Montag, der 29. November 1971

08-1411

Montag, 29. November 1971

Die Eröffnung der technischen Woche gab Gelegenheit für Baczoni
über den bisherigen Handelsverkehr und insbesondere über die zu-
künftige Entwicklung zu referieren. Er erwähnte, dass insbesondere
die Kooperation von grösster Bedeutung ist. von ca. 160 Kooperations-
abkommen mit dem Westen hat Österreich bereits 30, eine erkleckliche
Anzahl. 40 sind in Verhandlungen. Die Kooperationen machen nach ungari-
schen Berechnungen 4 % des Handelsvolumens aus. Interessant ist, dass
die Ungarn her immer wesentlich detailliertere Informationen besitzen
als wir. Darüber hinaus haben sie glaube ich auch wirklich – obwohl
sie erklären, sie hätten keinen Einfluss – natürlich wesentlich grössere
Chancen Detailerfahrungen zu sammeln und vor allem Informationen zu
bekommen, als wir jemals in unserem Ministerium haben werden. Ich er-
wähnte bei meiner Eröffnungsansprache, wo ich auch ziemlich detaillierte
aber sehr locker vorgetragene Probleme einging, dass wir selbst auch
der Kooperation grösstes Augenmerk zuwenden. Die österreichischen techni-
schen Wochen könnten in Ungarn wesentlich dazu beitragen, weil die tech-
nische Entwicklung eine Voraussetzung für gute Kooperationsmöglichkeiten
darstellt. Da ich sehr zeitig in der Früh Tungsram besichtigt hatte,
konnte ich auch auf dieses Gebiet mit einigen Beispielen hinweisen.
Beeindruckend für mich war bei diesem Besuch ganz besonders, dass
die Ungarn 10 % ihres Umsatzes für Entwicklung und Forschung ausgeben.
Bei 25.000 Beschäftigten, der zweitgrösste Betrieb in Budapest neben
Csepel, haben sie 2.000 Ingenieure und Techniker, die in der Ent-
wicklung und Forschung arbeiten. Neidlos konnte ich anerkennen,
dass kein westlicher Staat und vor allem niemand in Österreich einen
so hohen Prozentsatz für Entwicklung und Forschung ausgibt. Trotzdem
versicherte mir ein Vertreter vertraulich, dass Tungsram ein Betrieb
ist, der sogar Steuer zahlt. Dies dürfte scheinbar in Ungarn nur ganz
selten der Fall sein. Mein Hinweis, dass es mir unerklärlich ist, warum
dann die Ungarn die österreichische Tungsram-Anteile an Schweizer abge-
treten haben wurde mir von Kövari auch vertraulich dahingehend beantwortet,
dass sie ja die Schweizer Firma ebenfalls im hundertprozentigen Besitz
haben. Ungarn ist nur sehr exportabhängig und 40 % des Bruttonational-
produktes werden durch den Aussenhandel bestritten. Sie haben Berechnungen
angestellt, dass 1 % des Bruttonationalzuwachses 2 % Aussenhandelszuwachs
bedeutet. Die Ungarn forcieren den österreichischen Handel und wollen
insbesondere den aus der BRD zurückdrängen. Während die durchschnittliche
Expansion in den letzten 3 Jahren 45 % war, hat der österreichische


08-1412
Handel um 60 % zugenommen. Baczoni sagte mir nachher und er wiederholte
dies auch in einer Pressekonferenz, dass er über die positive Einstellung
meinerseits sehr erfreut ist. Da die Frau des Botschafters eine geborene
Engländerin, die an der Volksoper bei uns in Wien noch singt, einmal in
Anwesenheit von Baczoni erklärte, dass ich mit meinem Wiener Schmäh, sie
gebrauchte natürlich nicht diese Worte, sehr gut ankomme, meinte Baczoni,
der dies zufällig hörte, er könnte dies bestätigen und sei über die positive
Einstellung sehr erfreut. Ich weiss nicht, ob Mitterer oder insbesondere Bock
in ideologischer Verfolgung, dass sozialistische Staaten eben irgendwie
mit Sozialismus zu tun haben und deshalb von ihnen ideologisch abgelehnt
werden und wurden, sich ungeschickter benommen haben. Sicher ist aber eines,
dass wir den Zeitpunkt wirtschaftlich versäumt haben, wo wir uns stärker
in Ungarn hätten engagieren müssen und durch zeitgerechte Zugeständnisse
etwas erreichen, was wir jetzt machen müssen und wahrscheinlich dafür
nicht einen Bruchteil dessen bekommen.

Die Besprechung zwischen Gewerkschaft und Regierung am Abend beschäftigte
sich ausschliesslich mit dem Preisproblem. Als ich auf der Heimfahrt
von Ungarn mit Sallinger gemeinsam auf dieses Problem zu sprechen kam und
er sich insbesondere gegen eine Änderung des Preisregelungsgesetzes
laut Vorschlag Röschs wandte, konnte ich die Versicherung abgeben, dass
wahrscheinlich auch im Parlament das Gesetz in zweiter resp. in
dritter Lesung auf alle Fälle abgelehnt wird. Kreisky meinte nur, er hätte
zeit seines Lebens sich immer eine zweite Rückzugslinie aufgebaut. Benya
und letzten Endes mit einer geringen Änderung auch Häuser sind allerdings
der Meinung, dass wir dadurch die Sozialpartnerschaft dicht gefährden sollten.
Kreisky, der vor etlichen Wochen noch meinte, man müsste unter allen Um-
ständen die Preisregelung durchziehen, selbst gekoppelt gegen die
Marktordnung Zugeständnisse, hat dies letzten Endes aufgegeben. Optisch
werden wir gut abschneiden, weil nämlich in der zweiten Lesung dies von
der ÖVP auf alle Fälle im Haus verhindert wird. Dieses Gesetz wird dann
im nächsten Jahr allerdings anstreben, das ja ich werde verhandeln müssen,
kam auch bei dieser Aussprache nicht klar zum Ausdruck. Kreisky möchte,
dass jeder Unternehmer verpflichtet wird, zur Paritätischen Kommission
zu gehen, Benya will dies nicht institutionell verankern und Rösch
möchte am liebsten die gesamte Preisregelung schon von seinem Ressort
weg haben. Kreisky meint andererseits, dass wir punktuell Erfolge erzielten,
Er denkt an seinen seinerzeitigen Erfolg, der Margarinepreisverhandlung.

Tätigkeit: Innenminister bis 1977, danach Verteidigungsminister


Einträge mit Erwähnung:
    Tätigkeit: ehem. ÖVP-Vizekanzler, Präs. Donaueurop. Institut, AR-Vors. Leykam


    Einträge mit Erwähnung:
      Tätigkeit: ung. stv. Außenhandelsmin.


      Einträge mit Erwähnung:
        Tätigkeit: Handelsminister, ÖVP, Präs. HK Wien


        Einträge mit Erwähnung:
          Tätigkeit: ung. Handelsrat


          Einträge mit Erwähnung:
            Tätigkeit: Bundeskanzler
            GND ID: 118566512


            Einträge mit Erwähnung:
              Tätigkeit: Vizekanzler, Sozialminister


              Einträge mit Erwähnung:
                Tätigkeit: Handelskammer-Präsident


                Einträge mit Erwähnung:
                  Tätigkeit: ÖGB-Präs., NR-Präs.
                  GND ID: 119083906


                  Einträge mit Erwähnung: