Donnerstag, 10. August 1978
Landtagsabgeordneter Pichler von Saalfelden glaubt allen Ernstes,
dass wir im Handelsministerium für die Firma Hutter, Textilunter-
nehmen, 95 Beschäftigte, einen Betriebsmittelkredit von 4 Mio
Schilling zur Verfügung stellen können. Die Firma hat für einen
ERP-Kredit angesucht und für 1,3 Mio Schilling Kredit Garantie ver-
langt. Das Bundeskanzleramt hat abgelehnt, weil die Untergrenze
1,5 Mio Schilling beträgt. Hätten wir die Auffanggsellschaft, dann
würde auch dies ein Kandidat für diese breite Organisation sein. Je
mehr ich jetzt solche Fälle höre, umso mehr festigt sich bei mir
die Überzeugung, dass eine solche Auffanggesellschaft wirklich
nichts anderes ist als eine unzweckmässige, teure und wahrscheinlich
in den seltesten Fällen Lösung bringende Organisation. Immer wieder
stosse ich auf Firmen, die eigentlich Betriebsmittel bräuchten, in
Ermangelung solcher aber um Investitionskredite einreichen. Ich habe
ihn pflichtgemäss darauf aufmerksam gemacht, dass bis zu 3,750.000
Schilling die Firma über BURGES Investitionskredite bekommen kann.
Ich glaube aber kaum, dass er diese In Anspruch nehmen wird, weil in
Wirklichkeit keine Bank mehr diese Kredite gibt, die ja die BURGES
nur mit Zinsenzuschüssen dann verbilligt,
ANMERKUNG FÜR BURIAN: Kläre bei der BÜRGES, wie sie über solche Fälle
denkt.
In Wien gibt es noch 200 sogenannte Lohnwerkstätten-Selbständige,
in ganz Österreich werden es vielleicht doppelt so viele sein. Diese,
meistens Schneider, haben in der Vergangenheit ganz gut existieren
können. Neben den Maßschneidern oder den Stückmeistern waren sie
eine Art Zwitter von Selbständigen, aber auch mit Unselbständigen-
Versicherung ASVG, die grosse Textilhandelskaufhäuser, aber auch Textil-
händler beliefern. Infolge der kritischen Situation auf dem Beklei-
dungssektor haben sie jetzt immer weniger zu tun. Der Vertreter
des Freien Wirtschaftsverbandes dieser wahrscheinlich verhältnis-
mässig grossen Gruppe sozialistischer Gewerbetreibender, Komm.Rat.
Kratochwila hat deshalb bei uns vorgesprochen, ob das Handels-
ministerium als zuständiger Minister auch für sie, ihnen nicht helfen
kann. Die einzige Möglichkeit wäre, wenn sie sich zu einer Arbeits-
gemeinschaft zusammenschliessen, dann eine grössere Arbeit übernehmen
könnten und vielleicht als Uniformschneider für Hostessen öffentliche
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Dienste usw. mitkonkurrieren könnte. Dies ist aber, wie sie mir
sofort sagten, deshalb unmöglich, weil sie viel zu teuer sind. Der
wahre Grund liegt aber sicherlich noch darin, dass sie als selb-
ständige Unternehmer, die teilweise auch bis zu 5 Arbeiter beschäftig-
ten, wahrscheinlich große Individualisten sind. Die einzige Lösung,
die meiner Meinung nach für sie in Frage kommt, die paar Jahre, die
sie noch zur Pension brauchen, ist, dass sie eine unselbständige
Arbeit annehmen. Dies wollen sie teilweise nicht, teilweise ist
aber durch ihr hohes Alter eine solche auch sicherlich gar nicht
leicht mehr zu bekommen. Burian, der den Genossen Kratochwila vom
Bezirk sehr gut kennt, hat es übernommen, mit dem Sozialministerium
zu reden, wie diesen kleinsten Unternehmen wirklich geholfen werden
könnte. Ihre Idee nämlich, so wie die Bergarbeiter frühzeitig in
Pension gehen zu können, ist vollkommen aussichtslos durchzusetzen,
denn es haben schon andere starke Berufsgruppen wie z.B. Metallar-
beiter, Textilarbeiter usw. versucht ein solches Spezialgesetz auch
für sich zu bekommen und keine Zustimmung beim Sozialministerium
dafür erhalten.
ANMERKUNG FÜR BURIAN: Frag nach, ob die Soziale Verwaltung dieses
Problem kennt und was sie tun könnten.
