Samstag, 27. November 1971
Ich hatte seinerzeit, da mich Sallinger auch darum ersuchte,
zugesagt, die österreichischen technischen Woche in Budapest zu
eröffnen. Zuerst glaubte ich, dass dies eine von den Ungarn organi-
sierte Veranstaltung ist. In Wirklichkeit ist dies eine ausschliess-
lich von der Bundeshandelskammer natürlich im Einvernehmen mit den
Ungarn und mit deren Unterstützung durchgeführte Aktion. Da ich
aber nun schon einmal zugesagt hatte, entschloss ich mich, die Ge-
legenheit zu nützen, um mit dem Aussenhandelsminister Biro, den ich
noch nicht kannte und den schon einige Mal nach Wien kommen wollte
eine Besprechung abzuhalten. In einer Vorbesprechung konnte ich mit
Hillebrandt und Peschke die letzten Unterlagen und Erfahrungen dis-
kutieren. Insbesondere aber war der Handelsdelegierte Kuzmich,
der sich zu den drei Punkten, die ich vorschlug als Besprechung
äusserte. Die Information über EWG betrachtete er als sehr gut, die
Frage der Schillingfakturierung aber meinte er, genüge vollkommen,
wenn wir durchsetzen, dass das Aussenhandelsministerium diese nicht
ablehnt und vielleicht den Unternehmungen mitteilte. Derzeit sei
gar kein grosses Interesse, dass wir die Schillingfakturierung in
jedem Fall bekommen. Die Ungarn haben durch Manipulation mit den
Kursen der verschiedensten Währungen eine de facto Aufwertung von
6 % durchgesetzt. Das bedeutet, dass wenn der Unternehmer heute in
Schilling fakturiert, er einen geringeren Erlös hat, als wenn er in
anderen Währungen insbesondere natürlich in Dollar diese Fakturierung
vornimmt. Kuzmich meint auch, dass der neue Vertrag, der durch das
neue Handelsabkommen zustandekommen würde, dies wäre der dritte Punkt,
den ich zur Sprache bringen wollte, von Seiten der Ungarn kaum in un-
serem Vorschlag jetzt interessant ist. Seinerzeit und ich muss bestäti-
gen, dass er dies tatsächlich bei einer Aussprache, die ich mit
den Aussenhandelsstellenleitern des Ostens vor etlichen Monaten gehabt
hatte, vorgeschlagen hat, man möge zeitgerecht bei den Ungarn entspre-
chende Angebote machen. Vor Jahren hätten, wie er sich ausdrückte, die
Ungarn für die Liberalisierung und unser jetzigen Angebot noch sehr
viel gegeben, denn damals waren sie daran interessiert. Damals hätten
sie einen Vertrag dringend gebraucht, um bei Verhandlungen mit andern
Weststaaten auf diesen Vertrag hinweisen zu können. Jetzt haben sie
bereits von Seiten der EWG die Zusicherung, dass bis 1975 libera-
lisiert sein wird und sie meinen damit – nicht zu Unrecht – dass
Österreich ihnen dann sowieso auch eine Liberalisierung wird geben
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müssen. Ausserdem importieren sie wesentlich mehr – sie rechnen mit ca.
20 Mill. $ Defizit auch heuer und in den nächsten Jahren – und
sind damit auch wesentlich stärker als wir. Man hat damals aber 1969
war der späteste Termin, dies versäumt und nun müssten wir uns bemühen,
ob die unsere Vorschläge überhaupt annehmen. Sollten sie – was ich aller-
dings auf Grund der Aussprache nicht annehme – unsere Polen-Lösung,
die wir nach ungarischen Gesichtspunkten adaptieren müssten, ablehne, dann
bliebe sowieso nur eine Kontingentvereinbarung und hier könnte man ja
die Kontingente – wie Kuzmich richtig vorschlug – auf Schillingbasis
erstellen.
Die Besprechung war äusserst interessant. Um es gleich vorwegzunehmen,
Kuzmich versicherte mir nachher, noch niemals hätte er erlebt, dass
Ungarn eine so wenig detaillierte Verhandlungspolitik ihrerseits ent-
wickelten. Bisher sei es üblich gewesen, dass die Ungarn ganz genau jeden
Punkt vorbesprochen, dann verlangt und letzten Endes auch darüber disku-
tiert hatten. Diesmal hatten sie entweder die Initiative unbeabsichtigt
oder vielleicht, weil sie in sich noch nicht klar waren, mir überlassen.
