Samstag, 10. September 1977
Bei der Wiener Herbstmesse-Eröffnung kam Sallinger vorher zu mir
und meinte, ob ich auf die Streitfrage des Abgabenänderungsgesetzes
zwischen der Wirtschaft und der Regierung zu sprechen komme. Ich
antwortete sofort, das hängt nur davon ab, was er als Vorredner
dazu sagt. Er erklärte, darauf überhaupt nicht einzugehen. Da
Sallinger ja immer ein festgelegtes Konzept hat, war für mich
klar, dass er nichts darüber sagt. Obwohl er diesmal ein wenig
extemporierte, ist es sehr zurückhaltend gewesen. Natürlich habe
ich dann ausschliesslich die wirtschaftliche Lage, wie ich sie
sehe, dargestellt und insbesondere die Handelsbilanzsituation.
In den ersten 7 Monaten haben wir 38 Mia. S Handelsbilanzdefizit,
das sind um 8,5 Mia. mehr als im Vorjahr. Die Importziffern und
Steigerungen sind das Entscheidende. Fremdenverkehr wieder haben
wir um 8 % mehr eingenommen und 33 Mia. Devisen erlöst, die
Ausgaben aber sind um 16 % gestiegen und 15 Mia. wurden bis jetzt
ausgegeben. Wirklich Dank sagte ich der Wirtschaft, weil sie
bis zum Juli, obwohl ein stärkerer Jahrgang angefallen ist, 78 %
der Lehrstellensuchenden bereits untergebracht hat, zum Vorjahr
waren es 74,7 %. Kirchschläger forderte dann in seiner Ansprache
alle auf, gemeinsam die Wirtschaftsprobleme zu lösen, war ganz
Staatsvater, scheinbar aber nicht ganz sicher, ob er so weit hätte
gehen sollen. Da er mich nachher fragte, was ich dazu sage. Da
ich ja von einer Konsenspolitik seit eh und je überzeugt war, stimmte
ich mit den Aussagen vollkommen überein. Seit 1970 vertrete ich die
Meinung, die Sozialpartner stärker heranzuziehen. Kreiskys Idee und
Politik aber war immer, Regieren muss die Regierung und je mehr sie
regiert, um so besser. Da der Bundeskanzler aber noch niemals bei
einer Wiener Messe war, diesmal ist ausnahmsweise sogar Androsch
als Vizekanzler erschienen, hat es dort noch niemals, nicht zuletzt,
weil auch der Bundespräsident die Messe stets eröffnet hat, wirklich
konträre Aussagen bei diesem feierlichen, fast würde ich sagen,
hochoffiziellen Akt gegeben. Sallinger meidet weitestgehend die
Konfrontation, ich selbst bin auch immer sehr zurückhaltend, so dass
nachher Kardinal König, der ausnahmsweise auch einmal bei der Messe-
eröffnung anwesend war, nachher zu mir meinte, ihm hätten die Reden
alle gut gefallen, viel gesagt und seien sehr staatstragend gewesen.
Das einzige, was ich mir überlegte, dann aber doch ankündigte, war
die neue Existenzgründungsaktion, die ich mit Androsch, den ich
dort gleich zitierte, um ihn festzulegen und Stadtrat Mayr vereinbart
habe.
Aufstockung ohne die Höhe zu sagen und in Hinkunft mit den Ländern
geteilte Aufwendung gemeinsam. Wenn ich so wie immer Hemmungen hatte,
eine Aktion, bevor sie im Detail festgelegt war, anzukündigen, diesmal
zurückstellte, so hatte ich fast einen sechsten Sinn, denn in der
Zeitung las ich dann, dass Androsch sie bereits eingekündigt .
ANMERKUNG FÜR PLESCH: Mit Jagoda habe ich schon vereinbart, die
Verhandlungen sofort zu beginnen.
