Mittwoch, 16. Juni 1971
Im Klub wurde über die Politik das erste Mal heftigst diskutiert.
Da in den einzelnen Ausschüssen auch nicht die Mehrheit gesichert
ist, musste natürlich oft entgegen den Beschlüssen oder Wünsche der
Fraktion dann unmittelbar verhandelt, resp. zugestimmt werden oder
Abänderungsanträge schnell formuliert werden. Am typischsten war
dies scheinbar im Finanz- und Budgetausschuss. Dort war die Absicht,
die Kinderbeihilfe nur um 10 S pro Kind zu erhöhen. Da die ÖVP aber
30.– S verlangt hat und die FPÖ bereit war, mitzugehen, musste dann
ein gemeinsamer Kompromiss von 20.– S akzeptiert werden. Dadurch
ist die Politik konterkariert worden, die die Bundesregierung beabsich-
tigt. Bekanntlich sollte – so wie bei der Freifahrt für die Schüler -
auch die Bücher für die Schüler aus dem Familienlastenausgleichsfonds
bezahlt werden. Nun wurde dieser Familienlastenausgleichsfonds durch
die 20.– sehr stark angeknabbert. Zuerst wollte die ÖVP noch unbedingt
vom Finanzminister die Eingänge im Lastenausgleichsfonds erfahren. An-
drosch beabsichtigt natürlich diese Ziffern nicht bis ins letzte Detail
bekanntzugeben. Da aber 70.000 Beschäftigte mehr sind um 13 % die Löhne
gestiegen sind, muss der 6 %-ige Beitrag der von diesen Summen kommt,
wesentlich höher sein als vorher präliminiert wurde. Andererseits ist
die Freifahrt der Schüler mit 350 Mio. S in den Ausgaben abgenommen,
obwohl dies wahrscheinlich zu gering ist. Allein dass für diese Frei-
fahrt auch die Studenten jetzt einbezogen sind und eine endgültige genaue
Durchrechnung ja nicht existiert, lässt die Vermutung aufkommen, dass
wir mit den 350 Mill. S nicht auskommen werden. Im § 41 ist ausserdem
vorgesehen, dass statt 5.000 S die Freibeträge für die Gewerbetreibenden
auf 7.000 S erhöht werden. Da 60 % der Unternehmer nur 1–2 Dienst-
nehmer haben, kann man annehmen, dass aus der Erhöhung der Freigrenze
von 5 auf 7.000 S Mindereinnahmen kommen werden. Insbesondere aber wurde
selbst von Genossen aus den Bauerngemeinden kritisiert, dass die Bauern
25 Groschen Milchpreiserhöhung kriegen und jetzt ausserdem noch 20.– S
pro Kind, die letzten Endes ja für die Milch- und Brotpreiserhöhung ge-
geben wurden.
Ich habe das Referat von Kreisky nicht gehört, aber der Vorschlag,
1000 S jedem Bergbauern pro Jahr zu geben, wurde kritisiert. Ich seinem
Schlusswort antwortete deshalb Kreisky, wir hätten doch ausser den
Familienlastenausgleich noch das Schülerbeihilfegesetz durchgebracht
und damit eigentlich eine alte sozialistische Forderung, dass mehr
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Schüler von Arbeitern, die es sich nicht leisten können, durch Staats-
unterstützung auch die Schulen besuchen können, durchgesetzt. In der
Kinderbeihilfe seien wir auch erfolgreich und so müsste man das jetzt
darstellen, denn in den 4 Jahren ÖVP-Regierung hätten sie die Kinder-
beihilfen nur um 20 S erhöht, während im 1. Jahre der SPÖ-Regierung
die Kinderbeihilfe schon um 40 S erhöht wurde.
