestaltung aber insbesondere
auch der Staatsfinanzen Rechnung tragen müsse. Ein privater Kapitalist
könnte sich seinen Swimming-Pool und seine entsprechende Privatschule
oder Privatlehrer finanzieren usw. Der Arbeiter hätte aber jetzt durch
die Infrastrukturmassnahmen die Möglichkeiten durch gute Schulen und
Gemeinschaftsbäder usw. in genau denselben Genuss zu kommen, seine
langwierigen Ausführungen sollten glaube ich nur eine Tatsache ver-
bergen, die mir auch nicht ganz erklärlich ist. Bei der letzten Steuer-
reform mit 1.1.1971 hat er nämlich sogar noch die höchsten Steuersätze
angehoben. Bei einer zweiten Wortmeldung am Ende der Debatte hat er
dann ergänzend noch hinzugefügt, dass doch diese Höchsteinkommen durch
die Änderung der Kinderabsetzbeträge in dieser Hinsicht schlechter ge-
stellt werden. Dieses Argument ist in meinen Augen nicht sehr zug-
kräftig. Selbst wenn er noch so viele Kinder hat, kann er maximalst
7 oder 8.000 S absetzen, was ihm höchstens eine Ersparnis von 4 – 5.000 S
je Kinder erbringen. Die 0,8 % Steuersenkung dagegen werden ihm
etliche 10.000 oder 100.000 S bringen.
Peter Schieder, der ebenfalls zwar nur mir gegenüber erklärte, dass
er viele Punkte dieser Steueränderung nicht goutiert, fragte, wieso
ich mich nicht dagegen stelle. Ich erklärte ihm, dass der geheiligte
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Grundsatz von mir und in der ganzen Regierung – so hoffe ich – so
ist, dass wir untereinander keinesfalls, sei es auch nur im Klub
einer den anderen kritisieren. Diese eiserne Solidarität müssten wir
aufrechterhalten solange wir können, denn wenn wir nach aussen hin,
selbst im sozialistischen Forum als nicht geschlossen auftreten
würden, müsste dies sofort den Eindruck erwecken, dass innerhalb der
Regierung Spannungen bestehen. Im selbst Moment, wo dieses Stadium
erreicht ist, glaube ich ist es mit der Schlagkraft dieser Regierung
zu Ende und die Fehler, die ein einzelner macht sind unbedeutend
gegen die Aufgaben dieser jetzt so einheitlich erscheinenden und
wahrscheinlich auch noch seienden Regierung.
Gen.Dir. Bauer berichtet mir, dass ihm der russische Botschafter
mitgeteilt hätte, was er auch mir schon seinerzeit schon angedeutet
hat, dass die sowjetische Regierung jetzt jeden einzelnen Minister
und sogar Ministerpräsidenten Kossygin ein positives Votum für die
Mehrgaslieferungen an Österreich angegeben hätten. Trotzdem dürfte
er noch sehr lange dauern, bis ein endgültige Beschluss gefasst ist.
Ich habe das Gefühl, dass man vielleicht sogar noch zuwartet, bis
Patolitschew im Oktober zum offiziellen Besuch nach Österreich kommt,
um dieses Geschenk mitzubringen. Tatsache ist, dass die ÖMV noch immer
nicht mit den Italienern endgültig die Dimension der Pipeline vereinbart
hat. Es sollte zwar jetzt bereits die 36 und 34 Zoll-Leitung bestellt
werden doch drückten die Italiener, ohne dass sie den Vorschlag machen
das mindestens 38 Zoll, wie sie es auch in Deutschland verlegt haben,
in Österreich die Leistung betragen sollte. Die ÖMV will ihrerseits
aber keinesfalls einen solchen Vorschlag machen. Die beabsichtigte
Menge von Italien 6 Milliarden, von Frankreich 2,5 Mia. und Österreich
1,5 Mia. können ohne weiteres natürlich durch die vorgesehenen Dimen-
sionen geführt werden. Auch die Reserve von 1 Milliarde wäre dann
leicht noch zu verkraften. Wenn allerdings die Franzosen – wie beab-
sichtigt – 5 Mia., Italien 10 Mia. und Österreich 3 Mia. Erdgas bekommen
sollten, dann ist natürlich die Leitung zu schwach.dimensioniert.
Die ÖMV möchte aber, nachdem dann die Investitionen um ca 30 Mio. S
mehr kosten vorerst wissen, ob sie tatsächlich mit diesen grossen
Mengen Durchsatz rechnen kann.
Meine Forderung an Bauer, dass die steirische Ferngas aber auch die
anderen Gasgesellschafter der Länder bestens bedient werden müssten,
hat Bauer sofort positiv akzeptiert. Er meinte allerdings, dass der
Aufteilungsschlüssel zwischen Wien, NÖ und der Steiermark bereits
fixiert sei, den er nicht kennt. Scheinbar hält sich die ÖMV aus die-
sem Länderstreit heraus, was ich eigentlich voll verstehen kann.
