Mittwoch, 20. Okt. 1976
Den Müllern und Bäckern von der Delegation über die Österreichische
Brotwoche setzte ich neuerdings die Notwendigkeit einer Revision
unserer Getreidepreis- und Versorgungspolitik auseinander. Sie
stimmten mit mir überein, dass die bisherige Anbaupolitik der
Landwirtschaft dazu führt, im pannonischen Klima auch Füllweizen
zu erzeugen. Strobl von Ebelsberg als tüchtiger Müller kauft
jetzt bereits tief ins nö. Gebiet herein und immer weiter nach
dem Osten seinen Qualitätsweizen. Früher hat er ihn wesentlich
wesentlich mehr westlich in NÖ bekommen. Die Bauern rechnen sich
nämlich auch in NÖ aus, dass sie mit dem Füllweizen einen grösseren
ha-Erlös erzielen als mit noch so viel Propaganda angekündigten und
ihnen einredenden Qualitätsweizen oder gar Durumweizen. Die Bäcker
wieder beschwerten sich, dass sie durch die Ausmahlungsvorschriften
Mehle bekommen, die sie eigentlich sonst nicht mehr übernehmen würden.
Es war für mich sehr interessant zu hören, dass wenn man längere Zeit
sich mit den Vertretern unterhält, dann automatisch bestätigt wird,
dass hier tatsächlich eine Änderung Platz greifen müsste. Die wich-
tigste Voraussetzung dafür ist, dass wir aus der Preisregelung heraus-
kommen. Ich hoffe, dass es gelingt, die AK und den ÖGB davon zu
überzeugen.
ANMERKUNG FÜR PLESCH: Bitte aufs nächste Jour fixe neuerdings
setzen.
In der ÖGB-Fraktion hat Benya eine wie ich glaube sehr richtige
Bemerkung gemacht. Er meint, dass unsere Sekretäre viel zu wenig
in die Betriebe kommen und die Gewerkschaftspolitik mehr von
den Schreibtischen aus machen. Viel zu wenig wird in den Betrieben
diskutiert, da die Sekretäre viel zu wenig dort Versammlungen, Kon-
ferenzen usw. abhalten. Die Gewerkschaften sind in ihrer Lohn-
politik autonom, legen darauf auch grössten Wert, sind anderer-
seits aber nicht bereit insbesondere die Sekretäre dann diese
Lohnpolitik dem Arbeiter gegenüber im konkreten Fall zu vertreten,
sich Kritiken zu stellen und insbesondere diese zu erklären.
Allerdings muss ich eine allgemeine Müdigkeit und Interesselosig-
keit auch bei der Arbeiterschaft feststellen. Diese Lethargie gilt
nicht nur für die Gewerkschaft, sondern sicherlich auch für die Partei.
Motto: Die oberen werden es schon machen. Kreisky hat dies richtig
erkannt und deshalb die Aktion: SPÖ hält Wort gestartet, Busek
33-1173
kennt diese Schwäche auch innerhalb der Wiener ÖVP und möchte
deshalb jetzt entsprechende Initiativen entfalten, seinen Partei-
apparat reformieren und aktivieren und so mit den Bürgern, wie er
sich ausdrückt, besser in Kontakt zu kommen.
Im ÖGB-Bundesvorstand hat Benya dann über die Wirtschaftslage und
Sozialpolitik referiert und sich insbesondere gegen die Angriffe
der christlichen Gewerkschafter gewehrt. Der Vertreter der christl.
Gewerkschafter musste zugeben, dass der Beschäftigungsstand eine
Rekordhöhe ist und Vollbeschäftigung existiert. Er versuchte nur
in die Zukunft blickend entsprechende Kritik insbesondere auch
an der Strukturpolitik der Regierung. Die Rationalisierung kommt
dem Staat zugute, ist gegen die Arbeitnehmer gerichtet, wobei er
interessanterweise kein einziges Mal das Wort Unternehmer in den
Mund nahm. Die ÖVP-Masche ist eben: Schuld an allem ist der Staat,
um nicht in Konflikt mit den Unternehmern, d.h. dem Wirtschaftsbund
oder der Handelskammer zu kommen. Wenn es nach den ÖVP-lern geht,
würden auch die Lohnerhöhungen gar nicht so hoch ausfallen, sondern
womöglich nur durch Steuerabzüge u. -senkungen die Preiserhöhungen
kompensiert werden. Interessanterweise hat er auch über die Auslands-
abhängigkeit gesprochen. Der Vertreter der kommunistischen Fraktion
Hofer hat ebenfalls gemeint, 12 Mia. S seien sogar Kapitalexporte
von Österreich festzustellen. Auf der einen Seite also überschwemmen
österr. Wirtschaft durch ausländische Kapitalisten, auf der anderen
Seite von den Kommunisten die Kritik, die allerdings falsch ist,
dass Dutzend Milliarden nach dem Ausland abgewandert sind. Überhaupt
war interessant, je mehr die ÖVP-ler in das Fahrwasser der Kommuni-
sten kommen. Die haben jetzt bald Schwierigkeiten sich gegenseitig
zu distanzieren und abzugrenzen. Der grösste Unterschied besteht
jetzt noch darin, dass die christlichen Gewerkschafter sowie der
freiheitliche Kindl der Resolution zustimmen, während die KP
aber auch die Gewerkschaftliche Einheit ablehnen.
