Montag, 23. März 1981
Dieser Tag stand ausschließlich im Zeichen des politischen Tagesgesche-
hens der Fraktionsarbeit. Gerade, daß ich zwischendurch ein paar Akte
erledigte, ansonsten mußte ich mich aktiv oder passiv ausschließlich
mit den Problem des AKH rumschlagen.
Die Lebensmittelarbeiter hatten ihren Gesamtvorstand zur Vorbereitung
ihres Gewerkschaftstages im Juli. Der erste Tag war den Fraktionen ge-
widmet. Unser Fraktionsobmann Zentralsekretär Blümel ersuchte mich na-
türlich, bevor die Erweiterte Vorstandssitzung im Wr. Rathaus stattfand,
über die politische Situation zu berichten. Anstelle eines großzügigen
und lange dauernden Berichtes wurde Vormittag und Nachmittag eine gründ-
liche und heftige Diskussion mit über 2 Dutzend Diskussionsrednern. Im
Gesamtvorstand sind sämtliche Bundesländer vertreten. Leider mußte auch
ich feststellen, obwohl ich mich dagegen stemmte, daß eine gewisse
neuerliche Tendenz, die Wiener sind an allem schuld, schön langsam, aber
sicher würde ich sagen, sich entwickelt. Der Tenor der Diskussion aber
war, oben wird zu viel gestritten, jede Meinungsdifferenz auch in sach-
licher Beziehung wird als Uneinigkeit, Führerlosigkeit, Profilierungs-
sucht usw. bezeichnet. Was nach wie vor gewünscht wird, was in unserer
Partei eben selbstverständlich ist, die oben müssen wissen, was sie
wollen, die Meinungen müssen konkret abgestimmt sein und nach außen
darf keine differente Auffassung dringen. Mehr noch als die Sachprobleme
sind davon die Personaldiskussion betroffen. Auf der anderen Seite aber
war für mich interessant, doch immer wieder feststellen zu können, daß
man wünscht, daß nicht der Wasserkopf oben alles bestimmen soll, sondern
daß man viel mehr auf die Basis hören müsse. Die Basis müsse viel mehr
in der Diskussion eingeschaltet werden, sonst könne es passieren, wie
dies jetzt teilweise der Fall ist, daß die Basis eben sagt, ohne uns.
Wenn aber erst einmal die kleinen Funktionäre nicht mehr mittun, nicht
mehr kämpfen, sich nicht mehr dem Andersdenkenden entgegenstellen, dem
demagogisch angreifenden Gegner nicht widersprechen, dann bedeutet dies
einen schweren Rückschlag für die Partei.
Bei der Erweiterten Vorstandssitzung wurde dies dann auch durch eine
spezielle Meinungsumfrage, präsentiert von Sekretär Edlinger, eindeutig
bestätigt. Die Wiener SPÖ hat eine spezielle Erhebung nur unter Genossen
veranlaßt. Ein 366-Interviewten-Sample genügt vollkommen, um auf alle
Wiener SPÖ Mitglieder schließen zu können. Strengst vertraulich wurde
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erhoben und mitgeteilt
regelmäßig | fallweise | nie | |
Kronen-Zeitung | 47 | 41 | 12 |
Kurier | 25 | 47 | 28 |
AZ | 31 | 32 | 37 |
Presse | 4 | 17 | 78 |
Wochenpresse | 1 | 9 | 89 |
Profil | 2 | 27 | 79 |
Bez.Journal | 73 | 17 | 9 |
Aus dieser Aufstellung ist klar und deutlich ersichtlich, daß noch
mehr als Kronen-Zeitung und Kurier die Bezirksjournale gelesen werden.
Zukünftig wird man daher noch mehr Aufmerksamkeit diesen Bezirksjourna-
len zuwenden.
Interessant war dann für mich besonders die Aussage, wie die Genossen
sich zur Aktivität für die Wiener Partei resp. für die Bundesangelegen-
heiten äußerten: "Wie oft loben Sie die SPÖ im Bund?", 57 % oft, 39 %
selten, 4 % nie; "Wie oft loben Sie die Wiener SPÖ?", 39 % oft, 51 % sel-
ten, 8 % nie; "Wie oft kritisieren Sie die SPÖ im Bund?", 7 % oft, 66 %
selten, 26 % nie; "Wie oft kritisieren Sie die Wiener SPÖ?", 9 % oft,
65 % selten, 25 % nie.
Während also die Kritik an Wien und Bund ziemlich gleich blieben, war
doch ein wesentliches öfteres Loben der Bundes-SPÖ eindeutig festzustel-
len gegenüber der Wiener SPÖ. Fast würde man sagen, dort gibt es eben
weniger zu loben.