Eine Aussprache mit dem Repräsentanten der Firma Philips, GD Koning,
und Grundig, Dr. Brandner, die mit dem Fachverbandsekretär Dolinay
und dem Handelskammervertreter Lederleitner gekommen waren, mit
SChef Meisl und mir wegen Zollsenkung für Videorecorder im Rahmen
der Tokio-Runde ergab für mich eine erfreuliche Qualifikation.
Koning war nämlich wirklich empört und erschüttert, dass der deutsche
Wirtschaftsminister Lambsdorff dieses Verlangen der Industrie glatt-
weg abgelehnt hat. Koning meinte, diese Aktion richtet sich ja
nicht gegen die anderen europäischen Produzenten, sondern aus-
schliesslich gegen die Japaner. Die aber wieder konkurrenzieren
auch in der Bundesrepublik mit unfairsten Methoden die dortige
Industrie. Wenn die Videorekorderzölle, in Österreich würden sie
von 10 auf 6% gesenkt werden, in die Tokio-Runde einbezogen werden,
dann würde diese Produktion mit den grösstem Schwierigkeiten kämpfen
müssen. Koning erklärte, er hätte mit seinem Mutterhaus festgestellt,
dass die Japaner z.B. in Amerika den Fernsehmarkt erobert haben,
dies war ihnen nur möglich mit ausgesprochenen Dumpingpreisen,
die nicht einmal das Material deckten. Als sie nachher die amerikani-
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schen Firmen ruiniert haben, haben sie nachher die Preise sofort
angehoben. Koning ist überzeugt, dass sie auch in Europa, sei es
bei den Farbbildröhren, als auch jetzt bei den Videorecordern,
die Philips hier weltweit erzeugen will, so vorgehen würden. Der
Grundig-Vertreter bestätigte diese Politik. Alle waren nicht nur
sehr zufrieden, dass ich sie über die Situation aufklärte, sondern
dass ich mich auch bereit fand, für sie gemeinsam zu kämpfen. Sie sind
noch immer fest überzeugt, dass wenn die Deutschen nicht mitmachen,
wir im Rahmen der Tokio-Runde diese Position nicht werden halten
können. Lambsdorff hat bekanntlicherweise abgelehnt, nicht weil,
wie die Fachverbände und die Handelskammer meinte, darauf vergessen
wurde, sondern weil er eben überzeugt ist, man dürfe keine Ausnahmen
schaffen, jede einzelne Ausnahme wäre ein gefährliches Präjudiz
für andere Ausnahmewünsche. Da Grundig jetzt erst eine neue Fabrik
in Österreich errichtet hat, Philips für Videorecorder sogar eine
ganz neue jetzt bauen wird, zeigte ich nicht nur grosses Interesse
für dieses Problem, sondern erklärte auch, dass das Handelsministerium
weiter für diese Interessen eintreten wird. Koning erklärte rund-
weg, da sieht man eine echte industriepolitische Gesinnung zum
Unterschied von den Deutschen. Ein Händler würde allerdings sagen,
da sieht man die opportunistische Haltung des Staribacher's, der
nicht so liberalisationsfreundlich ist wie eben sein deutscher
Kollege. Für mich ist allerdings wirklich massgebend, dass wir
vorerst einmal auf dem Farbfernsehröhrensektor, weil wir keine
Produktion hatten, die Zollfreiheit im Rahmen des GATT angeboten
haben und dann, als Philips die Fabrik in Österreich errichtete,
alles unternehmen mussten, um einen gewissen Schutz zu erreichen.
Ich bin überhaupt fest davon überzeugt und habe dies nachher mit
SChef Meisl im Detail noch besprochen, dass wir auch als kleines
Österreich im Rahmen der Tokio-Runde imstande sein werden, diese
Position aus der Zollsenkung auszunehmen. Wir haben mit den Japanern
schon individuell auch als kleines Land entsprechende schwere Ver-
handlungen, man könnte fast sagen, Wirtschaftskriege geführt. Da
die Japaner bei uns hoch aktiv sind, können sie uns kaum mit
entsprechenden Maßnahmen ernstlich treffen.
ANMERKUNG FÜR HAFFNER UND PLESCH: Bitte mit Dolinay entsprechenden
Kontakt halten.
Die Repräsentanten der Firma REPA, die endlich die zugrunde
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gegangene Firma Körting in Salzburg aufkaufen, hatten das Be-
dürfnis mit mir als Handelsminister zu sprechen. Immer wieder
kann ich feststellen, dass es für die Firmen doch scheinbar eine
große Auszeichnung ist, wenn sie bei solchen Investitionen mit
der höchsten Stelle, wie sie es glauben, nämlich dem Handelsminister
Kontakt aufnehmen können. MR Gröger nützt dies sehr geschickt auch in
seiner Informationsarbeit für Neu-Investoren. Die Firma REPA wird
Autogurte erzeugen und hat jetzt schon eine gute Verbindung zu VW.
Der Einkäufer von VW, Matousek, und auch ein Vertreter von
Porsche, den ich persönlich nicht kannte, ganz besonders aber der
VW-Mann Kozel haben mir vor der Firma REPA versichert, dass sie
grössere Mengen von Autobestandteilen und sonstige Produkte
aus Österreich importieren werden. Bei VW hat die Intervention
vom seinerzeitigen Wirtschaftsminister Friderichs wirklich den
grössten Effekt gehabt. Bis jetzt sind vielleicht andere Autofirmen
stärker in Erscheinung getreten. Bei VW dauert alles länger, man
hat mir glattweg zugegeben, welch bürokratische Organisation aus
dort herrscht, doch wenn einmal eine entsprechende Bestellung
erfolgt ist, dann kann man mit langfristigen grossen Verträgen
rechnen. Da in Deutschland jetzt auf den Rücksitzen ebenfalls
die Gurtenanbringungspflicht erlassen wird, und Österreich sicher-
lich dann in kürzester Zeit dies nachvollziehen wird, so ist gerade
auf dem Gurtensektor mit einer grösseren Nachfrage zu rechnen. Die
Firma REPA wird deshalb als erstes 200 Beschäftigte von Körting
übernehmen können resp. die Fabrik in so grossem Ausmass bauen.
Wir kamen überein, dass wir vorerst die ganze Angelegenheit als streng
vertraulich betrachten. Die Firma wird bei der Eröffnung des Werkes
mich einladen und bei dieser Gelegenheit sollte dann eine entspre-
chende Pressekonferenz erfolgen. Ich habe meinen Besuch in Salzburg
zugesagt.
ANMERKUNG FÜR WIESINGER: Bei entsprechender Einladung bitte akzep-
tieren, aber Termin abstimmen.
Bei der Begräbnisfeierlichkeit für Czernetz war trotz der Urlaubszeit
nicht nur eine grosse Anzahl von Genossen gekommen, sondern mehr als
die halbe Regierung anwesend. Überrascht war ich, dass sogar der Bundes-
präsident daran teilgenommen hat. Er dürfte von seinen Urlaub zurück-
gekommen sein. Als erster sprach der Präsident des Europarates, so-
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zusagen der Nachfolger von Czernetz, ein Liberaler, als zweiter
dann der zukünftige Generalsekretär des Europarates, der ÖVP-
Nationalrat Karasek, zuletzt dann Kreisky, der wieder einmal eine
sehr gescheite Trauerrede hielt. Er kannte Czernetz 50 Jahre
und hat Freud und Leid in unserer Bewegung mit ihm mitgemacht.
Dass er ihm freundschaftlich verbunden war, bezweifle ich nicht.
Mit tränengerührter Stimme hielt er diesen Nachruf. Ich zweifle
nicht daran, dass es ihm damit sehr ernst war. Warum er Czernetz
dann nicht zum Aussenminister machte, kann ich mir nur so erklären,
dass er unbedingt einen Blutgruppe-0-Mann, wenn so will, einen
Liberalen, in der Regierung braucht und eben dafür am besten das
Aussenministerium reservierte. Sicherlich spielte aber auch dabei eine
grosse Rolle, dass er ja als ehemaliger, langjähriger Aussen-
minister nicht nur diese Materie am besten beherrschte, sondern
auch natürlich indirekt auf diese Art und Weise sich den grössten
Einfluss auf das Aussenministerium sicherte. Wäre dort ein Genosse
wie Czernetz oder auch Wodak gesessen, beide machten sich nämlich
grosse Hoffnungen, dann hätte Kreisky die Aussenpolitk sicherlich
nicht so direkt und unter Kirchschläger zumindestens indirekt be-
einflussen können. Czernetz' grosser Traum war, wie er mir einmal
unter 4 Augen versicherte, natürlich Aussenminister zu werden.
Loyaler Weise hat er aber gesagt, es hat ihm nie jemand darum ge-
fragt, geschweige denn gebeten. Dieser Niemand hätte niemand anderer
sein können als eben Kreisky. Dass er als absoluter integrer
Politiker – ich kenne ihn seit 1945 – gilt und galt, wurde mir
von Genossen, mit denen ich zum Begräbnis ging, einmal mehr be-
stätigt.
Tagesprogramm, 10.8.1978