Montag, 30. Mai 1977
Heinz Kienzl und Heinz Fischer sind wie ich der Meinung, dass
wir uns die Angelegenheit Lütgendorf hätten ersparen können.
Während einer Tour auf der Hohen Wand hatten wir lange Zeit,
darüber zu plaudern. Lütgendorf hätte, so meint Kienzl von allem
Anfang nicht viel herumreden sollen, sondern glatt erklären,
dass er im Interesse der österr. Wirtschaft und nach seiner
Auffassung der Neutralität die Exporte angeregt hat. So einfach
ist dies allerdings nicht, wie ihm Fischer und ich versuchten,
Kienzl klarzumachen. Ich persönlich sehe auch alles unter dem
Gesichtspunkt, was hilft der österr. Wirtschaft, doch glaube auch
ich, dass man bei der Neutralität sehr vorsichtig sein muss und soll.
Die längste Diskussion nahm aber unser Zahlungsbilanzproblem ein.
Die ÖNB hat mit Androsch einige Punkte wie Restriktion, Refinanzierung
eine stärkere aktivseitige Kreditkontrolle und vor allem Beschränkung
u.s.w. abgesprochen. Kienzl aber auch Fischer meinen, ich müsste
auch auf diesem Gebiet wesentlich aktiver sein und mehr in Er-
scheinung treten. Da ich überzeugt bin, dass Kreisky und Androsch
dies bei der nächsten Regierungsklausur in Hernstein sowieso
machen werden, habe ich dazu gar keine Veranlassung. Ausserdem
laufen gewisse Massnahmen wie z.B. grössere Export für Autoindustrien
die ihre Produkte nach Österreich verkaufen, Recycling insbesondere
Altstoffmassnahmen in Wien usw. Bei den Festwochenveranstaltungen
habe ich Stadtrat Schieder getroffen und mit ihm neuerdings über
das Problem der Aufstellung von Containern für Altwaren gesprochen
Schieder hat bereits positiv entschieden, durchführen muss dies aber
Stadtrat Nittel.
ANMERKUNG FÜR WAIS: Bitte dies endlich mit der Gemeinde Wien und
Produktionsgesellschaft abschliessen.
Eine wirklich lange Diskussion führen wir über die Einschaltung
des Atomwerkes Zwentendorf. Meine Meinung ist nach wie vor unver-
ändert, dass es ein Sachzwang wird, wenn das Atomkraftwerk endlich
einmal fertig wäre, es dann selbstverständlich auch in Betrieb zu
nehmen. Kienzl ist der extremste Verfechter und meint, man hätte
mit den Atomgegnern gar nicht so lange verhandeln sollen, resp.
keine Aufklärungskampagne starten sollen, die letzten Endes dann
nur den Atomgegnern als Plattform diente. Die Propaganda hat seiner
Meinung nach vollkommen versagt, weshalb seine Umfrageergebnisse
eben ein ständiges Ansteigen der Angst der Bevölkerung feststellt.
Daran sei aber nur die schlechte Propaganda der Atombefürworter
schuld. Die wirkliche Ursache liegt aber, wie auch Heinz Fischer
bestätigte, darin, dass eben keine einheitliche Meinung existiert.
Heinz Fischer meint, ich hätte mich zeitgerecht um Verbündete umsehen
müssen. Er denkt hier ganz besonders an Präs. Benya und an andere
Spitzenfunktionäre der Partei, die sich einheitlich jetzt immer
stärker für die Atomkraftwerke aussprechen. Heinz Fischer ist
nach wie vor der Meinung, dass es für mich eine grosse Gefahr be-
deutet hätte, und noch immer bedeutet, wenn ich mich zu stark
exponiere, dann wie er sagt, übrigbleibe. Diese Gefahr sehe ich
weder in der Vergangenheit noch derzeit. Ich kann und möchte nicht
ausschliesslich nach politischen Gesichtspunkten insbesondere im
Hinblick auf nächste Wahlen so wichtige Entscheidungen treffen.