Die Haussitzung nach der Fragestunde begann sofort mit einem Riesen-
Streit. Gratz hat verlangt, dass auch der UNIDO-Ausschuss einen Ter-
min bekommt. Die Sitzung sollte um 10 Minuten unterbrochen werden.
Ich Wirklichkeit wurde dann daraus eineinhalb Stunden. Die ÖVP wollte
den Eindruck erwecken, dass die Sozialisten nur ein Interesse hätten,
dass dieser Ausschuss nicht arbeiten könnte, da er unter Zeitdruck
steht. Da der Untersuchungsausschuss einen Gerichtsähnlichen Charak-
ter hat, dürfte man ihn nicht durch solche Beschlüsse in seiner Tätig-
keit hemmen. Gratz konnte nachweisen, dass bereits früher eine solche
Terminisierung vor einem Untersuchungsausschuss beschlossen wurde.
Ausserdem hat der Vorsitzende dieses Untersuchungsausschusses, der Abge-
ordnete Moser der ÖVP bis jetzt diesen Ausschuss noch niemals einbe-
rufen. Andererseits aber in Tageszeitungen und bei Presse-Enqueten
als Vorsitzende dieses Ausschusses bereits Erklärungen abgegeben.
Ich glaube, dass der Beschluss, den wir dann mir Mehrheit fasste,
absolut richtig ist, doch verschärft sich das Klima im Parlament
immer mehr. Ich komme auch daher immer mehr zur Auffassung, dass
wahrscheinlich wenn einigermassen die Ruhe und die weitere Fortent-
wicklung Österreichs gewährleistet sein sollte, das Proporzregierungs-
system das einzige ist, welches dies wahrscheinlich gewährleisten
könnte. Ich bin seit eh und je ein Anhänger davon gewesen und hoffe nur ,
dass es doch noch zeitgerecht zu einer solchen Einführung kommt, bevor
wir endgültig glaube ich uns so zerstritten haben, dass an eine sol-
che Lösung nicht mehr gedacht werden kann. Sicherlich ist das jetzige
System härter, aber auch vielleicht in einer Beziehung besser, dass
man in der Kontrolle stärker eigentlich der Opposition ausgelie-
fert ist als dies bei einem Regierungsproporz der Fall wäre. Die
ideale Voraussetzung, dass nämlich dann das ganze Parlament gegen die
gesamte Regierung Stellung nehmen müsste, ich ja nur ein tatsäch-
lich idealer Zustand, der kaum erreicht wird. Andererseits wird und
ist dies zeigt ja die Debatte zu jedem einzelnen Punkt, die Kontrolle
im Parlament ja lustlos ausgeführt, denn die gesamten Redner, was
immer sie sagen und wie gescheit sie immer reden, stossen auf das
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geringe Interesse des Hauses.
Dies zeigte sich auch bei der stundenlangen Integrationsdebatte.
Sicher ist es auf diesem Sektor, dass es die Opposition sehr schwer
hat, da ich sowohl die einzelnen Klub informiere, da ich darüber
hinaus im engsten Einvernehmen mit den Interessenvertretern vor-
gehe, so sind sie erstens in allen Details informiert und zweitens
haben sie dort alle Möglichkeiten, schon ihre Wünsche, Anregungen
und Kritiken vorzubringen. Was bleibt ist dann nichts anderes,
als ein Angriff, dass ich noch immer nicht in Brüssel gewesen bin.
Mussil hätte doch zu dieser Frage sprechen sollen, er war auch vor-
bereitet, doch dürfte ihm dann Mitterer den Rang abgelaufen haben.
Mitterer verfügt nun nicht annähernd über die Detailkenntnisse,
die Mussil hat und musste oder hat ganz einfach auf Grund seines
Temperamentes sich mit Oberflächlichkeiten begnügt. Auf der
einen Seite hat man neuerdings gefordert, dass ich unbedingt nach
Brüssel fahren müsste, Mitterer meinte, das hätte schon allein
das Protokoll und die diplomatische Courtoisie verlangt, anderer-
seits aber wieder hat man Kreisky kritisiert, dass er zu einem
so späten Zeitpunkt oder zu einen zu frühen Zeitpunkt ebenfalls
gefahren ist. Wanke meint, dass ich Mitterer hart Attackieren könn-
te, dass er doch als erfolglosen Handelsminister überhaupt
nichts erreichen konnte. Ich habe mich dazu nicht entschlossen,
da mir mein Eindruck, den ich im Parlament noch immer habe,
als konzilianter und charmanter Minister nicht zerstören möchte.
