Dienstag, 7. Dezember 1976
Im Ministerrat berichtet Weissenberg über die günstige Arbeits-
marktsituation, 2.732.000 noch immer den höchsten Beschäftigtenstand,
der jemals im November war. 56.000 Arbeitslose sind ebenfalls noch
sehr günstig ergeben 2 % Arbeitslosenrate, Kreisky erwähnt Belgien
mit 9,6 %. Androsch berichtet über die Affäre, seit September
wird überprüft und die Zollfahndung und die Steuerfahndung, sowie
die Staatsanwaltschaft in weiterer Folge ist eingeschaltet.
Fingierte Namen von Firmen zwecks Ersparung der Mehrwertsteuer
werden gesucht. Eine Ausserdienststellung, die Kreisky bei echten
Verdachtsgründen sofort wünscht, hat Disziplinaroberkommissär
Sekt.Chef Grüner geprüft. Der Informant an das Finanzministerium,
der prov. Beamte, sollte auf Wunsch des Münzamtsleiters gekündigt
werden, das Finanzministerium gibt dem aber nicht statt. Kreisky
ist der Meinung, man soll gegen die leitenden Beamten, wenn sie
Verstösse sich zuschulden kommen liessen, bei Verdachtsmomenten
bereits die Ausserdienststellung auf alle Fälle verfügen. Er ver-
weist besonders auf Fichtenthal, der von ihm ausser Dienst gestellt
wurde, als gegen ihn als Leiter der Staatsdruckerei schwerwiegende
Verdachtsmomente vorlagen. Vor allem aber müssen Beamte geschützt
werden, die Verfehlungen aufdecken.
Die Gespräche mit Biro, Kövari, Sekt.Chef von ihm, der extra nach
Wien gekommen ist und Madai, dem Handelsrat, sowie Meisl, Hille-
brandt und Kuzmich, drehten sich um das spezifische Gebiet der
Zollnachteile. Ab 1. Juli 1977 nach Abbau der letzten Zollsen-
kungsetappe mit der EG auf Grund unseres Freihandelszonenvertrages
wird nach Meinung Biros dann Ungarn so stark diskriminiert, dass
er infolge geringerer Export nach Österreich die Importe wesentlich
drosseln wird. Sein Vorschlag lautet deshalb, bis zur generellen
Lösung Ungarn die 50 %-ige Zollermässigung zu geben, wie wir
sie auch Rumänien, Bulgarien und Jugoslawien zuerkannten. Ich er-
klärte, diesmal aber schon weniger dezidiert, dass diese Zollermäs-
sigung für Entwicklungsländer bei der UNCTAD gemeldet werden muss,
um in dessen Genuss zu kommen. Ungarn will eine solche Erklärung
nicht abgeben sondern meint, als quasi Entwicklungsland durch
seine Exportstruktur, 60 % Rohstoffe, von uns so ähnlich behandelt
zu werden wie ein Entwicklungsland. Ich verwies auch im Laufe des
Abends beim Empfang auf der ungarischen Botschaft immer wieder auf
die Schwierigkeiten, die solche generelle Lösungen für uns bedeuten.
Die Kompetenz dafür liegt im Finanzministerium bezüglich der
Integration im Aussenministerium, weshalb wir jetzt in inter-
ministerieller Sitzung und letzten Endes einem Vortrag an den Mini-
sterrat dieses Problem nach Überprüfung genau schildern werden.
Die Ungarn erhielten von uns wieder eine Liste von Liefer- und Koopera-
tionswünschen, wo auch die spezifischen Fragen der verstaatlichten
Industrie insbesondere VÖEST-Wünsche enthalten waren. Kreisky hatte
diese gegenüber Kadar erwähnt, weshalb Biro mir dann besonders am
Abend auseinandersetzte, dass dies ganz besonders genau geprüft
wird. Kuzmich berichtete, dass die seinerzeitige von den Ungarn uns
übergebene Projektliste, die Kadar erwähnt, beim Besuch des Minister-
präsidenten Lazar ihm in Ungarn mit den Unternehmungen und auch Aussen-
handelsstellen im Detail besprochen wurde. Diese erklärten ihm, dass
insbesondere für die Lebensmittelprojekte spezifisch für die Ölmühle
Österreich geringe Chancen hätte, weil die Deutschen dabei zum Zuge
kämen. Von den meisten Projekten hatten aber diese Stellen überhaupt
keine Ahnung. Biro hat dies zugegeben und meinte nur, dies seien
alles Projekte mit zentraler Entscheidung und Kreditgewährung sodass
die durchführenden Stellen noch gar nichts wissen könnten. Für mich
ist allerdings dann vollkommen klar, dass diese Projekte in absehbarer
Zeit sicherlich nicht zum Tragen kommen. Die Ungarn stellen sich
ausserdem vor, dass z.B. die Ölmühle in Ungarn auf Kredit gebaut wird
und dann mit den Produkten dieser Ölmühle jahrelang die Rückzahlung
erfolgt. Nach den neuen terminologischen Begriffen der Ungarn also
hundertprozentige Kompensation. Das System könnte meiner Meinung nach
nur auf dem Energiesektor spielen. Die Andeutung Kadars, dass wir
ungarisches Erdgas gegen Elektrizitätslieferung beziehen könnten,
ist derzeit unmöglich. Erdgas würden wir zwar brauchen, aber
Strom können wir derzeit beim besten Willen nicht liefern, ausge-
nommen unseren spezifischen Stromvertrag, der vorsieht, dass wir
grössere Mengen Bandstrom gegen Spitzenausgleich bekommen also
Strom gegen Strom. Bezüglich des Kohlenvorkommens an der burgenlän-
disch-ungarischen Grenze soll die österr. Verbundgesellschaft mit
den zuständigen ungarischen Stellen Kontakt aufnehmen.
ANMERKUNG FÜR WAIS: Bitte versuche endlich diese Kontakte voranzutrei-
ben.
Das Referat und die Diskussion bei der Gewerkschaft der
Privatangestellten Funktionäre der Lebens- und Genussmittel-
angestellten beschränkte sich auf die Wirtschaftssituation
und auf das Unbehagen innerhalb der Arbeiter- und Angestellten-
schaft. In dieser Gruppe kommt dzau, dass z.B. die Molkereien
seit 16 Monaten keine Lohn- und Gehaltsbewegung durchgeführt
haben, weshalb sie natürlich sehr unzufrieden sind. Die Ange-
stellten haben bei diesen preisgeregelten Gruppen und wahrschein-
lich aber auch bei allen anderen kaum Chance, mehr zu bekommen
als die Arbeiter erkämpfen. Dies gibt zwar für sie dann eine
sicher Abschlussbasis, erweckt aber das Gefühl, die Angestellten-
gewerkschaft ist fast unnötig. Die Kritik ihrer Mitglieder richtet
sich deshalb auch gegen diese angebliche Inaktivität. Die Privat-
angestelltengruppe schaue eben nur nach der Albertgasse, Sitz
der Arbeitergewerkschaft, hätte keinen Kontakt zu dem Handels-
minister, Obmann der Arbeitergewerkschaft, die Informationen
erfahre man nur aus den Zeitungen. Ich informierte deshalb
diese Gruppe ganz besonders auch über die jetzige Versammlungs-
welle innerhalb der Lebensmittelarbeiterindustriebetriebe, weil
der Rahmenkollektivvertrag seit 2 Jahren verhandelt wird und
keinerlei positive Abschlüsse nach Auffassung der Unternehmer
derzeit möglich sind. Ich hätte eigentliche eine wesentlich
härtere Kritik über unsere Wirtschaftspolitik erwartet. In
diesem verhältnismässig doch kleineren Kreis habe ich zwar sehr
provokant referiert, damit eben eine interfraktionelle Dis-
kussion entbrennt.
In der ÖGB-Bundesfraktion berichtete Scheer über die Änderung
der Arbeiterkammerwahl insbesondere auf Verlangen des ÖAAB
stattfand. Der ÖAAB hat das letzte Mal bei der Wahl gewonnen und
wünscht jetzt eine entsprechende Verbesserung der Wahlordnung.
Ich wurde aufgefordert über die Wirtschaftssituation zu refe-
rieren und habe deshalb insbesondere auf die Preisentwicklung
Bezug genommen. Bei dieser Gelegenheit erwähnte ich die amtliche
Preispolitik, die zum Unterschied von der geschickten der
Arbeiterkammer und des ÖGB in der Paritätischen Kommission
sehr starr und weniger effizient ist. Heute sagen die Unternehmer
zu mir, dass sie detaillierte Unterlagen liefern müssen, diese
genau geprüft werden, bis sie dann ihre Erhöhungsgenehmigung
bekommen. In der amtlichen Preisregelung wird, wenn genau geprüft
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werden soll, sofort ein Gutachter bestellt, der viel Geld kostet,
den Beamten eine gewisse Deckung gibt und nur zu überflüssigen
Streitereien führt. Kreisky berichtete über die sozialistische
Internationale, diese hat in der letzten Zeit in der Welt einen
ungeheuren Prestigegewinn erzielt und es war deshalb notwendig,
eine funktionierende Organisation jetzt aufzubauen. Brandt als
Präsident hat sofort einen neuen Stab verlangt und deshalb wurde
Janitschek, neben dem bisherigen österr. Präsidenten Pittermann
seit Jahrzehnten ein österr. Generalsekretär, entfernt. Die Organisa-
tion war seit Adler, der immer nur Briefe und Resolutionen in einer
grossen Rocktasche mit sich herumtrugt und niemals beantwortete,
stets in einem schlechten Zustand, das will Brandt mit deutscher Gründ-
lichkeit jetzt ändern. Die Diskussion beschränkte sich nur auf
Kammerpräsident Czettel, Benya und mir wegen des Strompreises.
Während es gelungen ist, mit 6,1 % beim Gaspreis einen einvernehm-
liche Lösung zu erzielen, macht dies beim Strompreis noch bedeutende
Schwierigkeiten. Die EVUs glauben noch immer, dass sie 5 Groschen
bekommen 8 verlangten sie, 6 wären sie bereit zu gehen, während der
ÖGB und die AK höchstens 4 Groschen pro kWh zugestehen wollen.
Ich habe nicht die Absicht, mich gegen die Arbeiterkammer in der
Preiskommission zu stellen. Mit der Akontozahlung von 10 % kommen
sie in der Summe fast auf 15 % Strompreiserhöhung, dies muss genug
sein.
Heindl hat mich ausdrücklich ersuchen lassen, ich sollte die vorgesehen
AEZ-Diskussion jetzt nicht halten. Ich hatte noch keine Gelegenheit,
mit ihm darüber persönlich zu sprechen. Es muss gewichtige Gründe
dafür geben, dass er meint, ich sollte zum jetzigen Zeitpunkt zu-
mindestens diese Diskussion nicht führen. Es ist eigentlich das erste
mal, dass ich davon Abstand genommen habe. Als Grund kann ich aller-
dings mit Recht geltend machen, dass ich in der ÖGB-Fraktion eben
über die Preis- und Wirtschaftssituation berichten musste. Dies
war mindestens so wichtig wie die AEZ-Diskussion.
Bei der Wiener Konferenz wurde die Statutenänderung, die Edlinger
sehr geschickt vortrug, ohne Diskussion einstimmig genehmigt. Blecha
berichtete dann über die Wirtschaftslage, zitierte die internationalen
Preisvergleiche des Handelsministeriums, bevor er über die Bil-
dungsaufgaben referierte. Da ich vorzeitig die Konferenz verlassen musste,
weiss ich nicht, ob daran sich eine lebhafte Diskussion anschloss.
Ich fürchte, eher nein. Rösch als nö. Mandatar, der bei allen Wiener
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Konferenzen teilnimmt, meinte, mir gegenüber, das wäre die flaueste
Wiener Konferenz, die er jemals erlebt hat. Was ich befürchte
und was sich jetzt immer deutlicher zeigt, ist, dass auch unsere
Funktionäre resignieren. Kreisky hat einmal mir gegenüber und
dies ist seine Meinung die er seit längerer Zeit hat, erwähnt,
es könne jetzt zu einem Meinungsumschwung gegen die Regierung und
unsere Politik kommen. Wenn wir, wie er meint, dies nicht in den
Griff bekommen, die ÖVP diese Schwäche unsere Regierungspolitik
durch die Belastungswelle nützen kann, dann sind die nächsten
Wahlen verloren.
Direktor Seibt von der Wienerberger teilt mir mit, dass sie in
Persien jetzt 200 t Zement doch zugeteilt bekommen haben. Er ersuchte
mich als Rapid-Manager bei den Ungarn zu intervenieren, damit
zwei Mannschaften, MTK und Ujpest, zu einem Hallenturnier
nicht nur im Dezember sondern auch noch im Jänner nach Wien kommen
dürfen. Ich informierte sofort den Rapid-Fanatiker Benya beim Abend-
empfang, sprach dann insbesondere mit Biro, wie wir dies am besten
erreichen könnten. Biro meinte, auf meinen Vorschlag, Benya und ich
werden Kadar diesbezüglich ansprechen, dass er vorher mit dem Aussen-
minister sprechen wird. Dieser war mit dieser Frage noch nicht be-
schäftigt und meinte als Ausrede, man weiss ja nicht, ob die beiden
ungarischen Vereine kommen wollen. In Wirklichkeit bin ich draufge-
kommen, dass weder Biro noch der Aussenminister so viel Mut haben,
selbst mit Kadar darüber zu sprechen, andererseits aber auch nicht
wünschen, dass wir dies tun. Biro war ein bisschen beweglicher und
meinte, wenn Benya so günstig schon vis a vis von Kadar sitzt, wo
er auch die entsprechenden Dolmetscher hat, könnte er diese Frage
anschneiden. Benya tat dies sehr geschickt, indem er auf den allgemei-
nen Fussball zu sprechen kam, dann meinte, Kadar sollte entschuldigen,
aber dies wäre für ihn von grosser Wichtigkeit, dass die Vereine
auch im Jänner noch einmal kämen.
ANMERKUNG FÜR WAIS: Bitte beachte, ob dies tatsächlich gelingt und
geschieht.
Tagesprogramm, 7.12.1976
hs. Notizen (Tagesprogramm Rückseite)
Tagesordnung 54. Ministerratssitzung, 7.12.1976
33_1400_03hs. Notizen (TO Ministerratssitzung Rückseite)