Sonntag, der 2. Oktober 1977

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Sonntag, 2. Oktober 1977

Bevor
die Aussprache mit Kreisky über die Wirtschaftliches Massnahmen
begannen, hatte ich Benya von meiner Aussprache mit den General-
direktoren von Philips und ITT informiert. Benya hat sie, nachdem
sie auch bei ihm waren, beruhigt, dass die Fernsehapparate schon
aus der erhöhten Mehrwertsteuersatz-Liste herausgestrichen wurden.
Da ich bei den bisherigen Verhandlungen wegen der Staatsbürger-
versammlungen nicht dabei sein konnte, war ich über den letzten
Stand nicht genau informiert. Die ganze Aussprache war für mich
insofern ein Novum, als tatsächlich nur die Frage immer zwischen
Kreisky und Benya ging, wie weit der Gewerkschaftsbund den einzelnen
Massnahmen zustimmte. Benya hat dann zum Schluss auch zusammenfassend
festgestellt, dass 2/3 dieses Paketes auf Kosten der Arbeiter und
Angestellten gehen. Dies kann uns als Gewerkschafter in Zukunft
grössere Schwierigkeiten machen. Bis jetzt ist nämlich durch die
Demonstrationen der Unternehmer, Ärzte usw. der Eindruck entstanden,
dass diese den grössten Teil der Belastung übernehmen werden.
Sicherlich lässt sich die Behauptung, 2/3 tragen die Arbeiter und
Angestellten nicht ziffernmässig beweisen, da ausser den Steuer-
erhöhungen auch die Sozialversicherungsbeträge erhöht werden,
müssen auch die Unternehmer von dieser Belastung die Hälfte tragen.
Benya hat aber eine ungeheures parteitreues Verantwortungsbewusst-
sein, sicherlich auch ein gutes Gspür, was man der Arbeiterschaft
zumuten kann. Jetzt geht es um die Sicherung der Arbeitsplätze,
weshalb er aber auch ich überzeugt bin, dass man die Belastungen
den Konsumenten auferlegen kann. Kreisky, der für die politische
Situation ja immer ein ungeheuer feines Gspür hat, meinte deshalb
er wird weder heute etwas veröffentlichen, noch vorher irgendwo
eine offizielle Mitteilung machen sondern Montag vormittags, bei
der Metallarbeiterfraktion-Vorstand und Nachmittag beim Betriebs-
besuch in der Chemie Linz dem Betriebsrat und Arbeitern sozusagen
als erster das Paket mitteilen. Zuerst wurde auch sofort über die
verkleinerte Liste, wie sie der Gewerkschaftsbund und die Arbeiter-
kammer von Androsch verlangt hat, betreffend die 30 %-ige Mehrwert-
steuer verhandelt. Die Reifen, grosses Problem für Semperit,
Glaswaren für unsere Glasindustrie, Phantasieschmuck für unsere
Bijouterie, die Zubehörs für Autos und insbesondere Farbfernseh-
geräte und Rundfunkgeräte wurden herausgestrichen, ebenso die
Plattenspieler und Tonbandgeräte, sowie Teile und Zubehör von
Ersatzteilen für Autos. Wegen Ferlach wurden dann auch noch die
Jagdgewehr aus der Liste gestrichen.



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Produktionsinteressen hatten sich bei den Verhandlungen also
eindeutig durchgesetzt. Ein weiterer grosser Diskussionspunkt
waren die budgetären Massnahmen. Durch Umschichtung von der PV Ang.
zur PV Arb. sollen neben entsprechenden halbprozentigen Er-
höhung der Beiträge und Nachziehung der Selbständigen und Bauern-
pension 7.150 Mill. S kommen. Androsch wollte dann durch eine
weitere Überweisung der PV Ang. zu den Arbeitern noch 500 Mill.
dazubekommen. Dallinger konnte nach längerer Diskussion diesen
Wunsch nicht erfüllen, weil er heuer bereits 2.9 Mia. und im nächsten
Jahr 3.9 Mia. überweisen muss, resp. Beitragserhöhungen akzeptiert,
die nicht der Angestelltenpensionsanstalt zufliesst, sondern einem
Sozialversicherungsfonds beim Hauptverband. Für 3 Jahre wird jetzt
die Transferierung beschlossen, für die Pensionsversicherung der
Arbeiter gleichzeitig die 101,5 % Ausfallshaftung auf 100,5 % redu-
ziert. Diese 1 % geringere Ausfallshaftung erspart dem Bund 550
Mill. S. Der Finanzminister hat auch vorgeschlagen, die Arbeits-
losenversicherungsbeiträge von 2 % auf 2,2 % zu erhöhen. Hier muss
der Arbeitnehmer und Arbeitgeber je die Hälfte übernehmen. Durch
die 0,2 % wird der Finanzminister weitere 400 Mill. in der Arbeits-
losenversicherung zur Verfügung stellen können. Benya akzeptierte
nicht zuletzt deshalb, weil er meint, zur Sicherung der Arbeits-
plätze und für eventuelle Arbeitslosigkeit hätten die Arbeiter
dafür auch für eine neuerliche Erhöhung für 0,1 % Verständnis.
Zwischen Weissenberg und Dallinger gab es dann eine Diskussion,
wie hoch das Defizit der Pensionsversicherung der Angestellten
wirklich ist. Nach Erfolgsrechnungsabschluss hat sie 1978 einen
Überschuss von 1,3 Mia. S. Dallinger dagegen hat nicht zuletzt
wegen des hohen Bauaufwandes ein Defizit von 140 Mill. S errechnet.
Hier müssten, meinte Weissenberg, eben die finanziellen Mittel
durch Wertpapierverkauf beschafft werden, sodass die Pensionsversiche-
rung der Angestellten noch immer sehr gut dasteht. Notleidend ist
nur die Arbeiterversicherung und dies auf längere Zeit. Für
Kriegsopfer und sonstige kleinere Gruppen wird eine Aufbesserung
durchgeführt, die 15 Mill. S kostet. Da die nächstjährige Er-
höhung der Renten nur 6,9 % beträgt, wird beschlossen, für die
Ausgleichszulagenempfänger noch 35.– S für den Alleinverdiener
und 50.– S für den Verheirateten dazuzugeben. Dies kostet den
Bund 158 Mill. S. Für die Ersatzleistung der Kriegshinterbliebenen
soll die Krankenkasse 60 Mill. S mehr kriegen und ebenso für den
Mutterschutzausgleichsfonds bekommt die Krankenkasse 20 Mill. S
mehr. Dies kann allerdings das Defizit, das Sekanina für 1976 mit


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1.570 Mill. S bezeichnet nicht Viel helfen. Zur Sanierung wird
die Rezeptgebühr auf 15.– S erhöht. Aus den Mehrwertsteuer-
einnahmen soll, da die Länder 18 % davon und die Gemeinden
12 % bekommen, aus ihren Mehrerlösen die Länder einen Aus-
gleichsfonds für die Spitalsfinanzierung beim Bund errichtet
wird, mit 350 Mill. S mitfinanzieren. Da die Länder insgesamt
700 Mill. bekommen, blieben ihnen die ihnen auch seinerzeit vom
Bund überwiesenen 350 Mill., die sie seinerzeit, als der Finanz-
minister 28 % statt 18 % Bundeszuschuss bezahlte, ebenfalls in
ihrem Budget. Die Gemeinden wieder sollten dem Wasserwirt-
schaftsfonds 1/2 % überwiesen. Spitalsfinanzierung und Wasser-
wirtschaftsfonds müssen allerdings erst in den Aussprachen
mit den Ländern im Rahmen des Finanzausgleiches geregelt werden.
Sollten sie aber nicht zustimmen, dann bleibt dem Finanzminister
nichts anderes übrig, als bei dem Steuergesetz gleichzeitig
auch diese Aufteilung der Erträge gesetzlich zu regeln.

