Mittwoch, der 10. Februar 1971

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Mittwoch, den 10. Februar 1971

Broda will eine kleine Novelle des Genossenschaftsgesetzes
so schnell wie möglich verabschieden. Die Genossenschafts-
verbände sind an ihn herangetreten, um die Frage des Nicht-
mitgliedergeschäftes und der Kapitalbeteiligung in einer
kleinen Novelle so schnell wie möglich zu regeln. Jagoda
hat dann mit den Vertretern des Landwirtschaftsministeriums
aber auch mit den Vertretern des Justizministeriums eine
sehr gute Formulierung bereits vereinbart. Danach würde in
dem Kundmachungspatent bei Inkrafttreten des Genossenschafts-
rechtes gleichzeitig die Genossenschaften der Gewerbeord-
nung unterworfen werden. Ausgenommen blieben nur die wirk-
lichen nicht die gewerbliche Wirtschaft konkurrierende
kleinen und unbedeutenden Genossenschaften wie z.B.: Zucht-
genossenschaften, Almgenossenschaften, kleine Genossen-
schaften, die sich mit gemeinsamen Nutzung von Maschinen
beschäftigen usw. Die Besprechung, an der nicht nur die
Ministerialvertreter, sondern auch Weihs, Androsch, Broda
und ich teilnahmen. kamen überein, womöglich einen Fahr-
plan zu erstellen, wo die gleichzeitige Inkrafttretung
aller gesetzlichen Bestimmungen gewährleistet wird.
Androsch sprach von einem Vorgehen "uno actu". Er steht
auf dem richtigen Standpunkt, daß wenn sich die Gesell-
schaftsrechte der Genossenschaften ändern, gleichzeitig
auch die steuerlichen Rechte der Genossenschaften an die
übrigen gewerblichen Betriebe angepasst werden müssen.
Er verlangt einen vollkommenen Wegfall der steuerlichen
Begünstigungen in diesem Fall. Broda wollte vorerst, daß
seine kleine Genossenschaftsnovelle so schnell wie möglich
ins Haus kommen sollte. Im Verlauf der Diskussion, nach
dem er aber gesehen hat, daß alle anderen doch für ein
synchrones Vorgehen waren, hat er sich auch dieser Meinung
angeschlossen. Hauffe hat mir vorgeschlagen, daß man um
die Paktierung leichter zu erreichen, einen einzigen Gesetzent-
wurf machen sollte, wo sowohl das Genossenschaftsgesetz,


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als auch die Gewerbeordnung, als auch die davon betroffenen
Steuergesetze in einem Gesetz novelliert werden. Ich halte
eine solche Vorgangsweise für unmöglich, obwohl ich zugeben
muß, daß sie taktisch sehr klug ist. Damit würde die gleich-
zeitige Verabschiedung garantiert sein. Ich stehe allerdings
auf dem Standpunkt, daß, wenn die Regierung entweder durch
Punktation, dies wäre die schwächste Bindung, oder durch
gleichzeitige Verabschiedung der Gesetze, dem Parlament
die ganze Materie überantwortet, dann muß eben Mussil und
Sallinger im Parlament versuchen, die Regierungsvorlage
auch tatsächlich durchzubringen.

Gen.Dir. Seidl von der Lenzinger will, daß ich interveniere,
damit nicht die Stickstoffwerke ebenfalls eine Acrylfaser-
Produktion beginnen. Die Lenzinger selbst, die heuer Zellwolle
in einem großen Ausmaß produziert, sie ist eine der größten
westeuropäischen Firmen, und erzeugt und verkauft 75.000 t
jährlich, hat durch diese Größe eine einmalige Konkurrenz-
situation. Sie kann Zellwolle um 35.40 verkaufen, obwohl
ihre Gestehungskosten nur S 4,–– sind. Wenn aber diese Zell-
wollproduktion nur um 1.000 t zurückgeht. so verliert er
als Deckungskosten für seine Fixkosten 4 Mio. S. Er beab-
sichtigt deshalb eine Acrylfaserproduktion mit 10.000
Jahrestonnen zu errichten. Dafür ist eine Investition von
200 Mio. S notwendig. Gleichzeitig muß er auch sein Um-
laufvermögen um 30 Mio. S erhöhen und rechnet im 1. Jahr
mit einem Anlaufverlust von 20 Mio. S. Er kann nun von
HOECHST eine stillgelegte Fabrik, deren Neuwert 29 Mio DM
ist, mit 5 Mio. DM erwerben. Damit würde er diese Fabrik
auf österreichischem Boden, für Zoll und Montage, schon ent-
sprechende Ansätze berechnet, 12 Mio. DM errichten können.
Derzeit werden in Wien – Land ca. 4.500–5.000 t Acryl-
fasern verbraucht. Er schätzt, daß er 2.000 t im Inland ab-
setzen könnte und 8.000 t müßte er exportieren. Da er aber
eine Faserfabrik ist, die bekanntlicherweise auch Polyester
mit HOECHST gemeinsam erzeugt, glaubt er, daß er mit Zell-


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wolle Polyesterfaser und der Acrylfaser einen entsprechenden
breiten Produktions- und Verkaufsrahmen hat. Seiner Mitteilung
nach hat HOECHST an der bayrisch-österreichischen Grenze
eine Monomere-Fabrik, d.i. ein Vorprodukt für Acryl, errich-
tet in einer Größenordnung von 90.000 Jahrestonnen. Berech-
nungen haben ergeben, daß wenn nur 60.000 t von diesem Vor-
produkt erzeugt werden, die Preise gleich um S 1.20 höher
liegen als derzeit die 90.000 Produktionspreise zu stehen
kommen. Es wird gerechnet, daß das Vorprodukt S 6.70 pro
kg kostet. Wenn nun die Stickstoffwerke in Linz mit BASF
eine solche Monomere-Produktion mit 20.000 t aufnehmen,
dann müßte nach Meinung von HOECHST, die Seidl überprüft hat,
ein wesentlich höher Preis in Österreich entstehen.

Anmerkung für Dr. Wanke:
Bitte diese Mitteilung dem zuständigen Referenten streng
vertraulich übermitteln und um Stellungnahme bitten.

Die seinerzeit vom Referat ausgearbeitete Unterlage konnte
ich im Sekretariat resp. bei mir nicht finden. Soviel ich
mich erinnern kann, war sie auf Termin gelegt für eine
Paritätische Kommission, wo ich Seidl getroffen hätte.

Unterlagen die ich auch für die Vorsprache des marokkanischen
Botschafters von der Abteilung bekommen hatte, war als
Musterbeispiel auserlesen, wie in Zukunft terminmäßig
Material mir entsprechend vorgelegt werden soll. Leider
ging es auch diesmal wieder daneben. Ich fand die Unter-
lagen nachdem der Botschafter bereits weg war. Fälbl
fragte ob ich seine Information kenne, was ich selbst-
verständlich bejahte und mich eben über diese schwierige
Situation drüber schwindelte. In die Gefahr der Leute,
die mir versprochen haben, sie werden mir mein Büro re-
organisieren kommen, bin ich neugierig, ob wir hier
vielleicht wirklich ein falsches System haben oder or-
ganisatorisch doch noch andere Maßnahmen treffen müßten.



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Herr Landegger, der eine Zellulosefabrik für 200.000
Jahrestonnen in Österreich projektiert, hatte sich be-
reiterklärt, bei seinem nächsten Österreichaufenthalt
mit mir über dieses Projekt zu diskutieren. Eine dies-
bezügliche Unterlage hat er bereits vor Monaten zur Ver-
fügung gestellt. Mit seinem Generaldirektor von der
Welser Fabrik führte nun unter Anwesenheit von Sekt.
Chef Reiterer und Sekt. Chef Römer sehr interessante
Besprechung geführt. Leider ist MR. Anreiter, der
Branchenreferent, krank gewesen. Die Frage der Finan-
zierung sieht Landegger so gelöst, daß er für die
1,3 Milliarden S, die für die Errichtung dieser Fabrik
notwendig wären, daß die Papierfabrik auch mit seiner
entsprechenden anteilsmäßigen Beteiligung ca. 30 %
als Eigenkapital aufbringen müßte. Alles andere müßte
auf dem ausländischen oder inländischen Kapitalmarkt
aufgebracht werden. Seiner Meinung nach wäre dies
mit einer Bundesbürgschaft ohne weiteres möglich. Ge-
gebenenfalls meinte er, müßte man ERP-Mittel heran-
ziehen oder den Entwicklungs- und Erneuerungsfonds.
Bezüglich der ERP-Mittel erklärte ich ihm, daß eine so
große Summe unter gar keinen Umständen bereitgestellt
werden könnte. Betreffend der Rohholzversorgung steht
er auf dem Standpunkt, daß die 860.000 Festmeter, die
dafür benötigt werden, zum Teil aus dem nördlichen
Waldviertel und Mühlviertel aufgebracht werden können,
zum Teil aber durch feste Importe mit Ostsstaaten.
Ihm schwebte ein langjähriger Vertrag vor, der ohne
weiteres zu erreichen wäre.
Betreffend die Verschmutzung der Donau, Zellulose ist
eine der schmutzigsten Produktionszweige, glaubt er,
daß ohne weiters eine befriedigende Lösung erzielt
werden kann, denn in Kanada müssen die Elektrizitäts-
staustufen beinhalten, dieses Problem befriedigend
gelöst.



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Betreffend die politische Problematik der Stillegung
von fünf kleineren Zellulosefabriken meint er, daß
diese Stillegungen früher oder später auf alle Fälle
erfolgen werden. Er selbst wird seine Zellulosefabrik
in St. Michael unter allen Umständen stillegen. Wenn
es zu dieser großen Zellulosefabrik nicht kommt, die
entsprechend billiger die Papierfabriken mit Rohstoffen
versorgen können, dann wird die österr. Papierindustrie
eine inländische Papierproduktion aufrecht erhalten
können und für den Export nicht mehr kostenmäßig in
Frage kommen. Einleitend hat er bereits vorgeschlagen,
er hätte ein Exposé von 150 Seiten von seinen Herren
vorgelegt bekommen. Er hätte dieses Exposé nicht abge-
schickt, sondern nur eine kurze Darstellung vorgelegt.
Er glaubt, daß es aber zielführend wäre, wenn die
Regierung ein Team von drei Leuten bestellen würde,
die dann mit seinen Leuten gemeinsam alle für und
wieder dieser großen Zellulosefabrik erörtern sollen.
Ich dankte ihm für die Ausführungen, aber vor allem
auch für seinen Vorschlag. Ich versicherte ihm, daß
ich persönlich mich einsetzen werde, ein solches Team
von Papierfachleuten mit seinen Leuten ins Gespräch
zu bringen.

Gen.Dir. Bauer, ÖMV, und Gen.Dir. Mieling, Shell, er-
klärten bei Anwesenheit von MR. Gasser, daß sie über-
eingekommen sind, betreffend die Errichtung der Raffinerie
in Lannach, jetzt eine Wirtschaftlichkeitsrechnung für
die Produktion von Mineralölprodukten und deren Ver-
teilung in Österreich gemeinsam auszuarbeiten. Die
ÖMV möchte eine Produkten-Pipe-line in die westlichen
Länder legen, während natürlich Shell darauf drängt,
es müßte eine zweite Produktionsstätte in Österreich
errichtet werden. Nach Auffassung von Gen.Dir. Mieling
kommt dafür nur Lannach in Frage. Er glaubt, daß wenn
auch jetzt das Projekt zu teuer käme, die Kosten wären


