Montag, der 6. Februar 1978 bis Mittwoch, der 8. Februar 1978

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Montag 6. Feber – Mittwoch 8. Feber 1978

Beim Pressefrühstück präsentierten wir erstmalig die Ergebnisse
Aussenhandels 1977. Meisl sollte eine Analyse geben, hat aber
einleitend nur ein paar Worte gesagt und er meinte, alles andere
könnte ja durch Fragen geklärt werden. Entweder war es für die
Journalisten um 9.00 Uhr zu früh, oder sie waren noch total
verschlafen, oder – was ich eher annehme – sie sind jetzt so fragefaul
sodass sich kein einziger meldete. Ich verlangte deshalb, Meisl
sollte eine nähere Erörterung geben. Dabei zeigte sich, dass er doch
sehr wenig sich mit dieser Materie beschäftigte. Niemand analysiert
bei uns ernsthaft Ziffern. Oft mische ich mich in die Diskussion,
weil mir das eine oder andere auffällt. Auch ich tue auf diesem
Gebiet viel zu wenig. Unabhängig von der Büroeinteilung der einzelnen
Kollegen, wer für was zuständig ist, wird es dringendst notwendig
dass wir mehr Analysearbeit, entweder selbst betreiben oder von
anderen übernehmen.

ANMERKUNG FÜR HAFFNER: Versuche mit allen Analytikern auch der Inter-
essensvertretungen mehr Kontakt zu halten.

Zluwa von der Energiesektion berichtete über unser Krisenlager auf dem
Ölsektor. Immerhin werden jetzt 106 Firmen erfasst und geprüft.
Nicht ein einziger Journalist fragte uns Gott sei Dank, wie wir
die Verpflichtung, die wir übernommen haben, erfüllen. Statt 70 Tage,
die in Kürze 90 Tage Lagervorrat sein sollten, haben wir derzeit
50. Trotzdem ist mir das Öllagerschema und jetzt auch für Zucker
zwei gute Beispiele, wie ohne Staatszuschuss, Wirtschaftliche
Landesverteidigung, d.h. Vorratspolitik gemacht werden kann.

In der Frage der Besetzung der Abteilung Wirtschaftliche Landesver-
teidigung, Nachfolge Schleifer, hat jetzt der Personalvertreter und
Gewerkschaftsmann Engelmayer in der Presse wegen der Idee, SR Degischer
mit der Leitung zu beauftragen, polemisiert. Er möchte seinen Freund
MR Winterleitner. Die Ausschreibungskommission hat durch Dirimierung
allerdings keinen der Bewerber als beste Lösung empfohlen. SChef Kazda
wird jetzt wegen dieses Vergehens gegen die Dienstordnung – Engelmayer
hat effektiv vertrauliche Informationen weitergegeben – mit Engelmayer


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sprechen. Wäre die Wirtschaftliche Landesverteidigung
so kritisch, würde ich es am liebsten riskieren, der Forderung
der Personalvertretung, Winterleitner damit zu betrauen, nachzu-
kommen und bei dem zu erwarteten Debakel dann ihre Schuld ein-
deutig feststellen. Sachlich würde mir allerdings diese Politik
sehr wenig helfen, da ich nach wie vor verantwortlich bleibe, würde
ich sogar im Gegenteil letzten Endes doch die Verantwortung zu
tragen haben.