Beim Fernsprechinvestitionsgesetz soll die 52 % zweckgebunden
auf 45 % gesenkt werden, wodurch mit mehr Fremdkapital gestreckt
zwar kein Auftragsstopp in der Elektroindustrie entsteht, aber
der Finanzminister sich 900 Mill. S erspart. 300 Mill. S erspart
sich der Finanzminister durch Streckung des Budgetdefizits
d.h. Rückzahlung der aufgenommenen Kredite. 230 Mill. erspart
er sich durch mir nicht ganz klare Verschlechterungen von Sozial-
gesetzen. 500 Mill. S wollte er sich durch 8,5 % Kürzung der
Überstunden ersparen. Hier entwickelte sich dann eine rege Diskus-
sion. Kreisky beharrt darauf, dass wieder 1 % der Dienstposten
eingespart werden muss. von 5, die in Pension gehen, dürfen
nur 4 neu bestellt werden. Wenn für Polizei und Lehrer eine
Sonderaufnahme notwendig ist, müsste man dies wieder, wie man
es schon heuer gemacht hat, mit Sondergenehmigungen im Parlament
einbringen. Lausecker sprach sich gegen diese Möglichkeit
entschieden aus, weil wie er jetzt als Verkehrsminister sieht,
dass dies bei Post und Bahn nicht geht. Die Bahn hat mit 73.000
Beschäftigten im nächsten Jahr wieder 880 Dienstposten gestrichen.
Die Post mit 55.000 kann dieses 1 % nicht einsparen, wird aber
257 Dienstposten de facto einsparen. 1978 sind bei 280.000
Beschäftigten, davon 140.000 in Betrieb und 60.000 Lehrer, schon
jetzt 1.262 neue Dienstposten vorgesehen. 910 davon werden
Jugendliche sein und damit der Bund mit gutem Beispiel voran-
gehen, dass er sehr wohl auch die geburtenstarken Jahrgänge unter-
bringt.



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352 sind Vollposten. Die Unterrichtsverwaltung bekommt um 1.308
mehr die Polizei und Gendarmerie 443, die Justiz 85 und selbst die
Wissenschaft bekommt mehrere Posten. Einsparen wird nur die Land-
und Forstwirtschaft, 203 Bundesforste und eben die Bahn und Post
mit 804 Nettoersparnis. Lausecker schlug deshalb vor und Androsch
hat ihn in dieser Beziehung unterstützt, man soll eine Kostenformel
finden. Jedes Ministerium hat 1/2 % der Gehaltssumme einzusparen.
Wie dies geschieht, bleibt dem Minister überlassen. Die Haupt-
schwierigkeit wird insbesondere bei den Überstundenentschädigungen
gesehen. Die Bahn hat Betriebsratswahlen, die Mehrleistungen machen
dort einen entscheidenden Teil des Gehaltes aus. Daher ist kaum
damit zu rechnen, dass dort jetzt eine entsprechende Einsparung
erfolgen kann. Die Überstundenpauschalierung trifft soweit sie
Arbeiter und Chauffeure sind, wenn eine Kürzung käme, diese sehr
hart und ist wahrscheinlich auch unberechtigt. Die Überstundenregelung
für die höheren und höchsten Beamten, die in Form von 4 Biennien
gegeben wurde, ist eine Art Verwendungszulage und kann auf Grund
des § 30 a) auch nicht ohne weiteres weggenommen werden. Das wirkliche
Problem liegt aber meiner Meinung nach darin, dass eine generelle
Regelung für alle Bundesbediensteten bei Ressorts, die Betriebe
haben, oder die irgendwelche Exekutivfunktionen, wie Polizei,
Zoll, Justiz, zu erfüllen haben, kaum entsprechende Einsparungen
leicht gemacht werden können. In dieser Beziehung bin ich wirklich
gut dran, weil wir im Handelsministerium, wenn man so will, ausser
Berufungsinstanz für Gewerbe, Oberste Bergbehörde nicht direkte Admini-
stration habe. Ausgenommen ist nur das Patentamt und die ehemalige
ZAE – Aussenstelle – die Einfuhrgenehmigungen und Kontrollen
durchzuführen hat. Dort gibt es auch immer gleich die ersten
Schwierigkeiten, wenn Personaleinsparungen erfolgen sollen,
und womöglich dann neue Aufgaben diesen Stellen übertragen werden.

Aus der Mehrwertsteuer reduzierten Liste erwartet sich der Finanz-
minister 2.360 Mill., aus dem Abgabenänderungsgesetz 300 Mill.
Aus dem Strassenverkehrsförderungsbeitrag 1.000 S und ab 10 t
2.000 S sowie 1.– S Transit pro t/km ab 1. Juli 1978 3.200 Mill.
500 Mill. ergeben sich dann noch durch Lohnsteuerverschlechterung,
d.h. für ihn eine Einnahmenerhöhung. Die Summe aller Massnahmen
ergibt eine Defizitverringerung von 12,5 Mia. S. Dadurch reduziert
er das Defizit auf 42,4 Mia. Die in der Sozialversicherung oben be-
sprochenen zusätzlichen Erhöhungen sowie 1/2 % Mehrleistungskürzung