Betreffend die Politik über die Heeresreform war man sich auch nicht
einig. Der Klub hatte am Anfang – ich war ja nicht anwesend – um 9 Uhr
beschlossen, dass der Endtermin, wo im Haus die Debatte über die Heeres-
reform abgeführt werden muss, dir ursprünglich mit 5. Juli beabsichtigt
war, auf 12.7., d.h. eine Woche verschoben, wurde. In der Diskussion
hat sich nun Probst ganz entschieden dagegen gewendet, da dadurch
diese Heeresreformdebatte ziemlich am Ende dieser Session abgewickelt
werden wird. Da man nicht weiss, wie diese Debatte ausgehen wird,
noch immer ist nicht bekannt, wie die FPÖ sich entscheiden wird, haben
wir damit keinen guten Schluss der Session. Pittermann verteidigte nun,
warum er bereit war, dem Wunsch des Verhandlungskomitees zuzustimmen,
noch eine Woche zuzulegen. In den Erläuternden Bemerkungen der Regierungs-
vorlage wurde auch die Bereitschaftstruppe verlangt und Zeillinger
weist nun immer auf diesen Regierungswunsch hin. Pittermann glaubt nun,
dass wenn längere Zeit zum verhandeln ist, die FPÖ doch vielleicht noch
für eine Lösung in dieser Frage gewonnen werden könnte. In Wirklichkeit
zeichnet sich doch schon der Beschluss ab, dass die ÖVP und die FPÖ
gegen den Regierungsentwurf entsprechende Übungen beschliessen wird
und auch die Frage der Bereitschaftstruppe weitestgehend von Zeillinger
und Tödling, die die FPÖ- und ÖVP-Experten für Wehrfragen sind, gemeinsam
vorgegangen wird. Kreisky meint nun, es wird sehr gut sein, wenn die
Sozialisten die 9 – 6 Monate eingebracht haben, dies durchsetzen und
wenn gegen die Stimmen der Sozialisten die Übungen mit 60 Tagen + event.
noch 14 Tagen von der FPÖ und von der ÖVP beschlossen werden. Er glaubt,
dass letzten Endes, wo wie wir das 9. Schuljahr sistieren mussten,
weil wir gar nicht imstande waren, es gar nicht durchzuführen, auch der
jetzige Apparat des Bundesheeres gar nicht imstande ist, 250.000 Präsenz-
diener, die dann abgerüstet haben, aber die scheinbar jährlich von den
Militärs eingehoben werden sollen, dass der Apparat des Bundesheeres,
dies verkraften könnte. Betreffend die Verlängerung meinte er, da
hätten wir jetzt schon den Beschluss des Klubs der anderen Seite bekannt
geben, und man sollte deshalb dabei bleiben.
In der Debatte wurde auch von einigen Abgeordneten urgiert,
was die Regierung jetzt endlich mit den flankierenden Massnahmen
betreffend die Exportindustrie zu tun gedenkt. Androsch erklärte,
es war schon kaum mehr Zeit, dass erstens die Zollfreizone jetzt
geregelt wird, die laut internationalen Verpflichtungen wie er
sich ausdrückt, vollkommen aufgehoben werden müsste, dass zweitens
über die Verrechnungsdollar das Finanzministerium erklärt hat,
dass sie es nur prüfen wird und das Kursrisiko nicht absichern kann,
sondern da es sonst zu einer ungleichmässigen Behandlung der Unter-
nehmen käme, wenn man z.B. will die Dollarbezahlung gegen den Osten
anders behandeln als die Dollarzahlung gegenüber dem Westen, kann er
eine solche Regelung nicht ins Auge fassen. Dass er drittens aber
die Exportförderung verbessert hat, indem ein Selbstbehalt von
20 und 30 % auf 10 % gesenkt wurde und dass er viertens bereits
ist, bei der Investitionsförderung mit der Handelskammer zu ver-
handeln und zu einem Schluss zu kommen. Androsch wird morgen – wie
er mir mitteilt - eine Aussprache mit Sallinger und Mussil haben
und möchte sehr gerne, dass ich auch dabei bin, ich habe ihm. soweit
dies meine Zeit zulässt, selbstverständlich zugesagt.
Ich glaube, dass diese leichte Spannung innerhalb des Klubs, ins-
besondere der Klubführung mit der Regierung darin besteht, dass
Pittermann entweder nicht eingehend informiert wird, und die Klub-
mitglieder natürlich viel zu wenig Informationsmaterial bekommen.
Ich kann mir deshalb sehr gut vorstellen, dass sie sich vereinzelt
irgendwo festgelegt haben und dann natürlich versuchen, ihre Mei-
nung zumindestens zum Ausdruck zu bringen, wenn sie auch nicht ihre
Versprechungen dann durchsetzen können. Dies gilt wahrscheinlich
für die Kriegsopfervertreter genauso wie für die Zusagen, dass
die Preise sich vielleicht nicht unter einer sozialistischen Re-
gierung so schnell erhöhen werden wie unter der ÖVP-Regierung.