Das Bundeskanzleramt hat die Reise in die UdSSR übernommen zu
organisieren. Ich war sehr überrascht, als wir in die I. Klasse
eingewiesen wurden. Auch Kreisky hat sich sehr darüber geärgert
und Gehart und Beroldingen dafür zur Verantwortung gezogen.
Ausgelöst wurde dies dadurch, wie mir Fälbl erklärte, weil
Gen.Sekr. Mussil sagte, er fährt auf alle Fälle I. Klasse. Genau dann
aber wäre Kreisky und noch vielmehr ich am liebsten in der II. Klasse
geflogen, denn dies entspricht den Regierungsbeschluss und ausser-
dem hätte sich noch deutlicher die Spargesinnung des Bundes
gegenüber den Interessensvertretungen und einigen Generaldirektoren
abgezeichnet. Mich traf es nur indirekt, weil ich ja für die Reise
überhaupt nicht verantwortlich war. Beim Empfang in Moskau stellte
ich fest, dass nicht nur Min.Präs. Kossygin mit fast einem halben
Dutzend stellvertretenden Ministerpräsidenten anwesend waren,
sondern auch Patolitschew und eine ganze Reihe von Funktionären.
Ich erklärte Patolitschew, dass wenn ein solch grosser Empfang
stattfindet, ohne dass ein offizieller Staatsbesuch stattfindet,
ein gutes Zeichen ist, was Patolitschew auch sofort bestätigt.
Auch Kossygin versicherte Kreisky auf Reinfahrt vom Flughafen,
alles wird gut laufen. Bei der Eröffnungssitzung bei Kossygin
war auch der Minister für den GOS-Plan, Baibakow, und Patolitschew
sowie ein paar stellvertretende Minister anwesend. Auf unserer
Seite sass die doppelte Anzahl, denn ausser der Delegation wurden
auch alle Experten hereingebracht. Kossygin eröffnete sofort, indem
er meinte, ein kurzer Arbeitsbesuch könnte besser sein als ein
langer Staatsbesuch. Jede einzelne Erörterung Kreisky's in seinem
Einleitungsreferat, wie z.B. die wirtschaftliche Entwicklung
zwischen Österreich und der UdSSR ist gut, wurde von Kossygin
sofort unterbrochen und ergänzt, er ist ebenfalls dieser Meinung
und meint nur, es könnte noch besser werden. Die Unterbrechung
war in diesem Fall nicht Unhöflichkeit, sondern sollte nur die


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sowjetische Absicht unterstreichen. Kreisky verwies auf den
traditionellen Warenverkehr, den Staribacher und Patolitschew
in Einzelbesprechungen noch vergrössern sollen. Die Wirtschafts-
delegation, Sallinger, wird dann unsere Arbeit fortsetzen. Wichtig
sei auch die Kooperation auf dritten Märkten, wie wir sie mit
Polen, Ungarn, der CSSR, aber ganz besonders der DDR machen. Kossygin
fragte sofort, ob wir mit diesen Ländern Abkommen haben. Ich be-
jahte und wir übergaben bei dieser Gelegenheit gleich der UdSSR
unsere Projekt- und Lieferwünsche. Kreisky schlug dann vor, die
UdSSR könnte Teilfertigungen in Österreich aufnehmen, wie z.B.
bei PKW, wo zwar 2800 Lada im Vorjahr eingeführt wurden, ca 1%
der Gesamtsumme durch Assembling und Fertigung aber wesentlich
mehr im Westen verkauft werden könnte. Als letztes verwies Kreisky
darauf, dass die UdSSR ihr Aktivum anderen COMECON-Staaten zur
Verfügung stellen könnte, um das Handelsbilanzdefizit von 3.8 Mia
Schilling abzudecken. Kossygin meinte, die Schillinge erscheinen
ihm immer so viel, man sollte entweder in Rubel oder in Dollar
rechnen. Für ihn ist es, glaube ich, auch wesentlich leichter.
Bei den offiziellen Umrechnungskurs von 22.50 Schilling für
den Rubel kann er sich halt 170 Mio Rubel leichter vorstellen.
Für mich war dies eine wichtige Lehre, in Hinkunft bei Verhandlungen
alles immer in Rubel auszudrücken. Kossygin replizierte auf
diesen Punkt so, indem er meinte, im RGW hätten eine Investitions-
bank und eine zweite Bank, die normale Banktransaktionen macht. Dort
werde der Transfer-Rubel geschaffen, dem alle sozialistischen
Länder angehören, die frei konvertibel sind. Er könnte sich sehr
gut vorstellen, dass die Handelstransaktionen auch mit europäischen
Banken abgewickelt werden und deshalb die Salden von Polen und
anderen Staaten mit Österreich über diese Bank abgewickelt werden.
Er möchte nicht sofort eine Antwort haben, man sollte sich dies genau
überlegen. Ihr System arbeitet jetzt seit 10 Jahren sehr gut.
Kreisky ging Gott sei Dank auf diesen Vorschlag nicht ein, denn die
anderen RGW-Staaten wären unglücklich, wenn sie aus dem Transfer-
Rubel bezahlt würden. Kreisky wiederholte nur noch einmal, der
Schilling-Überschuss der UdSSR durch die Handelsbilanz-Aktivum
sollte den anderen RGW-Staaten mit 1 Mia Schilling zur Verfügung
gestellt werden. Kossygin ging dann auf die sowj.-österr. Wirtschafts-
beziehungen ein, die keiner Konjunkturschwankung und keinen Konjunktur-
charakter haben über und meinte, die hätten langfristige Perspektiven.
Von sich aus kam er dann auf die Perspektive Pielo-Rusan ?? eine LKW-


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Fabrik zu bauen, die jetzt bis 75 Tonnen im Plan aber für
120, 180 ja sogar 200 Tonnen LKW erzeugt. Für Erzvorkommen
bräuchten sie so grosse Typen, da ihre Abbaugeräte 40 cbm
pro Schaufel jetzt schaffen. In Kanada haben sie jetzt US-PKW
mit 180 Tonne gekauft, 1 Stk., 1,2 Mio Dollar. Die UdSSR braucht
aber nicht diese paar, sondern 1000 Stk. pro Jahr. Österreich
sollte sich an der Kooperation beteiligen. Mit Jaroszewicz in
Polen hat er auch schon darüber gesprochen. Da Kreisky auf
die Steyr-Daimler-Puch, POLMOT-Kooperation verwies. Kossygin
kam dann auf die Kernkraftwerke zu sprechen. In Leningrad sind
jetzt – wie sie rechnen – 1 Mia kW, 1979 kommt eine weitere dazu
und 1980 werden sie dann 4 Mia kW Kernenergie erzeugen. Diese
wird nur in europäischer Sowjetunion zum Einsatz kommen, hinter
dem Ural gibt es andere Energiequellen. Die Erzeugung des Atom-
brennstoffes wird so stark steigen, dass die UdSSR jetzt Aus-
rüstungen für Fabrik schaffen muss. In Rostow wird jetzt eine
neue Organisation Atommasch entsprechend ausbauen. Die erste
Ausbaustufe ist bald fertig, für die zweite Ausbaustufe werden
Ausrüstungen, Werkzeuge, Maschinen usw. verlangt, insbesondere
Giesserei. Österreich könnte sich daran beteiligen, wenn es
konkurrenzfähig wird. In letzter Zeit hat er von Patolitschew
die Mitteilung bekommen, ist Österreich leider zu teuer gegenüber
Amerika, Kanada und Japan. Trotzdem ist Kossygin überzeugt, dass
wir uns daran beteiligen können und sollten. 1979/1980 werden
zwei Jahrespläne erstellt und der erste soll bis 1.7. fertig sein.
Er sieht keine grossen Schwierigkeiten in den Handelsaktiven.
1976 war die UdSSR nach ihren Berechnungen passiv und das war auch
kein Problem. Ihn interessiert jetzt ganz besonders die Auslieferung
von Kernkraftwerk – und zwar nur den atomaren Teil. Den konventionellen
Turbinen, Generatoren usw. produziert die UdSSR selbst und hat auch
eine genügende Kapazität. Derzeit werden die sowjetischen Reaktoren
nur in die sozialistischen Länder und nach Finnland verkauft. Die
westlichen Staaten sind mit ihrer Entwicklung zurückgeblieben,
wie er auch bei ASEA, die auch in Finnland jetzt einen Reaktor liefert,
feststellen konnte. Die UdSSR wird in Hinkunft nur mehr Typen mit
mehr als 1 Mia kW erzeugen. Er fragte mich zuerst, ob wir so Teile
liefern könnten. Ich erwiderte sofort, dass dies möglich sei, er-
örterte unsere Komponentenlieferungen, nicht nur von der VOEST-
ALPINE, sondern Waagner-Biro, Andritz usw. Kossygin war am brennendsten