Für mich interessant war zu erfahren, dass die Gewerkschaftsfraktion
mit der Partei unter Vorsitz von Sekanina mit Weissenberg, Leodolter
usw. einen Spitalsplan ausgearbeitet haben. Die erste Spitalstraße
mit den soz. Ländervertretern zeigte aber, dass dort überhaupt keine
Möglichkeit einer Einigung besteht. Die Länder von der ÖVP beherrscht
versuchen sogar im Gegenteil durch Gewaltbeschlüsse – NÖ: 80 % soll
die Kassa bezahlen, in Salzburg ähnliche Beschlüsse – die ganze
Lösung zu präjudizieren. Aus diesem Grund hat Benya angeregt,
33-1174
dass Kreisky jetzt den Vorsitz in dieser Fraktionellen Kommission
übernehmen muss, damit sich die Partei mit den Ländern und mit
den Gemeindevertretern zumindestens jetzt einmal fraktionell auf eine
Lösung einigt. Eine total verfahrene Situation.
Bei der Überreichung von 3 Dutzend Orden an Mobil-Oil-Angestellte
musste ich wirklich allen Schmäh laufen lassen, damit diese Feier
nicht allzu fad und vor allem einmal nicht mit: ich danke und darf
ihnen den Orden überreichen, ausartete. Der Mann, der mir die
Orden behilflich überreichte – Dr. Schuster – war von Mobil Oil
und kannte selbst nicht alle Ausgezeichneten. Er wusste nicht
einmal wo sie beschäftigt waren. Zum Glück hatte ich wenigstens
eine Liste mit Hobbys und einige ganz gute Gags. Zum Schluss meinten
viele zu mir, als wir den Betrieb besichtigten, dass ihnen zu
jedem etwas eingefallen ist, ist unwahrscheinlich, Der Betrieb
selbst war einmal eine Raffinerie, jetzt wird nur mehr Schmieröl
hergestellt, wo Mobil Oil den ersten Platz in Österreich einnimmt.
Überraschend für mich war zu erfahren, dass bei der Erzeugung dieser
Fette und Öle es nach wie vor aus den Mischmeister ankommt, wann und
zu welchen Mengen er die einzelnen Ingredienzien zusammenmischt.
Gen.Dir. Russbach meinte, es gibt oft Chargen, die man weggeben muss,
weil der Zeitpunkt nicht gleich richtig gewählt wurde, wo die Ingredienzien
und bei welchen Temperaturen und sonstigen Parametern diese zusammengemischt
wurden. Ich hätte fest geglaubt, dass es sich hier um eine durch
Chemiker eindeutig definierte Produktionsweise handelt.