Ausserdem widerspricht mir dies, da ich ja so viel Verständnis
für Menschen habe, die gescheitert sind. Nun muss ja nur erleben,
wie er – sei es bei Eröffnungen oder jetzt im Parlament wenn dann
eine Antwort kommt, nicht einmal imstande ist, einem anzusehen
sondern ganz verbittert immer wegsieht. Während mir seine Äusserungen
in Wirklichkeit vollkommen wurst sind, bemerkt man, wie ihm jede
Artwort oder Erklärung die ich abgebe, obwohl sie sehr konziliant
immer gehalten ist, in der Seele wehtut. Ich habe auch noch nicht
das Argument ausgespielt, dass Schleinzer nach einem Bericht
der Mission bei seiner Brüssel-Reise, die wir für ihn teilweise or-
ganisiert oder zumindestens ihn unterstützt haben, zur Kenntnis
nehmen müsste, dass die Landwirtschaft auf alle Fälle ausgeschlossen
bleibt. Den einzigen wirklich harten Angriff startete Dr. Karasek
zum Schluss. Er meinte, dass 3 Punkte ihn erschüttert hätten:
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1. dass der Bundeskanzler sich nicht von Fachministern begleiten
liess. Der ehemalige Aussenminister Kreisky hat grössten Wert
darauf gelegt, dass er die alleinige Kompetenz hätte und daher
der Bundeskanzler Klaus unter gar keinen Umständen allein nach
Brüssel oder sonst irgendwohin fahren könnte, um tätig zu
werden. Diese damals von Kreisky vertretene Auffassung hätte er
auch gerne bei der jetzigen Rundreise verwirklicht gesehen.
2. aber sei es einmalig, dass er die Botschafter nicht beigezogen
hätte. Er meinte, damit würde jede diplomatische Tätigkeit er-
lahmen resp. zu einem unübersichtlichen Chaos führen, wenn jeder
Minister, ohne mit dem dort akkreditierten Botschafter Verhandlun-
gen aufnimmt oder Besprechungen führt. Er hofft, dass dies eine
einmalige Ausnahme bleibt, und dass insbesondere ich mich der
Botschafter und der Mission bedienen würde. In dieser Beziehung
hat er sogar einen Gag gehabt, indem er meinte, ich sei
ja froh, wenn ich Botschafter überhaupt hätte, nachdem ich
ja überhaupt nicht wegfahren möchte. Wenn ich mir vorstelle,
wenn Klaus so etwas in der Vergangenheit gemacht hätte, oder
dass ein ÖVP-Bundeskanzler so etwas in Hinkunft machen würde, dann
hätte ich meine Oppositionsrede damit angefangen und aufgehängt,
dass wahrscheinlich grosser Grund vorhanden war, dass von vornhe-
rein nur Vier-Augen-Gespräche geführt werden, damit eben niemand
erfährt, dass nichts aus diesen Besprechungen herausgekommen ist
oder herauskommen konnte und dass dies von vornherein ja bereits
so programmiert war. Ich hätte angegriffen, dass es sich hier nur
um eine Show gehandelt hat, denn niemand ist jetzt Zeuge dieser
Aussprache, niemand weiss, was wirklich gesagt wurde und damit
behauptet werden kann, es war und wurde alles erreicht und in
Wirklichkeit ist wahrscheinlich gar nichts erreicht worden.
Karasek war in ihrer Rangordnung aber erst der vierte und letzte
Redner und deshalb ist nach 8 Stunden Integrationsdebatte dies
natürlich überhaupt nicht mehr angekommen.
Der einzige Vorteil, dass ich so lange auf der Regierungsbank sitzen
musste, war, dass damit ich automatisch bei der Messe-Eröffnung
nicht anwesend sein konnte und daher auch nicht eine von mir so ge-
hasste Eröffnungsansprache halten musste. In meiner Vertretung wurde
Sekt.Chef Römer zeitgerecht aufmerksam gemacht, dass
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eine solche Entschuldigung vornehmen müsste und gleichzeitig auch
meine wichtigsten Gedankengänge vortragen sollte. Da Koppe meinte,
dass die Produkt-Deklaration von so eminent wichtiger Bedeutung ist,
hatten wir eine Presseaussendung voraus gesperrt bereits hinausgegeben.
Römer, der natürlich am liebsten ein Konzept von meiner Rede gehabt
hätte, hat sich sicherlich mühsam erst ein solches zusammenbasteln
müssen. Einige Nationalräte insbesondere glaube ich ausser Präs.
Benya ist sogar auch Sallinger zur Messe-Eröffnung gegangen. Ich selbst
hätte aber von der Regierungsbank keinesfalls weggehen können, obwohl
mir dies vielleicht ein Grossteil der ÖVP-Abgeordneten verziehen hätte.
Niemals aber wäre wahrscheinlich dann von mit der berechtigte Angriff,
dass eine Messe-Eröffnung wichtiger ist als das Parlament, entkräftet
werden können.
Mit der Zentralsekretärin der soz. Frauen, BR Dr. Demuth, und der Chef-
redakteurin "Die Frau", Anneliese Albrecht, sprach ich die Möbelenquete
durch. Sie waren von meiner Idee begeistert, stimmten mir zu und
werden sich bemühen, ob sie eine aktive Frau oder eventuell einen Mann
zur Verfügung stellen könnten, der im Ministerium die entsprechenden
Vorarbeiten leisten sollte. Ich bin neugierig, ob sie jemanden finden.
Tagesprogrogramm, 14.3.1972
hs. Notizen (Tagesprogramm Rückseite)
Tagesordnung 18. Ministerratssitzung, 14.3.1972
10_0370_03hs. Notizen (TO Ministerratssitzung Rückseite)