Das Hauptproblem aber besteht meinen Meinung nach noch immer darin,
dass vereinzelte Zusagen resp. Entschlüsse dann kaum noch zu korri-
gieren sind. Wenn es sich dann – wie z.B. in der KFZ-Versicherung –
um eine bedeutende Zusage handelt, dann ist es furchtbar schwierig
die Kurven zu nehmen. Androsch hat deshalb eine Vorbesprechung
über die neue KFZ-Prämie im Parlament angeregt, der Broda, NR Hobl
vom ARBÖ, Benya und Hofstetter vom ÖGB, Mauhart und Vranitzky und
ich teilnahmen. Auf Grund der Untersuchungsergebnisse, die eindeutig
zeigten, dass die Versicherungsgesellschaften die Beamten des
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Finanzministeriums – wie sich Tommy Lachs und alle Vertreter des
ARBÖ, aber selbst auch die des ÖAMTC, wie ich feststellen konnte –
sagten – hineingelegt wurden, ergab eine Mögliche wesentliche Sen-
kung der Prämien. Androsch hatte deshalb jetzt zwei Varianten vorge-
legt. Eine ganz normale Prämienerhöhung von ca. 20 % und eine, wo
er einen sogenannten Malus indirekt einbaut, dass er eine niedrige
Prämie hat, die aber fürs nächste Jahr für jeden Schadensfall einen
Zuschlag von 10 % hinzukommt. Ich hatte angenommen, dass diese Be-
rechnungen entsprechend exakt durchgeführt wurden, weil man mir dort
eine Tabelle zeigte, die auf eine sehr komplizierte Formel aufgebaut
ist, die ich eigentlich nicht verstand. Zu meiner grössten Verwunderung
aber kannte sich überhaupt niemand auch bei dieser Tabelle aus.
Da dieses System aber risikogerecht war, plädierte ich eigentlich
für die verbilligten Ansätze + der 10 % Prämienerhöhung für jeden
Schaden. Androsch hatte auch schon entschieden, dass 75 % Bonus des
Vorjahres und des laufenden Jahres unbedingt ausbezahlt werden muss.
Gleichzeitig hat er auch den Unterjährigkeitszuschlag abschaffen wollen.
Christian Broda war natürlich mit dieser Lösung sehr einverstanden,
da er dies ja seinerzeit im Fernsehen gefordert hat. Ich selbst wen-
dete mich mit aller Entschiedenheit gegen die Abschaffung des Unter-
jährigkeitszuschlages, weil ich darin eine Verkomplizierung der
Verwaltung sehe. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Versicherungs-
gesellschaften nicht wesentliche Erhöhung ihrer Verwaltungskosten haben,
wenn sie an stelle der jetzigen einmalig bezahlten Prämie im voraus
in Hinkunft vierteljährlich Prämien einfordern müssen, mahnen müssen,
verrechnen müssen. Hobl erklärte nur, dass veinzelt er selbst viertel-
jährlich zahlen kann und damit trotzdem keinen Unterjährigkeitszuschlag
zum bezahlen hat und man wollte mir weismachen, dass dies bei den
Versicherungen allgemein üblich ist. Ich blieb also mit dieser For-
derung, den Unterjährigkeitszuschlag zu belassen, übrig. Androsch
war bereit, dass er einen Sechser-Beirat, den wir ja im KFZ-Beirat
geboren hatten und auf den ich sehr stolz bin, weil er uns ermöglichte,
aus diesem Schlamassel überhaupt herauszukommen, weiter beizubehalten.
Broda plädierte natürlich auch, dass wir uns für eine Variante ent-
scheiden sollten und diese Variante der Finanzminister nur im KF-Beirat
entsprechend zu Genehmigung vorlegen sollte. Auch dagegen sprach ich
mich ganz entschieden aus und Hannes Androsch entschloss sich letzten
Endes, meine Argumentation anzunehmen, dass wir dem KF-Beirat doch
beide Varianten vorlegen sollten, damit dieser entscheiden könnte.
Ich verhandelte dann im Laufe des Tages im Parlament und dann
nach Parlamentsschluss mit dem ÖAMTC stundenlang, um eine gemeinsame
Auffassung zu erreichen. Denn natürlich hat Androsch angenommen,
dass Broda und Hobl, die ja letzten Endes im Prinzip zustimmten,
auch jetzt in aller Öffentlichkeit für ihn eintreten werden. In
Wirklichkeit habe ich richtig spekuliert, dass sie – wenn der
ÖAMTC dem nicht zustimmen wird – als Kraftfahrorganisation in die
grössten Schwierigkeiten wieder kommen werden. Ich bemühte mich
deshalb, den ÖAMTC dazu zu bringen. Veith und Soche, der General-
sekretär und der Mann, der in Wirklichkeit die Berechnungen drüben
macht, waren aber am Anfang gar nicht bereit, mir eine Zustimmung
zu geben. Auch Tommy Lachs regte sich furchtbar darüber auf, dass
die Finanzministeriumsbürokratie sich nicht einmal an die Vereinba-
rungen hält betreffend Übergabe von Material, resp. dass zuerst
im Komitee der Vorschlag besprochen wird. Androsch ging nämlich
unmittelbar nach dieser Besprechung sofort ins Fernsehen. Spät
abends gelang es mir dann, folgenden Kompromiss zu erreichen:
Es wird der ARBÖ insbesondere Broda auf seine Forderung den Unter-
jährigkeitszuschlag aufrecht zu erhalten, verzichten. Der ÖAMTC
glaubt, dass die Versicherungen – und ich bin auch dieser Meinung –
aus verwaltungstechnischen Gründen bereit sind, wenn sie diesen
Unterjährigkeitszuschlag weiter einheben können, dann die Deckungs-
prämien wesentlich zu erhöhen. Die Erträgnissumme müsste von 1,8 Mio.
