Dienstag, der 30. November 1971

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Dienstag, 30. November 1971

Die Fraktion im Klub für den Handelsausschuss besprach die
Budgetdebatte. Zum Glück war wenigstens Gehart Fritzl anwesend,
wären nämlich andere Ministerialbeamte des Hauses anwesend gewesen,
hätten wir uns glaube ich ganz schön blamiert. Der Klub nämlich
ist ausserstande, wirkliche Budgetdebatte als Regierungspartei vorzu-
bereiten. In der Opposition waren wir deshalb glaube ich so gut,
weil doch einige Leute imstande waren, bei den einzelnen Kapiteln
eine Taktik vorzulegen, wie man die Minister attackiert. Damals
griffen wir auch gleichzeitig die Interessensvertretungen der Land-
wirtschaftskammern und insbesondere der Bundeshandelskammer bei
allen Kapiteln, die nur irgendwelche Möglichkeiten dazu boten, eben-
falls an. Jetzt ist die Situation natürlich schwierig. Werden diese
Institutionen angegangen, müsste ich sie ja doch zumindestens was
die Handelskammer betrifft verteidigen. Zum Glück verfällt niemand auf
diese Idee. Andererseits wieder aber haben wir den Abgeordneten viel
zu wenig positives Material in die Hand gegeben, damit sie überhaupt
in Erscheinung treten können. Die Generallinie des Klubs war aber, dass
wir ja als Regierungspartei überhaupt gar kein besonderes Inter-
esse daran haben sollten, die Budgetdebatte in den Ausschüssen zu
verlängern, oder überhaupt der ÖVP Paroli zu bieten. In anderen
Ausschüssen hat sich dies, wie uns Fredl Reiter mitteilte, so abge-
spielt, dass die ÖVP immer unsere Leute fragte, ob sie denn über-
haupt nichts zu dem Budgetkapitel zu sagen haben. Ich glaube,
dass diese Taktik auch nicht sehr gut war, was die Abgeordneten
betrifft. Für den Minister muss oder kann dies ja eine ganz gute
Lösung gewesen sein.

In der Ausschussitzung wurde zum Unterschied vom Vorjahr gleich fest-
gelegt, dass es zwei Runden gibt. Im Vorjahr hat man mich deshalb
hart angegriffen, weil ich mich zwischendurch während die Abgeordneten
noch nicht ganz durch waren, zu Wort gemeldet hatte, um die aufge-
worfenen Fragen zu beantworten. Damals hatte ich die Zweiteilung
erzwungen, weil ich wahrscheinlich in meinem Bestreben, alles bis
ins Detail zu beantworten, gar nicht erst abwartete, bis die ganzen
gemeldeten Redner durch waren. Diesmal stellte die ÖVP insbesondere
eine ganze Anzahl von Fragen und Mitterer als erster Redner begann
gleich mit einem ganzen Bukett. Kritisch wurde es überhaupt nur


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wenn die Abgeordneten ganz konkrete Detailposten fragten. Hier
ergibt sich dann folgende Situation, die für mich ungewöhnlich ist:
Während nämlich die anderen weiter sprechen und weitere Fragen kommen,
soll ich mir die Antworten, die vom Büro ausgearbeitet werden, durch-
lesen, da ich aber jede Frage sehr kurz, prägnant und vor allem sehr
schnell beantworte, habe ich kaum Zeit, mich auf diese Details vorzu-
bereiten. Marhold hat dies richtig erfasst und deshalb die Antworten
immer nur stichwortartig unterstrichen. Die ÖVP war wieder einmal
verzweifelt, denn ich habe so schnell geredet, dass sie kaum eine
weitere Chance der Polemik hatte. Das einzige, was sie sagen konnten,
war, dass ich doch vom Bundeskanzler, der ja doch bekanntlicherweise
sehr langsam spricht, mir in dieser Beziehung ein Beispiel nehmen sollte.
Wenn er langsam spricht und ich zu schnell, dann ergibt das einen ganz
guten Durchschnitt, ist meine Meinung dazu. Zum Glück war auch hier
wieder Gehart auf Draht, denn er hat sich sofort die Parlamentskorres-
pondenz im Entwurf vorlegen lassen und dadurch den grössten Unsinn verhin-
dert, der allerdings durch mein Schnellreden bestimmt verursacht war.
Ich finde überhaupt, dass die Lösung, dass sich Gehart um das Parlament
kümmert, obwohl ihn darum gar niemand ersucht hat, als äusserst ziel-
führend und praktisch. Wenn dies von einer anderen Abteilung des Hauses
gemacht würde, kann ich mir ungefähr vorstellen, wie lange es unge-
fähr dauern würde, bis man – wenn überhaupt – zu Äusserungen käme
und wie vor allem dann die Parlamentskorrespondenz berichten würde.
Staudinger und noch andere haben bereits bei Beginn mich inoffi-
ziell wissen lassen, dass sie sehr gerne sehr kurz die ganze Aus-
schussitzung hätten. Ich kam diesem Wunsch nach, obwohl ich alle
Fragen beantwortete, hatten wir in zwei Stunden 15 Minuten das ganze Kapi-
tel in zwei Durchgängen erledigt. Wie mir versichert wurde – ein Rekord.
Die anderen Kapitel haben alle wesentlich länger gedauert. Meistens
haben die Minister mindestens so lange gesprochen wie die Anfragenden
zusammen und dadurch haben sich natürlich die Verhandlungen sehr
lange gezogen. Wenn mich jemand diesbezüglich angeschossen hätte,
oder vielleicht im Hause ausschiessen würde, was ich nicht glaube,
werde ich auf alle Fälle darauf hinweisen, dass ich mich ja immer nur
dem Wunsch der Abgeordneten füge.