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interessiert und sehr glücklich, dass wir auch die Generaldirektoren
der einzelnen Werke mithatten, die ihm dann noch Detailinformationen
geben. Bei dieser Gelegenheit konnten alle wichtigen Experten
zur Sprache kommen. Alle waren über das Detailwissen und Interesse
Kossygin's überrascht. Kreisky hatte nachher eine sehr richtige
Erklärung – die Politik in Russland macht das Politbüro, Minister-
präsident und seine 20 Stellvertreter oder seine 100 Minister
sind nur oberstes Verwaltungsorgan. Für mich war es einmal mehr
wieder die Bestätigung, dass alles in die Spitze – auch in der Ver-
waltung – hinaufdelegiert wird und letzten Endes da oben ent-
schieden. Kreisky hatte interessanter Weise bei dieser Aussprache
überhaupt kein Wort über die Atommüllagerschwierigkeiten erzählt,
obwohl Kossygin eine diesbezügliche Bemerkung machte. Kreisky
behielt sich dies deutlich für das Vier-Augen-Gespräch mit Kossygin
vor. Kossygin verwies dann noch auf etliche Wünsche, Zuchtvieh,
Pestizide, Kreisky auf die St.Pöltner Glanzstoff, 1.500 Tonnen
Garne Viskose-Lieferungen. Die Verhandlungen waren äusserst
freundschaftlich, bis auf eine einzige Bemerkung, die Kossygin
machte, dass immer mehr Kapital aus Deutschland nach Österreich
kommt und wir eines Tages aufwachen werden und alles wird den
Deutschen gehören. Kreisky replizierte sofort – meinte dies sei
stark übertrieben – die Regierung verfolge dies sehr aufmerksam
und mit den Kapitalimporten kommt immer das know how nach Österreich.
Zur Schwerindustrie hätten sie überhaupt keinen Zugang, weil sie
verstaatlicht ist. Begrenzte Bereiche stehen allen offen, auch der
UdSSR. Bei dieser Gelegenheit erklärte Kreisky sofort, dass die
Donau-Bank mit der Sanierung der Firma Anger durch den österr.
Staat auch keine Verluste erleiden wird.

Die Aussprache mit Patolitschew am Nachmittag gab dann auch noch
den Firmenvertretern und Bankenvertretern unseren Experten die
Möglichkeit, alle ihre Detailprojekte vorzutragen. Die Liste hatten
wir bereits übergeben und selbstverständlich verwies ich dann noch
auf die nicht anwesenden Projektträger aus der Liste. Insbesondere ka-
men wir dann auch auf alle Lieferwünsche, auch für Zucker, zu sprechen.
Da diese Aussprache über 3 Stunden dauerte und dann noch auf Wunsch
Kossygin's auch darüber ein Protokoll gemacht werden musste, war
Manschulo sehr sauer und meinte, wir beginnen doch nicht den
Sowjethandel jetzt erst. Er hatte das Gefühl, wir brächten gleich
die ganze Aussenhandelsstatistik zur Debatte und letzten Endes
womöglich ins Protokoll. Die Handelskammer und Firmenvertreter


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hatten eben überzogen. Es gelang dann doch, diese Verärgerung
durch ein kurzes Vier-Augen-Gespräch mit Manschulo und mir
zu bereinigen. Patolitschew, den ich dann noch am Abend im
Facetten-Saal im Kreml auch darauf besonders ansprach, meinte,
es läuft alles ganz gut, wir werden zufrieden sein. Mussil
selbst bemerkte mir gegenüber und dann auch gegenüber unseren
Delegationsmitgliedern, wir haben überzogen, die Handels-
kammer muss in Hinkunft viel mehr darauf drängen, dass die
Firmen sich persönlich nach Moskau begeben, mit den Unterneh-
mungen verhandeln und nicht erwarten, wenn sie ihm oder gar
den Handelsministerium eine Liste überreichen, dass wir dann
Wunder wirken können. Letzten Endes unterschrieben Patolitschew
und ich dann doch ein Protokoll, was sicherlich nur in so kurzer
Zeit zustande kam, weil Kossygin ein solches Protokoll angeregt hatte.
Patolitschew wollte in den Verhandlungen eine Zustimmung, dass
Österreich prüfen soll, eine Vergrösserung der Aufträge Uran ??
Anreicherung. Da sich Kreisky vorgehalten hat, über dieses Problem
mit Kossygin zu sprechen, habe ich nur sofort darauf hingewiesen,
dass wir eine solche Vergrösserung keineswegs ins Auge fassen können,
sondern ganz im Gegenteil unsere Elektrizitätswirtschaft bittet und
Verhandlungen führen muss, die Anreicherung zu verschieben, weil das
zweite Kernkraftwerk jetzt nicht in Bau ist und in absehbarer Zeit
nicht gebaut wird. Ohne Kreisky's Pläne zu stören, konnte ich
daher dieses wichtige Anliegen Patolitschew und seinen Mitarbeitern
darlegen. Kreisky berichtete mir dann von seinem Vier-Augen-Gespräch –
er hatte nicht einmal den Botschafter Standenat mitgenommen – dass
die UdSSR, Kossygin, keine Möglichkeit sieht, den Atommüll derzeit zu
lagern. Sie selbst haben das Problem auch noch nicht endgültig
gelöst. Dies ist mir nichts neues, denn sie bewahren derzeit die
abgebrannten Brennstäbe und den Atommüll unmittelbar unter den
Kernkraftwerken selbst auf. In dieser wichtigen Frage können wir
momentan aus der UdSSR keine Entlastung bekommen. Die UdSSR ist
also nur bereit – scheinbar mit Ausnahme nur in Finnland – aus Woronesch
Typen, die abgebrannten Brennstäbe zu übernehmen.

Selbstverständlich nützte ich die Anwesenheit von Wolfsberger, um
mit Mussil, Kreisky und hauptsächlich Mussil, Wolfsberger und mir
die weitere Vorgangsweise in Österreich wegen Inbetriebnahme des
Kernkraftwerkes Tullnerfeldes zu besprechen. Mussil hat Wolfsberger
dann unter 4 Augen mitgeteilt, er selbst bezweifelt, ob es gelingen wird,


