Samstag, 1. Dezember, bis Sonntag, 2. Dezember 1979
Zum ersten Mal besuche ich das neue Angestellten-Schulungs- und
Erholungsheim in Velm. Ungeheuer aufwendig und grosszügig ge-
baut. Dr. Kienzl als Obmann der Kontrollkommission ist entsetzt
über die Ausgaben der einzelnen Gewerkschaften, aber auch des Ge-
werkschaftsbundes für die Neubauten und Erhaltung der einzelnen
Heime der Fachgewerkschaften und des Gewerkschaftsbundes. Kienzl
versuchte vergeblich auf die Kostenbelastungen hinzuweisen. Nach
seiner – wie ich glaube allerdings sehr pessimistischen – Auffassung
sind die Ausgaben des Gewerkschaftsbundes dafür zu hoch. Einzelne
Fachgewerkschaften, wie z.B. der GGV ? mit ihrem grossen Schu-
lungsheim in Lindabrunn ginge daran überhaupt zugrunde, wenn nicht
der Gewerkschaftsbund einspringen würde. Bei den Privatangestellten
ist es natürlich nicht so weit, doch sind auch hier Dutzende Mil-
lionenbeträge aufgewendet worden, die selbst die reiche Ange-
stelltengewerkschaft nicht allein hatte. Der Gewerkschaftsbund hat
hier auch einspringen müssen.
Die Fraktion der Privatangestelltengewerkschaft, die erst in den
letzten Jahren gegründet wurde und jetzt entsprechende Aktivi-
täten entfaltet, schult ihre Spitzenfunktionäre über das Wochen-
ende. Ich erkannte einen Grossteil der dort anwesenden Betriebs-
ratsobleute vom Angestelltenbetriebsrat der Grossbetriebe. Die
für das Personal und Verwaltung in der Angestelltengewerkschaft zu-
ständige Kollegin, eine Tochter eines guten, leider jetzt schon
verstorbenen Funktionärs unserer Lebensmittelgewerkschaft, betraut
jetzt auch die Fraktion. Da Kollegin Wiesinger ihr erklärte, dass
ich nicht bei allen Frühjahrs- und Herbstkursen als Referent zur
Verfügung stehe, hat sich mich verständlicherweise sehr darum
gebeten. Ich habe ihr nichts zugesagt, sondern vor allem einmal
auf den Herbst verwiesen. Einmal im Jahr werde ich hinausfahren.
Dem kann ich sicherlich nicht entgehen. Das Risiko, dass ich dann
wegen Auslandsreise oder sonstiger dringlichster Verpflichtungen
absagen muss, geht sie ein.
ANMERKUNG FÜR WIESINGER: Wenn angerufen wird, bitte Herbsttermin
vereinbaren.
Dr. Kienzl, mit dem ich einen Sonntagsausflug machte, dem Berg-
wanderweg 404 folge ich jetzt wenigsten in der Nähe von Wien,
war angenehm über die Personalvertretungswahlen im Handels-
ministerium überrascht. Nach seiner Meinung werden sie in der
Nationalbank bei der nächsten Betriebsratswahl Verluste er-
leiden. Kienzl führt dies darauf zurück, dass es ihm nicht
geglückt ist, eine Personalpolitik zu betreiben, die glaub-
würdig ist. Die sozialistische Betriebsratsfraktion stellt un-
mögliche Forderungen und selbst individuell meistens für die
Höheren entsprechende, durch nichts zu begründende Lösungen
durch. Ein von ihm angestellter Vergleich mit der Elektrizi-
tätswirtschaft trifft nicht zu, wie ich ihm auch im Einzelnen
nachweisen konnte. Dort haben wir entsprechende Reduktion der
Vorstandsmitglieder in der Verbund, aber auch bessere Regelungen
mit den leitenden Angestellten mehr oder minder einvernehmlich
erzielt. Darüber hinaus erfolgt jetzt die Reorganisation durch
Auflösung der KKWP, GKS, GKT, die unvergleichlich schwieriger
ist als eine eventuelle in der Nationalbank, von der Höhe der
einzelnen Gehälter ganz abgesehen. Ein Direktor der Zweigstelle
der Nationalbank verdient mehr als ein Minister, und hat sarkastisch
ausgedrückt die Funktion, zu sehen, ob die Banken genug neue Bank-
noten zugeteilt bekommen.
Die Fraktion der sozialistischen Gewerkschafter, deren Kontroll-
funktionär ebenfalls Kienzl ist, wird sich jetzt an der Arbeiter-
Zeitung beteiligen. Der Kapitalanteilsbetrag, 6 Mio. Schilling,
ist uninteressant. Entscheidend ist die Deckung der jährlichen
Verluste die in Summe gesehen zwischen 30 und 40 Mio. Schilling
pro Jahr liegt. Der Streit, ob die Zeitung, sprich der Vorwärts-
Verlag, die Druckerei ruiniert oder die Druckerei die Zeitung resp.
den Verlag, ist jetzt eindeutig geklärt. Nach Meinung Kienzl ist es
der Verlag, sprich die Zeitung, die der ausschliessliche Defizit-
verursacher ist. Ohne Details zu kennen, möchte ich mich darüber
nicht so eindeutig festlegen. Fest steht nur, dass Kreisky erklärt
hat, er wird nicht der Parteiobmann sein, der die Arbeiterzeitung
einstellt, die Victor Adler gegründet hat. Mit der neuen Kon-
struktion ist die Partei, zumindestens auch vorübergehend, dieser
Sorge enthoben.
Obwohl Kienzl, für mich aus verständlichen Gründen, jede Personalent-
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scheidung des Gewerkschaftsbundes jetzt unmittelbar nach dem
Bundeskongress für erledigt erachtet, hofft er, um die zu er-
wartenden Schwierigkeiten nicht jetzt schon zu analysieren oder
gar zu berücksichtigen zu müssen, dass Benya nach 1983 neuerdings
Präsident des Gewerkschaftsbundes bleibt. Auch beim Gewerkschafts-
bund meine vor Jahren, jetzt schon Jahrzehnten aufgestellte Theorie,
Kreisky und Benya sterben in ihrem Amt. Die seit Jahren in der
Öffentlichkeit genannten Kronprinzen für Kreisky, Androsch und Gratz,
für Benya Sekanina und Dallinger, werden daher weiterhin warten
müssen. Interessant wie wenig sich, aus welchen Gründen immer,
eine klare Nachfolge derzeit weder in der Partei noch in der Ge-
werkschaft zeigt. Auch dies ist eine neue Entwicklung, die viele
nicht erwartet haben. Ich persönlich halte sie aber für gut, denn
Nachfolgekämpfe womöglich noch während der Amtszeit des Funktions-
trägers sind für eine Organisation äusserst ungünstig. Hier gilt
vielleicht wirklich das Sprichwort "kommt Zeit, kommt Rat".