Die Bundeshandelskammer und die Industriellenvereinigung wollten eine
Aussprache über die weitere Vorgangsweise bei den Verhandlungen in
Brüssel. Je näher die Verhandlungen kommen und je mehr sich eine Lösung


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abzeichnet, umso nervöser werden die Interessensvertretungen der
Unternehmer. Scheinbar wird jetzt innerhalb dieser Organisationen
von Seiten der davon betroffenen Unternehmer sehr stark interveniert
und auf verschiedenste Entwicklung hingewiesen. Vor allem sind es
die sensiblen Produkte, die einzelne Unternehmer jetzt beunruhigen.
Vor allem befürchtet man, dass – wenn wir ein Interimsabkommen jetzt
abschlossen, wo die sensiblen Produkte und die Ursprungsregelungen
nicht in unserem Sinne geregelt ist – dann das Globalabkommen präjudi-
ziert. Der Syndikus der Industriesektion Dr. Hofeneder hat insbeson-
dere die Wünsche von einzelnen Firmen, z.B. Planseewerk in Tirol
vorgetragen. Zum Glück haben wir in den letzten Monaten alle
Vorschläge, die die Handelskammer oder die Industriellenvereinigung
gebracht hat, genau überprüft und mit ihnen diskutiert. Darüber hinaus
haben wir ja auch durch die ständigen Kontaktkomitees sowie durch
die langwierigen interministeriellen Sitzungen jeder Interessen-
vertretung Gelegenheit gegeben, über jedes Problem Vorschläge
zu erstatten. Ich habe dann bei diesen Sitzungen immer wieder
darauf hingewiesen, dass nach dieser Diskussion Einstimmigkeit
über die Vorgangsweise erzielt ist. Darüber hinaus werden wir
jetzt durch die Aufnahme von Interessensvertretungsvertreter als
Experten weiterhin die Handelskammer noch stärker an die Verhand-
lungsergebnisse binden. Gleissner hat schon überzogen, dass es
sich hier um eine ungeheure Bindung aber auch Verantwortung für
die Interessensvertretung und insbesondere für seine Person handelt.
Er hat deshalb in der Diskussion klar und deutlich vor seinem Prä-
sidenten Sallinger und Gen.Sekr. Mussil verlangt, dass man durch
einen Präsidialbeschluss noch festlegen wird, wie er sich dort in
Brüssel verhalten soll. Dagegen polemisierte ich, ohne dass man
dies allzu stark bemerkte, indem ich erklärte, es müsste aber doch
der Verhandlungsteilnehmer ein Verhandlungspouvoir haben, denn
ansonsten könnte ja die Delegation gleich durch einen Brief Brüssel
mitteilen, was wir uns vorstellen. Sowohl Sallinger als auch
Mussil erklärten spontan, dass ihre Vertreter immer Verhandlungs-
pouvoir besitzen. Ich bin zwar nicht ganz davon überzeugt, aber
auf alle Fälle hat Gleissner dann in Brüssel nicht die Ausrede,
er könnte hier nicht eine Stellungnahme abgeben.

ANMERKUNG FÜR WANKE: Bevor unsere Delegation nach Brüssel fährt,
sollte man auf diesen Umstand und auf dieses Gespräch ganz besonders
noch die Beamten des Hauses hinweisen.

Da ich ja zum jetzigen Zeitpunkt kaum in Brüssel etwas Positives er-
reichen kann,


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da ich ausserdem durch das Parlament, die Budgetdebatte beginnt be-
reits am 7.12., wirklich nicht abwesend sein kann, benützte ich die
Gelegenheit, um mir von diesem Forum bestätigen zu lassen, dass eine
Reise zum jetzigen Zeitpunkt nicht zweckmässig ist. Da vor allem die
Kommissionmitglieder und der Präsident Malfatti gar nicht anwesend wä-
ren. Eine grossen taktischen Fehler hatte ich begangen. Ich meinte zu
Mussil, dass wir halt, wenn das Parlament tagt und wir nach Brüssel
müssen, gemeinsam hinfahren sollten, damit eine Abstimmungsschwierig-
keit im Parlament nicht entstehen könnte. Ich war sehr überrascht,
als Mussil sofort seinen Kalender zog, um zu schauen, ob eine
solche Möglichkeit bestünde, d.h. er sofort sehr positiv zu dieser
Idee eingestellt war. Leider gibt es innerhalb der ÖVP so starke
Spannungen, dass er die Gelegenheit gerne benützt hätte, um als
Brüssel-Fahrer dazustehen, der letzten Endes vielleicht sogar
dann wirklich ein Ergebnis mitgebracht hätte. In Hinkunft werde
ich äusserst vorsichtig mit solchen Angeboten vorgehen.

Da sich die Argumentation der Handelskammer- und auch der Indu-
striellenvereinigungsvertreter hauptsächlich gegen das Interims-
abkommen wendete, schlug ich vor, wir sollten doch abwarten bis
Botschafter Leitner am Freitag in der interministeriellen Kommission
entsprechenden Bericht erstattet hat. Da bei der EWG in Brüssel der-
zeit noch immer gestreikt wird, gibt es kaum eine Auskunft über
Details und Leitner wird bis Freitag ja versuchen, doch zusätzliche
Informationen zu bekommen. Da Leitner ausserdem der Verhandlungs-
leiter der österreichischen Delegation für das Interimsabkommen
ist, bin ich überzeugt, wird er sehr für ein solches Abkommen
kämpfen. Steiger meinte einmal intern, dass Leitner auch ein
Abkommen unterschreiben würde, wenn nur die Überschrift beschlossen
wird und nur dann seine Unterschrift als Paraphierender aufscheint.
Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass man als Beamter selbst
auf solche Wiesen-Abkommen Wert legt, den irgendwie ist dies die
Krönung wenn man selbst auf einem solchen Dokument sich verewigt
findet. Auf alle Fälle stellte ich am Ende der Sitzung wieder die
einstimmige Auffassung zwischen den Interessensvertretungen und
dem Ministerium für die weitere Vorgangsweise fest. Was wirklich nur
feststand, war, dass wir abwarten wollten, wie die Berichterstat-
tung aus Brüssel durch Leitner ist und dass wir alles daran setzen
werden, um die Verträge zu verbessern. In Wirklichkeit, fürchte ich,


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dass das z.B. beim Interimsabkommen gar nicht mehr möglich sein wird,
da das Mandat an die Kommission sicherlich so lautet, dass mit
1.1.1972 das Abkommen in Kraft treten soll.

ANMERKUNG FÜR WANKE: Wir müssen Vorsorge treffen, dass die Delegation
in Brüssel versucht, Gleissner schon dort entsprechend festzulegen.
Gleissner wird nämlich ansonsten ununterbrochen nach Wien rückrufen,
um sich hier jede Einzelheit bestätigen zu lassen, ob er zustimmen
darf oder nicht. Mussil, hier sehr weit von Brüssel entfernt, wird
dann den harten Mann spielen und sich als Retter der Industriesparte,
die gerade zur Debatte steht, aufspielen. Das Optimum, das wir dann
erreichen können, ist, dass wir ihn majorisieren oder, wenn er zu-
stimmt, dass er trotzdem hundert Wenn und Aber vorbringen wird und
vor allem auf die Situation für die Wirtschaft wird hinweisen. Op-
tisch wird er dann auszubrechen versuchen, wenn er nicht sogar die
Zustimmung verweigert, damit wir für Schwierigkeiten, die in Zukunft
sicherlich entstehen werden, ausschliesslich die Alleinverantwortung
werden tragen müssen. Da wird es vor allem auf geschicktes taktisches
Vorgehen ankommen. Hoffentlich werden die beiden Delegationsleiter –
Marquet für das Global- und insbesondere Leitner für das Interimsab-
kommen – dies erfassen, ohne dass wir sie extra darauf aufmerksam ma-
chen, denn dann würde die ÖVP sofort unsere Taktik durchschaut haben.

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Tagesordnung 5. Ministerratssitzung, 30.11.1971

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Einträge mit Erwähnung:
    Tätigkeit: öst. Botschafter EWG


    Einträge mit Erwähnung:
      Tätigkeit: Gen.Sekr. HK, ÖVP-NR-Abg., später AR-Präs. Verbund


      Einträge mit Erwähnung:
        Tätigkeit: Präs. EG-Kommission bis 1972


        Einträge mit Erwähnung:
          Tätigkeit: MR HM
          GND ID: 1035518031


          Einträge mit Erwähnung:
            Tätigkeit: Syndikus Bundessekt. Industrie HK


            Einträge mit Erwähnung:
              Tätigkeit: SChef HM
              GND ID: 12195126X


              Einträge mit Erwähnung:
                Tätigkeit: IV


                Einträge mit Erwähnung:
                  Tätigkeit: ÖVP-NR-Abg.; Bgm. Schwanenstadt, OÖ


                  Einträge mit Erwähnung:
                    Tätigkeit: MR HM


                    Einträge mit Erwähnung:
                      Tätigkeit: Handelsminister, ÖVP, Präs. HK Wien


                      Einträge mit Erwähnung:
                        Tätigkeit: Kabinettschef Kreisky [ident mit Reiter, C; 3.11.1971 Fredi Reiter genannt]]


                        Einträge mit Erwähnung:
                          Tätigkeit: Handelskammer-Präsident


                          Einträge mit Erwähnung:
                            Tätigkeit: Außenhandel BWK


                            Einträge mit Erwähnung: