Dienstag, 18. Mai 1971
Vor dem Ministerrat machte mich Androsch schon darauf aufmerksam,
dass er nicht verstehen, wieso die Wiener Organisation, insbeson-
dere der neue Vorsitzende Otto Probst die Regierung wegen des
Wiener Memorandums angreifen konnte. Nach der Ministerratssitzung
ersuchte deshalb Kreisky die Wiener Minister zu einer Besprechung.
Erstellte fest, dass er mit grösster Verwunderung gehört hätte,
dass in der Wiener Konferenz, ich war ja leider nicht in Wien und
konnte deshalb nicht daran teilnehmen, erklärt haben solle, die
Regierung hätte noch das Wiener Memorandum zu erfüllen. Demgegenüber
hat Slavik als Bürgermeister schon erklärt, dass keine Regierung
so viel für die Wiener Bevölkerung getan hat und das Wiener Memo-
randum weitestgehend erfüllt ist. Richtig ist, dass tatsächlich die
meisten Punkte des Wiener Memorandums, wie U-Bahnbau, Hochwasser-
schutz einvernehmlich geregelt werden bereits vereinbart sind.
Nur betreffend des Grundabtausches gibt es derzeit noch Verhandlun-
gen, da die Gemeinde Wien, wie Androsch behauptet, keine ent-
sprechenden Grundstücke anbietet. Ich urgierte neuerdings, dass es
z.B. für die Landstrasse von eminentester Bedeutung ist, wenn die
Rennweger Kaserne ebenfalls in den Gemeindebesitz übergeführt
wird. Androsch wies darauf hin, dass dann aber auch die Gemeinde
entsprechende Grundstücke anbieten müsste, ausserdem weiss er, dass
auf der Rennweger Kaserne keine Wohnungen sondern ein Zentrum errich-
tet werden soll. Kreisky ersuchte nun alle Minister, sie sollten ihm
mitteilen, was sie bereits für die Wiener Bevölkerung an Entschei-
dungen getroffen haben, damit er dies in einem Brief an Probst fest-
stellt. Wir wollen über dieses ganze Problem keine öffentliche
Diskussion und deshalb wird auch kein Schreiben an die Wiener
Organisation abgeschickt werden.
In der Sektionsleitersitzung am Abend wurde mir mitgeteilt, dass bei
der Konferenz der Obmann Probst keinesfalls erklärt hätte, das
Wiener Memorandum nicht erfüllt wurde, sondern ganz im Gegenteil
die Bereitschaft der Bundesregierung zu Resterfüllung herausge-
strichen wurde. Es wurde nur festgehalten, dass man keinesfalls auf
die Wiener Belange verzichten würde. Das Fernsehen und teilweise
auch die Zeitungen haben eben – weil sie ansonsten nichts gegen
die Regierung sagen können, – diese Behauptung ein bisschen anders
dargestellt. Androsch ist davon nicht so überzeugt, sondern glaubt,
06-0609
dass es hier innerhalb der Wiener sozialistischen Organisation
zwei Gruppen gibt, die einen, die im Rathaus die Macht haben und
Stadträte, die die Politik des Rathauses machen und die anderen,
die in der Wiener Organisation als Politiker glauben, jetzt ihre
entsprechenden Vorschläge mit politischer Begründung überall durch-
setzen zu können und wie er sich ausdrückte: daneben stehen. Richtig
ist, dass in einer Wiener Ausschussitzung, wo ich auch leider nicht
anwesend war, die Diskussion über die Erhöhung der Schulbeiträge
des Staates zu den Konfessionellen Schulen zur Debatte kam und damals
ausgelöst, so wie diese Diskussion auch, von Berufsschullehrer und
Obmann von Rudolfsheim Gawlik, riesige Wellen schlug. Damals hat sich
Weikhart sofort angeschlossen und gefragt, wo dies eigentlich beschlos-
sen wurde. Ich persönlich glaube nicht, und habe Kreisky deshalb auch
widersprochen. der meinte, es würden hier jetzt die Wiener schön
langsam patriotische Interessen herausgestrichen werden. Ich glaube
wirklich es gibt keine Landesorganisation, die so wenig landmannschaft-
liches Denken entwickelt hat wie Wien. Andererseits ist es ebenso si-
cher, dass die Wiener Organisation – obwohl sie alle Minister ständig
am Ort hat, diese eingeladen hat, damit sie vor dem Wiener Ausschuss
Bericht über ihre Tätigkeit abgeben.
