Freitag, 27. Mai 1977
Der letzte Tag unseres Gewerkschaftskongresses in Oberlaa
beschäftigte sich mit den 45 Anträgen und 2 Resolutionen.
Vier Anträgen mussten sogar noch die Dringlichkeit zuerkannt
werden, weil die Kommunisten den Einreichungstermin versäumt haben.
Diese Fraktion ist bei uns so schwach und so schlecht organi-
siert, dass sie nicht einmal Termin einhält. Einige vermuteten,
dass die Kommunisten jetzt solche Anträge stellen werden,
dass man keinem sozialistischen Delegierten zumuten konnte,
diese zu unterschreiben. In Wirklichkeit waren die 4 Anträge so
harmlos, dass – als ich sie das erste Mal sah – angenommen
habe, dass diese von uns stammen konnten. Selbst bei der Steuer-
reform – Senkung der Lohnsteuer – sprachen sie von ehestmöglichem
Zeitpunkt. Zahmer konnte man die gar nicht formulieren. Da waren
die Anträge der Salzburger Landeskonferenz schon wesentlich
radikaler. Bei diesen wurde nicht nur die 35 Stunden-Woche ver-
langt, sondern auch noch der Termin bis zur Durchführung mit
1982 gefordert. In Wirklichkeit müsste man ja gegen solche
übrspitzte Forderungen auftreten. Der Initiator dieser Forderungen
ist ein sehr tüchtiger Betriebsratsobmann und Obmann der Landes-
organisation Suko. Gerade er war es, der mir im Präsidium nach
Aufzählung durch Sozialminister Weissenberg zuflüsterte, es ist
gigantisch, was innerhalb der 4 Jahre seit unserem letzten Ge-
werkschaftstag geschehen ist. Wahrscheinlich glaubt er selbst
allen Ernstes, dass seine Methode, recht weitgehende Forderungen
aufstellen, dies gilt nicht nicht nur für sie Sozialpolitik
sondern auch meistens bei Lohnbewegungen und Kollektivvertrags-
änderungen, um dann doch ein erträgliches Ergebnis zu erzielen.
Ich teile diese Taktik nicht, weil früher oder später radikale
Elemente einmal auf die Nichterfüllung unserer Gewerkschafts-
tagsbeschlüsse hinweisen könnten. Darüber aber zu diskutieren
oder gar vielleicht zu streiten, zahlt sich für mich auch nicht
aus. Zwei Anträge waren sehr interessant, sie verlangten
ein Konsumentenschutzgesetz und eine Konkursversicherung, während
wir diese Anträge beschliessen, liegen bereits Gesetzentwürfe vor,
resp. sind in der Begutachtung. Der rechtlich verzwickteste An-
trag war aber, dass die Jugendorganisation vom Gewerkschaftstag
verlangte, es sollte einem Antrag zugestimmt werden, dass wenn
Lehrlinge, obwohl dies gesetzlich verboten ist, Überstunden machen
müssen, dass sie dafür auch tatsächlich den Hilfsarbeiterlohn
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plus Überstundenzuschlag bekommen sollten.
ANMERKUNG FÜR WAIS: Lass bitte rechtlich prüfen, ob dies
überhaupt möglich ist.
Bei den Anträgen entwickelte sich auch nicht einmal bei noch
so kritischen eine Diskussion. Zu einer langwierigen Ausein-
andersetzung kam es dann, als ein Antrag vorlag, das Grundlehr-
jahr für die Bäcker und Zuckerbäcker gemeinsam zu gestalten
und das Handelsministerium und Unterrichtsministerium aufge-
fordert wurden, die Voraussetzung dafür zu schaffen.
Es entspann sich eine Diskussion, ob tatsächlich die Bäcker und
Zuckerbäcker eine solche Verwandtschaft haben, dass ein gemeinsamer
Grundlehrgang im ersten Lehrjahr, d.h. dieselbe Ausbildung er-
folgen sollte. Die Berufsschulen sind verschieden. In der Steier-
mark hat man erst jetzt eine für die Bäcker an der jug. Grenze
gebaut und die für die Zuckerbäcker wird im Ennstal errichtet.
Grössere Differenzen – hier zumindestens was die Distanz betrifft –
kann es in einem Land nicht geben. Darüber aber gibt es noch Differen-
zen innerhalb unserer Organisation zwischen den Gruppen Zucker-
bäcker und Bäcker. Die Jugendvertreter appellierten an die Soli-
darität innerhalb unserer Lebensmittelarbeitergewerkschaft,
die Fachausschüsse sollten eingeschaltet werden, war eine weitere
Forderung der Diskussionsbeiträge. Letzten Endes wurde die Resolu-
tion und dies war ein Novum gegen 4 Stimmen angenommen.
