Dienstag, der 2. Februar 1971

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Dienstag, 2. Feber 1971

In der Fraktion des Bundesvorstandes im ÖGB berichtete Benya
über seine Pressegespräche und schlug gleichzeitig auch vor,
im Bundeskongress die Stimmen zu erhöhen. Er hatte diesen
Plan das erste Mal im Pressegespräch erörtert und hatte jetzt eigent-
lich gar keine Schwierigkeiten innerhalb der Fraktion, diese Idee
auch wirklich durchzusetzen. Eine Diskussion entwickelte sich eigent-
lich nur über die Resolution, welche der Bundesvorstand beschliessen
soll, der Entwurf der vom Büro vorgelegt wurde, beinhaltete einige
Passagen, die die Bauarbeiter wieder einmal als gegen sie, d.h. gegen
ihre Politik gerichtet betrachten, und deshalb Änderungen wünschten. Die
Bauarbeiter machen bekanntlicherweise betreffend das Fremdarbeiter-
d.h. Gastarbeitergesetz die grössten Schwierigkeiten. Millendorfer
formuliert die Stellungnahme immer dahingehend, dass er zwar auch
für ein Gastarbeitergesetz sei, wenn darinnen der Schutz des heimi-
schen Arbeiters zum Ausdruck kommt. Die von ihm vorgesehenen Formu-
lierungen sind aber dann derartig hart, dass mit kaum mit einer
Zustimmung von Seiten der Unternehmer gerechnet werden könnte. Sie
wollen deshalb in jeder Formulierung, die irgendwo die Bauunternehmer-
kapazität und die Versorgung mit Arbeitskräften beinhaltet, einen ent-
sprechend abgeschwächte Fassung oder womöglich überhaupt über die Indu-
striegruppe gar nichts auszusagen, Da dieser Entwurf noch mit der
christlichen Gewerkschaftsfraktion abgesprochen werden muss, kann
man über die endgültige Fassung nichts sagen. Ich glaube, dass über-
haupt der Streit um die Resolutionen ziemlich sinnlos ist, weil
ja innerhalb der Öffentlichkeit gar nicht so gewürdigt wird, wie
manche einzelne Vertreter von Gewerkschaften noch annehmen. Da sie
die Resolutionen doch immer im selben Geist und im selben Fahrwasser
bewegen und keinerlei neue Gesichtspunkte mit sich bringen, gehen
sie im Grunde genommen in der öffentlichen Meinung vollkommen unter.

Im Ministerrat wurde nach der Tagesordnung, die vollkommen problemlos
wie immer angenommen wurde, ein Bericht des AM Kirchschläger über
seine Russlandreise gegeben. Kirchschläger hat sehr geschickt,
dadurch dass er wenige Journalisten und vom Rundfunk sogar Dalma


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mitgenommen hat, eine sehr gute Presse gehabt und ich habe ihm dies
auch schon bei seiner Rückkehr ausdrücklich gesagt. Ich freue mich wirk-
lich über seine Erfolge und er weiss dies auch zu würdigen, da er ja
aus der Regierungszeit vorher genau kennt, wie die Minister früher auf-
einander nicht nur änglich über ihre Kompetenzen gewacht haben, sondern
was noch viel schlimmer war, einer dem anderen nichts vergönnt haben.
Kirchschläger berichtete, dass er im Punkt EWG-Verhandlung mit den Russen
keinerlei Gespräche in der Richtung geführt hat, dass das Placet oder
die Zustimmung von ihnen erwartet hätte oder auch nur erwünscht hätte.
Da er auf dem Standpunkt steht, wir haben diese Verhandlungen als neutra-
ler Staat eben zu führen und letzten Endes dann die Sowjetunion davon
zu verständigen, so wird auch nicht von ihm beabsichtigt, die Russen
jetzt schon zu irgend einer Stellungnahme zu drängen. Eine Zustimmung
ist ja in der jetzigen Phase überhaupt nicht zu erwarten und jedwede
Diskussion könnte daher nur mit den Russen negativ verlaufen. Seine Be-
sprechungen über die Raketen-Anschaffung wurde auch insoferne positiv
abgeschlossen, da sich die Russen bereiterklärten, wenn man die Raketen
bei ihnen bestellen würde, sie sich vorstellen könnten, dass man eine
besondere Auslegung des Staatsvertragsartikel 13 anstreben könnte.
Kirchschläger wird jetzt mit den anderen drei Signatarstaaten Verhand-
lungen aufnehmen, ob und inwieweit diese zustimmen, steht noch vollkommen
offen. Sicher ist, dass Podgorny ihn wissen liess, dass er die Bedin-
gung, dass nämlich nur russische Raketen oder zumindest ein Grossteil
russischer Rakenten gekauft werden sollten, nicht gerne in der Öffent-
lichkeit bekannt haben möchte, da er auf dem Standpunkt steht, das würde
einen schlechten Eindruck machen. Er will nicht den Eindruck erwecken,
als ob Russland uns als kleinen Staat dazu zwingen wollte, dass wir ihre
Raketen kaufen. Vom handelspolitischen Standpunkt wäre eine solche
Lösung allerdings sehr zu begrüssen, da wir dadurch jedwede Sorge
des Überhanges unseres Clearings los wären. Harte Auseinandersetzungen
berichtete Kirchschläger gab es wegen der Sicherheitskonferenz. Diese
Konferenz wurde seinerzeit von Österreich und Finnland sehr forciert
und hat den Russen und den ganzen Oststaaten sehr gefallen. Kreisky hat
nun im Europa-Rat in Strassburg darauf hingewiesen, dass auch der Nah-
ostkonflikt zur Sprache kommen könnte. Dies war natürlich nicht als Be-
dingung gemeint, die Russen aber insbesondere Gromyko fassten es aber
als eine complicio sinecanon auf und war deshalb sehr verstimmt. Kirch-
schläger
hat deshalb das Gespräch bei Podgorny benützt, um alle die
positiven Elemente, die er vortragen wollte, nicht Gromyko, sondern eben


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Podgorny zu sagen. Dadurch kam es zu diesen längeren Audienzen bei
Podgorny, der in der österreichischen Presse einen so guten Widerhall
gefunden hat. Man sieht, dass er dadurch, dass er Journalisten mitgenommen
hat und sehr geschickt diese Auseinandersetzung mit Gromyko unterspielte,
dann die Besprechung bei Podgorny besonders herausstrich, der Eindruck
entstanden ist, dass Kirchschläger nicht nur sehr aktiv und sehr efolg-
reich gewesen war, sondern auch die ganzen Verhandlungen in seinem Sinne
geführt werden könnten. Kreisky teilte mit, dass man ihm in Brüssel ge-
sagt hätte, dass die EWG beabsichtige, zwischen den neutralen Staaten
und der EWG nur ein Arrangement einer Freihandelszonenregelung ins Auge
zu fassen. Ich erwiderte sofort, dass uns dies nur recht sein könnte,
denn bei den jetzigen Verhandlungen hatten wir auch auf eine solche
Lösung hingearbeitet, ohne allerdings jemals der Wort Freihandelszone
oder einen sonstigen Ausdruck zu gebrauchen. Eine Zollunion kommt ja nach
Auffassung Kirchschlägers und mir überhaupt nicht in Frage. Kreisky
meinte, es gäbe, wenn es zu einer solchen Regelung kommt, das grosse
Problem mit Schweden, da dieser Staat infolge seiner Verbindung zu den
anderen nordischen Staaten – Dänemark und Norwegen, die Mitglieder
sind oder werden wollen – dann nicht mehr so funktionieren würde, wie
sich Nordegg dies vorstellt. Dies ist allerdings ein spezifisch
schwedisches Problem und berührt uns natürlich nur am Rande. Kreisky
wurde während der Ministerratssitzung von Schweden verständigt, dass
der Ministerrat, der ebenfalls um diese Zeit tagt, jetzt beschlossen hat,
ein grosses Stahlwerk zu vergeben und dass die Ruhr AG, die deutsche
Anbotsfirma und die VÖEST preislich gleich liegen, obwohl sie technisch
auch vollkommen gleichmässige und gleichwertige Offerte vorgelegt
haben. Er ersuchte Veselsky Koller vertraulich sofort über diese Mit-
teilung zu verständigen. Ich konnte mir nicht verkneifen ganz offen
zu sagen, dass diese unsere Vorgangsweise ganz richtig ist, dass ich
aber sicher bin, dass zwar nicht seine Informanten die deutschen gleich-
zeitig verständigen, dass es aber sicher wenn nicht aus der Regierung
heraus, so aus den Beamten eine entsprechende Mitteilung an die deutschen
Konkurrenten ergangen sein wird. Kirchschläger teilte zwar meine Meinung,
wie er mir ins Ohr flüsterte, sagte allerdings dies nicht offen. Freihsler
nahm das erste Mal wieder an einer Ministerratssitzung teil, wurde auch
entsprechend freundlich begrüsst, macht aber einen sehr kranken Eindruck.
Man kann bei ihm feststellen, wie er sich wirklich dazu zwingt, seinen
Dienst zu versehen.