Wenn ich mir aber eine Meinung gebildet habe, so sehe ich nicht
ein, dass ich sie im Hinbick auf kommende Wahlen zumindestens in
kleinstem Kreis nicht einmal vortrage. Bis jetzt hat mich noch
kein Interview resp. Interviewer so fangen können, dass ich nicht,
wie ich glaube jederzeit die gleiche Linie vertreten habe und
eigentlich mich aus dem Streit pro und contra Atomkraftwerk heraus-
gehalten habe. Dies nicht, weil ich feige bin, aber auch nicht weil ich
unbedingt nur Verbündete brauche resp. suchen möchte. Auch möchte
ich nicht den Spruch: Der Starke ist allein nur mächtig, gelten lassen,
doch glaube ich als Energieressortverantwortlicher hier meine Politik
wirklich allein vertreten zu müssen und auch zu vertreten. Heinz
Fischer hat persönlich scheinbar auch grosse Bedenken über den weiteren
Ausbau von Kernkraftwerken, er ist sehr beruhigt von mir zu erfahren,
dass wenn erst das erste in Betrieb ist, wir uns auf Grund der Bedarfs-
situation und der Vorrang des Ausbaues aller inländischen Wasser-
und Kohlevorkommen zu Elektrizitätswerken ein eventuelles zweites
dann erst bauen werden. Ich konnte ihn insoferne beruhigen, als ich
im klarmachte, dass das zweite Kernkraftwerk von den Gesellschaften
bei der Übernahme der Elektrizitätskompetenz von mir zurückgestellt
wurde, obwohl es damals bei den Elektrizitätsversorgungsunternehmungen
wenig Verständnis für diese Massnahame von mir gegeben hat. Damals agierte
ich hauptsächlich mit dem Hinweis, dass wir erst abwarten wollen, wie
die 1.300-Megawatt-Typen funktionieren, Kinderkrankheiten sollen bei
den anderen festgestellt werden und wir durch stärkeren Ausbau der
Primärenergie und gegebenenfalls durch Importe aus dem Osten unseren
Energiebedarf decken können. Damals war die Energie-Antiatomdiskussion
in Österreich noch kaum vorhanden. Heinz Kienzl ist der Meinung, dass
wir diese überhaupt nur aus Deutschland importiert haben, so wie wir
halt leider alles nachmachen, was in Deutschland geschieht. In der
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Partei haben wir die Junge Generation geschaffen und damit die
Jusos kopiert, alle gesellschaftspolitischen Wandlungen machen wir
durch, allerdings wie ich immer wieder bemerke, nicht mir preussi-
scher Gründlichkeit sondern gemildert durch die österr. Schlamperei.
Die Ananas-Ernte im Burgenland hat eingesetzt und ich konnte zu meiner
Überraschung feststellen, dass so wie jedes Jahr wahrscheinlich heuer
noch mehr Wiener hinfahren, um sich im direkten Bezug mit Ananas
einzudecken. Wenn man bedenkt, dass der Bauer dafür 25 – 30 S pro kg
jetzt erlöst, so kann man ermessen, was dieser Direkt-Selbstvermarkter-
Verkehr für die burgenländischen Obstbauern bedeutet. Ähnlich wird
es auch bei den Marillen in der Wachau zugehen. Meiner Meinung nach
müssten die Agrarier und insbesondere die Agrar-Vertretung weniger
danach gehen, wie sehr sie in Produktionsgebieten ihre Agrarprodukte
nach produktionstechnischen Gesichtspunkten erzeugen können, sondern
vielmehr danach, wie die Vermarktung nach einem Konsumzentrum
hin ausgerichtet sein kann und soll. Früher oder später werden immer
grössere Kreise von Konsumzentren motorisiert und bereit sein,
gewisse Agrarprodukte, die eine besondere Qualität oder Erzeugungs-
art haben, direkt zu kaufen. Dies gilt nicht nur für Obst und Gemüse
sondern sicherlich auch für alle anderen Produkte soweit sie nicht
durch Schädlingsbekämpfungsmittel oder gar durch Kunstdünger erzeugt
wurden. Die Angst der Bevölkerung gegen diese Gifte und der Hinweis,
dass gewisse Produkte mit einer garantierten Reinheit, natürlicher
Düngung usw. erzeugt wurden, wird für den Bauern und da ganz
besonders im Direktverkehr ungeheure bessere Preise erzielen lassen
als durch Massenproduktion über die herkömmliche Produktionsweise
und noch viel mehr über die natürlich sehr verteuernden normalen
Absatzweg.
ANMERKUNG FÜR PLESCH: Warum gibt es hier nicht mehr Aktivitäten
vom Landwirtschaftsministerium?