Entscheidend für mich aber waren die Fragen, die das AKH betreffen. 84
% der Interviewten hatten von der Verschwendung des AKH gehört. 32 %
meinten, die Kritik sei berechtigt, 45 % teilweise, 21 % nur meinten,
überhaupt nicht. Von einem Mangel der Bauaufsicht im AKH haben 93 % ge-
hört, 60 % betrachten es als berechtigt, 24 % teilweise, 11 % gar nicht
berechtigt. Auf die Frage, ob die Korruption gedeckt wird, meinten
68 % davon hätten sie gehört, 20 % berechtigt, 31 % teilweise berech-
tigt, 44 % unberechtigt.
Die Frage, ob jemand mehr leistet als die SPÖ in Wien, meinten 76 % nur
unter den Genossen, dies stimmt, 19 % stimmt teilweise, 5 % sogar, das
stimmt nicht. Wesentlich interessanter aber und typisch war die Frage,
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ob in der Gemeindeverwaltung das geschieht, was die SPÖ will, 36 %
meinten, das stimmt, 23 % nur teilweise und 40 % sagten, das stimmt nicht.
Noch typischer die Aussage aber, ob der Bürgermeister entsprechend unter-
stützt wird, 38 % stimmt, 37 % teilweise, 20 % stimmt nicht.
Diese letzten beiden Frageergebnisse sind eigentlich verheerend. Diese
Meinung unter Sozialisten zeigt deutlich, daß es in der Gemeindeführung
und vor allem in der engeren Staatssenats kollektiven Zusammenarbeit
sehr mangelt.
Gratz hatte einleitend festgestellt, daß in den Medien alles falsch oder
unzulänglich interpretiert wurde. Eine Rücksprache, die er mit Kreisky
hatte, zeigte eindeutig, daß auch dieser keine personalpolitischen Kon-
sequenzen, also, wenn man so will, ein Köpferollen in der Gemeindeverwal-
tung verlangt hat. Die personellen Kombinationen in der letzten Zeit
waren nur Spekulationen, Aufgabe ist es jetzt nicht nur zusammenzustehen,
sondern auch alles zu tun, damit dieser schwere Schlag des Kontrollamts-
berichtes, der jetzt in der Öffentlichkeit von der gegnerischen Seite
rücksichtslos ausgenützt wird, zu parieren. Dieser Rohentwurf des Kon-
trollamtsberichtes kam deshalb jetzt in die Diskussion, weil der National-
ratsuntersuchungsausschuß über das AKH den einstimmigen Beschluß faßte,
diesen Rohbericht übermittelt zu bekommen. Die Stadträte, die sich dann
in der Diskussion zu Wort meldeten, insbesondere Finanzstadtrat Mayr,
meinten, niemand hätte Gelegenheit gehabt über die Details mit dem Kon-
trollamt zu diskutieren. Viele dieser kritisierten Punkte könnten be-
stimmt aufgeklärt werden. Z.B. wurde von Mayr die zweimalige Verrechnung
der Eröffnungsfeier dahingehend richtiggestellt, daß sie selbstverständ-
lich nur einmal stattfand, das zweite Mal war eine Verrechnungspost, weil
die Eröffnung der Baustelle für die Allgemeinheit schnell vorbereitet
werden mußte. Die Differenzen in der Klimatisierungssummeabrechnung waren
zuerst ohne Mehrwertsteuer, zuletzt aber dann mit Mehrwertsteuer, was
gleich eine Differenz von 400 Mio. S ergibt.
Gratz meinte, jetzt müsse man so schnell als möglich bis 83 zur nächsten
Wahl sachliche Arbeit leisten. Der größte Wahnsinn parteimäßig wäre es
aber, wenn man jetzt nicht entsprechend reagiert und dann 83 die wohlge-
ordnete Stadt der ÖVP übergeben würde. Das erklärte Ziel muß natürlich
eine gewonnene Wahl im 83-er Jahr sein, das heißt, daß unter allen Um-
ständen die SPÖ-Führung gesichert bleibt.
Die ÖVP, insbesondere deren Wiener Obmann Busek, kann in einer Demagogie
sondergleichen, da er keine Verantwortung trägt, nicht nur reden, sondern
auch so agieren. Auf dem Wiener Landesparteitag der ÖVP konnte er sich
daher restlos für die Grünen einsetzen, gleichzeitig aber dann anderen
Rednern zuhören, ohne zu widersprechen, die eine entsprechende Baupoli-
tik, sei es auf dem Wohnbausektor oder in anderen Bereichen, forderten.
Die hessischen Gemeindewahlen hätten klar und deutlich gezeigt, daß sich
der hessische SPD-Spitzenpolitiker Börner, der mit der Wirtschaft gemein-
sam geht und notwendige Maßnahmen verlangt, die Wähler vergrämte, weshalb
er einen schweren Verlust hinnehmen mußte. Andererseits hat im Bundes-
land Baden der dortige Spitzenpolitiker der Sozialdemokratischen Partei
Deutschlands Eppler, der sich extrem Grün gebärdet hat, ebenfalls einen
schweren Verlust hinnehmen müssen. Für mich ist dies kein Widerspruch,
ich glaube nämlich, daß es einzelnen Personen nicht möglich ist, wenn
sie aus der Linie der Partei ausscheiden, sich auf Kosten der Partei pro-
filieren zu können. Dies gilt in der BRD übrigens genauso wie in Öster-
reich.
Mit Recht wurde von den Stadträten und dann auch von den anderen Dis-
kussionsrednern darauf verwiesen, daß dieser AKH-Bericht weit in die
Vergangenheit zurückgeht. Stadtrat Mayr meinte, er sei seit 73 im Amt,
seit dieser Zeit seien überhaupt keine neuen Projekte beschlossen wor-
den außer der Verkehrsverbund. Alle anderen, UNO-City, Konferenzzentrum,
Donauinsel usw., seien mehr oder minder von ihm übernommen worden. Eine
Ausnahme dazu bildete die durch den Einsturz der Reichsbrücke ergebene
Situation, daß man diese und dann auch noch die Floridsdorfer Brücke
neu bauen mußte.
Wunderrezepte gibt es nicht, schon gar nicht von außen und wenn die,
die sie empfehlen, die Details gar nicht kennen und sich damit gar nicht
beschäftigen. Der Bau ist längst vollendet, 7 Mrd. Auftragsvolumen sind
für die Innenausstattung schon vergeben. Das einzige, was noch offen ist,
ist nur mehr die bewegliche Einrichtung. Hier hat mir Mayr dann ver-
sichert, daß alle Anschaffungen, die man jetzt für das alte AKH in den
letzten Jahren getätigt hat, ausschließlich nur mehr bewegliche, d.h.
transportfähige, Instrumente gewesen sind, die eben dann ins neue AKH
mitgenommen werden sollten.
Stadtrat Zilk war über die Personaldiskussion, in die er jetzt auch
als Bürgermeisternachfolger einbezogen wurde, empört. Er hatte bereits
vorher erklärt, und dies auch vor dem EWV, er sei nur unter Gratz Kul-
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turstadtrat, keinem anderen Bürgermeister würde er sowieso dienen, er hat
durch Jahre hindurch im ORF den größten Ärger über die Personalpolitik
und die Kombinationen, die dort immer wieder aufgestellt wurden, gehabt
und er läßt sich jetzt, mit aller Deutlichkeit gesagt, eine solche Perso-
naldiskussion in der Gemeinde nicht gefallen.
Die Frage war, vom Bezirksobmann GR Hofstetter angeschnitten, ob es
nicht zweckmäßig wäre, den Bürgermeister und die Landesobmannstelle
zu trennen. Als Vergleich meinte er, in den Bezirken sei auch der Bezirks-
obmann niemals Bezirksvorsteher. Diese Idee wurde von allen anderen
Diskussionsteilnehmern sofort verworfen. Die Erfahrung, die man in Wien
auch mit der Trennung in der Zeit Slavik Bürgermeister, Probst Partei-
obmann gemacht hatte, waren auch tatsächlich nicht ermutigend. Darüber
hinaus würde dies doch eine gewisse Entmachtung des Bgm. Gratz bedeu-
ten. Einstimmig wurde aber von allen immer wieder versichert, was wir
brauchen, ist einen verstärkten Bürgermeister. Dieser muß jetzt entschei-
den. Auch die Idee, einen Bevollmächtigten für das AKH im Stadtratsrang,
wie der Bezirksobmann NR Schemmer vorgeschlagen hatte, fand nicht die
Zustimmung. Der Vergleich, wie ihn Bez.Obmann Hirsch mit dem brückenbau-
bevollmächtigten Gewerkschaftler der Bauarbeiter Böck nach Einsturz der
Reichsbrücke machte, hinkt.