Die Landwirtschaft hat in der ehemaligen Weinhalle von der Messe
für unzählige Millionen wie Präsident Bierbaum von der NÖ Landwirt-
schaftskammer bei seiner Eröffnungsansprache dann dort sagte, für
ein Agrarzentrum bekommen. Diese wirklich einer Messe unwürdige
Saufbaracke, wie ich sie immer bezeichnete, wurde nun zweckmässig
umgebaut und neu gestaltet. Ein grosser Saal dient jetzt auch
für Symposien. Präs. Bierbaum hielt eine lange Eröffnungsansprache,
wo er alle Wünsche der Bauern vortrug. Landwirtschaftsminister Haiden
erwiderte dann auch von einer vorbereiteten Rede seine Agrarkonzep-
tion. Alle wurden schon merklich nervös. Da es dann auf Mittag ging
und noch die Weinschau zu durchschreiten war. Ich sagte, bei der
Landwirtschaft fast wie immer, halb so viel Redner, doppelt so
wie bei der Eröffnung, wo vier Personen sprachen. Haiden entwickelte
aber eine umfassende Agrarpolitik und möchte tatsächlich die Probleme
angehen. Nachher diskutierte ich mit ihm, wie er sich bei Getreide
bezüglich der Übernahme verhalten wird. Er meint, erst jetzt müsse
er die Milchüberschussproduktion und durch eine Kontingentierung
einschränken. Er könne deshalb jetzt nicht auch noch mit den Getreide-
bauern diesbezügliche Verhandlungen und mehr oder minder einen
Streit beginnen. Ich schlug ihm nur vor, er muss zeitgerecht
klarstellen, ob er die gesamt Getreideernte des nächsten Jahres
übernehmen wird, oder nicht doch klarstellen, dass dies auf Risiko
der Händler und Lagerhausgenossenschaften geht. Vor allem muss er
trachten zu verhindern, dass er durch einen Erlass von seinem
Ministerialrat Stühlinger bezüglich der Getreidelagerung wieder
präjudiziert wird. Bei der Landwirtschaftskammer bin ich dann demonstra-
tiv in das Stüberl gegangen, wo immer die Aussprache der GedHEX,
Die Gewerkschaft der Herren Experten, damals der nachfolgende
Finanzminister von der Handelskammer, Sekr. Wirlandner von der AK,
KAD Leo Müller von der Landwirtschaftskammer und ich bei jeder
Messe und getroffen haben und dort diskutierten. Jetzt hatte ich
mit dem neuen Kammeramtsdirektor und Dr. Korbl eine Aussprache
wegen Stärke-Förderung. Korbl meinte, der Finanzminister müsste
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unbedingt 11 Mill. zusätzlich in meinem Budget bereitstellen,
damit den Waldviertler Bauern eine entsprechende Subvention
gewährt werden kann. Ich erklärte ihm, dass das Budget des Handels-
ministers bereits verhandelt und angeschlossen ist und der Finanz-
minister sich, wenn überhaupt sich nur dazu entschliessen würde,
beim Landwirtschaftsminister gegebenenfalls Vorsorge zu treffen.
Die Landwirtschaft wird glaube ich noch Staatssekretär a.d. Haider
und Gen.Sekr. Mussil von der Handelskammer zum Finanzminister schicken,
weil Gen.Dir. Wohlmeyer von Gmünd bis jetzt überhaupt niemals eine
Vorsprache erreichten konnte.
Zur Staatsbürgerversammlung nach Reisenberg bin ich durch einen
reinen Zufall zurecht gekommen. Auf meinem Programm und die Ver-
ständigung der Landesorganisation NÖ ebenfalls lautete 16 Uhr,
am Hauptplatz. Tatsächlich hat die Versammlung bereits um 15 Uhr
begonnen, wie ich aus einem alten Brief, den ich zufällig
las entnommen habe.
ANMERKUNG FÜR WIESINGER: Wie ist dies möglich, Versammlungstermine
bitte immer prüfen.
Reisenberg ist eine kleine Gemeinde mit 1.000 Mitbürgern, seit
1965 herrscht dort zu meiner grössten Verwunderung ebenfalls eine
sozialistische Mehrheit. Das Budget, das früher 1 Mill. ao.
Ausgaben und 900.000 ordentliche nur umfasste, beträgt jetzt
7,6 Mill. im Vorjahr und wird heuer auch nicht weniger werden,
da grosse Kanalbauten um 6 Mill. und andere Verschönerungen der
Gemeinde durch Grünpflanzungen usw. vorgenommen wurden. Die
Gemeinde hat jetzt 2/3 soz. Mehrheit im Gemeinderat, ausgelöst
durch die Aktivitäten, die der Bürgermeister entfaltet. U.a. gelang
es ihm, eine Glasschleiferei und sonstige kleinere Betriebe anzusie-
deln. Dadurch erhält er 150.000 S jetzt schon Lohnsummensteuer.
Um die Ansiedlung zu garantieren, schliesst er mit den Firmen Kontrakte
ab auf 10.- S pro m² Grund, dafür aber, wenn sie nicht ansiedeln
dann eine Nachzahlung auf 200.-/m². Wirklich beeindruckend für
mich war aber, dass dort eine grosse Siedlung an einem Teich, der
ausgehoben wurde, von Wienern mit Zweitwohnungen angelegt wurde.
Ich habe sie besichtigt, festgestellt, dass dort um 650.000
bis 800.000 S Siedlungshäuser zu kaufen waren, jetzt natürlich
schon alles ausverkauft ist und dass man nicht eine Schottergrube
als Teich ausbaute, sondern man ursprünglich eine nasse Wiese
ausbaggerte und sich dann ohne Schottergewinnung tatsächlich
auch ein künstlicher See bildete. In U-Form sehr gepflegt an
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diesem künstlichen schönen See 200 Häuser. Für die Gemeinde
sicherlich ein gutes Projekt.
Tagesprogramm, 10.9.1977