Gegenüber oder wie ich immer sage auf Deutsch "vis a vis" liegt die
Reichhold Chemie, deren Vorstand sich sehr bemühte, dass ich sie
besichtigte. Bei der Einleitung erfuhr ich, dass sich die Leute verlas
vorkommen und das Gefühl hatten, alle und alles wendet sich gegen
sie. Insbesondere dürften ihnen in den letzten Monaten Umweltschützer
hart zugesetzt haben. Erst seitdem Präs. Benya sie vor ein paar
Wochen besuchte, haben sie wieder Hoffnung. Ich war sehr erstaunt
und habe dies auch zum Ausdruck gebracht, dass sie sich nichts
schon längst dann an das Handelsministerium gewendet haben. Das
amerikanische Mutterhaus investiert nämlich in diese Fabrik,
seitdem es sich nach der Russen-Besetzung und dann vier Jahre öffent-
liche Verwaltung zurückbekommen hat, hunderte Millionen S. Jetzt
wird die letzten Tranche mit 150 in Angriff genommen, wobei 50 Mill. S
für ein Forschungszentrum ausgegeben wird. Übereinstimmend sagte
mir aber die Direktion und der Betriebsrat, dass eine solche chemi-
sche Fabrik, die Lacke, Farben und sonstige über 3.000 Produkte er-
33-1175
zeugt, nur existieren kann, wenn Forschung und Anwendungstechnik
unmittelbar gleichzeitig betrieben werden. Von 350 Beschäftigten
sind in dieser Sparte über 70 Chemiker tätig. von 70.000 t Produktion
sind 70 % für den Export bestimmt. Davon 90 % in den Osten bei einem
Umsatz von 500 Mill. S ein sehr grosser Anteil. Das geht auf
die USIA-Zeit zurück, wo sie gute Verbindungen mit den staatlichen
Stellen des COMECON eben haben. Der amerikanische Konzern macht
ca. 700 Mill. $ Umsatz. Ich versicherte den Betriebsräten und
der Direktion, dass das Handelsministerium jederzeit zu ihrer
Verfügung steht. Elsinger, der mich begleitete, wird unser Branchen-
referat sofort verständigen, damit dieses Kontakt mit der Firma
aufnimmt.
ANMERKUNG FÜR PLESCH UND WANKE: Bitte Problem auf den nächsten
Jour fixe AK und ÖGB setzen.
Die Sektionsleitersitzung läuft jetzt verhältnismässig gut.
Da die einzelnen Sektionen schriftliche Berichte vorher für das
Protokoll schon abgeben, wird mehr dann bei den mündlichen Berichten
nur die wichtigsten Fragen besprochen. Am wenigsten funktioniert dies
bei der Sektion I. Auf das Energiesparen zum Beispiel angesprochen,
hat mir Marhold erklärt. die Ziffern stimmen jetzt nicht und
werden auch in Hinkunft nicht stimmen. Allein durch Aufrundungs-
fragen wird nicht 12,3 t sondern 13 t Benzin angegeben, was sofort
eine entsprechende perzentuelle Steigerung ergibt, die gar nicht
eingetreten ist. Die Fernwärme, die wir jetzt in der Zentrale
haben, kann überhaupt nicht genau bestimmt werden sondern schwankt um
plus/minus 2 %. Die 120.000 km, die die Sektionsleiter aber auch
der Minister fährt, fallen auf diese beiden 100.000 km. Das ganze
übrige Haus verfährt sozusagen nur 20.000 km im Jahr. Nur beim
Abholen der Sektionsleiter meinte Marhold könnte man sparen. Ich
erwiderte sofort, dass wir ja nicht verpflichtet sind, so grosse
Autos zu besitzen, die viel Benzin verbrauchen: 17 Liter pro 100 km
ist unser Durchschnitt. Ich selbst erklärte sofort, ich bin von Merce-
des auf Peugeot umgestiegen und werde jetzt einen noch kleineren Wagen
als nächsten anschaffen. Auch bezüglich der Anlagenkredite aus dem
Budget haben wir nur mehr 48.000 S, wofür Frank eine Fernschreiber-
anlage um 120.000 S benötigt und gleichzeitig für das Minister-
auto eine Heizung eingebaut werden soll. Selbstverständlich erklärte
ich, dass keine Überschreitung dieser Budgetposten eintreten dürfte.
ANMERKUNG FÜR PLESCH: Der Heizungseinbau ist auf alle Fälle zurück-
zustellen.
Für die Zentralverwaltung stehen und noch 3 Mill. S zur Verfügung,
2,3 Mill. gebunden sind, die nicht mehr aufgelöst werden. Normal
brauchen wir 2 Mill., jetzt dürfen wir nur 1,4 Mill. S pro Monat
verbrauchen. Für mich ist es ganz klar, dass diese Einsparungen
ohne weiteres möglich sind. Ich bin überzeugt, dass wir nicht nur
zu viele Beamte haben, sondern auch viel zu viel Sachaufwand dadurch
nutzlos entsteht. Bei den anderen Sektionen war eine zusätzliche
mündliche Berichterstattung sehr zweckmässig und auch sehr auf-
schlussreich. Nur die OB meldete, dass im Oktober für die WTK
5 Mill. S bezahlt werden und alle anderen nichts brauchen. Das
Patentamt entwickelt jetzt eine wie ich glaube beängstigende inter-
nationale Aktivität. Jetzt beginnen auch die mit dem Osten gute Kon-
takte aufzunehmen, die selbstverständlich dann in einer Besuchs-
serie enden werden. Moskau, Bulgarien machen den Anfang. Dazu kommen
noch die Entwicklungsländeraktivitäten. Hier werden wir zeitge-
recht bremsen müssen.