ANMERKUNG FÜR JAGODA UND WAIS: Bitte prüfen, ob wir ein neues
Lehrsystem (Bäcker und Zuckerbäcker-Beispiel) mit Grundlehrjahr
konstruieren sollen.
Um durch die Rationalisierung die davon Betroffenen nicht allzu
sehr zu schädigen, beschäftigt sich ein Antrag, das Sonderunter-
stützungsgesetz für Stillegung von Kohlenbergwerken auch auf die
Lebensmittelindustrie anzudehnen . Dafür sehe ich kaum eine Chance,
obwohl ich vor längerer Zeit schon erwartet habe, dass andere
Berufsgruppen als die Kohlenarbeiter ebenfalls auf die Idee
kommen werden, wenn sie ihrer Arbeitsplätze verlustig werden,
eine Unterstützung vom Staat zu verlangen, die über die normale
Arbeitslosenversicherung hinausgeht.
Bei den Wahlen zu unseren Gewerkschaftsorganen – der Obmann
und die Obmannstellvertreter werden einzeln abgestimmt –
und die anderen en bloc, gab es nur eine Änderung bei der christli-
chen Fraktion. Der bisherige Vertreter im Präsidium wurde von
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der christlichen Fraktion abgewählt, der neue Kandidat, BRO der
Tullner Zuckerfabrik gewann mit 20 : 12 Stimmen. Selbstverständlich
erhielt er vom Gewerkschaftstag mit Ausnahme einer einzigen
Stimme – ein Sozialist hat aus mir unerklärlichen Gründen dagegen
gestimmt – auch die entsprechende Akklamation. Natürlich fragten
mich einige vorher einzeln, ob ich nicht zittere, dass ich wieder
gewählt werde. Vor 20 Jahren wurde ich 1957 beim Linzer Gewerk-
schaftstag als Obmann-Stellvertreter unbekannt den Delegierten,
gewählt. Damals hatte insbesondere der Sekretär der Getränke-
arbeiter Kellner, die Idee den Delegierten eingeimpft, sie sollten
sich wenn der ehemalige Zentralsekretär Berka jetzt zum Obmann
gewählt wird, überlegen, ob ich nicht der richtige Obmann-Stv.
und zukünftiger Obmann dieser Organisation werden sollte. Tat-
sächlich ist ihm dies damals auch geglückt, denn auch in Linz gab
es gegen mich keine Gegenstimme. Wahrscheinlich dachten einige, die
sicherlich nicht sehr begeistert waren von dieser Entscheidung,
immerhin machten sich doch viele Sekretäre oder auch Funktionäre
Hoffnung, dass sie einmal Obmann dieser Organisation werden, ich
würde doch früher oder später schon als Obmannstellvertreter ver-
sagen und dann die Organisation wieder verlassen. Genau das Gegen-
teil trat ein, Blümel wurde zum Zentralsekretär erkoren und eine
gute Zusammenarbeit zwischen ihm und mir war glaube ich die Vor-
aussetzung, dass wir sehr bald die Gewerkschaft de facto führten
und seit 1960, als Berka dann frühzeitig in Pension ging, wir dann
unsere Organisation, ich glaube fast wirklich mit aller Bescheiden-
heit sagen zu können, optimalst führten. Seit dieser Zeit gibt es
bei uns keine Personaldiskussion und die Wahlen erfolgen stets
einstimmig und ohne grössere Schwierigkeiten. Diesmal gab es
interessanterweise nur wegen des Obmann des Überwachungsausschusses
ein schwere Differenz. Da der neue christliche Obmann-Stv. ein
Zuckerarbeiter ist, haben die Zuckerarbeiter verlangt, dass
auch ihr sozialistischer Obmann in dem Vorstand vertreten sein
muss. Die Vorstandsmitglieder sind aber nicht nur nach Ländern
sondern was noch viel wichtiger ist nach Gruppen genau aufgeteilt.
Zu diesem Zweck ist auch mein Mandat jetzt auf Grund der neuen
Geschäftsordnung, d.h. das Mandat des Obmannes ein sogenanntes
gesetztes und soll nicht mehr einer Gruppe angerechnet werden.