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Taus zu überzeugen, vom Klubzwang Abstand zu nehmen. In diesem
Fall, erklärte ich Wolfsberger, würde das Projekt bis nach den
Wahlen zurückgestellt werden müssen, da ich kaum eine Mehrheit
im Parlament erwarte. Nur die geheime Abstimmung kann dies ermöglichen.
Ich setzte Wolfsberger ganz besonders auseinander, dass laut Geschäfts-
ordnungen der Antrag von 20 Abgeordneten auf namentliche Abstim-
mung schon den weitergehenden und sicherlich mit Mehrheit zu
fassenden Abstimmungsantrag auf geheime Abstimmung zunichte macht.
Die Namentliche hat laut Geschäftsordnung den Vorzug. Mussil war
sehr erschüttert, jetzt in der UdSSR zu hören, wie viel Koope-
rationsmöglichkeiten bei der Herstellung von Atomkraftwerken be-
steht. Die Firmenvertreter, nicht nur Wolfsberger, sondern auch
Apfalter, VOEST-ALPINE, Böhm, Waagner-Biro, setzten ihm sehr zu,
weil sie grosse Aufträge jetzt neuerdings bekommen haben und noch
grössere erwarten können. Wenn das Kernkraftwerk Tullnerfeld
aber nicht in Betrieb geht und man dort womöglich erklärt, die
Sicherheit sei nicht gewährleistet, dann ist das eine furcht-
bare negative Reaktion und Referenz für die österreichische
Industrie. Immerhin haben sie jetzt 5 Mia Schilling Teile schon
ausgeliefert und jetzt sind fast 2 Mia Schilling wieder Auftrags-
bestand vorhanden. Mussil selbst sieht das ein, erklärt immer
wieder, er selbst setzt sich ja sowieso für eine Lösung ein,
doch scheinbar ist er bezüglich Taus sehr skeptisch. Taus war
für sie wirklich eine schlechte Wahl, wie sich jetzt herausstellt.
Hätten sie lieber Koren genommen, wäre dieser jetzt sicherlich
nicht von Kreisky als Nationalbankpräsident weggeangelt worden
und die ÖVP wäre in einer wesentlich besseren Situation. Kreisky
erklärte mir dann auch unter vier Augen, dass dies genau seine Taktik
gewesen ist, da niemand anderer sonst von uns in Frage käme. Wald-
brunner
ist zu krank, Androsch zu jung. Ausserdem meint Kreisky
und ich teile diese Meinung – wenn einem die Partei auch in eine
unangenehme Position beruft, so hat man dort zu bleiben und nicht
wegzugehen. Bei einer längeren Diskussion über die Entwicklung
der Partei und der Gewerkschaft beim Rückflug mit Kreisky stelle
ich einmal mehr fest, dass er nicht nur ein anerkannter Bundes-
kanzler, sondern nach wie vor ein verantwortungsbewusster Ver-
treter der Arbeiterschaft ist, zu der er sich ständig und zeitlebens
hingezogen fühlt. Was ihm wirklich Sorge macht, ist manche
Entwicklung einzelner Funktionäre, die ihre Eigenart aufgeben,
womöglich vergessen, woher sie kommen, sich andere Lebensarten und
Gewohnheiten zulegen, mit einem Wort, nicht mehr sie selbst bleiben.



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Da hat er bei mir wahrlich keine Schwierigkeiten, ganz im Gegenteil.
Auch bei dieser Reise ist zwischen Mussil und mir, aber letzten
Endes auch Kreisky, der Wiener Schmäh gelaufen. Jeder von uns Drei
hat sich zum Amüsement aller so gegeben, wie wir sind und inner-
halb der Delegation war die beste Stimmung. Kreisky versteht ja
wirklich einmalig alle einzufangen. Meine Einstellung zu seinen
Sorgen im Flugzeug war kurz und bündig, was ich ihm schon
etliche Male gesagt habe, ich bin zwar kein Kreisky-Fan, anerkenne
aber seine Leistung, kann seit 1945 beurteilen, was das gute Klima
jetzt zwischen Gewerkschaft und Partei durch Benya und ihm be-
deutet und verlange kurz und bündig nichts anderes, als wie dass beide
letzten Endes in ihrem Amt sterben werden. Beim besten Willen
ist nicht daran zu denken, dass jemand anderer diese Beiden
ersetzen könnte. Kreisky meinte, er achte bei mir meine Auf-
richtigkeit und dass ich niemals intrigiere, gegen gar niemanden,
und hoffe auch nur, dass ich noch recht lange in dieser Funktion
bleibe, denn niemand könne es besser machen als ich. Über diese
Äusserung war ich sehr erstaunt. Wie sehr Kreisky aber weltpolitisch
heute ein bedeutender Mann ist, zeigte ein 1 Stunde 25 Minuten
dauernde Gespräch unter vier Augen mit Breschnew. Die Sowjets
waren sehr erstaunt, selbst die Minister, die zum Empfang in die Bot-
schaft gekommen waren und mit denen ich einstweilen sprechen
konnte, fragten Kreisky, nachdem er zurückgekommen ist, na wie war
es? Scheinbar haben sie mit Breschnew doch verhältnismässig weniger
Kontakt als früher und Kreisky antwortete sehr geschickt – es handele
sich um ein sehr gutes Gespräch. Wenn die sowj. Öffentlichkeit er-
fahren wird, dass dies solange gedauert hat, bedeutet dies eine
weitere Bestätigung dafür, was Kossygin bei der Rückfahrt zum
Flughafen und auch Patolitschew mir neuerdings bestätigte, alles
wird gut laufen und man wird in Kürze das positive Ergebnis des
Kreisky-Besuches bemerken. Schade, dass nur so wenige durch die
Begrenzung der Delegation unmittelbar erleben konnten, wie Kreisky
eine solche Sache schupft. Ich hoffe aber persönlich, dass bei
den nächsten Wahlen diese ungeheure positive Arbeit weltweit
und in Österreich von Kreisky gewürdigt wird. Dann, bin ich über-
zeugt, würden wir trotz der Schwierigkeiten mit der Kernkraft,
wo wir sicherlich ein paar Prozent Stimmen verlieren werden, wieder
die absolute Mehrheit gewinnen. Solange nämlich das gute Einvernehmen
zwischen Gewerkschaft und Partei und eigentlich auch die weitest-
gehende Geschlossenheit innerhalb der Partei durch Kreisky ge-
währleistet ist, so lange entsteht sicher der beste Eindruck