ANMERKUNG FÜR PLESCH: Bitte mit Leberl und mir einen Besprechungs-
termin festlegen.
Im Kautsky-Kreis hat der Sekretär der 4. Internationale ein Professor
aus Brüssel Mandel über die wirtschaftliche Situation berichtet. Mit
seiner Analyse des derzeitigen Zustandes als Marxist war und bin
ich einverstanden. Er meint, in Zukunft wird es eine hohe Inflations-
rate geben und eine hohe Arbeitslosigkeit im Westen. 17 Mill. waren
1975 am Krisengipfel, jetzt sind es noch immer 13 Mill. und mit
11 – 12 wird man auch in Hinkunft rechnen und leben müssen. Die
nächste neue Rezession erwartet er schon 1978/79. Im kapitalistischen
System ist dies darauf zurückzuführen, dass nicht gleichzeitig hohe
Profitraten und eine Ausdehnung des Marktes noch im jetzigen Zeitpunkt
erfolgen kann, wie dies noch in den Fünziger- und Sechzigerjahren
möglich war. Auf einen Zwischenruf von mir, wie er sich aber die Zukunft
vorstellt und nach welchem Modell und Konzept diese sehr negative Prog-
nose geändert werden könnte, hatte er nur eine Primitiv-Erklärung. Er
meinte, alles liegt an der Investitionsbereitschaft und an der Investition,
die die einzelnen Staaten durchführen. Da die privaten Kapitalisten die
nicht machen, müsste sozialisiert werden. Die beste Lösung ist, die
Bevölkerung wird demokratisiert auch auf Wirtschaftsgebiet und
stimmt z.B. ab, welche Investitionsrate eingehalten werden soll,
natürlich auf Kosten der Konsumgüter. Bei noch so aufgeklärter Be-
völkerung und Arbeiterschaft, was übrigens in Österreich wahrschein-
lich gegenüber allen anderen westeuropäischen Staaten sehr weit ist,
33-1177
kann ich mir nicht vorstellen, dass vernünftige Investitions-
quoten dabei herauskämen. Die Bevölkerung vor die Frage gestellt,
dieses und jenes Konsumgut z.B. Autos, Fernseher usw. sich zu
leisten oder Investitionen zu tätigen, werden sich garantiert für
die Konsumgüter entscheiden. Dazu kommt noch, dass die Be-
stimmung welche Investitionen durchgeführt werden, auch noch in
einem demokratischen Abstimmungsverfahren bestimmt werden sollen.
Dies war leider eine marxistisch-theoretische Idealvorstellung der
Menschen, die in der Praxis sicherlich keine Lösung ist. Mandel
selbst hat auch grosse Bedenken gegen die Verbürokratisierung und
hat deshalb auch die gesamten Ostsysteme abgelehnt. Seine Ausfüh-
rungen aber zu seiner Zukunftsvision ist meiner Meinung nach graue
Theorie.
Die Staatsbürgerversammlung in der Stadthalle von Fünfhaus, Neubau
und Josefstadt war besser besucht als gestern die Wiener Konferenz.
Einleitend habe ich über Wirtschaftsfragen referiert bis Kreisky
kam. Es gab dann bei mir noch eine Diskussion von: welchen
Energieplan haben wird, warum wird Fohndorf zugesperrt, können
wir bei der Lichtreklame nicht einsparen und brauchen wir ein Atom-
kraftwerk und wie viele? Für mich im Vergleich zur Wiener Konferenz
war lehrreich, dass eben Mitgliederversammlungen, denn es waren
sicherlich die meisten Genossen dort, ergiebiger sein können als
grosse Konferenzen von Spitzen- oder zumindestens mittleren
Funktionären. In der Partei gilt eben dasselbe was in den Gewerk-
schaften immer mehr Platz greift, die Oberen werden es schon machen.
und die Oberen sollen es auch machen. Ein wirklich betrüblicher Zustand.
Tagesprogramm, 20.10.1976
hs. Notizen (Tagesprogramm Rückseite)