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der Beamten 400 Mill., Abgabenänderungsgesetz Vorauszahlung
300 Mill., Steuereingängen 1978, die bereits auf Vorkäufen, die
im November und Dezember getätigt werde, weitere 300 Mill.,
ergeben in Summa wieder 2.350 Mill. weitere Defizitverminderung,
sodass jetzt das Bruttodefizit 40,5 Mia beträgt. Wenn man dann
noch die 16.000 Mill. für die Rückzahlung und Verzinsung der Staats-
schuld abzieht, verbleibt ein Netto-Defizit von 24–25 Mia. S,
das geringer ist als 1975. Ich bin sehr gespannt, ob dies dann
tatsächlich eintreten wird. Ich glaube eher nein. Sicher muss
aber Androsch eine so harte Budgetpolitik anlegen, um überhaupt
zu einem erträglichen Ergebnis im Jahre 1978 zu kommen. Dazu
kommt noch, wie Waldbrunner richtig bemerkte, dass durch die
restriktive Politik der OeNB der Finanzminister sich die Finan-
zierung seines Budgetdefizites wahrscheinlich mit ausländischen
Krediten wird holen müssen. Die österr. Banken und Kreditinstitute
werden kaum Mittel dafür haben. Derzeit haben diese Banken die
Finanzierung ihrer Kunden durch Devisenkäufe in DM und Dollar
ermöglicht und werden daher in nächster Zeit sehr stark
illiquid sein.

Die handelspolitischen Massnahmen sollen und Kreisky erwartet sich
von mir entsprechende sehr konkrete Vorschläge, nichttarifarische
Hemmnisse durch Verschärfung der Kontrolle. Androsch sagte zu,
er wird alle diesbezüglichen Anweisungen erlassen. Wir müssen uns
gegen die Billigstimporte aber auch gegen die starken Einfuhren
von nicht notwendigen Produkten wehren. Haiden wollte bei
dieser Gelegenheit gleich die Fettverbrauchssteuer einführen,
um gegebenenfalls den Butterpreis zu senken. Hier hat er aber nicht
einmal die Zustimmung von Kreisky bekommen der meint, eine Fett-
steuer könnte man erst ventilieren bis die Ölmühle tatsächlich
steht. Androsch verlangt aber, dass das Handelsministerium sich
gegen die § 6-Zollermässigungen aussprechen sollten. Ich ver-
sprach, wo es die Industrie nicht durch Maschinenimporte
betrifft, eine rigorosere Handhabung. Unsere strukturpolitischen
Massnahmen und die Förderung von Gewerbe und Fremdenverkehr
im nächsten Jahr muss ebenfalls ganz kurz dem Bundeskanzler mit-
geteilt werden. Androsch hat sich mit der OeNB bei Kreisky
durchgesetzt und es wird wahrscheinlich zu keinem Depot kommen.
Umso mehr muss man jetzt durch administrative Massnahmen
versuchen, die starken Einfuhren zu drosseln. Darüber hinaus
soll eine Kampagne für "kauft österr. Waren" Kreisky hat den


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Vergleich mit England "buy politish" gebracht. Der ÖGB erwartet
von mir, dass sowohl das Preisgesetz als auch das Antimarktstörungs-
und Dumpinggesetz angewendet wird. Der Widerstand der Arbeiterkammer
dürfte jetzt gebrochen sein und die liberale Einfuhrpolitik ein
endgültiges Ende gefunden haben. Ich werde im engsten Einvernehmen
jetzt mit den entsprechenden Fachverbänden die von mir schon
längst eine solche restriktive Politik verlangen unverzügliche
Vorschläge ausarbeiten.

ANMERKUNG FÜR WANKE: Bitte sofort die Kontakte mit den einzelnen
Fachverbänden aufnehmen.

Tätigkeit: Finanzminister
GND ID: 118503049


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    Tätigkeit: ZS GPA, ab 1980 Sozialminister


    Einträge mit Erwähnung:
      Tätigkeit: Sozialminister
      GND ID: 118806904


      Einträge mit Erwähnung:
        Tätigkeit: Dir. Bundesforste, später Sts., dann LWM


        Einträge mit Erwähnung:
          Tätigkeit: ÖGB-Präs., NR-Präs.
          GND ID: 119083906


          Einträge mit Erwähnung:
            Tätigkeit: SChef HM
            GND ID: 12195126X


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              Einträge mit Erwähnung:
                Tätigkeit: Verkehrsminister


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                  Tätigkeit: Bundeskanzler
                  GND ID: 118566512


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                    GND ID: 114650888


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