Freitag, 17. Juni 1977
Die Hermes-Werke – Gas-, Warmwasser-, Speichererzeuger – die
ich besichtigte, machten auf mich keinen sehr beruhigenden Eindruck.
Der 84-jährige Besitzer, Dipl.Ing. Hermann, ist sicherlich ein
äusserst tüchtiger Mann, der unmittelbar nach dem ersten Weltkrieg
diese Produktionsstätte dort errichtete und bis zu seiner Emigration
auf leitete. Damals sicherlich ein bedeutender Betrieb. Nach seiner
Rückkehr hatte er dieses Werk, welches total ausgebombt war, wieder
aufgebaut und arbeite sozusagen in Einzelfertigung. Kein Fließband,
keine wirklich bedeutende technische Erneuerung. Von 4 Betrieben dieser
Art sind 3 bereits zugrunde gegangen. Durch die Gasumstellung ist
die Auftragslage derzeit günstig. Im Speisesaal, der gleichzeitig
als Schauraum dient, sind von der jetzigen Gasumstellung Öfen aus
der Jahrhundertwende aufgetaucht. Gute Werkmannsarbeit, lange
haltend, beste Qualität. Guter sozial geführter Betrieb, der
allerdings eine wirklich bedeutende zukunftsträchtige Produktion
dringend bräuchte. Niemand hat mir diesbezügliche Andeutungen ge-
macht, ich hatte fast das Gefühl, man hat tunlichst vermieden,
sowohl vom Betriebsrat als auch von der Leitung des Unternehmens,
darauf zu sprechen zu kommen. Stolz mit dem Orden auf der Brust
ging Ing. Hermann mit mir durch den Betrieb, sicherlich von ihm
eine grosse Leistung, zweimal aus dem Nichts ein solches Werk zu
schaffen. Was aber wird die Zukunft bringen.
ANMERKUNG FÜR WANKE UND PLESCH: Niemand fragte mich, aber gibt es
nicht irgendwelche Studien, die man zur Verfügung stellen könnte?
Im Plenum des Nationalrates wurden die Ausführungen von Kreisky und
Androsch über den Wirtschaftsbericht der Bundesregierung natürlich
fast ausschliesslich von den beiden bestritten, es wurden ja fast
ausschliesslich nur die Angriffe der Opposition gegen diese beiden
gerichtet. Manchmal denke ich mir, es ist feig sich dort aus dem
Kampfgetümmel herauszuhalten. Als Abgeordneter ist es aber unüblich
und wäre eine Sensation, wenn ich mich als Redner melden würde,
als Minister aber von der Ministerbank habe ich wirklich kaum
eine Chance, ohne aufdringlich zu erscheinen, mich dort zu Wort zu
melden. Selbst der sehr detaillierte Hinweis Kreiskys bei seinen
Ausführungen wegen der zukünftigen Atomenergiepolitik hat zumindestens
solange ich dort im Plenum zuhörte, auch keinerlei grosse Rolle ge-
spielt. Da ich nicht genau wusste, ob nicht doch mit stärkeren
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Angriffen gegen mich zu rechnen ist, habe ich auf den Vortrag
von Amerongen, dem Repräsentanten der deutschen Industrie bei
der Chemie-Tagung und auch auf das anschliessende Mittagessen
im kleinen Kreise gerne verzichtet. Wie ich nachher feststellte,
hätte ich ohne weiteres gehen können, ich möchte aber nicht,
dass jemand mir den berechtigten Vorwurf macht, dass ich stunden-
lang bei der Wirtschaftsdebatte abwesend bin und womöglich ein
anderer mich verteidigen müsste. Der an und für sich unberechtigte
Vorwurf von Abg. Lanner, der sich bei der Integrationsdebatte
wegen eines Essens abwesend war, hat doch wesentlich stärker bei
mir gewirkt, als ich zugestehen wollte.
Da zeitgerecht der Entwurf des Berichtes über die Kernkraft
zu meiner grössten Überraschung von der Druckerei mit 200 Exem-
plaren ausgeliefert wurde, konnte ich bereits mittags Kreisky sein
Exemplar übergeben. Zuerst hatte er nur noch den Wunsch, dass
man ENTWURF über diese Schrift hätte stempeln sollten. War aber
mit der Vorgangsweise, dass die Parteivorstandsmitglieder ihn
jetzt bekommen, einverstanden. Dies war ja letzten Endes seine
Idee, die ganze Frage bei der Parteivorstandssitzungsklausur
in Baden zu besprechen und letzten Endes zu beschliessen. Durch
einen Anruf von Gratz wurde er nachmittags darauf aufmerksam,
dass in der geschichtlichen Darstellung für die Ostblockstaaten
der Ausdruck "sozialistische Staaten" gebraucht wurde. Er ersuchte
mich daher sofort, ich sollte dies durch kommunistische Staaten
korrigieren. Jetzt dürfte ihm klar geworden sein, dass die
einzelnen Exemplare bereits bei den Vorstandsmitgliedern liegen
und daher nur im Rahmen der Diskussion in der Klausur in jeder
Beziehung allerdings korrigiert werden können. Er meinte, wir
hätten von diesem Bericht die Deckblätter, Inhaltsangabe usw.
weglassen sollen, wie dies auch bei der Schlussfolgerung der
Fall ist. Er fürchtete und dies nicht zu unrecht, dass die
anderen Parteien, wenn sie erfahren, dass dieser Bericht in
dieser Aufmachung im Parteivorstand behandelt wurde, sofort erklären,
der Parteivorstand macht die Regierungspolitik im Detail. Er
schlug mir zu meiner grössten Überraschung vor, ich sollte unver-
züglich die entsprechenden Exemplare auch der ÖVP und den Freiheit-
lichen zustellen. Den Begleitbrief habe ich dann mit ihm im Detail
abgesprochen. Im Auftrag des Herrn Bundeskanzlers übermittle ich
Ihnen den Entwurf eines Regierungsberichtes über Kernenergie
zur Vorinformation, wobei jede Änderung aller Art vorbehalten
sind. Ich hoffe, er ist sich vollkommen klar darüber, dass damit
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die Diskussion über diesen Bericht eröffnet ist. Mir kann dies
nur recht sein, ich glaube je schneller wir uns endgültig dazu
entscheiden, umso eher wird eine Beruhigung in jeder Beziehung ein-
treten. Der Lernprozess, wie sich Broda immer ausdrückt, muss
meiner Meinung nach auch einmal ein Ende haben. Der Baufortschritt
bei Zwentendorf zwingt uns ja, irgendwie einmal jetzt endgültig
zu entscheiden. Am glücklichsten aber über diese Entwicklung war
Heinz Fischer. Heindl und mir gegenüber war er sehr beunruhigt,
weil Chorherr von der Presse ihn gefragt hat, wie es jetzt eigentlich
mit der Atomdiskussion weitergehen soll. Fischer hat den Stand-
punkt, den übrigens auch Kreisky akzeptiert, dass das erste
Kernkraftwerk Tullnerfeld in Betrieb gehen soll und die anderen noch
hinausgeschoben werden, für eine Zwischen- oder Dauerlagerung jetzt
gesorgt werden muss und damit eigentlich die Weichen klargestellt
sind, Chorherr erklärt. Dieser hat dann zu seiner grössten Verwunderung
gemeint, das sei das erste Mal, dass ein sozialistischer bedeutender
Funktionär eine solche dezidierte Erklärung abgibt. Darüber war
Heinz Fischer so erschrocken, dass er zu mir kam, ganz aufgeregt, und
meint, was das für Folgen haben könne. Ich habe ihn insoferne sofort
beruhigt, als ich sagte, gar keine, denn für Chorherr ist es vielleicht
das erste Mal, dass er es von Heinz Fischer hört. Für mich war es
nur ein Beweis mehr, wie sehr es notwendig ist, jetzt wirklich eine
endgültige Entscheidung herbeizuführen. Die Kernkraftwerksgegner
werden wir nicht davon überzeugen können, diese ewige Diskussion
die auch in 10 Jahren keine endgültige Entscheidung von der Wissen-
schaft erwarten lässt, beunruhigt aber die österr. Bevölkerung und
muss sich auf die Dauer gegen uns richten. Einmal mehr wurde mir bestätigt,
dass es unmöglich ist, eine Partei oder eine Regierung zu führen,
ohne nicht und womöglich nicht nach einem allzu langen Lernprozess
und Willensbildungsprozess eine Entscheidung zu treffen.
Da am Abend die Patent- und Markenschutznovelle sowie das Zinn-
abkommen auf der Tagesordnung im Plenum standen, konnte ich nur
ganz kurze Zeit bei der Jubiläumsfeier der Hohenauer Zuckerfabrik
anwesend sein. Ich erklärte dort freimütig vor der Direktion und
der Belegschaft, dass wir jetzt in der Zuckerindustrie schweren
Zeit entgegengehen. Dies bezieht sich nicht nur allein auf die
Schliessung der Dürnkruter Zuckerfabrik, sondern auch auf die zu
erwartenden Auseinandersetzungen bezüglich der Preis- und Absatzfrage.
Durch den Verfall des Weltmarktpreises für Zucker wird unser ganzes
Exportsystem in den Grundfesten erschüttert. Präs. Habig begrüsste
mich dort als Chef für beide. Für die Beschäftigten als Obmann
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der Lebensmittelarbeiter und für die Unternehmer als Handelsminister.
Klar und deutlich sagte ich ihm aber und zog den Vergleich und
das Beispiel bei den graphischen Unternehmungen heran, dass ich mich
immer um sachliche Lösungen bemühen werde, dass aber mein Herz
und Standort eindeutig bei der Arbeitnehmerseite ist.
Da die Wirtschaftsdebatte viel länger dauerte als alle angenommen
haben kam natürlich die Patent- und Markenschutznovelle, die doch
von einigermassen Bedeutung ist, sehr spät erst zur Behandlung.
Am liebsten hätte man überhaupt keinen Redner mehr zugelassen, weil
ja alle nach Hause fahren wollten. Die ÖVP aber vor allem auch die FPÖ
bestanden darauf, weshalb dann König und Stix begründeten, warum sie
trotzdem sie am Anfang ablehnen wollten, jetzt der Gebührenerhöhung
um 100 % zustimmten, weil man ihnen bezüglich der kleineren Betriebe
die die Gebührenerhöhung nicht verkraften können, von Seiten des
Handelsministers Zusagen gemacht hat, in der Arbeitsgemeinschaft
für Patentförderung, diesen zu helfen. Sekt.Chef Jagoda wird bei der
nächsten Vorstandssitzung diesbezügliche Vorschläge machen, wobei
ich sehr gespannt bin, was die Handelskammer und wie sich die Handels-
kammer verhalten wird. Bis jetzt hat sie nämlich erklärt, sie würde
eine weitere Belastung ablehnen. In diesem Fall ist es dann Ange-
legenheit der ÖVP, Buchführung mit der Handelskammer klar zu werden.
Die vorgesehene Stundung für Erfindungen, die auf den Energiever-
brauch einen grossen Einfluss haben, wie mir Präs. Leberl versichert,
sei vollkommen uninteressant. Wirklich entscheiden, dass letzten
Endes sowohl die FPÖ als auch die ÖVP zustimmten, war dass es uns
gelungen ist, ihnen klar zu machen, dass 75 % der Anmeldungen
und Patentgebühren von den Ausländern zu bezahlen sind und von
den 25 %, wo Inländer betroffen sind, der grösste Teil auf Grossbetriebe
entfällt, die sich diese Erhöhung ohne weiteres leisten können.
Trotzdem war es für mich ein Beweis, dass man wenn man nur geschickt
und beweglich verhandelt und Heindl, der diese Verhandlungen im Parlament
geführt hat, hat dies bestens gemacht, selbst bei einer 100 %-igen
Gebührenerhöhung die ÖVP und die FPÖ dafür gewinnen kann. Die Frage
ist ja wirklich meistens, ob es möglich ist, durch Entgegenkommen
bei verhältnismässig unbedeutenden Punkten eine Zustimmung dann
zu bekommen. Oft denke ich mir, das ist schon ein Fetischismus, den
wir betreiben uns immer zu bemühen, im Handelsausschuss eine ein-
vernehmliche Lösung zu erzielen. Auf lange Sicht aber glaube ich, macht
sich eine solche Politik bezahlt.
Tagesprogramm, 17.6.1977
hs. Notizen (Tagesprogramm Rückseite)