Dienstag, der 26. Oktober 1971

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Dienstag, 26. Oktober 1971

Vor der Ministerratssitzung hat Häuser sehr erregt und ich würde fast
sagen, sehr verärgert sich wegen der Kollegin Michalka gestellt. Michalka
wurde uns seinerzeit von ihm geborgt und hat sich nun entschie-
den, dass sie bei uns bleiben will. Er braucht nun die Kollegin für die
Gesundheitsministerin, da das Sekretariat von Wondrack jetzt Leodolter zur
Verfügung gestellt wird. Die Vereinbarung hat auch tatsächlich nur
so gelautet, dass sie vorübergehend bei uns arbeiten wird. Da ich die
Details nicht wusste, habe ich erklärt, dass wir uns ja mit Sticht
in dieser Frage geeinigt hätten. Häuser erklärt rundwegs, dass niemand
ein Recht gehabt hätte, die Kollegin abzuwerben und er wird in Hinkunft
uns nicht mehr in dieser Frage unterstützen. Ich glaube, dass es wirk-
lich unfair war von uns so vorzugehen, auch dann wenn die Kollegin, wahr-
scheinlich infolge unseren besseren Arbeitsklimas, lieber jetzt bei uns
bleibt. Ursprünglich – so versicherte mir Häuser – hat sie überhaupt
nicht zu uns kommen wollen, sondern nur auf seine ausdrückliche
Zusicherung, dass sie wieder in das Sekretariat zurückkommt, hat sie
den Posten angetreten. Ich glaube, dass wir hier wirklich sehr unge-
schickt vorgegangen sind. Wenn man mich zeitgerecht davon informiert
hätte, wäre es möglich gewesen, mit Häuser darüber zu sprechen und er
wäre nicht so verärgert gewesen.

Im Punkt 16 der TO wieder hat der Bundesminister für soziale Verwaltung
den Antrag gestellt, einen Dienstposten zu bekommen, damit er einen
Mann nach Brüssel entsenden kann. Hier hat mich wieder der Aussenmini-
ster aufmerksam gemacht, dass seine Abteilung 3, Marquet, meinte, man
sollte unbedingt Leitner fragen. Auch in diesem Punkt wurde ich nicht
besonders aufmerksam gemacht, dass dies auf der Tagesordnung steht und
ich konnte mich noch Gott sei Dank daran erinnern, dass dies mit uns
abgesprochen und bis ins letzte Detail vereinbart ist. Auf alle Fälle wer-
den die Ministerratsvorträge von den anderen Ressorts besser und inten-
siver behandelt als bei uns im Haus. Es wird wäre sonst meiner Meinung
nach vollkommen unmöglich, dass die Sektion I nicht diesen Antrag
entdeckt hätte und mich darauf angesprochen hätte. Für mich ist dies
eine feststehende Tatsache, dass scheinbar im Haus überhaupt niemand
mehr die Ministerratsvorträge studiert, der Vorteil dieser Vorgangs-
weise ist, dass mich niemand wegen der Zustimmung zu den Vorschlägen


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der anderen Ressorts wird stellen können, da er sich ja bis
jetzt noch niemals in einem einzigen Fall auch nur zu einer
Stellungnahme aufgerafft hat. Ich glaube nicht, dass wir an
diesem Zustand etwas ändern sollen, ich glaube, er ist für uns
äusserst günstig. Wissen sollten wir aber, dass wir damit wirklich
gegebenenfalls grosse Informationslücken in unserem Hause haben.

ANMERKUNG FÜR HEINDL: Bitte, Du musst in Hinkunft Dir die Personal-
sachen genauer ansehen, denn ich kann mich nicht noch einmal mit ei-
nem solchen Angriff konfrontieren lassen, ohne im Detail dann ant-
worten zu können.

Frau Ministerpräsident Gandhi wird mit dem Bundeskanzler Wirt-
schaftsfragen besprechen, die allerdings sich höchstens aus der
besonderen Lage Indiens ergeben. Er glaubt, dass kaum zu bilateralen
Besprechungen kommen wird. Frau Gandhi dürfte insbesondere eine
Good-Will-Tour durch Europa und letzten nach Amerika machen, um
finanzielle Unterstützung für die ostpakistanischen Flüchtlinge
zu bekommen.

Kirchschläger berichte, dass Mindszenty völlig überraschend nach
Österreich jetzt gekommen ist. Kardinal König hat es überhaupt
durch die APA erfahren, als er bereits auf dem Flug nach Wien war.
Der Heilige Stuhl wurde durch eine Verbalnote aufmerksam gemacht,
dass jede politische Betätigung von Mindszenty in Österreich nicht
nur nicht erwünscht ist, sondern auch mit unseren Aufenthalts-
bestimmungen für Flüchtlinge verboten ist. Casaroli bestätigte
neuerdings, dass eine politische Betätigung von Mindszenty nicht
in Frage kommt. Er will die Menschenrechte geniessen, seine Arbeit
über die ungarische Kirche vollenden. Zweifelsohne wäre es von
unserem Standpunkt aus besser gewesen, er wäre in Rom geblieben. Die
Ungarn haben bis jetzt darauf noch überhaupt nicht reagiert und
wir hoffen, dass dies auch in Hinkunft der Fall sein wird. Vom
politischen Standpunkt muss Österreich nur sehr darauf achten,
dass sich nicht hier dann irgendwelche Emigrantengruppen um Mindszenty
sammeln und dadurch österr.-ungarische Verhältnisse schwer be-
lastet werden.

Der Fahrplan für die Konstituierung des Nationalrates und der Mini-
sterrat steht jetzt endgültig fest. Mittwoch, den 3.11. werden


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wir um 9 Uhr eine Vorbesprechung und um 10 Uhr die letzte Mini-
sterratssitzung haben. Am 4.11. wird dann der Nationalrat um
10 Uhr konstituiert und um 13 Uhr wird der Ministerrat das Budget
und die Regierungserklärung beschliessen, die dann am 5. im Plenum
gehalten wird. Ich habe mich im Ministerrat bereits entschuldigt,
da ich zur Ministertagung nach Genf zur EFTA fahren muss. Schön
langsam glaubt mir im Ministerrat wirklich niemand mehr, dass ich
ungern ins Ausland reise, nachdem ich fast wirklich jetzt verhältnismäs-
sig sehr oft wegfahren musste und in Hinkunft wahrscheinlich noch
viel werde fahren müssen.

Bei der Kranzniederlegung am Heldenplatz kam es wieder zu den üb-
lichen Nazi-Demonstrationen. Da sich zu diesen Feiern verhältnis-
mässig wenig Zuschauer einfinden, ich denke, es waren höchstens
ein paar Hundert, so können ein kleiner Trupp von Aggressiven und
Nationalsozialisten durch entsprechende Sprechchöre oder auch durch
Werfen von Flugzetteln die Feier erheblich stören. Mich selbst
geniert dies gar nicht, ich sehe darin einen Ausfluss,
dass man in Österreich den politischen Gegner, selbst wenn er gelegent-
lich verbotenes Gedankengut weiterträgt, sehr tolerant behandelt.
Ich weiss allerdings nicht, wie es auf ausländische Berichterstat-
tung wirkt. Die Möglichkeit, solche Demonstrationen abzustellen,
ist sehr gering. Andererseits wieder wird den Gruppen eine Mög-
lichkeit gegeben, die sie sonst in der ganzen Welt kaum besitzen.
Während das letzten Mal noch ein Flugzettelwerfer vom Burgtor herun-
ter agieren konnte, hat er diesmal nur von rückwärts versucht, mehrere
Flugschriften vor die Regierung zu werfen. Auf einem anderen Eck kam
es dann zu einem richtigen Tumult, als einige Leute angehalten wurden
die sich durch Zwischenrufe und Parolen über das Deutschtum bemerkbar
machen wollten. In der ersten Republik oder in der Zwischenkriegs-
zeit oder auch unmittelbar nach dem zweiten Weltkrieg wäre es bei
solchen Anlässen zu richtigen Keilereien gekommen. Für die SPÖ
wäre es sicher auch gar kein Problem, handfeste Burschen hinzu-
schicken, die mit dem Spuk in kürzester Zeit aufräumen würden.
Ich glaube aber, dass dies nicht zielführend ist, sondern, dass
man im Gegenteil die unangenehme aussenpolitische Seite dieses
Vorganges in Kauf nehmen muss und trotzdem durch Toleranz zu er-
kennen gibt, dass man sich von einigen Provokateuren nicht
stören lässt.



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Die zielführendste Form, des Nationalfeiertages zu gedenken,
finde ich in den sogenannten Massenveranstaltungen, die wirklich
eine ganz grosse Gruppe von Menschen erfasst. Diesmal hat die
Sportstelle von Wien zu Fit-Märschen aufgerufen. Da ich wenig Zeit
zwischen der Kranzniederlegung und dem Beginn des Fit-Marsches hatte
da um 10 Uhr der offizielle Start durch den Bundespräsidenten über
Funk ergehen sollte, wollte ich an der nächsten Veranstaltung,
das ist im Lainzer Tiergarten, teilnehmen. Zum Glück hat Koll.
Wiesinger herausbekommen, dass der Organisator dort die Union ist.
Ich wäre dann bei einer ÖVP-nahen Organisation in Erscheinung getreten.
Zum Glück auch wollte meine Frau von allem Anfang höchstens im süd-
lichen Wienerwald mitmarschieren und so entschlossen wir uns, auf den
Höllenstein zu wandern. Die Beteiligung war dort äusserst rege.
Da wir sehr spät hinkamen, trafen wir beim Anmarsch, obwohl wir sehr
schnell gewandert sind, wir haben fast eine Stunde – die vorge-
schriebene Zeit unterschritten doch bereits die ersten Rückkehrer.
Viele trugen riesige Auszeichnungen. Ich konnte mir nicht vorstellen,
dass diese Orden von den Veranstaltern verteilt werden. Ich war vor
allem einmal ein bisschen überrascht, dass nicht alle diese Orden
trugen. Ich hatte schon angenommen, viele haben sich vielleicht
meinem Prinzip angeschlossen, dass sie Orden und Ehrenzeichen nicht
übernehmen wollen. In Wirklichkeit stellte sich dann am Ziel der
wahre Sachverhalt bald heraus. Nach Passieren von zwei Kontrollpunkten
musste man am Ziel die Karte mit den Zeitstempeln abgeben und erhielt
dafür eine Bestätigung, dass man an dem Fit-Marsch teilgenommen
hat. Diese Bestätigung konnte aber nicht mehr mit dem Namen ausge-
füllt werden und ich habe das Gefühl es wurde auch nicht genau kontro-
lliert, ob die Zeit eingehalten war, resp. ob die Kontrollpunkte auch
wirklich alle passiert wurden. Eine private Firma hat nun in einem
entsprechenden Abstand ein Standel aufgestellt, und dort die Orden ver-
teilt, wenn man dafür 20.– S bezahlt hätte. Da doch mindestens 50 %
wahrscheinlich diese Orden kauften, wurde für mich wieder einmal
klar, dass meine Ansicht über Orden und Titel keinesfalls von der
Masse der Bevölkerung geteilt wird. Ganz im Gegenteil konnte ich
mich davon überzeugen, dass wenn diese Orden billiger oder gar
vielleicht gratis verteilt worden wären, wahrscheinlich ich allein
nur keinen Orden angenommen hätte. Die Naturfreunde haben ihr Höllen-
stein-Haus hergerichtet und neu eröffnet. Im Prinzip konnte sich an


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diesem Haus natürlich nicht viel ändern. Seitdem ich es aus der
Vorkriegszeit genau kenne. Leider auch sind die Toiletten nach
wie vor in einem trostlosen Zustand. Da am Höllenstein kein Wasser
zur Verfügung steht, kam mir die Idee, dass wir wahrscheinlich um
das Toilettenproblem in solchen Höhen überhaupt befriedigend zu
regeln könne, ein Klosett-Typ entwickelt werden müsste, der ohne
Wasser doch einigermassen hygienisch ist. Alle Kontrollbesuche,
die ich in dem letzten Jahr gemacht habe, zeigen mir klar und
deutlich, dass dieses Problem mit der herkömmlichen Art nicht zu
lösen ist. Auch auf der Hohen Wand, wo ich anschliessend einige Besuche
abstattete, konnte ich dies wieder feststellen. Auf den höher ge-
legenen Schutzhütten und Gasthäusern gibt es keine Möglichkeit
hygienische Toilette-Anlagen zu errichten, wo Wassermangel oder
Wasserknappheit herrscht.

ANMERKUNG FÜR WANKE: Hier könnten wir, wenn wir ein System entwickeln
liessen, das einigermassen preiswert dieses Problem löst, uns unendli-
che Verdienste schaffen. Technisch ist das Problem bei Verbrennung mit
Stromzufuhr längst gelöst. Ich glaube aber, dass ein preiswerteres Sy-
stem, vor allem aber nicht so teures System gefunden werden sollte.

Am Abend besuchten wir eine normale Veranstaltung für Indira Gandhi von
Fidelio. Da ich diese Oper nun in kürzestem Abstand nun das zweite Mal
gesehen habe, kann ich feststellen, dass es doch sehr davon abhängt,
ob ein hoher Besuch in der Oper ist oder nicht. Bei einer Veranstaltung,
ich glaube zu zweihundertjährigen Jubiläums der Wiener Börse wurde
ebenfalls Fidelio gegeben, dort hat man aber u.a. auch die Arie von
Rocco, dass man zum Heiraten auch Geld braucht, ganz einfach wegge-
lassen. Ich habe mir damals gedacht, dass man die Geldleute aus der
ganzen Welt nicht mit dieser Arie verschrecken wollte. Diesmal wurde
die Oper komplett aufgeführt und vor allem haben sich wirklich sowohl
die Musiker als noch viel mehr die Sänger sehr angestrengt und es kam
eine wirklich phantastische Aufführung zustande. Da Min.Präsident Gandhi
ersucht hatte, man sollte anschliessend an die Oper nicht wieder einen
Empfang bei Sacher oder im Bristol geben, wurde in der Pause das
Nachtmahl, das diesmal nicht so üppig war, gereicht. Eine sehr vernünftige
Einführung. Ideal wäre es, wenn das Protokoll auch bei allen anderen
Staatsbesuchen diese Lösung bevorzugen würde. Ich fürchte aber, dass
dies ein Ausnahmsfall bleiben wird.

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Tagesprogramm, 26.10.1971

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Tagesordnung 74. Ministerratssitzung, 26.10.1971

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Nachtrag TO 74. Ministerratssitzung, 26.10.1971

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Vorschlag Meisl f. TO SL-Besprechung 27.10.1971

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hs. Notizen


Tätigkeit: öst. Botschafter EWG


Einträge mit Erwähnung:
    Tätigkeit: ind. Premierministerin


    Einträge mit Erwähnung:
      Tätigkeit: Sts. Sozialministerium bis 1971
      GND ID: 12929456X


      Einträge mit Erwähnung:
        Tätigkeit: Kardinal, Sekr. des Rates für die öffentlichen Angelegenheiten der Kirche, später Kardinalstaatssekretär


        Einträge mit Erwähnung:
          Tätigkeit: Gesundheitsministerin


          Einträge mit Erwähnung:
            Tätigkeit: ung. Kardinal, ab 1971 im Exil in Wien


            Einträge mit Erwähnung:
              Tätigkeit: Vizekanzler, Sozialminister


              Einträge mit Erwähnung:
                Tätigkeit: SChef HM
                GND ID: 12195126X


                Einträge mit Erwähnung:
                  Tätigkeit: IV


                  Einträge mit Erwähnung:
                    Tätigkeit: [offenbar eine Beamtin oder Sekretärin, die vom HM ans Sozialministerium ausgeliehen wurde, aber doch im HM bleiben will; 1971 Gespräch JS und Häuser, der sie im Sts. Gesundheit beschäftigen will]


                    Einträge mit Erwähnung:
                      Tätigkeit: Büro des Bundesministers (Sekretärin)


                      Einträge mit Erwähnung:
                        Tätigkeit: 1970-1973 Büro Staribacher, SPÖ-NR-Abg., stv. Vors. SPÖ-Landstraße
                        GND ID: 102318379X


                        Einträge mit Erwähnung:
                          Tätigkeit: Außenminister, Bundespräsident
                          GND ID: 118723189


                          Einträge mit Erwähnung:
                            Tätigkeit: Kardinal


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