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bei 2 Mio. t Durchsatz viel zu hoch, wird doch in den
nächsten Jahren zu entscheiden sein, ob zum Beispiel
eine mit 4,5 Mio. t Durchsatz zu errichtende Raffinerie
in Lannach nicht im Rahmen der gesamten Mineralölpro-
duktion und Versorgung aufgestellt werden muß. Bauer
selbst ist der Meinung, daß in dieser Wirtschaftlich-
keitsrechnung das Projekt Lannach auch berücksichtigt
werden muß und wird. Die Verhandlungen zwischen den
Ölgesellschaften und den Stationären der Tankstellen
haben bis jetzt noch zu keinem konkreten Ergebnis ge-
führt. Nach Meinung von Gen.Dir. Bauer müßten diese
mit 5 Groschen bei der nächsten Erhöhung berücksichtigt
werden. Nach Meinung von Mieling müßte nach dem zu
erwartenden Abschluß der OPEC-Verhandlungen auf alle
Fälle eine Preisrevision in Österreich Platz greifen.
Wenn nämlich die internationalen Gesellschaften sich
mit den Weltproduktionsölländern OPEC nicht einigen,
dann wird von Regierungsseite eine Erhöhung der relatis,
d.h. der Steuern für die Produktion auf 60 % und die
Erhöhung des Faßpreises mit Regierungsdekret verordnet.
Dadurch würde sich eine ca. 10 %ige Erhöhung des Öl-
preises ergeben. Die Ölgesellschaften rechnen scheinbar
damit, daß wir dann unverzüglich unsere Verbraucher-
preise ebenfalls erhöhen werden. Ich selbst denke nicht
daran, sondern möchte dies erst im Zusammenhang mit
der Verbesserung des Benzinpreises durch geringere Bleige-
halt dekretieren. Ich machte deshalb Bauer darauf auf-
merksam, daß er äußerst vorsichtig mit den Stationären
verhandeln soll.Eine diesbezügliche Zusage könnte nur
auf Kosten seiner Spanne gehen. Ich schlug den beiden
Vertretern, der eine vertritt ja immerhin die österr.
Produktionsfirma, während Mieling die internationalen
Ölgesellschaften vertritt, vor, sie sollten doch einen
Plan auch erstellen, wie und in welchem Umfang sie in
Zukunft ihre Tankstellen aus- und umbauen wollen. Nach


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längerem zögern erklärten sie sich dann zu einer
solchen Maßnahme bereit. Ich werde also eine dies-
bezügliche Unterlage von ihnen bekommen. Ich ver-
sicherte ihnen, daß ich nicht die Absicht habe, mit
administrativen Maßnahmen hier ihren Tankstellenaus-
bau zu verbieten, daß ich aber doch glaube, daß es
zielführend sein müßte, eine wo möglich zweckmäßigere
Ausbauplanung zu finden. Ich kann mir nicht vorstellen,
daß es nicht früher oder später, so wie dies jetzt
schon bereits bei den Filialen der Kreditinstitute
der Fall ist, die öffentliche Meinung gegen sie wenden
wird. Ich glaube, dann wäre es auch für sie zielführend,
wenn sie einen Plan nachweisen könnten, der im Einver-
nehmen mit unserem Haus eine zielführende und nicht all-
zu kostenaufwendige und Kapital verzerrende Ausbau-
stufenregelung für Tankstellen vorgesehen hat. Ich
glaube, ich konnte sie von der Zweckmäßigkeit dieser
Maßnahme überzeugen.
Betreffend der Diskussion über den Bleigehalt im Benzin
waren beide sehr erschüttert, da sie mir mitteilten,
sie hätten sowohl Sallinger als auch Mussil und auch
andere Herren in der ÖVP über die Unsinnigkeit der
Forderung bereits jetzt 0,4 % pro Liter zu verlangen.
Ebenso sind sie erschüttert, daß noch immer Rückgabe
von gefärbten Diesel für Heizöl für die Landwirtschaft
ebenfalls verlangt wird. Sie wären zu diesem Preis-
opfer, bekanntlich haben sie ja bei Heizöl auf 15 Groschen
ihrer Spanne verzichtet, nicht bereit.

04_0169_04

Tagesprogramm, 10.2.1971


Tätigkeit: MR HM
GND ID: 133521052


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    Tätigkeit: GD Shell


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      Tätigkeit: Landwirtschaftsminister bis 1976
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        Tätigkeit: Beamter HM


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          Tätigkeit: Gen.Sekr. HK, ÖVP-NR-Abg., später AR-Präs. Verbund


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            Tätigkeit: SChef HM
            GND ID: 12195126X


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              Tätigkeit: GD ÖMV


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                Tätigkeit: MR HM, Leiter OB


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                  Tätigkeit: Leiter Sekt. III HM


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                    Tätigkeit: Personalvertreter HM


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                      Tätigkeit: Beamter HM


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                        Tätigkeit: Finanzminister
                        GND ID: 118503049


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                          Tätigkeit: Handelskammer-Präsident


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                            Tätigkeit: Papierindustrieller


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                              Tätigkeit: Sektionschef HM, Diplomat, Verteter bei der EG


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                                Tätigkeit: Justizminister


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                                  Tätigkeit: GD Lenzing AG, Vizepräs. HK, AR-Präs. OÖ. Ferngas


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