Treffendst wurde die Lage von Stadtrat Nittel charakterisiert, der meinte,
beim Brückenbaueinsturz war es teils höhere Gewalt und dafür wurde als
Menschenopfer der zuständige Stadtrat Hofmann geopfert. Ob es uns viel
gebracht hat, weiß man nicht, die meisten bezweifelten dies. Jetzt aber
wird gesagt, und dies ist der ärgste Vorwurf, die Sozialisten können nicht
verwalten. Die Zeitungen werden über den Kontrollamtsbericht, wie dies
die Kronen-Zeitung in einer fortgesetzten Serie, "Tag für Tag", macht,
wird durch den Kontrollamtsbericht munitioniert. Die Gegner können jetzt
immer wieder mit der Unterlage, von uns geliefert, uns ganz gehörig an-
greifen. Der größte Fehler war also, diesen Bericht so rauszugeben.
Strengst vertraulich haben ihn ja jetzt gerade die Kontrollausschußmit-
glieder erst erhalten. Tagelang vorher hatte ihn schon der ORF und die
Zeitungen besessen. Greifen also von allen Seiten an und die Leute die
abwehren sollen, sind nicht informiert. Dies war auch die größte Be-
schwerde der meisten Diskussionsredner.
Übereinstimmend wurde glaube ich auch festgestellt, daß ein Wiederholen,
Slavik legt, weil er zu wenig Zustimmung bei den Genossen findet, nieder,
Gratz kommt und macht damit einen ungeheuren guten Erfolg bei der näch-
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sten Wahl, ist nicht wiederholbar und daher, wie GR Pöder , der gleich-
zeitig auch Obmann der Gemeindebediensteten ist, abzulehnen.
Die Zusammenfassung konnte ich nicht mehr abwarten, die Staatssekretär
Albrecht, die zuerst das Journalistenfrühstück betreute, also hier eine
Stunde fehlte, hat dann die Zusammenfassung von Gratz und die letzten
Diskussionsredner mitgehört. Ich möchte, als meine Zusammenfassung dieser
langen Diskussion, die übrigens dann im nächsten Monat fortgesetzt wird,
dahingehend treffen, alles schart sich um den Bgm. Gratz, die Stadträte
sollen kollektiver auftreten und ihre Meinungen amtsratausdiskutieren
und nicht durch gezielte oder weniger gezielte Informationen in den Be-
zirken gegenseitigst Sachdifferenzen dort hineintragen. Wenn es dem Amts-
rat nicht möglich ist zu einer einvernehmlichen Auffassung in einem Pro-
jekt zu kommen, dann sollte man gegebenenfalls in der Erweiterten Vor-
standssitzung darüber sprechen.
Wie verheerend sich die Politik in Wien bis jetzt ausgewirkt hat, zeigt,
daß 3.500 Parteiaustritte, um 30 % mehr zu verzeichnen sind als üblich.
Februar 81 waren nur 242.060 Parteimitglieder, wären im September durch
die Werbeaktion nicht 6000 über dem normalen Abgaben neue Mitglieder
geworben worden, wäre nicht einmal diese Zahl zu erreichen gewesen.
Gegenüber September 80 haben wir 5000 Mitglieder trotz der Werbeaktion
verloren.
Noch verheerender aber ist das Wiener Ergebnis der Parteipräferenzen,
wenn nächsten Sonntag Wahlen wären. Im Februar 80 stand es
SPÖ | ÖVP | Nichtwähler | |
Februar 80 | 51 | 23 | 5 |
nach erster AKH-Meldung | 46 | 25 | 7 |
2. AKH-Welle September | 43 | 27 | 7 |
Dezember neuer Aufstieg d. SPÖ | 47 | ||
seit Jänner, Februar, obwohl in dieser Aufstel- lung dann noch gar nicht der neue AKH-Angriff durch den Kontrollamtsbericht erfaßt wurde |
45 | 29 | 8 |
Diese Aufstellung zeigt, daß wir einen 9 %igen Wählerverlust haben,
dies würde bedeuten, daß wir 8 bis 10 Gemeinderatsmandate verlieren
würden von derzeit 62 SPÖ, 35 ÖVP, 3 FPÖ. Das Verheerende dabei ist,
daß die Nichtwähler, wo im Jahre 80 noch 70 % der SPÖ angehört haben
resp. sie vorher gewählt haben, jetzt auf 90 % gestiegen ist. Diese
Meinungsumfragen, natürlich als streng vertraulich bezeichnet, hatten auf
alle eine Art Schockwirkung. So tief war die SPÖ in Wien noch niemals
gesunken.
Tagesprogramm, 23.3.1981
hs. Notizen (Tagesprogramm Rückseite)