Montag, der 17. Mai 1971

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Montag, 17. Mai 1971

Die interministeriellen Sitzungen zur Vorbereitung von Handelsvertrags-
besprechungen resp. von Besuchen im Ausland waren in den vergangenen
Jahren glaube ich hauptsächlich unter dem Gesichtspunkt der technischen
Vorbereitungen der Reise und erst in zweiter Linie unter den materiel-
len Problemen gestanden. Ich habe deshalb bei der heute stattfindenden
interministeriellen Sitzung der UdSSR daran teilgenommen, weil ich ent-
sprechende Unterlagen von den Interessensvertretungen und den anderen
Ministerien erhalten wollte. Die bisher vorliegenden Fragen und Probleme
sind meiner Meinung nach sehr dürftig. Die wichtigste Frage erscheint
Min.Rat Fälbl der Versuch, eine Vertretung der Firmen in der SU zu erreichen.
Fälbl replizierte auf diesen Vorschlag, den ich ihm mitteilte, sofort
derart, dass er meinte die SU würde dies unter allen Umständen nicht
gerne sehen, da sie Spionageverdacht gegen alle Ausländer hegt. Zum
Glück war ich anwesend, als Dr. Binder vom Aussenministerium erklärte,
dass viele westliche Staaten solche Firmenvertreter bereits aber in der
UdSSR haben. Ich kann mir dies nur so erklären, dass Fälbl eine Angst
hat, dass wenn Firmenvertreter in der SU sitzen, dass er dann als
Handelsvermittler in Ministeriumsfunktion dann nicht mehr so zum Zuge
kommt als wenn er mehr oder minder die alleinige Kontaktperson ist.
Ich habe deshalb sofort die Bundeshandelskammer ersucht, sie möge un-
bedingt eine Umfrage machen, welche Firmen eine solche Handelsvertretung
in der Sowjetunion wünschen. Den Posten schätzt Dr. Binder auf ca.
50.000 S pro Monat. Ich möchte, dass die Forderungen, die wir an Patoli-
tschew
stellen, vorher spätestens beim Essen mit dem sowjetischen Bot-
schafter ihm übergeben werden, damit er diese nach Moskau melden kann,
um die entsprechenden Antworten dann bei den Verhandlungen auch tatsäch-
lich zu bekommen.

Beim Bundespräsidenten hatte ich eine – wie es das Protokoll vorsieht –
kurze Informationsbesprechung. Zum Glück fiel mir ein, dass ich bei seiner
Angelobung nicht anwesend sein kann, da ich in der SU bin, ich entschul-
digte mich daher sofort in aller Form. Jonas hatte dafür vollstes Verständnis
und meinte nur, es sei nur wichtig, dass ich ihn vorher davon verständige.
Die Hamburger Hafengesellschaft, Präsident Westerich und Vizepräsident
Klausen und Schürfeld sowie Dr. Lau, hatten ein umfangreiches Frageprogramm
zu ihren Besuchen geschickt. Das Büro hat diese Fragen an die entsprechenden
Sektionen weitergegeben und es war eigentlich vorgesehen, dass sie diese


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Fragen beantworten sollten. Da keine Zeit mehr vorhanden war, wurde
von Wanke beabsichtigt, dass sie diese Fragen mündlich beantworten
würden. Ich habe mich sofort gegen diese Vorgangsweise ausgesprochen
und habe nach Durchsicht der Fragen festgestellt, dass ich sie alle
auswendig aus dem Steigreif beantworten könnte, ausser einer einzigen:
nämlich um 170 km Freigrenze, die die deutschen Seehäfen heute haben.
Interessanterweise hat auch Dr. Metzner diese Frage nicht beantworten
können und auf meine Urgenz doch einen Spediteur sofort zu fragen, konnte
auch die Bundeshandelskammer, der Fachverband, aber auch kein einziger
Spediteur eine befriedigende Auskunft geben. Über dieses Problem wäre
also überhaupt niemand vorbereitet gewesen. Ich frage mich aller-
dings, wozu dann die Fragen an die einzelnen Sektionen und Abteilungen
gehen, wenn doch Detailfragen nicht bis ins letzte erforscht werden
Die Delegation legte – wie ich einleitend gleich feststellen konnte,
überhaupt keinen Wert auf diesen Fragenkatalog, sondern meinte, man
sollte allgemein diskutieren und Fragen, die wir an sie stellten,
würden sie sehr gerne beantworten. Ich trug aber der Gastfreundschaft
Rechnung und schlug vor, dass sie zuerst ihre Wünsche und Fragen stellen
sollten. Sie stürzten sich sofort auf innerdeutsche Probleme nämlich
ob die Aufwertung von der DM durch das Flottingsystem richtig wäre oder
ob nicht doch ein fester Wechselkurs wie ihn auch die EWG
verlangt, zielführender wäre. Sie diskutierten unter sich ob der § 23
nicht doch eine dirigistische Massnahme sei und dass man andererseits
hier ein Verzinsungsverbot für die zufliessenden ausländischen Devisen
ergreifen müsste, wie es die Schweiz z.B. hat, und so weiter. Sie
wiesen darauf hin, dass wir in Österreich besser daran sind, weil
wir doch noch über den Kapitalverkehr eine gewisse Kontrolle haben,
währenddem die BRD dies alles frei spielen lässt. Interessant war
also ihre Diskussion sehr für sie selbst, sicherlich auch für uns als
Zuhörer, aber es betraf nur in ganz entfernter Weise auch die Hambu-
ger-österreichischen Probleme. Natürlich interessierten sie sich auch
für die spezifisch österreichischen Fragen und insbesondere über die
Funktionsweise der Paritätischen Kommission. Unsererseits wurde nur
die 170 km Grenze angeschnitten und dabei wurde festgestellt, dass der
Leber-Pfennig, der seinerzeit in einer Beförderungssteuer seinen Nieder-
schlag gefunden hat, dazu führte, dass die Seehäfen eine 170 km lange
Freistrecke verlangt haben. Dies entspricht ungefähr der Entfernung
der niederländischen Seehäfen Rotterdam und Amsterdam von der deutsch-
niederländischen Grenze. Dadurch sollen eben Hamburg und Bremen und die


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anderen Seehäfen nicht benachteiligt werden. Da sie ja eine grössere
inländische Strecke noch mit Beförderungssteuer sonst belegt hätten.
Wenn nun der Leber-Plan die Umwandlung des Leber-Pfennigs, d.h. der
Beförderungssteuer in einen Mineralölsteuer-Zuschlag eintritt, dann
würde dieser Ausgleich für die deutschen Seehäfen wegfallen, was für
sie von eminenter Bedeutung ist. Ich konnte bei dem anschliessenden
Essen der Hafengesellschaft, das Bürgermeister Weichmann präsentierte,
feststellen, dass der deutsche Botschafter neben mir erklärte, dass
er selbst erst im Laufe der Jahre daraufgekommen ist, dass die Seehäfen-
gebühren gar nicht so ausschlaggebend sind, sondern dass ausschliesslich
die Tarifpolitik der Bundesbahn, in dem Fall der deutschen Bundesbahn,
aber es kann natürlich auch der jugoslawischer oder der italienischen
für deren Häfen sein, von Bedeutung ist.

Bei diesem Essen traf ich auch Präsident Mayer-Gunthof und Sallinger
und ich fragte beide, warum sie nicht nach Moskau mitfahren. Mayer-
Gunthof
meinte, er sei von mir noch nicht dazu eingeladen worden, was
ich in diesem Moment sofort gleich nachholte und Sallinger meinte, er
müsste erst mit seinem Klub sprechen, ob er entsprechend freikriegen
könnte.

ANMERKUNG FÜR DR. HEINDL: Bitte, in Hinkunft immer schriftliche Einla-
dungen an die Präsidenten der entsprechenden Interessensvertretungen
ergehen lassen, damit sich niemand ausreden kann, er hätte keine Ein-
ladung von mir bekommen.

Die Unternehmervertreter bei dieser Hafengesellschaft waren meistens
hohe Funktionäre der hamburgischen Handelskammer. Ich war deshalb
sehr erstaunt und erfreut, dass mir Bürgermeister Weichmann, ein Ge-
nosse, den ich schon seit etlichen Jahren kenne, mitteilte, dass auch
ein Arbeiter bei der Delegation sei, der nämlich Hubstaplerkonkurrenz-
kampf gewonnen hat. Er ist dies das erste Mal, dass Hafenarbeiter eine
solche Konkurrenz ausgetragen haben und er ist nun zur Belohnung mitge-
nommen worden.

Präsident Schoeller und die Mühlenvertreter wollten einen genauen Termin
über den Beginn der Preiserhöhung für Mehle und Brot und Backwaren. Ich
konnte ihnen einen solchen nicht genau sagen, da ich mit Weihs noch
nicht endgültig einen solchen Termin vereinbart habe. Sicher ist, dass
sie aber im Juni diese Preiserhöhung bekommen werden und ich empfahl
ihnen deshalb, da die Gewerkschaft und insbesondere die Betriebsräte


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sehr stark auf die Festsetzung des Geltungsbeginnes der Lohnerhöhung
drängten, mit Abschlagszahlungen diesen Termin zu überbrücken. Tatsache
ist, dass die Gewerkschaft 18 Monate seit der letzten Lohnverhandlung
zugewartet hat und dass kaum anzunehmen ist, dass jetzt noch die Be-
legschaft viel Geduld haben wird.

Min.Rat Schleifer kam mit Dr. Neuhold und Amtsrat Elsinger, weil er
auch über die Preiserhöhungsanträge Weisungen erbat. Ich wies darauf
hin, dass wir bei den Ölpreisen, d.h. jetzt die Festsetzung von Benzin
und Dieselöl, gar keine Eile notwendig hätten. Es wurde von Seiten der
Paritätischen Kommission der Heizölpreis, der ein kritischer Preis war
wegen der Importe, erhöht und bezüglich Benzine könnten wir zuwarten,
solange die ÖMV und die Ölgesellschaften nicht stärker drängen. Wenn
dann diese Gesellschaften entsprechende Preisanträge erledigt haben
wollen, dann würden wir von ihnen unverzüglich verlangen, welche quali-
tätsmässigen Verbesserungen insbesondere im Hinblick auf die Bleisenkung
im Benzin durchführen würden. Da diese aber erst bei der Fertigstellung
des bladformers in Schwechat fällig werden, könnten wir noch einige
Wochen, ja sogar wahrscheinlich Monate diese Preiserhöhung hinaus-
schieben. Ausserdem glaube ich, ist es sinnführend, vorher den Firmen
unser Konzept über die Tankstellenregelung vorzuschlagen.

Betreffend die Preiserhöhungen für Milch und Molkereiprodukte sowie
für Mehl und Backwaren hatten sie überhaupt keine Ahnung über den
letzten Stand. Ich gab ihnen deshalb die eben von Schoeller erhaltenen
Unterlagen und bin neugierig, was sie damit anfangen werden. Dadurch
dass die Preisregelung sehr zersplittert ist, gibt es innerhalb der
Ministerialbürokratie auch wahrscheinlich die verschiedensten Informa-
tionsmängel sodass in Wirklichkeit die Minister mehr wissen als die
Beamten.

Bei der Vorbesprechung zum Ministerrat konnte ich allerdings feststellen
dass Weihs auch noch nichts über die Idee wusste, wonach keine Mehl-
preiserhöhung erfolgen müssten, wenn man den Mühlen erlaubt, dass sie
nur hochqualitatives Mehl mit 480 Aschegehalt, das heute als doppel-
griffig und Griess verkauft wird, erzeugen dürften. Häuser aber sprach
sich dagegen aus, da er meinte, dies würde einen schlechten Eindruck
auf die Bevölkerung machen, weil sie dann kein Mehl mehr zum normalen
Preis mit 700 Aschegehalt um 5.80 S erhalten würde. Ausserdem behauptete


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er, dass man gewisse Mehlspeisen überhaupt nur mit Qualitätsmehl
700, d.h. der schlechteren Ausmahlung erzeugen kann. Weihs selbst
war auch einem solchen Plan nicht geneigt und er schlug deshalb vor,
das Mehl um 10 Groschen verpackt und nicht verpackt um 5 Groschen
erhöht werden soll und dass er den Wecken und Brotpreis um 40 Groschen
erhöhen will, wenn er gleichzeitig die Bestimmung, dass der Wecken
nur 98 Deka haben muss und wieder 1-kg-Wecken einführen will. Das
letztere wird wahrscheinlich, so bin ich überzeugt und habe dies
auch zum Ausdruck gebracht, von der Bevölkerung nicht anerkannt werden,
da jewede Gewichtsänderung kaum registriert wird. Bei den Milchprodukten
wird Weihs die Milch um 30 Groschen, Butter um 4 S, Käse um 5 S, Topfen
um 2 S, Schlagobers um 6 S, Kaffeeobers um 4 S und Milchpulver um 2 S
Verbraucherpreiserhöhung vorschlagen. Dadurch kann er die Erzeugerpreise
in der ersten Qualität um 25 Groschen, Milch der zweiten Qualität um
17 Groschen und der dritten Qualität um 5 Groschen erhöhen. Die ur-
sprüngliche Idee, den Kleinbauern einen höheren Milchpreis zuzugestehen,
hat er scheinbar fallengelassen. Diese Vorschläge fanden zu meiner
grössten Verwunderung die Zustimmung und sogar begeisterte Zustimmung
von Kreisky und Häuser, die anderen haben sich überhaupt nicht an der
Diskussion beteiligt, da sie unter den Sätzen lagen, die man seinerzeit
befürchtet hat. Bekanntlicherweise sollte ja der Verbraucherpreis für
Milch um 40 Groschen – wie man ursprünglich angenommen hat – erhöht wer-
den. Es wird dieser Vorschlag mit Präsident Lehner von der LWK noch
einmal von Weihs besprochen werden und dann ziemlich schnell in der
Preiskommission eine Entscheidung für 1. Juli herbeigeführt werden.
In der Ministerratsvorbesprechung berichtete ich auch ganz kursorisch
über Island EFTA-Tagung und Kreisky meinte, dass insbesondere im EFTA-
Vertrag so wenig Integration beinhaltet war, weil sie in Schweden damals
– obwohl Finnland noch gar keine Absicht hatte, beizutreten, den zu er-
wartenden finnischen Standpunkt berücksichtigt haben.

Der Wunsch der Handelskammer, dass die Aussenhandelsstellenleiter bei
Staatsbesuchen entsprechend eingeladen wurden, hatte der Bundespräsident
für sich abgelehnt. Die Regierung wird allerdings, soweit es sich um
Ministerbesuche handelt, insbesondere in den Oststaaten die entsprechenden
Einladungen an die Aussenhandelsstellen ergehen lassen. Es wird also
eigentlich dann der zuständige Minister dafür verantwortlich ist, von
diesem abhängen, ob er den Aussenhandelsstellenleiter einlädt. Ich


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selbst würde für unser Ressort unbedingt immer darauf drängen, dies
ist allerdings in der Vergangenheit sowieso immer geschehen.

Frühbauer hat mitgeteilt, dass die Oberösterreicher auf Grund der
ihnen zustehenden Kompetenz auf den oö. Seen den Motorbootverkehr
für zwei Monate verboten haben, ausgenommen sind davon nur die
Schulen. Dies wird glaube ich für manche Motorbootbesitzer einen
Schock ausgelöst haben und sicherlich auch sind gewisse fremdenver-
kehrspolitische Folgen haben, doch wird die grosse Masse auch der
Ausländer, die an den Seen Ruhe und Erholung suchen, eine solche
Verordnung nur begrüssen. Ich möchte, dass die Abteilung sich in den
Details informiert, welche Folgen diese Verordnung hat und am Ende
der Saison einen genauen Bericht haben.

ANMERKUNG FÜR HEINDL: Bitte, dies genau verfolgen und vor allem
feststellen, ob unsere Fremdenverkehrsabteilung überhaupt davon
etwas gewusst hat resp. wann sie etwas erfahren hat oder überhaupt
etwas erfährt.

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Tagesprogramm, 17.5.1971

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hs. Notizen (Tagesprogramm Rückseite)


Tätigkeit: Erster Bürgermeister, Hamburg


Einträge mit Erwähnung:
    Tätigkeit: SChef HM
    GND ID: 12195126X


    Einträge mit Erwähnung:
      Tätigkeit: MR HM


      Einträge mit Erwähnung:
        Tätigkeit: sowj. Außenhandelsminister


        Einträge mit Erwähnung:
          Tätigkeit: Beamter Außenministerium [1971]


          Einträge mit Erwähnung:
            Tätigkeit: Präs. LWK


            Einträge mit Erwähnung:
              Tätigkeit: Verkehrsminsiter, BRD


              Einträge mit Erwähnung:
                Tätigkeit: Bundeskanzler
                GND ID: 118566512


                Einträge mit Erwähnung:
                  Tätigkeit: Präs. Hamburger Hafengesellschaft [1971]


                  Einträge mit Erwähnung:
                    Tätigkeit: Beamter HM


                    Einträge mit Erwähnung:
                      Tätigkeit: Obmann Sekt. Ind. BHK


                      Einträge mit Erwähnung:
                        Tätigkeit: Bundespräsident bis 1974


                        Einträge mit Erwähnung:
                          Tätigkeit: Hamburger Hafengesellschaft [1971]


                          Einträge mit Erwähnung:
                            Tätigkeit: Vizepräs. Hamburger Hafengesellschaft [1971]


                            Einträge mit Erwähnung:
                              Tätigkeit: VM (Ministerienneuorganisation 1974)


                              Einträge mit Erwähnung:
                                Tätigkeit: Verkehrsminister, LH-Stv. Ktn.
                                GND ID: 12053536X


                                Einträge mit Erwähnung:
                                  Tätigkeit: Beamter HM


                                  Einträge mit Erwähnung:
                                    Tätigkeit: Vizepräs. (?) Hamburger Hafengesellschaft [1971]


                                    Einträge mit Erwähnung:
                                      Tätigkeit: Landwirtschaftsminister bis 1976
                                      GND ID: 130620351


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                                        Tätigkeit: Vizekanzler, Sozialminister


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                                            Tätigkeit: 1970-1973 Büro Staribacher, SPÖ-NR-Abg., stv. Vors. SPÖ-Landstraße
                                            GND ID: 102318379X


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                                              Tätigkeit: Beamter Energiesektion HM


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                                                Tätigkeit: Handelskammer-Präsident


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