Biro, der Verhandlungsleiter, war von Moskau einen Tag vorher zurückge-
kommen und man Montag flog er bereits mit Losonczi, dem Staatspräsidenten,
zu einem Staatsbesuch nach Algerien. Vielleicht war dies der Grund,
dass er sich zu wenig vorbereiten konnte. Auf alle Fälle schlug ich die
Tagesordnung vor und zwar 1. EWG, 2. neuer Vertrag, 3. Schillingfakturierung
Er selbst ergänzte nur, dass er noch über die Kooperationen und über den
gesamten Warenaustausch reden wollte. Zu Punkt 1 meinte er, dass die EWG
Nationen durch uns die beste aller EFTA-Staaten ist. In Wirklichkeit er-
zähle ich ihnen natürlich auch keine Neuigkeiten, die sie nicht längst
in den Zeitungen bei uns lesen könnten und auch tatsächlich wahrschein-
lich gelesen haben. Sie erwarten durch unsere EWG-Regelung einen Wettbe-
werbsnachteil, der sieh verpflichten wird, ihre Preise um ca. 8 % zu senke
damit sie mit anderen Staaten konkurrenzfähig sind. Sie meinten, ich
ging allerdings nicht darauf ein, man müsste jetzt noch schnell die
Gelegenheit nützen, um Einzelvereinbarungen zu schliessen, die letztlich
bei einer EWG-Regelung von Brüssel als schon bestehende Verträge zwischen
Ungarn und Österreich akzeptiert werden müssten. Für solche Überlegungen
kämen Kooperation, Liberalisierung, Multilateralisierung und günstige
Finanzierung durch österreichische Banken in Frage, um durch taktische
Tatsache die EWG bereits bei einem Abschluss zwischen Brüssel und Öster-
reich vor eine vollendete Tatsache zu stellen. Zu neunen Vertrag meinte
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er, dass es ein eigenständiger Vertrag werden müsste. Die sozialistischen
Länder sollte man nicht unter einen Hut oder mit anderen Worten uniform
behandeln. Dies sei nicht aus nationalem Stolz, ein bisschen spielt aber
sicherlich mit, zumindestens hatte ich diesen Eindruck, sondern weil
ebne die wirtschaftlichen Verhältnisse mit jedem Land verschieden sind.
Staatliche Einmischung der Ungarn sei hauptsächlich aus der Passivität
der Handelsbilanz begründet. Der neue Vertrag müsste auch GATT-konform
sein. Die Ungarn werden sich weiter bemühen, im GATT eine Mitgliedschaft
zu erreichen, doch sind sie nicht bereit, so wie die Polen dies bereits
akzeptiert haben, jährlich 7 % Importzuwachs zu akzeptieren. Sie wollen,
wie Baczoni sich ausdrückte, keine mengenmässige Regelung, d.h. keine Zu-
geständnisse auf diesem Sektor, sondern nur eine zollmässige, d.h. die
Anwendung der GATT-Zölle zu garantieren. Biro meinte auch, dass ein
grosser Fehler und er diesbezüglich auch die Sektionschefs gerügt hätte,
geschehen sein. Im Juni 1971 hätte Österreich bereits zwischen den Sek-
tionschefs, er meinte damit Madai und Reiterer, eine Vereinbarung getrof-
fen, die bereits dem Ministerpräsidenten Fock mitgeteilt wurde. Diese
Vereinbarung soll nun modifiziert werden. Darüber hinaus hätte man die
Währungskonvertibilität zugestanden, ohne Zugeständnisse Österreichs
zu erreichen. Biro meinte ganz offen, dass dies Fehler gewesen sind,
zumindestens aus ungarischer Sicht. Damit kam er zum dritten Punkt und
meinte, dass die Firmen von ihnen nicht angewiesen werden können, die
Schillingfakturierung unbedingt durchzuführen. Er wird aber die Firmen
verständigen, dass dass auf kurzfristige Schillingfakturierung kein Ein-
wand besteht und dass insbesondere auf längerfristige Verträge ganz be-
sonders Verständnis für die österreichische Forderung auf Schillingfak-
