Samstag, der 26. Februar 1977

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Samstag, 26. Feber 1977

In der Fraktion des Gewerkschaftsjugendvorstandes ca. 30 Personen
diskutierten Hofstetter, Jagoda und ich stundenlang. Nach meinen
sehr ausführlichen Bericht über das Berufsausbildungsgesetz und
ganz besonders über die Spitzengespräche musste ich feststellen, dass
der grösste Teil der Gewerkschaftsjugend-Vertrauenspersonen über
das Ergebnis sehr enttäuscht waren. Die Jugendlichen hatten mit der
Aktion 75 eine richtige Kampagne entfacht, um endlich ein befriedigen-
des Berufsausbildungsgesetz zu bekommen. Unglückseligerweise hat dann
die Arbeiterkammer entgegen meinem Rat einen Gesetzentwurf ausgearbeitet,
darin sieht sie eine autonome Behörde weg von der Bundeskammer in
Form einer Organisation, wie in der Hauptverband für die Sozialver-
sicherungsträger kennt, vor. Finanziert soll das Ganze werden durch
eine 2 %-ige Steuer oder Umlage auf die Lohn- und Gehaltssumme. Die
Jugendlichen haben scheinbar schon damit gerechnet, dass sie Milliarden-
beträge dann für die Lehrlingsausbildung selbst verwalten können.
Eine ungeheure Illusion. Beim Gipfelgespräch musste ich damals schon
feststellen, dass Benya nicht daran denkt sich in ein so ein Wagnis
einzulassen. Gerade durch die Tatsache, dass wir jetzt in den nächsten
drei Jahren mehr Lehrlinge unterbringen müssen und dadurch die Handels-
kammer in eine starke Verhandlungsposition bringt hat dazugeführt,
dass wir vielleicht eine Spur noch nach nachgiebiger gegen die intransi-
gente Haltung von Sallinger und ganz besonders Mussil gewesen sind.
Niemand würde nämlich verstehen, wenn durch eine harte Auseinandersetzung
tausende Jugendliche keinen Lehrplatz bekommen könnten. Ein Appell der
Handelskammer an ihre Mitglieder weniger Jugendliche einzustellen,
würde wahrscheinlich sofort ein erfolgreiches Echo finden. Dazu kommt
noch, dass die verfassungsrechtliche Situation einen Beschluss im Par-
lament entweder mit 2/3-Mehrheit erfordert, oder die sechs ÖVP-Landes-
hauptleute einer Änderung der derzeitigen Behördenorganisation zu-
stimmen müssten. Beides ist vollkommen unmöglich wenn die Handels-
kammer sich dagegen ausspricht. Im Laufe der Diskussion ist es dann
dem Jugendsekretär Verzetnitsch, aber auch dem sehr geschickt agierenden
Obmann Kinigadner, einem Metallarbeiterfunktionär der Gewerkschafts-
jugend, aber auch anderen vernünftigen und einsichtigen Funktionären
und teilweise Repräsentanten grosser Gewerkschaften doch gelungen, die
Jugend davon zu überzeugen, dass man meinen Vorschlag annehmen soll.
Dieser hat schlicht und einfach den alten Grundsatz der Gewerkschaft
wiedergegeben. Das Ziel soll unverändert bleiben, niemals kann man
ein Ziel in einem Schritt erreichen, weshalb man die Ergebnisse