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Nach der offiziellen Ministerratssitzung begannen unverzüglich –
ohne Beamte – die Besprechungen über das grosse Kompetenzgesetz.
Wir konnten uns verhältnismässig sehr schnell über die noch
offenen Fragen des allgemeinen Teiles des Kompetenzgesetzes einigen.
Die Organisationsform der Ministerien wird nach unserem Entwurf
wesentlich anders sein als dies Loebenstein vom Verfassungsdienst
für seine Bürokollegen und Sektionschefsfreunde vorgesehen hat.
Nach dem jetzt ausgearbeiteten allgemeinen Teil wird der Minister
wirklich die volle Ministerverantwortung tragen können, da er sich
sein Büro und vor allem einmal sein Ministerium nach ganz anderen
Grundsätzen organisieren kann als dies auf Grund des jetzigen
hierarchischen Schemas möglich ist. Kreisky wurde deshalb bei
der anschliessenden Pressebesprechung immer wieder auch gefragt,
ob er nicht darin eine gewisse Einschränkung der Beamtenspitze,
Sektionschefs, Ministerialräte usw., sähe, und dadurch ein gewisser
grosser Widerstand bei den Beamten und deren Vertreter zu erwarten
sei. Er konterte sehr gut, indem er darauf hinwies, dass die
Beamten ja durch das Beamtenschutzgesetz hinlänglich geschützt seien
und er sich nicht vorstellen könne, dass ein Beamter gegen eine
moderne Organisationsform etwas einzuwenden hätte. Über die Auf-
teilung der Kompetenzen machte er nur Bemerkungen, dass das Handels-
ministerium sehr wohl sehr gestärkt würde werden, dass aber eine end-
gültige Fassung noch nicht vorliegt, da wir über diese nächste Woche
erste verhandeln werden. Ich selbst konnte Kreisky nachher davon
überzeugen, dass ich vom politischen Standpunkt aus gesehen eine
wirkliche Kompetenzanhäufung in meinem Ministerium entweder nach
dem Wirtschaftskonzept der SPÖ als einen positiven Schritt werde
verzeichnen können, wenn es allerdings zu solcher Anhäufung nicht
kommen sollte, dann ich noch immer politisch jederzeit erklären
werde, dass die Bundeshandelskammer – mit der ich ja in engstem
Einvernehmen vorgehen will – hier ja gegen das Superministerium
grösste Bedenken geäussert hat. Wenn also die anderen Minister
oder er selbst seine Politik oder Taktik gegenüber einer Kompetenz-
ausweitung des Ministerium geändert hat, so würde dies zwar vom
sachlichen Standpunkt nicht richtig sein aber politisch gesehen
mich nicht allzu schwer gegenüber den Gegnern treffen. Innerhalb
der eigenen Partei würde dies allerdings nicht ganz verstanden
werden.



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Kreisky hat ja seinerzeit z.B. was seinen Ressortbereich be-
trifft mir ohne dass ich dies verlangt hätte die Kompetenz über
den ERP-Fonds übertragen wollen. Innerhalb seiner Bürokratie
hat es nun einen solchen Aufstand gegeben, dass er als möglichen
Vermittlungsschritt jetzt vorsehen will, dass das Handelsmini-
sterium ganz besonders in der Strukturpolitik in der ERP-Frage
eine Kompetenz zumindestens aber eine bedeutendere Mitkompetenz
bekommen sollte. Er wird sich jetzt selbst überlegen und mit
seinen Leuten beraten, wie er eine solche Formulierung finden kann.
Ich glaube dass meine Taktik noch immer richtig ist, nicht allzu
sehr innerhalb der Regierungsfraktion zu erkennen lassen, dass
ich unter allen Umständen alle Wirtschaftskompetenzen bekommen
sollte.