turierung entgegengebracht werden soll. In den normalen Sprachgebrauch
übersetzt, bedeutet dies, dass sie bei den kurzfristigen Rechnungen
kaum auf Schillingfakturierung übergehen werden, hier ist aber auch kein
Risiko oder kein grosses Risiko von seiten der österr. Exporteure, auf
längerfristige Verträge aber sind sie scheinbar bereit, ein Kursrisiko
nicht über eine Dollarabwertung den österreichischen Exporteuren aufzu-
halsen. Sie wollen, wie sie sich ausdrückten, keinesfalls Spekulations-
gewinne erreichen. Ob diese Meinung auch von der ungarischen National-
bank geteilt wird, ist in unserer Delegation strittig. Kuzmich behauptet
dass sehr gute tüchtige Leute in der ungarischen Nationalbank sitzen und
die sehr wohl Spekulationsgewinne gerne machen. Die Frage der Koopera-
tionen wurde von uns beiden als positiv betrachtet. Der Hinweis, dass
wir z.B. auf dem Sektor Tungsram nicht nur eine Kooperation, sondern auch
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eine kapitalmässige Verflechtung haben, veranlasste Baczoni und auch Biro
mitzuteilen, dass es auch Möglichkeiten gibt, in Ungarn sich kapitalmässig
zu beteiligen. Die Verfassung verbietet nur, dass Produktionsmittel in die
Hände der Ausländer gelangen. Allerdings gemeinsame Verkaufsfirmen, Handels-
betriebe usw. können dagegen ohne weiteres errichtet werden und Ungarn
garantiert auch die Gewinnausfuhr. Verboten ist nur, dass das Management
auf gewissen Sektoren sich betätigen könnte, vor allem aber dass das Arbeits-
recht und die Personalführung in ausschliesslich ungarischen Händen
bleiben muss. Sie befürchten nämlich ansonsten, dass die Arbeiter abwandern
würden zu solchen ausländischen Betrieben.
Nach eineinhalb Stunden gegenseitigen Versicherns, dass wir alle bestrebt
sind, die ungarisch-österreichischen Beziehungen noch zu verbessern, musste
die Sitzung abgebrochen werden, weil wir mit dem stellvertretenden Mini-
sterpräsidenten Valyi eine Aussprache hatten. Ich hatte angenommen, dass
die Delegation als Ganzes ebenfalls mitgeht und war sehr überrascht, als
nur der Botschafter mich begleitete. Ungarischerseits ging überhaupt
nur Biro mit einem Ministerialrat seines Ministeriums gleichfalls Dolmetscher
mit. Valyi kannte ich bereits vom Staatsbesuch, wo er eine Aussprache
mit mir wünschte. Valyi war einmal ein Finanzminister, vorher sogar
Bergbauminister, und ist nun als stv. Ministerpräsident scheinbar nicht
wie bei uns, wenn man nur Vizekanzler ist und kein Ressort hat, auf einem
Abstellgeleise, wie ich zuerst vermutete. Rein äusserlich kommt es schon
dadurch zum Ausdruck, dass er im Parlament ein riesiges Zimmer hat und
vor ihm sogar Wachen aufgezogen sind. Valyi hofft ebenfalls, dass die
ungarisch-österreichischen Beziehungen sich noch verbessern und dass
man alles daran setzen wird ungarischerseits, um dies zu erreichen.
Zuerst berichtete ich, nachdem er immer mich fragte, über die Ergeb-
nisse unserer Besprechungen, dann aber meinte Biro, er würde doch jetzt
einmal den Ministerpräsidenten informieren. Ich glaube, dass wir in dem
stellvertretenden Ministerpräsidenten einen Mann haben, der wirklich
grössten Wert darauf legt, mit Österreich gute Beziehungen herzustellen.
ANMERKUNG FÜR WANKE: Vielleicht könnten wir einen Weg finden. wie wir
diesen Mann stärker beeinflussen könnten, ohne dass wir die Kompetenzfrage
für mich zuständig ist nun einmal der Handelsminister Biro, der uns aller-
dings auch sehr gewogen scheint, ohne das Protokoll zu verletzen.