Freitag, 3. November 1978
Das Pro-Zwentendorf-Komitee hat seine ganzen Wissenschaftler aufgeboten,
um gegen die Behauptung des Anti-Zwentendorf-Komitees, unter Führung
von Universitätsprofessor Tollmann die wissenschaftliche Diskussion
fortzuführen und letzten Endes abzuschliessen. Sehr geschickt ist
Kienzl, der Leiter für Pro-Zwentendorf aufgetreten und hat die Argu-
mente, welche Tollmann in dem Flugblatt des Presse- und Informations-
dienstes der Stadt Wien von jedem einzelnen Wissenschaftlern wider-
legen lassen. Der einzige Fehler war, dass dies 2 Tage vor der Volks-
abstimmung stattgefunden hat. In diesem Zeitraum gab es – und
gibt es, glaube ich, gar keine Möglichkeit mehr, die Bevölkerung zu be-
einflussen. Die Abschlusskundgebung war aber wieder ein grosser
Vorteil, weil sie mächtig war und nicht den letzten Tag den Antileuten
das Feld vollkommen überlassen hat. Die Hauptschwierigkeiten, wie
ich sie bei dieser Volksabstimmung sehe, wurde aber wieder nicht be-
seitigt und konnten auch gar nicht beseitigt werden. Das ist die ge-
spaltene Meinung der Wissenschaftler und damit letzten Endes der Poli-
tiker und daraus abgeleitet der Bevölkerung. Immer mehr höre ich von
Leuten, die uns wohlgesinnt sind, aber auch von ausgesprochenen ÖVP-
Wählern, dass die Verpolitisierung dieser Sachfrage nicht sehr glück-
lich gewesen ist. Ich frage mich immer, gibt es wirklich Menschen, die
glauben, in einer solchen Frage kann es eine reine Sachentscheidung
geben. Wie dieses Beispiel jetzt klar und deutlich zeigt, sind wissen-
schaftliche Probleme dann ebenfalls keine Sachentscheidungen mehr,
sondern, sobald sie von einer grösseren Masse und nicht nur den dafür
zuständigen Wissenschaftlern diskutiert werden, sofort ein Politikum.
Am meisten hat mich eigentlich die Leistung des Pro-Zwentendorf und
dort ganz besonders die Leistung von Sommerbauer beeindruckt. Dieser
von der Verbundgesellschaft abgestellte Sekretariatsmann von Er-
bacher und Bandhauer hat, obwohl er ÖVP-Mann ist, sich wirklich mit
ganzer Gewalt und Energie in diese Aufgabe hineingestürzt. Auch Welser
hat dort, glaube ich, Beträchtliches geleistet. Kienzl selbst war der
dynamische Motor, welcher – manche sagen Dampf-Hans in allen Gassen –
überall war und stets die Aktion vorwärts getrieben hat. Wenn heute die
Partei kritisiert, obwohl sie in Wirklichkeit mit Recht kritisiert wird,
weil sie hier viel zu wenig aktiv geworden ist, so geschieht dies
an dem Pro-Zwentendorf oder besonders an der Person Kienzls aus
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den verschiedensten Gründen. Eines ist auf alle Fälle aber falsch.
Kienzl hat dies im wahrsten Sinne des Wortes selbstlos getan. Er
hätte können als Gen.Dir. der Nationalbank, ja selbst als Kontroll-
obmann des Gewerkschaftsbundes so wie viele andere laschieren oder
vielleicht gar schreiben. Die Partei ist, nicht zuletzt auch durch
die Aktion Sozialisten gegen Zwentendorf, in eine sehr zwielichtige
Situation gekommen. Auf der einen Seite wurde monatelang, ja man kann
sogar sagen, jahrelang variiert , bis der Entwicklungsprozess oder,
wie Broda besser sagt, der Lernprozess so weit fortgeschritten war,
dass man sich dann mit überwältigender Mehrheit auch im Parteivorstand
für Zwentendorf ausgesprochen hat. Natürlich sind in der Zwischenzeit
entsprechende Antistimmen auch in unserer Partei artikuliert worden.
Das dann nicht mehr möglich war, eine einheitliche Parteiauffassung
bis in die letzten Einheiten und insbesondere auch in die befreundeten
Organisationen durchzuziehen, war mir vollkommen klar.
Wie sehr die ganze Propaganda und Gegenpropaganda-Aktion jetzt entartet,
wurde an zwei Beispielen an krassesten Fällen dokumentiert. Stein-
hauser, ein ehemaliger Redakteur vom Kurier, der sich jetzt zu einer
Gewerkschaft der Selbständigen zusammengefunden hat und jetzt eine
Bürgeraktion startet, die sich ausschliesslich gegen den Staat und
deren Organe richtet, hat Benya allen Ernstes beschuldigt, ein be-
zahlter Agent der Atomlobby zu sein. Dieser Mann ist sicherlich ein
Psychopath, der aber doch immer wieder entsprechenden Anhang findet.
Unter anderem ist es ihm gelungen, beim Frächterstreik mit den ein-
zelnen Frächtergruppen entsprechende publicity zu bekommen und sich
sogar jetzt als der Vater dieser ganzen Aktion hinzustellen. Sicher
ist, dass er dort entsprechend mitgemischt hat. Durch diesen Teiler-
folg bedingt, aber vielleicht auch, weil er die Situation der ganzen
Atomdebatte so versteht, jetzt kommt es nur noch darauf an, den
Pro-Zwentendorf-Leuten einen entsprechend spektakulären Schlag zu ver-
setzen, versteigt sich nicht in eine so abstruse Behauptung. Die
Massenmedien bringen diese Sensation und Benya bleibt gar nichts
anderes übrig, als diesen Mann zu klagen. Der zweite Fall ist nicht
weniger typisch. Frau Schmitz, die Organisatorin der Katastrophenhilfe
österreichischer Frauen, welche in der Atomfrage stets die extremste
Stellung eingenommen hat und deshalb sogar von der ÖVP, als diese
sich nicht eindeutig gegen Zwentendorf ausgesprochen hat, abgesprungen
ist, hat jetzt das Aufstöbern eines Gutachtens aus dem Jahre 1960,
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welches ich oder auch Kreisky garantiert nicht gekannt hat, dazu
benützt, um von einer Watergate-Skandal zu sprechen und die Regierung
aufzufordern, zurückzutreten. Jeder vernünftige Mensch lacht nur über
diese beiden Behauptungen. Trotzdem wird aber in der Masse durch die
Massenmedien der Eindruck entstehen, irgend etwas wird schon daran
wahr sein oder es ist zumindestens unerklärlich, dass so etwas ge-
schehen kann. Niemand analysiert die Einzelheiten, niemand prüft
genau, wenn es zu solchen schwerwiegenden Anwürfen kommt, sondern es
wird oberflächlich darüber hinweggegangen. Daß in der Masse der
Bevölkerung aber dann ein schon bestehendes Unbehagen nur noch
selbst durch solche abstruse Behauptungen verstärkt wird, ist für
mich auch klar. Mein Fazit aus all dieser ganzen Situation und der
ersten Volksabstimmung, man muss sich von vornherein sehr genau
überlegen, ob eine Volksabstimmung Platz greifen soll und was mit
dort dann tatsächlich dem Volk zur Entscheidung vorlegen müsste.
Die Hoffnung, mit Hilfe der Volksabstimmung Sachprobleme besser lösen
zu können, als dies eben in einer parlamentarischen Demokratie durch
das Parlament erfolgen soll, hat sich am Beispiel Zwentendorf nicht
bewahrheitet. Ich würde behaupten, ganz im Gegenteil.
Tagesprogramm, 3.11.1978
hs. Notizen (Tagesprogramm Rückseite)