Donnerstag, der 10. Dezember l970
Es ist doch gut, daß ich so zeitig früh zu arbeiten beginne.
Die Volkspartei hatte in ihrer Belangsendung einen schweren
Angriff gegen das Handelsministerium, das heißt gegen meine
Person eigentlich, gestartet. Sie behauptete, daß ich gegen
die Verbleiung des Benzines nur einen Scheinkampf führe. Nach
ihrer Auffassung hätte ich überhaupt noch nichts gegen diese
Gefahr der Luftverpestung unternommen. Die von mir in Aus-
sicht genommene erste Etappe der Senkung des Bleigehaltes von
Benzin auf 0,7 Milligramm pro Liter sei eine reine Augenaus-
wischerei, denn derzeit beträgt das Bleigehalt von Benzin nur
0,44 Milligramm. Von den einzelnen Ländern wurden außerdem
Ziffern genannt, die angeblich dort derzeit einen wesentlich
tieferen Bleigehalt von Benzin beinhalten als wir in Österreich
anstreben. Diese Bleigehaltsziffern sind mir teilweise bekannt
als das Ziel, das in diesen Ländern erreicht werden will und
keinesfalls die in Kraft stehenden Höchstziffern. Zum Beispiel
will man im Rahmen der EWG den Bleigehalt mit 0,4 mg pro Liter
erreichen, hat aber gleichzeitig auch Ausnahmen vorgesehen
bis zum Jahre 1975. Im Parlament, wo wir von 9 Uhr vormittags
bis 9 Uhr abends ununterbrochen tagen, nutzte ich deshalb die
Gelegenheit um Mussil auf diese falschen Unterlagen aufmerksam
zu machen. Er ärgerte sich, zumindesten nach außen hin, sehr
über diese falschen Behauptungen und sagte, er hätte von dieser
Sendung überhaupt nichts gewußt. Er sei zwar als Vorsitzender
des Arbeitskreises Wirtschaft zu fragen, doch hätte er nicht
genügend Zeit um sich um alles zu kümmern, deshalb könnte so ein
Unsinn geschehen. Ich offerierte ihm neuerdings, er sollte doch
in der ÖVP den Sachbearbeitern sagen, daß sie sich Material
von mir holen können, bevor sie so falsche Behauptungen aufstel-
len. Nach Aussage gibt es aber in der ÖVP dafür keine Sachbe-
arbeiter, denn das war der Grund warum man ihn eben zum Vor-
sitzenden dieser Arbeitsgruppe Wirtschaft gemacht hätte. Mussil
schlug vor, im Kapitel Handel sollte ein SPÖ-Redner dieses
Problem in Angriff nehmen. Er würde darauf nicht antworten.
Ich weiß nicht ob es zielführend ist, daß wir uns dieser
Methode bedienen. Koppe müßte entscheiden ob es nicht besser
ist, wenn wir uns selbst gegen diesen unsinnigen Angriff ent-
sprechend zur Wehr setzen.
Die Koordinierung über die Gesetzesvorschläge, die von anderen
Ministerien zur Begutachtung in das Handelsministerium kommen,
funktioniert glaube ich jetzt sehr gut. Bevor Dr. Schwarz und
Dr. Zuser, die beide die Betriebsrätegesetz-Novelle bearbeiten,
eine Stellungnahme abgeben, wollten sie eine Aussprache mit mir.
In stundenlangen Sitzungen konnte ich ihren Standpunkt kennen-
lernen. Als aktiver Gewerkschafter fällt es mir allerdings
sehr sehr schwer erkennen zu müssen, daß manche Forderungen
des Sozialministeriums wirklich nicht haltbar sind. Die beiden
werden nun mit dem Sozialministerium entsprechende Besprechungen
aufnehmen um unsere Bedenken dort anzumelden. Bevor sie die
Stellungnahme dann endgültig abgeben, werden sie mir eine dies-
bezügliche Information zukommen lassen, aus der ersichtlich
ist, wo das Sozialministerium wahrscheinlich unsere Einwendungen
berücksichtigen wird und wo sie glauben, daß wir weiterhin
Kritik an der Stellungnahme des Sozialministeriums üben müssen.
Ich habe dann vor, diese Probleme Häuser Rudi auf kurzem Wege
zur Kenntnis zu bringen und hoffe dadurch mich mit ihm besser
abstimmen zu können. Die beiden meinten auch wir müßten unbe-
dingt auch die Stellungnahme der Handelskammer abwarten und
berücksichtigen. Ich sprach mich gegen diese Idee aus, da die
Handelskammer bis jetzt immer noch verspätet die Stellung-
nahme abgegeben hat. Wenn wir dann zugewartet haben, haben wir
den Termin meistens überschritten. Das letzte mal bei dem
Sozialversicherungsgesetz respective den Angestelltengesetz-
Novellen hat uns dies gepaßt, weil wir dadurch im Haus das
Gesicht wahren konnten, ohne daß wir die harte Kritik der
Abteilung dem Sozialministerium respective dem Justizministerium
übermitteln mußten. Auf die Dauer allerdings, glaube ich, daß
ich diese Politik im eigenen Haus nicht durchstehen könnte. Ich
habe deshalb beiden erklärt, wir würden wenn es irgendwie mög-
lich geht den Termin über die Begutachtung dem Sozialministerium
gegenüber einhalten.