Um die berechtigte Forderung der Zuckerarbeiter zu erfüllen, wurde
deshalb beschlossen, dass der Obmann der soz. Zuckerarbeiter
Obmann des Überwachungsausschusses werden soll, der dann Sitz
und Stimme im Zentralvorstand hat. Die Konstituierung des Über-
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wachungsausschusses erfolgt aber autonom. Der Berater des Wahlkomitees
Sekr. Staudinger hört aber immer das Gras wachsen und hat deshalb eine
provisorische Konstituierung mit an und für sich ungewöhnlicher
geheimer Abstimmung durchführen lassen. Das Ergebnis war, dass tat-
sächlich statt dem Zuckerarbeiter, der ein Fettvertreter mit 3 : 2
Stimmen gewählt wurde. Dies widersprach aber klar unserem Beschluss
in der soz. Fraktion und dem ganz kompliziert aufgebauten Gebilde
der Vertretung der einzelnen Gruppen. Wir mussten deshalb den
Gewerkschaftstag unterbrechen und Verhandlungen mit den einzelnen
Vertretern führen. Dabei machte ich eine für mich überraschende
Feststellung: Mit wem immer ich auch sprach, jeder war empört,
und erklärte, diese Vorgangsweise für unmöglich, wenn die Fraktion
entsprechende Beschlüsse gefasst hat, dann muss sich jeder an
diese Fraktionsbeschlüsse halten, sollte einer sich jetzt erst dagegen
aussprechen, bei der Fraktionsaussprache hat es nämlich darüber
überhaupt keine Diskussion gegeben, dann sollten wir sofort eine
neue Fraktionssitzung machen und ganz neue Überwachungsausschuss-
mitglieder vorschlagen, die sich dann an den Fraktionsbeschluss ge-
bunden fühlen. Natürlich hat wahrscheinlich dann auch diese Stimmung
dazu beigetragen dass der Überwachungsausschuss sofort erklärte,
es handelt sich um ein Missverständnis und die Konstitution er-
folgt nach Wahl der einzelnen Organe so wie es die Fraktion beschlossen
hat.
Die Wahlen im Gewerkschaftsbund, egal ob Bundesvorstand, Gewerk-
schaftskongress oder die Wahlen in den einzelnen Gewerkschaften ge-
schieht, seitdem ich mich erinnern kann, offen und nicht wie dies in
der Partei üblich ist, durch geheime Abstimmung und schon gar nicht durch
dieses komplizierte System, wie wir es in den letzten Parteitagen
handhaben. An und für sich könnte man sagen, dass es sich hier
um eine sehr undemokratische Methode handelt, weil wenn jemand
gegen jemanden auftritt, denn muss er dies freimütigst in den
Fraktionen vorher bekennen, dazu gehört sicherlich eine beträcht-
liche Portion Mut. Andererseits aber gibt es durch dieses Wahl-
system eine verhältnismässig stabile Führung und kaum eine Personal-
diskussion in der Öffentlichkeit. Die Massenmedien lesen bei den
Wahlen in den Parteiorganen immer wieder ab, wenn einer um ein paar
Stimmen weniger bekommt als der andere, dass diese unbeliebter ist,
rätseln dann in die Wahlergebnisse die verschiedensten Nachfolgefragen
hinein, alles das bleibt uns im ÖGB Gott sei Dank erspart. Obwohl es
mich persönlich sehr interessieren würde, ob meine Obmannschaft
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wirklich so unumstritten ist, wie mir es alle versichern, glaube
ich doch, dass es unzweckmässig wäre, auf eine geheime Abstimmung
umzusteigen. Ich konnte innerhalb unserer Lebensmittelarbeiterorgani-
sation in der Vergangenheit feststellen, dass sehr wohl notwendige
Personalkorrekturen durchgeführt wurden und andererseits die Gewählten
solange sie eben im Amt waren auf eine auch optisch nach aussen hin
grosse Mehrheit verweisen konnten. Gerade das sehr komplizierte
Gebilde des ÖGB und seiner Fachgewerkschaften, seine Landesexekutiven,
seiner Betriebsräte und Funktionäre bedarf sicherlich eines eigenen
Wahlsystems. Ich würde mir nicht getrauen, dies zu ändern und habe
auch gegenüber allen diesbezüglichen Ideen, die interessanterweise
immer von aussen in die Gewerkschaftsorganisation hineingetragen
werden, Stellung genommen. Die starke Organisation ohne eine Führungs-
diskussion und insbesondere Nachfolgefrage erscheint mir wichtiger
als ein formalrechtlich demokratischer Wahlvorgang.
Tagesprogramm, 27.5.1977