Die Studenten der Filmakademie – dies ist eine Sektion der
Hochschule für angewandete Kunst – hatten mich für die Filmförderung
zu einer Diskussion in die Metternichgasse geladen. Haeusserman
und mindestens ein halbes Dutzende Professoren waren bei dieser
Diskussion ebenfalls anwesend. Der grosse Wortführer der Studenten
war der Sohn von Teddy Prager, den ich bereits als Volontär in
der Arbeiterkammer kennengelernt hatte. Im Laufe der sehr intensiven
und fast zwei Stunden dauernden Diskussion wurde von seiten der
Studenten aber auch der Professoren immer wieder die Frage gestellt,
wie man zweckmässigerweise eine österreichische Filmförderung auf-
bauen sollte und könnte. Die Studenten aber auch natürlich die
Professoren hatten in der Filmförderung der anderen Staaten gelesen
und stehen auf dem Standpunkt, wir müssen in Österreich ebenfalls
ein solches Konzept entwickeln. Prager selbst war allerdings
wirklich schlau und einsichtig genug, gleich am Anfang darauf hinzuwei-
sen, dass man dieses Gesetz ausschliesslich nach einem wirtschaft-
lichen Konzept ausrichten müsste. Ich stimmte deshalb sofort mit ihm
überein, dass ein solches Konzept derzeit nicht existiert, dass
die Besprechungen, die ich bis jetzt mit der Filmindustrie aber
auch mit den Kinobesitzern gehabt habe, ja ein solches Konzept
noch nicht bekannt ist und auch noch nicht in meinem Ministerium
erarbeitet wurde. Da nun in der Regierungserklärung von der Film-
förderung ausdrücklich geredet wird, Kreisky hat das ja seinerzeit
aufgenommen, ohne natürlich auch konkrete Vorstellungen zu haben,
so verlangen jetzt die Studenten aber auch die Professoren, dass
dieser Punkt der Regierungserklärung in Angriff genommen wird.



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Da Androsch aber derzeit keine finanziellen Mittel dafür bereit-
stellen kann, so werden wir ein Konzept erarbeiten müssen, wo sowohl
die Filmindustrie als auch die Kinobesitzer aber vor allem auch der
Rundfunk, d.h. das Fernsehen herangezogen werden soll. Natürlich wird
noch immer dann ein Grossteil der Subvention vom Staat aufgebracht
werden müssen. Haeussermann meinte dann im Laufe der Diskussion, ob
ich eine Möglichkeit sehe, dass die Studenten mit den Professoren
zusammen – wobei es natürlich auch differenzierte Auffassungen
in dem einen oder anderen Punkt geben kann – an einem solchen Konzept
mitarbeiten dürften. Ich konterte sofort, indem ich feststellte, nicht
nur dürften sondern ich erwarte und wünsche eine solche Mitarbeit.

Der Berghauptmann von Wien, Dr. Bornberg, wollte mit mir sprechen, da
van Sickle in grossen Schwierigkeiten wegen einer Erbschaftsauseinander-
setzung geraten würde. Er machte mir auch gleich den konkreten Vorschlag,
dass ich mich, nachdem die Besitzerin von van Sickle, Frau Krasa, die
Freundin und Erbin dieses Unternehmens, welche jetzt die Raffinerie und
Bohrungen an die Witwe herausgeben sollte, immer wieder erklärt, dass
ich mich um den Betrieb verdient gemacht habe, aufzufordern, gegebenenfalls
aussergerichtlichen Vergleich mit der Witwe anzustreben. Auf meinen
Vorschlag hin entwarf er gleich einen sehr vernünftigen Brief. Man
sieht, dass dieser Mann sehr aktiv ist und auch wirklich Probleme richtig
anpackt.

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Tagesprogramm, 2.2.1971

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04_0133_02

Tagesordnung 39. Ministerratssitzung, 2.2.1971

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Tätigkeit: Finanzminister
GND ID: 118503049


Einträge mit Erwähnung:
    Tätigkeit: Besitzerin (?) Fa. van Sickle [Zusammenhang ist offenbar ein Erbschaftsstreit]


    Einträge mit Erwähnung:
      Tätigkeit: sowj. Außenminister


      Einträge mit Erwähnung:
        Tätigkeit: ÖGB


        Einträge mit Erwähnung:
          Tätigkeit: ÖGB-Präs., NR-Präs.
          GND ID: 119083906


          Einträge mit Erwähnung:
            Tätigkeit: Prof. Hochschule für Musik und darstellende Kunst, Theaterdirektor


            Einträge mit Erwähnung:
              GND ID: 118996258


              Einträge mit Erwähnung:
                Tätigkeit: Verteidigungsminister


                Einträge mit Erwähnung:
                  Tätigkeit: ORF


                  Einträge mit Erwähnung:
                    Tätigkeit: GD VÖEST


                    Einträge mit Erwähnung:
                      Tätigkeit: [Vorname?; Sohn von Theodor Prager; 1971 bei einer Diskussion über Filmförderung; JS als Volontär in der AK bereits bekannt]


                      Einträge mit Erwähnung:
                        Tätigkeit: Bundeskanzler
                        GND ID: 118566512


                        Einträge mit Erwähnung:
                          GND ID: 12254711X


                          Einträge mit Erwähnung:
                            Tätigkeit: Außenminister, Bundespräsident
                            GND ID: 118723189


                            Einträge mit Erwähnung:
                              Tätigkeit: Wiener Berghauptmann


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                                Tätigkeit: Vors. d. Präsidiums des Obersten Sowjet


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