Kommerzialrat Waltersam und der Freie Wirtschaftsverbands-
Vertreter des Gast- und Schankgewerbes, Wild, kamen um neuer-
dings die Angelegenheit Tchibo mit mir zu diskutieren. Sie
wollten unbedingt, daß ich meinen Standpunkt revidiere und
Tchibo keine Konzessionen gebe. Wild behauptete, er hätte den
Beweis, daß Mitterer Tchibo bereits in Hamburg vor Jahren zugesagt
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hätte, daß sie in Österreich ihren Kaffeehandel und auch den
Ausschank durchführen dürften. Dann allerdings hätte er die
Akten in seinem Ministerium ja immer liegengelassen und ich sollte
genau die selbe Politik betreiben. Nach Wilds Mitteilung hat
Jagoda, als Leiter der Abteilung im Magistrat der Stadt Wien,
bis jetzt alle Konzessionen abgelehnt und erklärt, daß dies
rechtlich vollkommen einwandfrei sei und deshalb Tchibo niemals
eine Ausschankkonzession hätte kriegen dürfen. Ich erklärte
den beiden, daß ich nur nach Gesetz vorgegangen bin und weiter-
hin vorgehen werde.
In der ÖGB-Fraktion berichtete Kreisky über die Verhandlungen
bezüglich der Wehrdienstzeitverkürzung, Benya und Klenner über
die Express- und Pressehaus-Affaire und ich über die Wirtschafts-
gesetze und Marktordnungsgesetzverlängerung. Das Forum ist
natürlich sehr sehr groß, sodaß sich eigentlich eine intensive
Diskussion über keines dieser drei Probleme wirklich entwickelt
hat. Sowohl die Fraktion als auch der Parteivorstand dienen
in Wirklichkeit nur um die Genossen zu informieren. Die Beschlüs-
se – und dies weiß ich ja aus jahrzehntelanger Erfahrung –
werden in Wirklichkeit in kleinsten anderen Gremien oder über-
haupt nur in persönlichen Besprechungen zwischen Spitzenfunktio-
nären festgelegt. Manchmal aber gibt es dann einzelne Probleme,
die – wie z.B. die Politikerbesteuerung – einen sehr großen
Unmut auslösen und dann innerhalb der Partei oder des Klubs
doch diskutiert werden. Sowohl Kreisky als auch Benya, beide
zwei bedeutende Spitzenpolitiker, müßten hier viel mehr koope-
rieren oder vor allem aber viel mehr aufpassen, daß sie nicht
in den Verdacht kommen, einsame Beschlüsse in ihren Institutionen
zu fassen.
Da manche Minister oder auch Firnberg als Raucherin gelten,
und daher sehr unglücklich sind, wenn sie längere Zeit auf der Regie-
rungsbank sitzen müssen, so löse ich sie – ohne, daß ich dazu aufge-
fordert werde – "auf ein Zigaretterl" wie ich es immer aus-
drücke, ab. Bei dieser Gelegenheit war Regensburger gerade am
Wort und als er mich erblickte meinte er, er hätte sowieso
jetzt auch feststellen müssen, daß der Handelsminister ein
Beirats-Minister sei und er hätte jetzt einen Beirat errichtet
oder so etwas ähnliches, wo das Land Tirol (er ist ja ein
Tiroler Abgeordneter) in einer Fremdenverkehrsfrage nicht
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vertreten sei. Ich antwortete zwar nicht offiziell, aber nach
seiner Ansprache plauderte ich von der Regierungsbank mit ihm,
was er denn eigentlich gemeint hätte. Er meinte er kenne sich
auch nicht genau aus, aber Westreicher, ein Hotelier aus Tirol,
würde den Fall sehr genau kennen. Als ich dann mit Westreicher
darüber zu debattieren begann, konnte mir auch er nicht genau
sagen um was es sich gehandelt hätte. Der neue Wirtschaftslandes-
rat und Fremdenverkehrsvertreter in Tirol, Dr. Basetti, der bis
jetzt Abgeordneter und sogar Vorsitzender des Handelsausschusses
gewesen ist, hätte ihm nur mitgeteilt, daß Tirol ausgeschaltet
wurde. Im Laufe der Diskussion kam ich dann darauf, daß sie
folgendes meinten. Bei meiner Vorsprache bei den Finanzlandes-
referenten hatte Gleissner erklärt, er wird mir mitteilen, welches
Komitee in Zukunft die Besprechungen mit Beamten meines Hauses
führen wird. In dieser Angelegenheit hat mir die Verbindungs-
stelle der Bundesländer einen Brief geschrieben, wo sie eben
ein Komitee nominieren in dem Tirol nicht vertreten ist. Ich
habe diesen Brief sofort den Tiroler Abgeordneten allen gezeigt
und Westreicher erklärte, er sei dafür sehr dankbar, denn er
wollte dieses Problem bei der Budgetdebatte Handelskapitel zur
Sprache bringen. Einerseits war es hier falsch, daß ich sie
vorzeitig informiert habe, denn ich hätte eine gute Erwiderungs-
möglichkeit im Haus gehabt – nämlich nicht ich sei schuld, wenn
Tirol nicht vertreten sei sondern Landeshauptmann Gleissner –
andererseits aber habe ich wieder meine Loyalität gegenüber der
ÖVP bewiesen. Ich glaube aber, daß wir aus diesem Vorfall für
die Budgetdebatte folgende Lehre ziehen sollten. Koppe und
Wanke, als auch Heindl, vielleicht sogar auch Gehart, müßten
nicht nur anwesend sein sondern bei jedem Angriff, den ein ÖVP-
Abgeordneter startet, sofort den nächstsprechenden SPÖ-Abgeord-
neten auf das Gegenargument aufmerksam machen, damit dieser
sofort auf die Angriffe antworten kann.
Tagesprogramm, 10.12.1970