Mittwoch, der 10. November 1971

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Mittwoch, 10. November 1971

Gratz ersuchte mich bei der Regierungsklausur, ich sollte dem Klub
eine Information über die Preisentwicklung geben. Ich erklärte mich
sofort bereit, allerdings sollte vorerst Kreisky über die Klausur-
tagung den Bericht erstatten und ich nur ergänzend dazu Stellung nehmen.
Da sich Kreisky aber verspätete, musste ich zuerst über die einzelnen
Preiswünsche und vor allem über die Preissituation referieren. Ich habe
die Genossen nicht im Unklaren gelassen, dass wir mit einer weiteren
Preissteigerung zu rechnen haben. Insbesondere wies ich darauf hin,
wenn wir nicht die einzelnen Tarifwünsche resp. Preisanträge wesent-
lich reduzieren, zu einer Entwicklung des Preisindexes von über 6 %
kommen würden. Meine Theorie war bis jetzt mässig, aber regelmässig
die Preissteigerungen zwar mit allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln
zu bekämpfen, aber sie doch mehr oder minder in unsere Politik mit einzu-
planen. Wenn es uns aber nicht gelingt, die Preiserhöhungswünsche
zeitlich richtig einzuplanen, dann muss es im nächsten Frühjahr zu einer
wesentlichen Erhöhung des Lebenshaltungskostenindexes kommen. Die Ge-
nossen war so geschockt oder so aufgeklärt, dass sie kein einziger
in der Diskussion zu Wort meldete. Wichtig war mir nur, insbesondere
darauf hinzuweisen, dass ich in Hinkunft zwar die gesamte Preiskompetenz
von allen Ressorts bekommen würde, damit aber auch der Watschenmann für
alle Preisanträge zu sein. Ich baute also bereits vor, dass man nicht
von mir Wunder erwarten könnte, aber andererseits dann wieder wie der
Winkelried eine Sperre auf mich ziehen werde. Während der langen
Regierungserklärungsdebatte hatte ich auch Gelegenheit, Kreisky über
die Benzinpreisverhandlungen zu informieren und gleichzeitig auch
hier zu erklären, dass ich in Hinkunft, wahrscheinlich von allen ange-
griffen werde. Kreisky meinte, dass ich mich halt damit abfinden müsste,
er selbst hätte täglich Verhandlungen über irgendwelche Personalprobleme
und dies sei auch sehr unangenehm.

Die Opposition hat bei der Debatte in Wirklichkeit nur 2 Punkte konkret
angegriffen, die mich betrafen. erstens meinte Schleinzer, dass ich
viel zu wenig ins Ausland fahre – er hat zwar nicht von mir persön-
lich gesprochen – meinte nur, die zuständigen Minister und ganz besonders
natürlich ich müssten doch mehr nach Brüssel fahren, um dort die Inter-
essen Österreichs zu den beginnenden Verhandlungen zu vertreten. Ins-


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besondere meinte er, dass in dem letzten Jahr überhaupt niemand in
Brüssel gewesen ist. Peter andererseits wies darauf hin, dass in
der Regierungserklärung kein Energiekonzept, welches er eigent-
lich erwartet hatte, angekündigt wurde und ein solches dagegen
dringendst ausgearbeitet werden sollte. Da ich weder rauche noch
Kaffee trinke bin ich verhältnismässig die ganze Zeit im Sitzungs-
saal und zwar auf der Regierungsbank gesessen. Ich dachte mir
schon, wozu dies eigentlich gut ist. Zu meiner grössten Verwunderung
hat dann Mock als letzter Redner um 1/2 10 Uhr angefangen, wohl
bei ihm fast wieder die ganze Regierung auf der Regierungsbank
sass, die Minister zu attackieren, weil sie nicht immer vollzählig
auf der Regierungsbank sassen. Nur die Staatssekretärin Karl und mich
hat er ausgenommen. Firnberg regte sich mit Recht darüber sehr auf,
weil sie wirklich auch sehr oft auf der Regierungsbank sass und
Mock viel weniger im Sitzungssaal gewesen ist als sie z.B. Auch
Mussil attackierte Kreisky verhältnismässig sehr unfair. Er meinte
z.B. ganz hart, dass es den Bundeskanzler gar nichts anginge. wie
sich die Sozialpartner ihre Wirtschaftspolitik und insbesondere
ihre Preispolitik einrichten. Und dass der Bundeskanzler erklärt
hat, er würde nur mit dem Gewerkschaftsbund über die Progressions-
änderung bei der Lohn- und Einkommenssteuer verhandeln, dann betrach-
tet er das als einen Alleinvertretungsanspruch des Gewerkschaftsbundes,
den er ganz entschieden bestreitet. Wenn der Bundeskammer die Preis-
regelung und damit die Paritätische Kommission institutionalisieren
und im Gesetz verankern will, so geht ihn dies auch nichts an. Da
die Diskussion fast 11 Stunden dauerte, ist sie natürlich dann
total verflacht und hat sich im Kreise bewegt. Kreisky meinte, dass
im englischen Parlament so etwas nicht möglich sei. Wenn über ein
Problem so lange und so im Kreis diskutiert wird, würde der Hickert
die einzelnen Redner in Hinkunft so straffen, dass er sie überhaupt
übersehen würde und er sie nie mehr oder zumindest auf lange Zeit
das Wort bekommen würden. Ich glaube dies nicht, denn immerhin waren
die Redner der ÖVP die Spitzen der einzelnen Bünde, doch schlug ich ihn
vor, er möge auf Grund der Geschäftsordnung verlangen, dass die ein-
zelnen Redner frei sprechen, dann bin ich überzeugt, würde es nicht so
lange herabgelesene Stellungnahmen werden. Allerdings gilt dies auch
für die SPÖ-Abgeordneten.



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Auch bei der Fragestunde hat sich eine lange Diskussion über
jeden einzelnen Punkt immer ergeben. Sowohl die Anfrager als
auch die beantwortenden Minister, insbesondere Rösch, haben eine
langatmige Beantwortung vorgenommen. Das Endergebnis war, dass wir mit
10 Fragen ungefähr 57 Minuten Fragestunde bereits verbraucht hatten.
Für zwei Anfragebeantwortungen stand mir nur mehr der Rest zur
Verfügung. Auch wenn ich noch mehr Zeit gehabt hätte, hätte ich,
weil es mein Prinzip ist, ganz kurz nur jeweils geantwortet. In
Hinkunft soll mir nämlich niemand vorwerfen, dass ich durch
langatmige Beantwortungen die Fragestunde über Gebühr beansprucht
habe und damit die anderen Anfragenden gar nicht mehr zu Worte kamen.
Natürlich wird die Fragestunde dann unterbrochen und bei der der
nächsten Sitzung können dann die Abgeordneten fortsetzen. Vom
Standpunkt der Regierungspartei ist es daher gar nicht so uneben,
wenn nur 10 oder 12 Fragen zur Beantwortung kommen, denn es kann
sich niemand dann beschweren und sie haben keine Möglichkeit,
halt weitere Eisen zu bringen. Früher oder später aber wird es in
diesem Punkt auch zu einem riesigen Krach kommen. Falls sich jemand
über meine sachlichen aber sehr kurzen Antworten aufregen sollte,
habe ich immer die Möglichkeit, darauf hinzuweisen, dass in den
vorherigen Legislaturperioden die Oppositionsparteien immer auf-
geregt haben, dass die Minister viel zu lange antworten. Das Gegen-
argument war dann immer von der Regierungsseite, dass die Anfrager
auch viel zu umschweifend reden und eigentlich nicht dann mit kurzen
prägnanten Fragen den Minister mit dem Problem konfrontieren. Wenn
sich nicht ein neuer Stil in der Anfragestunde und in der Debatte
zu den einzelnen Regierungsvorlagen resp. Initiativanträgen im Hause
entwickeln werden, wird es eine sehr langfristige und zeitraubende
Parlamentssession werden.

Praktisch ergäbe sich dabei oft eine ganz komische Situation. Mock
hat z.B. in seinem Referat auch der ÖMV-Flugblatt der dort be-
schäftigten als Zeichen des rollens zitiert. Sekanina
rief dazwischen, er beleidige die dort Beschäftigten und kenne
das Flugblatt nicht. Mock hatte es aber vor sich liegen und wies
daher auf das Exemplar hin. In diesem Fall kam einigen Abgeordneten
die Idee und sie riefen: Vorlesen! Mock war sehr unschlüssig,
ob er dies machen sollte. Da bemerkte ich, dass nö. Abgeordnete
insbesondere Hietl, beschwörend Mock gestikulierten, er sollte


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dies unter gar keinen Umständen tun. Dies dürften aber einige
Abgeordneten von uns nicht gesehen haben, denn sie verlangten nur
ganz kurz noch einmal, er sollte doch das ganze vorlesen und auch
Sekanina stimmte in diese Forderung ein. Da in dem Flugblatt – wie
mir Veselsky erklärte, insbesondere die ÖVP-Politik während der
Alleinregierung und insbesondere Frau Direktor Ottillinger in
ihrer eindeutigen ÖVP-Personalpolitik angegriffen wurde,
hat Hietl und die nö. ÖVP-Abgeordneten versucht, dies unter allen
Umständen dem Haus und damit der Öffentlichkeit vorzuenthalten.
Richtig blieb deshalb der Angriff von Sekanina, dass es sich
um eine Verleumdung handelt, im Hause unbeantwortet und damit in-
direkt zugegeben, doch der gute Gag, die Verlesung eines solchen
Flugblattes, welches der ÖVP sicherlich sehr geschadet hätte,
obwohl sie es als Angriff gegen die SPÖ-Politik verwenden wollte,
blieb leider im Raume hängen.

Weihs besprach mit mir den Wunsch von Korp, seine Funktion im
Milchwirtschaftsfonds als Obmannstellvertreter mit Jahresende
zurückzulegen. Ich erklärte ihm sofort, dass dies ein Gewerkschafts-
mandat insbesondere der Lebens- und Genussmittelarbeitergewerk-
schaft sei und informierte auch Benya über diese Aussprache und den
Wunsch Korps. Benya selbst meinte, der Gewerkschaftsbund hätte nie-
manden, da Tommy Lachs ja im Milchwirtschaftsfonds als Konsulent
verankert sei und man für Erich Schmidt, den er sehr lobte, irgend-
wo eine zusätzliche Beschäftigung resp. finanzielle Aufbesserung
finden sollte. Er meint aber, dass es ganz unzweckmässig wäre,
zwei Leute gleichzeitig vom ÖGB in einer Organisation verankert zu
haben. Wenn wir bei den Lebensmittelarbeitern hier einen guten
Mann hätten, wäre es leicht, ihn in diese Position zu bringen.
Weihs selbst will sich insbesondere im Konsumverband umschauen,
ob er dort jemanden findet. Bei der Aussprache mit Benya konnte ich
feststellen, dass, als ich ihm über den Plan Hrdlitschkas, Scheer
zum Kammeramtsdirektor zu machen, informierte, er mit dieser Vor-
gangsweise sehr einverstanden ist. Er selbst meinte, ich würde
doch jetzt 4 Jahre in der Regierung bleiben, würde dann wenn ich
eventuell in die Arbeiterkammer zurückkehre, nur als Präsident
nach Auslaufen der Periode von Hrdlitschka in Frage käme. Auf alle
Fälle meint er, so wie Wanke übrigens, dass der Kammeramtsdirektor
für also schon ein zu tiefer Posten sei. Ich würde also nicht, wie
Koppe dies befürchtet hat, mir einen Ast absägen, sondern eigentlich


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nur den Intention der massgeblichen Funktionäre der Arbeiterkammer
aber auch insbesondere des ÖGB von Benya entsprechen, wenn ich
eben jetzt Scheer diese sehr berechtigte Aufstiegsmöglichkeit er-
mögliche, indem ich der Abberufung zustimme.

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Tagesprogramm, 10.11.1971




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    Tätigkeit: AK, ÖIAG
    GND ID: 128336552


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      Tätigkeit: ÖGB-Präs., NR-Präs.
      GND ID: 119083906


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          Tätigkeit: SChef HM
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              Tätigkeit: ÖVP-NR-Abg.


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                Tätigkeit: Innenminister bis 1977, danach Verteidigungsminister


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                  Tätigkeit: Sts.


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                    Tätigkeit: Kammeramtsdir. AK Wien


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                      Tätigkeit: Abg. z. NR, Klubobmann, ÖVP


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                        Tätigkeit: Gen.Sekr. HK, ÖVP-NR-Abg., später AR-Präs. Verbund


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                          Tätigkeit: Leiter vw. Abt. ÖGB, SPÖ-NR-Abg.


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                            Tätigkeit: GD GÖC


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                              Tätigkeit: Wissenschaftsministerin
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                                Tätigkeit: ÖMV


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                                  Tätigkeit: Landwirtschaftsminister bis 1976
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                                    Tätigkeit: Unterrichtsminister, Bgm. Wien


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                                      Tätigkeit: FPÖ-Obmann


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                                        Tätigkeit: Sekr. JS, ab 1973 GF VKI


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                                          Tätigkeit: Bundeskanzler
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