auf 3 Mio. die Einzelpersonenschaden von 600.000 auf 1 Mio. und der
Sachschaden von 180.000 auf 300.000 S erhöht werden. Die Erhöhung
dieser Deckungssummen bedarf derzeit einer Zusatzversicherung, wo
die Prämie 8 % kostet. Trotzdem glaubt der ÖAMTC, dass die Ver-
sicherungen bereit sind, dies zu akzeptieren. Ich habe spät abend
noch mit Broda und dann noch mit Androsch telefonisch gesprochen,
Broda wäre mit diesem Kompromiss einverstanden und Androsch wird sich
dies noch über die Nacht noch überlegen. Für den ÖAMTC kommt – und
das kann ich verstehen – nach Durchrechnung nur der A-Tarif in
Frage, d.h. der höhere Tarif ohne den Zuschlag für die Schadens-
abgeltung des Vorjahres, da der A-Tarif 19,63 % Prämienerhöhung
mit sich bringt, währenddem der B-Tarif 22 % Erhöhungen ergibt, wenn
man dem Schadenshäufigkeit zugrundelegt. Es wird also nicht eine
tatsächliche Verbilligung sondern nur eine optische Verbilligung
eintreten, in der Summe würden für Autos die Kraftfahrer eine Ver-
teuerung um ca. 2 l/2 % in Kauf nehmen müssen.
Ich habe den ÖAMTC überhaupt nur dazu gebracht, dass er zustimmt,
indem ich ihn unter Druck setzte. Ich erklärte Veith und Soche,
wenn sie sich nicht entschliessen mit mir kooperierend weiter fort-
zufahren, bin ich nicht mehr bereit, sie zu unterstützen, sie haben
doch selbst in ihrem Präsidium anerkannt, dass sie mir unendlich
Dank schulden, weil ich es gewesen bin, der ihnen diese Möglichkeit
der Mitsprache überhaupt erst gegeben hat. Nach Berechnung des ÖAMTC
hätte ich ihnen 400 Mio. S, d.h. den Autofahrern erspart und sie sagten,
sie seien deshalb unendlich dankbar. Auch den ARBÖ konnte ich letzten
Endes auch zur Zustimmung bewegen, da auch er mir immer säuselt, wie
gut ich mich in dieser Frage verhalten habe. Ich hoffe, wir bringen
diese Angelegenheit noch gut über die Bühne.
In der Paritätischen Kommission war überhaupt nichts von Bedeutung,
sodass ich Mussil, Zöllner und Tommy Lachs dazu bringen konnte, dass
ich für Bitumen die Preisregelung sistieren werde, dass aber gleich-
zeitig ich erklärte, wenn sich die Ölfirmen nicht bezüglich Flüssig-
gas und den Bitumenpreisen sowie den Motorölpreisen sich nicht an
die Paritätische Kommission wenden, ich dann für alle diese Artikel
sofort wieder die Preisregelung einführen werde. Rösch stimmte diesem
Vorschlag gerne zu. Bei der Vorbesprechung der Präsidenten hat die
ÖVP-Seite, d.h. Sallinger und Mussil angeboten, dass sie bereit sind,
den § 3a bei Limonaden anzuwenden, wenn die soz. Seite verzichtet,
dass die Regierungsvorlage bezüglich des § 3a Gesetz wird. Wir haben
dies abgelehnt, da es nicht in der Regierungspolitik liegt. Ich
schliesse aber daraus, dass innerhalb der ÖVP die Wirtschaftsbündler
vermuten, dass der ÖAAB-Flügel und letzten Endes vielleicht auch
die Bauern stark genug sind, sich durchzusetzen, und doch der Re-
gierungsvorlage die Zustimmung gegeben werden könnte. Ansonsten hätte
doch Sallinger und Mussil niemals zugestimmt, dass eine Gruppe jetzt
unter den § 3a unterworfen wird, ich glaube sie wollten, dass mit einem
kleinen Opfer ein grösseres verhindert werden soll.
Tagesprogramm, 16.6.1971