Gehart befürchtet, dass bei einer Besprechung, um die Generalsekretär
Mussil ersucht hat, das Problem der Konsumentenorganisation insbeson-
dere unsere Konsumentenpolitik zur Debatte steht, da ihm Wessely
mitgeteilt hat, er würde seit einiger Zeit ununterbrochen mit diesen
Fragen bombardiert, wie es weitergehen soll. Mussil erschien tatsäch-
lich mit Dr. Wessely und ich rief natürlich sofort auch Koppe zu
dieser Sitzung. In Wirklichkeit aber wollte Mussil nichts anderes,
als dass in Hinkunft nicht der Verein für Konsumentenberatung zur
Gesetzesbegutachtung herangezogen wird. Er hat scheinbar grosse Schwie-
rigkeiten innerhalb des Vereines, die Koordination mit seiner Gruppe
durchzuführen und er fürchtet, dass eine neue Stelle geschaffen wird,
die die Stellungnahme der Handelskammer entweder vorwegnimmt oder
abschwächt, da ja auch die Handelskammervertreter dort ihre Zustimmung
oder Ablehnung geben und begründen. Ich sagte ihm dies sofort zu,
da eine Mitarbeit des Vereins für Konsumenteninformation in dem Kon-
sumentenbeirat ja gesichert ist und wir die Meinung der einzelnen
Mitglieder dort berücksichtigen können. Wessely und Koppe zogen sich
nach diesen kurzen Erklärungen zu weiteren Besprechungen zurück.
Mussil selbst wies darauf hin, dass er grosse Schwierigkeiten hat
bei der Überkompensation insbesondere die Hinaufsetzung der Veredlungs-
grenze von 33 1/3 % auf 50 % durchzustehen. Obwohl vom Gesamtexport,
der über Zollfreizonenvormerkverkehr von ca. 29 Mia. nur 5 Mia. den
Aufwertungssatz 33 bis 50 % haben, gibt es hier grosse Schwierigkeiten.
Ich wies Mussil darauf hin, dass ein Einvernehmen ja beim Finanzmini-
ster erzielt wurde und deshalb nichts mehr zu ändern ist. Ich gab ihm
den Tip, er sollte doch den Firmen mitteilen, wenn sie unter die 50-Grenze
fallen, dass sie eine Verzollung eines Teilimportes trotzdem in die
Vergünstigung kommen können, weil sie dann automatisch sofort den Ver-
edlungssatz von 50 % übersteigen. Er meinte, dies sei eine gute Idee
und er wird dies sofort den Firmen mitteilen, obwohl er annimmt, dass
diese dies eigentlich wissen müssten.
Schoeller hat ihm mitgeteilt, dass er jetzt zweimal 400.- S für
Anker und Hammerbrot den Arbeitern zahlen müsste, die 10 Mio.
S Überbrückungshilfe ausmachen und finanziell die Firma ruinieren,
da die Preisfestsetzung noch immer nicht feststeht. Ich konnte Mussil
so wie ja Schoeller bereits telefonisch in der Früh verständigt hatte,
mitteilen, dass Weihs mit 1. Juni alle Preise gleichzeitig in Kraft
setzen wird.
Die Bürges-Aktion sei neuerdings gesperrt worden und Mussil fragte, ob
er nicht doch wenigstens bis zum 4. Quartal kontinuierlich die Aktion
offen lassen könnten. Ich Verwies darauf, dass wir Korinek und der Bürges-
Aktion ein Finanzierungskonzept vorgeschlagen haben, welches noch immer
nicht von der Bürges bestätigt wurde, da ich den Akt noch nicht unter-
schrieben hatte. Wie ich allerdings später erfuhr, hat der Min.Rat
Schuster schon einen diesbezüglichen Akt fertig gemacht, den er mir
nicht zur Unterschrift vorgelegt hat, sondern der von Römer unterfertigt
soll. Das Ministerbüro hätte dann die entsprechende Information erhalten.
Ich veranlasste deshalb Schuster sofort, Korinek über den positiven
Abschluss der Verhandlungen zu informieren.
Ich bestätigte Mussil, dass einzelne Aussenhandelsstellen sehr gut ge-
führt werden, da sie sich nicht als Diplomaten sondern wirklich als
Vertreter der Wirtschaft betrachten. Andererseits wurde mir von Meisl
mitgeteilt, dass es in Südamerika Aussenhandelsstellen gibt, die
überhaupt keinen Kontakt, weder mit der Wirtschaft noch mit den öster-
reich. Referenten der Ministerien aufbauen konnten. Ich schlug deshalb
06-0611
Mussil vor, wir sollten uns einmal die einzelnen durchgehen, um
festzustellen, wo wir organisatorische Änderungen ergreifen sollten.
Er selbst erwiderte, dass Sallinger und er mit Südamerika Kontroll-
reise beabsichtigen. Mein Vorschlag auch bezüglich der Vertretung
der Handelskammer in USA wurde positiv aufgenommen. Tatsache ist,
dass wir einen Lower , d.h. Rechtsanwalt, in der Käseangelegenheit
in Washington beschäftigt haben und jetzt für die Mills Bill einen
anderen. Ich glaube, dass es zielführender wäre, wenn man sich
eines Advokatenbüros bedienen würde, dies nicht nur allein wegen der
Kostenersparnisse, sondern auch weil man dann wahrscheinlich einen
stärkeren Einsatz erzielt und der Mann sich in Wirklichkeit dann
auf die österreichischen Probleme mehr spezialisiert. Mussil erklärte,
dass dies darauf zurückzuführen wäre, dass bei der Käse-Sache die Be-
stellung der vorhergehende Aussenhandelsstellenleiter vorgeschlagen
hat, währenddem bei Mills Bill jetzt der neue Aussenhandelsstellenleiter
eben jetzt andere Leute kennt und vorschlug.
Mein Hinweis, dass die Einnahmen des Aussenhandelsbeitrages heuer fast
500 Mill. S ausmachen werden, hat Mussil nicht bestritten, sondern nur
neuerdings bestätigt, dass er bereit ist, für die Exportförderung einen
grösseren Betrag zur Verfügung zu stellen.
ANMERKUNG FÜR WANKE: Ich glaube, es wäre zielführend, wenn wir ein Kon-
zept entwickelten, was wir wirklich von ihm in der Exportförderung ver-
langen. Mein Vorschlag, gegebenenfalls Europa-Häuser zu errichten, fand
die Zustimmung von Mussil und er meinte, wo sich eine Gelegenheit gibt,
würde die Bundeskammer solche Europa-Häuser kaufen, um sie dann gegebe-
nenfalls an die einzelnen Institutionen wie z.B. Fremdenverkehrswerbung
und sonstige Vertreter zu vermieten.
Bei meinem Vortrag und der Diskussion im Rahmen des Arbeitskreises
Dr. Karl Renner, an dem die leitenden Genossenschafter teilnehmen,
führte ich neuerdings die Notwendigkeit, dass die Genossenschaften
jetzt Propaganda macht, wenn sie Preissenkungen macht, dass dies
auf die Schillingaufwertung zurückzuführen ist, an. Es wurde auch
tatsächlich ein Kommuniqué vorbereitet, aus dem ersichtlich ist, dass
die Genossenschaften und die GÖC einen Aufruf jetzt hinausgehen und
06-0612
schon ab 25. Mai werden Warenpreise gesenkt, weil der Schilling mehr
wert ist und damit auch die Regierungspolitik unterstützen.
Die Geschäftsleitung des Metro-Grossmarktes kam neuerdings, um festzu-
stellen, dass die Gendarmerie beabsichtigt, um 18 Uhr den Metromarkt
zu schliessen, die nö. Landesregierung deckt den Bescheid der Bezirks-
hauptmannschaft Mödling. Jagoda hat bereits festgestellt, dass dieser
Bescheid auf einer sehr schwachen rechtlichen Grundlage steht und
wahrscheinlich, wenn er bis zu den Höchstgerichten durchgefochten wird
von diesen aufgehoben wird. Abgesehen von einer Vorsprache des Bürger-
meisters von Vösendorf, der erklärte, dass die Arbeiter bei ihm bereits
erklärt hätten, sie würden entsprechende Kampfmassnahmen gegen eine
Schliessung ihrer Arbeitsstätte einleiten, hat die ganze Frage jetzt
eine hochbrisante politische Wendung bekommen. Laut Mitteilung des
Bürgermeisters hätte ein Handelskammerangestellter der Firmenleitung
gesagt, sie sollten einen grösseren Betrag in die Kärntnerstrasse bringen,
dann würde man auf die Einhaltung des Bescheides verzichten. Wir ver-
langten eine sofortige schriftliche Mitteilung des Bürgermeisters über
diesen Tatbestand, der von den Firmenvertretern bestätigt wurde.
Jagoda hat sich in der Zwischenzeit mit den Politikern und der nö. Landes-
regierung in Verbindung gesetzt, zu meiner grössten Verwunderung und
auch der Jagodas wurde eine Weisung an die Bezirkshauptmannschaft, so
zu entscheiden, nicht vom Gewerbereferenten Landesrat und LH-Stv. Schnei-
der gemacht, sondern von der soz. Sozialreferentin Körner, die für den
Ladenschluss zuständig ist. Dies wird eine komplizierte politische Ver-
wicklung und ein zweiter Fall wie Tchibo.
Bei der Abendveranstaltung der Hamburger sprach mich Hinteregger und
der Leiter der deutschen Handelskammer Dr. Conrad über die Metrosache
ebenfalls an, insbesondere Dr. Conrad die Schliessung als nicht gesetz-
mässig betrachtet. Bei dieser Gelegenheit wies der Präsident
der Hamburger Handelskammer auf die Metroläden in Deutschland hin und
sagte, wir werde da noch etliche Schwierigkeiten bekommen. Diese Metro-
Läden seien sehr aggressive und progressive Kaufgesellschaften und in
Deutschland gäbe es auch immer Schwierigkeiten. Ich glaube, nur dass
die Ablehnung der Öffnungszeiten und der Bescheid der BH auf sehr
schwachen rechtlichem Boden steht und deshalb, wenn jetzt noch der
politische Druck dazukommt, wahrscheinlich explosionsartig Lösungen ge-
sucht werden. Wichtig ist, dass die Kleinhändler auf der einen Seite
gerne am Abend einkaufen gehen wollen, andererseits aber die anderen
Grosshändler, die dadurch konkurrenziert werden und ganz besonders auch
06-0613
einige Kleinhändler dagegen polemisiert haben. Die Bundeskammer dürfte
sich auf Weisung der Landeskammern oder auf Wunsch der Landeskammern
sehr auf die Seite der Einhaltung dieser veralteten Gesetzesbestimmung
in der Gewerbeordnung stützen.
Krenmayr stellte mir aber auch einige japanische Vertreter in Österr-
reich vor, die insbesondere jetzt angeblich Kontakt mit der Arbeiter-
bank aufnehmen wollen.
Der Präsident der Handelskammer Hamburg beklagte sich, dass die Ver-
tretung der Wirtschaft über die Handelsattaché nicht gut ist, da diese
doch mehr den diplomatischen Gebräuchen zollen als sich um die wirk-
lichen Probleme der Wirtschaft zu kümmern. Er war von unserem System,
das ich ihm erläuterte, über die Aussenhandelsstellen der BHK sehr be-
geistert und meinte, vielleicht müssten auch sie versuchen, solche
Organisationsformen zu errichten. Auf alle Fälle wird in der BRD
in Bonn darüber eingehende Besprechungen mit der Regierung geführt
werden.
Tagesprogramm, 18.5.1971
Tagesordnung 53. Ministerratssitzung, 18.5.1971
Kommuniqué Aufnahme diplomat. Bez. China - Öst.