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innerhalb der Bevölkerung über diese Regierung und Partei-
führung und damit für uns nur eine einzige Parole "Kreisky,
wer sonst". Wenn ich mich auch immer persönlich bemühe, ja
kein Kreisky-Fan zu werden, so muss ich doch objektiver Weise
anerkennen, mit welch ungeheurem Arbeitseinsatz er die Probleme
angeht und interessanter Weise, rückwirkend betrachtet, optimal
löst. Ich hoffe, dass dies auch bei der Kernkraft gelingt.

41_0119_01

Tagesprogramm, 6.2.1978


GND ID: 118715194


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    Tätigkeit: ÖGB-Präs., NR-Präs.
    GND ID: 119083906


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      Tätigkeit: Beamter HM


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        Tätigkeit: MR HM


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          Tätigkeit: stv. sowj. Außenhandelsminister


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            Tätigkeit: sowj. Außenhandelsminister


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              Tätigkeit: Finanzminister
              GND ID: 118503049


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                Tätigkeit: GD VÖEST


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                  Tätigkeit: Beamter HM


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                    Tätigkeit: Gosplan-Vorsitzender


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                      Tätigkeit: GD Waagner-Biro


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                        Tätigkeit: Präsidialchef BKA


                        Einträge mit Erwähnung:
                          Tätigkeit: Botschafter in der Sowjetunion


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                            Tätigkeit: Finanzminister, ÖVP-NR-Abg., OeNB-Präs.


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                              GND ID: 118756265


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                                  Tätigkeit: MR HM


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                                    Tätigkeit: Gen.Sekr. HK, ÖVP-NR-Abg., später AR-Präs. Verbund


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                                      Tätigkeit: poln. Min.präs.
                                      GND ID: 128630841


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                                        Tätigkeit: Sekt.R HM


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                                            Tätigkeit: GD Siemens Österreich


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                                              GND ID: 125942052


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                                                Tätigkeit: Ministerialrat, Leiter Grundsatzabteilung


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                                                  Tätigkeit: Beamter HM


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                                                    Tätigkeit: HM


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                                                      Tätigkeit: Personalvertreter HM, Christgewerkschafter, ÖVP-Politiker


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                                                        Tätigkeit: Bundeskanzler
                                                        GND ID: 118566512


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                                                          GND ID: 114650888


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                                                            Tätigkeit: Handelskammer-Präsident


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