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akzeptieren soll und als eine Novelle zum jetzt bestehenden Be-
rufsausbildungsgesetz im Parlament eingebracht werden sollte. Un-
mittelbar daran anschliessend wäre der Kampf fortzusetzen, ohne
dass man dies jetzt bereits sagt, dergestalt, dass Weissenberg
und die Gewerkschaftsjugend, die dies immer verlangt hat, die
Lehrlingsausbildung von der Gewerbeordnung trennt und dem Sozial-
minister als Arbeitsmarktverwaltungsmassnahme überträgt. Voraus-
setzung dafür ist allerdings, dass die Verfassungsfrage einwand-
frei geklärt wird, damit nicht wieder dann aus verfassungsrechtlichen
Gründen eine Lösung nicht möglich ist. Bis zu diesem Zeitpunkt wird
auch der Höhepunkt der Lehrlingsunterbringungsziffern überschritten
sein und die Verhandlungsposition der Handelskammer wird sich dadurch
wesentlich verschlechtern. Jagoda, der sich auch bei dieser Aussprache
wieder trefflichst gewährt hat, mit Schaudern hätte ich daran gedacht,
wenn MR Kinscher noch für die Lehrlingsfrage allein zuständig gewesen
wäre und die verfassungsrechtliche Frage im späteren Zeitpunkt nach
Beschlussfassung der Novelle mit dem Sozialministerium und dem Ver-
fassungsdienst eindeutig abklären. Die grösste Schwierigkeit bestand
darin, dass der Gewerkschaftsvorstand und auch einzelne Fachgewerk-
schaften wie z.B. die Jugendlichen der Lebensmittelarbeiter schon be-
schlossen haben, sie wollen zusätzliche Aktionen wie Unterschriften-
sammlungen usw. durchführen um endlich ihre Probleme weiterzutreiben.
Hofstetter hat aber dezidiert erklärt, dass der Gewerkschaftsbund jedwede
Aktionen solange noch verhandelt wird – ich würde fast sagen - ver-
bietet. Obwohl letzten Endes dann doch ein gemeinsamer Beschluss
zustande kam, konnte ich die Enttäuschung merklich herausspüren.
Verzetnitsch hat während der Diskussion schon ein 9-Punkte-Konzept vor-
gelegt, über das dann einzeln abgestimmt wurde. Zusammenfassend wurde
festgestellt. Die Ergebnisse des Spitzengespräches werden zur Kennt-
nis genommen. Die Behördenorganisation wurde keine Einigung in unserem
Sinne erzielt, auch dieses Ergebnis wird zur Kenntnis genommen. Es wird
weder einen Fond noch eine Steuerermässigung geben. Die Mittel, die
für die Lehrlingsausbildung notwendig sind, werden von der Handels-
kammer mit Arbeitsmarktförderung sowie anderen Förderungsmitteln nach
Beratung in den Landesbeirat wo die Arbeitnehmer einzelne Beispiele
aufzeigen werden was geschehen muss, aufzubringen sein. Ergebnisse
des Spitzengespräches über die Behörde und den Fonds werden schon jetzt
in den Organisationen bekanntgegeben. Insbesondere wird aber die Dar-
stellung der Änderung der Behörde schon jetzt übermittelt. Detailfragen
werden weiter verhandelt. Nach Abschluss wird überall voll informiert
und die Stellung der Handelskammer aufgezeigt. Es wird nur eine Novelle


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jetzt möglich sein und der Handelsminister soll eine solche dann
eben nur als Novelle vorlegen. Keine Aktionen werden gestartet,
solange Verhandlungen stattfinden. Der letzte Punkt war eigentlich
der schwierigste, weil eben die jungen Leute unbedingt erwarteten,
dass sie ihre Unterschriftenaktion oder sonstige Aktivitäten ent-
falten sollten und dürften. Dass letzten Endes dann doch ein einstimmi-
ger Beschluss bei 4 Stimmenenthaltungen zustande kommt, hätte ich eigent-
lich nicht erwartet. Die Disziplin der jungen Leute und das Urteils-
vermögen was kann man erreichen und was nicht, ist gigantisch.

Tätigkeit: Sozialminister
GND ID: 118806904


Einträge mit Erwähnung:
    Tätigkeit: Leiter Sekt. III HM


    Einträge mit Erwähnung:
      Tätigkeit: Gen.Sekr. HK, ÖVP-NR-Abg., später AR-Präs. Verbund


      Einträge mit Erwähnung:
        Tätigkeit: ÖGB-Präs., NR-Präs.
        GND ID: 119083906


        Einträge mit Erwähnung:
          Tätigkeit: Obmann ÖGB-Jugend


          Einträge mit Erwähnung:
            Tätigkeit: ÖGB


            Einträge mit Erwähnung:
              Tätigkeit: Leitender Sekretär ÖGB, SPÖ-NR-Abg.
              GND ID: 136895662


              Einträge mit Erwähnung:
                Tätigkeit: Sekt.R HM


                Einträge mit Erwähnung:
                  Tätigkeit: Handelskammer-Präsident


                  Einträge mit Erwähnung: