Montag, 13.9., bis Freitag, 17.9.1976
Da der Staatsbesuch erst mit Abflug mittags begann, hätten wir
unser Pressefrühstück auf alle Fälle machen sollen. Dadurch hatte
ich Zeit, wenigstens meinen Schreibtisch rein zu machen. Kreisky
kam zur Verabschiedung auch in letzter Minute, beschwerte sich bei
mir, dass SChef Frank erklärt haben soll, er trage für die Schliessung
von Fohnsdorf die Verantwortung. In der Diskussion stellte sich dann
allerdings heraus, dass Frank nur die Verantwortung für seine Er-
klärung in der Presse, wo nicht die Schliessung, sondern nur von einer
raschen Erledigung die Rede war. Wenn ich der Sache genau auf den Grund
gehen würde, dann bin ich überzeugt, hat Frank vielleicht eine nicht
ganz passende Bemerkung den Redakteuren gegenüber gemacht, dieser schrieb
dann im Zusammenhang mit der Energieplanpräsentation, dass eben Frank
der Meinung ist, es muss jetzt schnell geschlossen werden. Da wir
mit der Schliessung sicherlich Schwierigkeiten bekommen und Kreisky
immer die Angst hat, dass er Zechenkiller bezeichnet wird, war ihm
die vorzeitige Veröffentlichung sicherlich unangenehm, aber anderer-
seits jetzt wieder ein Ventil.
Kirchschläger fragte Kreisky, was er mit Lazar bei seinem Ungarnbesuch
besprochen hat. Insbesondere ob von der Freihandelszone die Rede war.
Dies verneinte Kreisky, wie mir Kirchschläger nachher mitteilte. Die
Opposition, insbesondere Karasek vom Aussenamt und jetzt aussenpoliti-
scher Sprecher hat Kreisky wegen seiner halboffiziellen Reisen nach
Ungarn und Polen hart angegriffen und meinte, dies seien Alleingänge,
die in die Kompetenz des Aussenministers, aber auch des Handelsministers
eingreifen. Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass es in einer Koali-
tionsregierung deswegen harte Auseinandersetzungen gegeben hat und
wahrscheinlich in Hinkunft auch geben wird. Derzeit ist es richtig,
dass Kreisky als überragender Bundeskanzler, der ja natürlich sagen
könnte die Koordinationskompetenz hat er auf alle Fälle und damit
alles an sich ziehen kann, überall eingreift. Der wirklich hierarchisch
übergeordnete Bundespräsident hat in der unmittelbaren Politik nur
sehr beschränkte Kompetenz in Bestellung des Bundeskanzlers. Auch
hier dominiert Kreisky glaube ich in jeder Beziehung. In der Öffentlich-
keit wird ihm niemand übelnehmen, dass er sich überall und jederzeit
für die österreichische Wirtschaft und noch vielmehr für ganz Öster-
reich einsetzt. Niemand kann ihm nämlich streitig machen, dass
Österreich in der letzten Zeit durch seine Politik dieses ungeheure
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Ansehen in der Welt erreicht hat. Bereits 1970 hat Mitterer, mein
Vorgänger, immer wieder gestichelt und Bemerkungen gemacht, Kreisky
macht alles, kein Minister hat bei ihm etwas zu reden. Damals hat
Kreisky sicherlich denselben Einfluss gehabt als jetzt, nur vielleicht
eine Spur weniger auffällig. Ich war damals und bin jetzt davon über-
zeugt, dass eine erfolgreiche Regierung einen solchen Bundeskanzler
braucht. Ich bestreite nicht, dass dies für Regierungsmitglieder,
aber auch sicherlich für den Bundespräsidenten frustrierend sein
kann. Die Gefahr sehe ich aber darin, dass ein nicht so eloquenter
Nachfolger von ihm, sich vielleicht dann diesen Stil aneignet und
damit Schiffbruch erleiden muss, wenn er nicht dieselbe Persönlichkeit
ist wie Kreisky. Die sehe ich aber momentan wirklich nicht.
Nach den üblichen Zeremoniell eines Staatsbesuches war diesmal vor-
gesehen, dass der Aussenminister und ich sofort mit unseren bulgari-
schen Kollegen die Gespräche beginnen. Die bulg. Seite hat am Wochenende
und zwei Memoranden durch den Botschafter zustellen lassen, bezogen auf
die Gespräche zwischen Kreisky und Todorow. Die bulg. Seite schlägt vor,
dass wir Tabak, einige chemische Produkte, einige Rohstoffe und ......
Bleche und Rohre langfristig von 1977–1980 feste Bezugsmengen abschlies-
sen sollen. Leider musste ich feststellen, daß Meisl, dem ich dieses Elabo-
rat sofort gegeben habe, nicht mit Länderreferenten Fälbl gesprochen hat
Dieser hat es sich aber hintenherum organisiert und konnte, wie er sagt,
in kürzester Zeit dazu nicht im Detail Stellung nehmen. Zum Glück
hat Meisl aber diese Liste der Sektion der Verstaatlichten Industrie
geschickt. MR Beelitz hat dafür in jedem einzelnen Punkt eine schrift-
liche Stellungnahme abgegeben. Hätte ich diese nicht gehabt, wüsste
ich nicht, wie ich Nedew sofort auseinandergesetzt hätte, welche Waren
in Frage kommen und welche nicht. Da wir z.B. Harnsäure in der neuen
Anlage von Chemie Linz ab Dezember selbst 300.000 To erzeugen, davon
150.000 Tonnen exportieren müssen, können wir nicht 10.000 To zusätz-
lich übernehmen. Ebenso ist es bei kaltgewalzten Blechen, wo wir eine
Produktion von 474.000 To, nur 155.000 Inlandsverbrauch haben und daher
nicht 5.000 beginnend bis 10.000 ansteigend 1980 kaltgewalzte Bleche
übernehmen können. Nahtlose und geschweisste Rohre hat Bulgarien bis
jetzt von uns importiert, sodass auch wir hier nicht jetzt nachdem sie
eine neue Produktion begonnen haben, von ihnen 2.000 bis 5.000 To
übernehmen können. Hätte ich diese Details aber nicht gewusst, so
wäre ich der blamierte gewesen und die Verhandlungen hatten sich wirk-
lich nur auf ein Blabla erstreckt. Nicht so gut informiert war ich
bei der zweiten Liste, über 7 Zollerleichterungen. Hier hat Meisl
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Komaz, der weder Bulgarien-Referent ist, noch die Zollfragen be-
arbeitet, im letzten Moment – am Montag – habe ich das Gefühl heran-
gezogen, weil ich entsprechende Zusammenstellungen wünschte, wie
wir dies auch bei den Ungarn gemacht haben. Natürlich war hier die
Zeit zu kurz und Komaz hat nur gemeint, wenn er ein bisschen mehr
Zeit hätte, würde er selbstverständlich alle diese Details ausarbeiten.
Bei Zollermässigung für Tabake hat Meisl mit Gen.Dir. Musil gesprochen
und dieser erklärte ihm, es wird kein Tabakzoll eingehoben. Der bulg.
Handelsrat Tichomirow dagegen hat mit der Tabakregie, Adler, gesprochen,
der wieder ihm erklärt, dass sie deshalb italienische Tabake lieber
kaufen, weil diese zollermässigt eingeführt werden können.
ANMERKUNG FÜR PLESCH: Bitte kläre sofort wie die Situation ist und
warum die Tabakregie voriges Jahr 2.500 Tonnen und bis jetzt nur 800
Tonnen dieses Jahr bezogen hat.
Wegen der Weinzollermässigung hatte ich mit Weihs gesprochen, der
erklärt, es kommt überhaupt keinerlei Zugeständnis in Frage. Dieser
Standpunkt ist in meinen Augen vollkommen verständlich, weil wir eine
Riesenernte haben werden und mit den angeblichen Globalkontingent
weltweit von 150.000 hl das Auslangen gefunden werden muss. Davon
sind allerdings 50 % für die EG reserviert, was ich natürlich nicht
sagte. Auch hier wäre es zweckmässiger gewesen, wir hätten mehr Detail-
informationen gehabt, obwohl Weihs mir wenigsten die Importe land-
wirtschaftlicher Produkte aus Bulgarien zur Verfügung stellte. Unzu-
länglich war nur, dass man dort 1975 mit dem I. Quartal 1976 ver-
glich, einige waren dann fürs erste Halbjahr, wodurch man sich auch
nur ein ungefähres Bild machen konnte. Systematisch war gar nichts
aufgearbeitet. Natürlich hatte ich die gute Ausrede, dass die Unter-
lagen zu spät gekommen sind. Aus den Gesprächen schnappte ich dann
immer noch Einzelinformationen auf, wie z.B. dass Hofer jetzt die
Mindestpreise bei Gurkenkonserven von 6.70 Schilling einhält, dafür aber
die Pfirsichkonserven um 4.00 Schilling von den Bulgaren bezieht und
ich konnte dann den Eindruck, der sonst entstehen musste, dass ich
nicht allzu viel weiss, leicht verdecken. Der Handelsdelegierte Schmidt,
der mit Meisl selbstverständlich bei allen Besprechungen dabei war, hatte
auch nicht gerade überwältigende Informationen geschickt. Sein Wirt-
schaftsbericht über 2 1/2 Seiten, enthält viel Blabla und kaum
konkretes. Praktisch bin ich deshalb gut rausgestiegen, weil wir
für die Zollwünsche von Werkzeugmaschinen, Gabelstapler bis Stahl-
und Eisenwaren unseren österreichischen Zolltarif fotokopiert den
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Bulgaren zur Verfügung stellte. Bei der ersten Durchsicht nämlich
hatte ich gleich festgestellt, dass die von uns angegebenen Zoll-
belastungen z.B. für gewalzten Stahl und Blöcke usw. von 5–7 % die
GATT Zölle waren. Bulgarien bekommt aber darauf eine 50-%ige Differenz,
wie man scheinbar vergessen hat. Bei Gabelstapler und Elektrozüge
erklärte das Finanzministerium gegenüber SChef Meisl, die Einstufung
müsste erst geklärt werden. Dies kann ich mir beim besten Willen
nicht vorstellen, konnte aber keinerlei bessere Auskunft geben.
ANMERKUNG FÜR WAIS: Dränge bitte, dass jetzt die Detailaufstellungen
und Informationen lückenlos gemacht werden.
ANMERKUNG FÜR WAIS: Bitte die Bezugsmöglichkeiten von Bulgarien auf
Grund der Warenlisten den Firmen mitteilen, damit diese gegebenenfalls
endgültig Vereinbarungen mit den bulgarischen Firmen resp. Aussenhan-
delsorganisationen machen.
Zum Glück hatten wir wieder unsere bekannten Listen über Kooperationen
und Lieferprojekte die ich Nedew und seinen Mitarbeitern übergab.
Es wurde vereinbart, dass der neue stellvertretende Minister
Paschikarov und Handelsrat Tichomirow mit Meisl und Schmidt die einzelnen
Projekte durchgehen soll. Da wir eine nächste Sitzung bereits mit dem
stellvertretenden Ministerpräsidenten Lukanow hatten, an der Nedew und
die ganze übrige Delegation auch selbstverständlich daran teilnahmen.
Lukanow war einmal-Vizeminister bei Nedew und hat im letzten Jahr
einen gigantischen Sprung nach oben gemacht. Sein Vorschlag war, dass
Österreich jetzt in den Fünf-Jahresplan stärker eingeschaltet werden
soll. Der Fünfjahresplan war zwar schon einmal beschlossen, wurde aber
jetzt wieder revidiert und soll endgültig für das Jahr 1976–1980 im
Parlament beschlossen werden. Für die grossen Geschäfte soll jetzt eine
Kooperation versucht werden, insbesondere für die Montage von bulg.
Gabelstaplern und Elektrokarren usw. Dafür sind Gespräche mit der VÖEST
im Gange und sie hoffen, dass sich die VÖEST hier stark engagiert.
Die Zollbelastungen die die Bulgaren zu tragen haben, gegenüber der
Europäischen Gemeinschaft also diskriminiert, soll durch eine Frei-
handelszone zwischen Österreich und den sozialistischen Staaten über-
brückt werden, denn dies sei GATT-konform. Zum Schluss kam er dann auf
die Belastung der bulgarischen Transportflotte für die 25 Groschen
pro Tonne und Kilometer die Lanc einführen will, zu sprechen und hat
sich dagegen ganz scharf ausgesprochen. Nedew meinte sie hätten ein
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sehr liberales System, verlangen keinerlei Transitgebühren, nur
die 10 Dollar Zwangsumtausch. In einem uns übergebenen Memorandum
stellt die bulgarische Seite fest, dass die Beförderungssteuer gegen
das geltende Abkommen über den internationalen Güterverkehr mit LKW
zwischen Bulgarien und Österreich verstösst. Ich versprach nur dieses
Minister Lanc zu übergeben. Der Handelsdelegierte Schmidt hat mir
gegenüber dann angedeutet, es gäbe eine gute Möglichkeit, die öster-
reichischen Transitwünsche bei dieser Gelegenheit durchzusetzen. Ich
warnte ihm davor, so etwas auch nur anzudeuten, denn ich kann mir
nicht vorstellen dass Lanc in dem neuen Gesetz irgendwelche Ausnahmen
macht. Dann fühlen sich nämlich die anderen diskriminiert.
Meisl und Paschikarov haben dann die einzelnen Kooperationsprojekte
durchgegangen und Paschikarov hat bei der Vormittagssitzung sehr offen
über jedes Projekt gesprochen. Bezüglich der Melaminanlage und Gips-
Schwefelsäureanlage der VÖEST Alpine meinte er, diese würden nicht im
5-Jahresplan aufgenommen und man könnte neue Diskussion erst ab 1980
führen. Lukanow hat noch in einem Protokoll 13.5.1976 zugegeben, dass
diesem Projekt hohe Priorität zukommt, wozu auch eine bulg. Delegation
nach Linz kam. Jetzt stellte sich heraus, dass die bulg. Seite gar keine
Möglichkeit derzeit sieht. Bei einem zweiten Gespräch, welches ich dann
mit Nedew abends Stundenlang führte. versuchte dieser diesen Eindruck
zu verwischen, indem er meinte, endgültig sei noch nichts entschieden.
Die bulgarische Seite muss noch in dem 5-Jahresplan die Modernisierung
der bestehenden Anlagen fortsetzen. Durch Rationalisierung müssen
300.000 Arbeiter die fehlen eingespart werden. Die VÖEST sollte sich
doch für die Gabelstapler und sonstige Hebetransporte interessieren.
Mit Volvo und Daimler-Benz hätten sie diesbezügliche Verträge abge-
schlossen. Meine Argumentation war sofort hier handelte es sich um
LKW-Transporte nach Bulgarien gegen andere Transportmaschinen. Die
VÖEST dagegen bemüht sich seit Jahren eine Melaminanlage unterzubringen
und immer wieder wird sie nur vertröstet. Die VÖEST fürchtet eine ähnliche
Entwicklung wie bei der seinerzeitigen Ethylenoxidanlage. Nedew meinte
sie müssten die billigen Offerte berücksichtigen. Bei einer Ethylen-
anlage hätte es 3 Offerte gegeben. Eines mit 32 Mio. Dollar, das
zweite mit 2§ Mio. Dollar und das dritte mit 24.5 Millionen. Die Bul-
garen hätten dem ersten, weil sie mit ihm schon monatelange verhandelt
und er viele Aufwendungen gehabt hätte, 27 Mio. Dollar angeboten, doch
hätte die Firma dies abgelehnt. Er sagte zwar nicht, um wem es sich handelt,
doch ich glaube dies war ebenfalls ein VÖEST-Projekt, Auch die Ethylen-
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oxidanlage hätten dann die Italiener bekommen, weil sie Gabel-
hubstapler und zwar 1/3 des Importes, 12 Mio Dollar dafür über-
nehmen. Man wollte im Gefolge des Kreisky-Besuches unbedingt der VÖEST
diesen Zuschlag geben, doch war dies nicht möglich, da die VÖEST die
Kompensation nicht akzeptierte. Meine Argumentation, dass die VÖEST
sehr wohl einen Grossteil der Kompensation akzeptierte, nur nicht
imstande war, 100%ige Kompensation zu nehmen, bestreitet Nedew nicht.
Die bulgarische Seite hat sich halt nur für die 100-%ige Kompensation,
die Italien akzeptierte entschieden. Nedew meinte, wir beziehen aus
Polen ebenfalls billiger Virginia-Tabake, als sie anbieten und er kann
sich dagegen auch nicht wehren.
ANMERKUNG FÜR PLESCH: Bitte kläre, ob dies tatsächlich der Fall ist.
Nedew schlägt vor, die Bulgaren würden Exporte, die über Österreich
gehen, wo also Österreich seine Exportverbindungen zur Verfügung stellt
ausser mit den üblichen Provisionen noch durch 40-%ige Einkauf der
Exporterlöse von österreichischen Waren belohnen. Österreich müsste
deshalb ein grosses Interesse daran haben, diese Möglichkeit zu nützen.
Ich erkläre, dafür kommen auf der einen Seite grosse österreichische
Exportfirmen, wie z.B. die VÖEST in Frage, oder österreichische
Transithändler. Das Handelsministerium wird alle diese Ideen selbst-
verständlich unterstützen.
ANMERKUNG FÜR WAIS : Bitte veranlasse dass die Handelskammer und die dafür
in Frage kommenden Firmen direkt verständigt werden.
Zum Schluss meinte Nedew, man hätte die Gespräche mit der VÖEST begonnen
und sie werden auch jetzt fortgesetzt. Der bulgarischen Seite war
sehr unangenehm, dass Paschikarov so offen geredet hat und Nedew wollte
dies natürlich jetzt wieder verwischen. Paschikarov war auch bei der
Nachmittagssitzung nicht mehr anwesend, angeblich musste er ins Spital
geliefert werden, weil er erkrankt ist. Am nächsten Tag allerdings hat
mir Lukanow dann schon gesagt, es geht ihm schon wieder so gut, er ist
schon wieder heraussen. Gesehen haben wir ihm nicht mehr und Meisl ver-
mutet zurecht, dass es sich um eine diplomatische Erkrankung gehandelt
hat.
Das wirkliche Problem kam auch von Schiwkow bei der ersten Aussprache
zwischen Kirchschläger und ihm zur Sprache. Kirchschläger strich bei
seiner Einleitung heraus, dass Österreich eine Einkaufsdelegation nach
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Bulgarien geschickt hat, dass die Bulgarien auf der Kollektivaus-
stellung auf der Wiener Messe in Erscheinung getreten sind und
dass wir noch viel unternehmen sollten, um den Warenverkehr zu ver-
bessern. Politisch gäbe es zwischen den beiden Staaten keine Probleme
trotz der verschiedenen Staatsformen. Schiwkow erwiderte dann, die
Beziehungen Österreichs und Bulgarien sind direkt ein Modellfall für
andere Staaten. Was ihm wirklich nur stört ist die sogenannte Debalance,
d.h. das Ungleichgewicht. Schiwkow möchte als Ziel 200 Mio Dollar
das wären 3,6 Mia. Schilling, mehr als das 2 1/2-fache des jetzigen
Verkehrs. Im Vorjahr hatten wir 429 Mio. Schilling Einfuhren und
1 Mia. 162 Mio. Ausfuhren. Diese Debalance muss natürlich früher oder spät
zu Importrestriktionen führen. Schiwkow meinte, in diesem 5-Jahresplan
sollen alle passiven Länder ausgeglichen werden. Österreich müsse
sich bemühen, auch die Verstaatliche Industrie. Spezialisierung,
Kooperationen auch auf Drittländern sei die Lösung. Der EG-Vetrag
bringt Einschränkung des österr.-bulg. Handels. Wenn der ökonomische
Mechanismus dadurch gestört wird, wird früher oder später auch der
politische Mechanismus darunter leiden. Die beste Lösung sei der Ver-
trag mit den Sozialistischen Staaten, wie z.B. auch mit Finnland.
Ihm schwebe vor, eine ökonomische Zusammenarbeit auch zwischen COMECON
und europäischen Staaten. Hier müsse man Lösungen finden. Wobei er
nicht drohen will, nur seine Befürchtungen ausdrückt. Auch Unzulänglich-
keiten in der bulgarischen Aussenhandelsorganisation und in der
Qualitätsproduktion gebe er zu. Die Bulgaren hätten gute Absatzmöglich-
keiten im Rahmen des COMECON, weshalb sie Österreich vernachlässigen.
Kirchschläger erörterte dann die österreichische Haltung. Die österr.
Exporte in die EG und EFTA seien 60 % und deshalb mussten dort Er-
leichterungen gesucht werden. Finnland hat eine andere Handelsstreuung
als Österreich. Eine eigene Handelsflotte und kann deshalb die Über-
seemärkte besser betreuen. Die EG und EFTA Verträge seien keine poli-
tischen Aktionen und richten sich nicht nach Amerika, Japan oder die
Sozialistischen Länder. Die Schwierigkeiten Bulgariens müssten durch
individuelle und konkrete Kontrakte gelöst werden. Kirchschläger er-
örterte dann auch die Absicht der österr. Gipfelgespräche im Rahmen
der EFTA. Die EG pachtet jetzt den Begriff Europa, zumindestens West-
europa. Schiwkow erwartet eine Zusammenarbeit zwischen der RGW und EG
im Gefolge von Helsinki.
Über die Minderheitenfrage wurde absichtlich nicht gesprochen, weil
Kirchschläger mit Recht sagt, das ist eine Angelegenheit Bulgarien
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Jugoslawien wegen Mazedonien und Österreich Jugoslawien wegen
Slowenien. Der bulg. Aussenminister Mladenow meinte, die jugosl.
Zeitungen schreiben jetzt schon, dass der Kirchschläger-Besuch dazu
dient, die Minderheitenfragen abzustimmen. Schiwkow sagte, Kreisky
hätte beim Besuch in Bulgarien die jugosl. Frage überhaupt nicht berührt
In einem Wiener Pressegespräch hätte er sie nur erwähnt, worauf die
jugosl. Presse sofort sagt, das wäre die wichtigste Frage gewesen, die
Kreisky mit Schiwkow besprochen hat. Natürlich wurde dann auch Kirch-
schläger bei seinen Gesprächen mit der österr. Presse immer wieder
darauf angesprochen und hat mit Recht gesagt, schon allein, weil er
wusste dass dies kommt, hätte er diese Frage gar nicht mit Schiwkow
besprechen wollen. Bielka ist übrigens überzeugt, dass die Jugoslawen
diese Frage nicht hochspielen werden.
Die Residenz Bojana, wo wir alle untergebracht waren, ist gigantisch.
Die Bauten sind sehr grosszügig, kostspielig und sehr aufwändig.
Funktionell dagegen sind sie meiner Meinung nach, gar nicht zweck-
mässig. Riesige hohe Konferenzzimmer für jedes einzelne Politmitglied
eigene Räume, eigene Residenzen, eine grosse Residenz für uns alle,
die nicht wie der Bundespräsident in einer Einzelresidenz unterge-
bracht sind, und das ganze auf einem riesigen Areal. Schiwkow meinte,
ihm werde jetzt nachgesagt, dass er wesentliches zur Verbesserung in
Bulgarien beigetragen hat. Die Geschichte, er persifliert sich
manchmal selbst, wird ihm widerlegen. Eines aber hat er eingeführt
bei den Sitzungen darf nicht geraucht werden. Mir fiel auch auf, dass
Nedew, der sonst an die 100 Zigaretten am Tag raucht und ebenso der
Aussenminister, der ein starker Raucher ist, solange nicht rauchte,
bis Schiwkow uns aufforderte wir sollten rauchen. In unserer Delegation
raucht aber niemand, weshalb ihm dieses Zugeständnis vielleicht nachher
leid tat. Für Nedew und Mladenow war dies sichtbar eine Erlösung. Obwohl
Schiwkow sich sehr leger gibt, führt er ein scheinbar sehr strenges
Regime. Da kann man erst ermessen, welch Unterschied zwischen den
dortigen Regierungsstil und System ist und Österreich.
Da man uns mehr Maschinen verkaufen will, führte man uns auch zu einer
Vereinigung Maschinenbau mit 30 Betrieben und 20.000 Beschäftigten.
Dort werden nun .......gesteuerte Maschinen hergestellt und der
Minister Kaltschew, den ich übrigens nach Österreich einmal eingeladen
hatte, weil die VÖEST es wünschte, führte uns durch dieses Werk.
Angeblich verdienen die Arbeiter dort 230 Lewa gegenüber einen Durch-
schnittsverdienst in Bulgarien von 130 Lewa. Das Brot kostet 50, die
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Milch 32 und der Zucker 70, Fleisch 2.40 bis 2.80. Daraus kann man
schon den Lebensstandard errechnen. In Warna besichtigten wir ein
chemisches Kombinat mit 12.000 Beschäftigten. 400.000 Tonnen Dünge-
mittel, 1.2 Mio. kalziniertes Soda soll produziert werden. Derzeit
sind es 800.000.– Davon werden 500.000 in die UdSSR, 140.000 in die CSSR
und 200.000 nach Westen verkauft. Nach Österreich wollten sie bekannt-
licherweise über die Schweiz ein entsprechendes Dumping machen. Diese
kalzinierte Sodafabrik ist die drittgrösste der Welt. Scheinbar machte
man sich über die Absatzmöglichkeiten keine grossen Sorgen. Die UdSSR
wird schon alles kaufen. Von dort bezieht das Chemie Kombinat 1 Mia. cbm
Gas, insgesamt bekommt Bulgarien 3 Mia. 300.000 To Kohle und 100.000 To
Koks. Überhaupt ist die Energieversorgung fast- ausschliesslich von der
UdSSR abhängig. Dieses Werk liegt von Warna 30 km landinnenlandinnen, hat aber
2 Seen und jetzt einen auszubauenden Kanalanschluss ans Schwarze Meer
Der Hafen kann jetzt 12.000 Tonnen und wird in Hinkunft 70.000 To
Schiffe aufnehmen. Wir besichtigten auch die neue Brücke, die vor 2 Tagen
erst eröffnet wurde und die diese ausgebaute Durchfahrt ermöglichen wird.
Die Fremdenverkehrseinrichtungen kannte ich schon. Daran hat sich
nichts wesentliches geändert, ausser dass noch welche dazugebaut wurden.
Nach wie vor gibt es glaube ich die Schwierigkeit mit der zeitgerechten
Bereitstellung von Mittag-und Abendessen. Die Leute wollen nicht warten
und die Restaurantkapazitäten dürften noch zu klein sein. Wir selbst
waren bei dem Hotel, das der Regierung gehört zum Mittagessen und dieses
erst vor einigen Monaten eröffnete Konferenzzentrum ist wieder sehr
grosszügig. Untergebracht waren wir in der Residenz, wo das Politbüro
und Schiwkow wohnt. Auch dort alles, was man sich vorstellen kann,
überall ein spontaner Empfang, rot-weiss-rote Fähnchen, alles wie man
so schön sagt, bestens organisiert. Immer wenn ich von solchen Reisen
zurückkomme, weiss ich erst zu schätzen, Österreicher zu sein. Ich habe
das Gefühl, dass es auch den österreichische Urlaubern so ergeht. Aller-
dings darf man nicht vergessen, dass früher oder später die Unzulänglich-
keiten auch dort verschwinden werden, oder zumindestens wesentlich ge-
mindert sein werden. Dann wird der materielle Unterschied nicht mehr so
gross sein, wenn wir zu diesem Zeitpunkt nicht eine gefestigte Demo-
kratie haben und die Bevölkerung in der Haltung dieses ihr Zeil sieht,
dann wären wir für eine Revolution wirklich reif. Jetzt ist vieles noch
abschreckend und wird glaube auch noch von der gesamten Bevölkerung, die
Kontakt mit diesem System hat, abgelehnt.