Mittwoch, der 11. August 1976 bis Samstag, der 14. August 1976

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Mittwoch 11. August bis 14. August 1976

Der Besuch bei Snuderl sollte von jugoslawischer Seite unbedingt
privaten Charakter haben. Snuderl hat mir dies auch sofort bei meiner
Ankunft erklärt. Insbesondere der jugosl. Aussenminister hat diesbe-
züglich darauf grössten Wert gelegt. Snuderl war darüber sehr unglücklich
obwohl er dies mir gegenüber natürlich nicht wörtlich sagte. Aus seinen
ganzen Bemühungen aber war es klar und deutlich zu erkennen. Snuderl hat
als die Jugoslawen mit Italien wegen der Zone A und B in Istrien
spinnefeind gewesen sind damals mit den Italienern Privatgespräche
natürlich im Auftrag der Landesregierung und ganz besonders Belgrads
strengst vertrauliche Wirtschaftsverhandlungen geführt. Über die wirt-
schaftlichen Fragen wurde dann letzten Endes, so zumindestens berichtete
mir Snuderl, auch dann die politische Lösung gefunden. Dies bestätigte
mir auch sein Vater, ein geistig frischer, sehr alter Universitäts-
professor, der in der kaiserlichen österreichischen Armee gedient hat.
Da er gleichzeitig auch Slowenien und ich glaube sogar auch in der
Zentralverwaltung als Jurist für Minderheitsfragen tätig war, führte
ich die ersten Diskussionen über dieses Problem mit ihm. Zum Glück hatte
ich vom österreichischen Aussenministerium eine ziemlich umfangreiche
Dokumentation bekommen und sie gelesen. Obwohl mich diese Materie wirk-
lich nicht interessiert musste ich mich jetzt mehr oder minder zwangs-
läufig damit beschäftigen. Die wirklich harte Diskussion hatte ich dann
zweimal mit dem stellvertretenden Ministerpräsidenten von Slowenien
Cacinovic. Auf der einen Seite erklärte er mir immer wieder,
dass ich mehr oder minder doch Gast Jugoslawiens bin, insbesondere auch
sein Gast, da er ja zu Essen eingeladen hatte, auf der anderen Seite aber
spürte ich die ganze Ablehnung unserer Minderheitenpolitik. Die Sprach-
zählung war dabei der harte Kern. Für die Jugoslawen ist dies eine Min-
derheitenfeststellung obwohl ich mich immer dagegen wehrte und versuchte
auch zu erklären, dass es sich hier wirklich nicht um eine solche han-
delt. Kreisky selbst erklärt immer wieder eine Minderheitenfeststellung
kann nicht gegen den Willen der Minderheit durchgeführt werden. Die
Sprachzählung soll nur eine Orientierungshilfe sein und Grundlage für
die positive Minderheitenförderung die jetzt kommen soll. Die Jugoslawen
glauben Kreisky dies nicht. Sie sagen – und insbesondere Cacinovic
sie waren zu Kreisky sehr positiv eingestellt, insbesondere nach der
letzten Aussprache in Jugoslawien mit Tito und Kardelj. Die jetzige
Entwicklung aber sei für sie überraschend und verheerend. Die Regierung
macht jetzt alles was der Heimatdienst will und insbesondere die letzten


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Vorfälle in St. Kanzian beweise dies. Im jugoslawischen Fernsehen
wurden durch 2 Tage diese Vorfälle und insbesondere die Aussagen von
den Angehaltenen immer wieder gebracht. Ich versuchte darzulegen dass,
wenn tatsächlich den Angehaltenen Unrecht geschehen ist, sie insbe-
sondere von der Gendarmerie attackiert wurden, dann wird dies genau
untersucht. In Österreich kann so etwas nicht verschwiegen werden.
Die Gefahr die ich sehe ist, dass damit nur die Probleme hochgespielt
und hochgeschaukelt werden. Cacinovic hat dies gar nicht abge-
stritten sondern auch befürchtet. Diese äussere Unruhe beruht aber
nicht auf einer Urangst der Slowenen oder der Österreicher in Kärnten.
Eine solche sollte es nach Meinung von ihm gar nicht geben. Jugoslawien
hat die Staatsgrenze anerkannt und denkt nicht daran dies zu ändern.
Anders aber Österreich, welches scheinbar eine Revision des Staatsver-
trages Artikel 9 wünscht. Mein Hinweis, dass nicht im entferntesten
die Absicht besteht eine Revision des Staatsvertrages anzustreben,
sondern im Gegenteil daß die Durchführung des Staatsvertrages jetzt auch
in Bezug auf die slowenische Minderheit und Probleme endlich durchgeführt
werden soll, wird nicht geglaubt. Die Volkstumsförderung und das dies-
bezügliche Gesetz, welches wir jetzt geschaffen haben wird keinesfalls
positiv bewertet. Immer wieder erkläre ich was mich Bielka ersucht hat,
dass Österreich nur eine kurze Zeitspanne, ein wenig über ein Jahr
brauchen wird, bis es beweisen kann, dass in der Durchführung dieses
Volkstumsförderungsgesetzes die Slowenen dann besser dran sind als bisher.
Bielka meinte mir gegenüber, man solle uns 1 Jahr Zeit geben. Im nächsten
Jahr kann man dann und soll man urteilen was Österreich getan hat.
Jetzt momentan sind wir in der Durchführung des Staatsvertrages in Ver-
zug und daher auch eindeutig schuld. Das letztere bekannte ich natürlich
gegenüber den Jugoslawen nicht. Ein Hinweis, dass wir ja jetzt in den
letzten Monaten versucht haben durch Rückgabe der Kunstwerke, die die
Nazi verschleppt haben und auch die Verhandlungen über die Archiv-
lösung werden sehr geteilt aufgenommen. Die Rückgabe wird positiv
vermerkt, die Archivverhandlungen mit Steiermark stecken schon wieder.
Dort befindet man sich nach Auffassung von Cacinovic auf demselben
Punkt wie seinerzeit bei Beginn der Verhandlungen der ersten Republik.
Ich erfahre durch eine Nebenbemerkung von Snuderl, dass der jugosl. Bot-
schafter in Österreich einen Bericht nach Belgrad geschickt hat wo
ein Ausspruch Kreiskys vorkommt, er hätte mit Tito leichter die Probleme
besprechen können, schwierig sei es nur mit Ministerpräsident
Bijedic. Der österreichische Botschafter wieder in Belgrad hätte
irgendwo wieder von einem Operettenstaat gesprochen. Die Äusserungen
der Diplomaten tragen ebenfalls nicht dazu bei die Verhältnisse zu ver-


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bessern. Aus beiden Bemerkungen sehe ich wie kleinliche Punkte,
vielleicht auch sogar wirklich unglückselige Äusserungen diese
negative Entwicklung noch verheerend hochgespielt resp. weitererzählt
werden. Von Cacinovic höre ich dann wieder, dass Kirchschläger
die ganze Slowenenangelegenheit als Dummheit und Benya als eine Schweine-
rei im Vergleich auch Kärnten Südtirol gesagt haben soll. S.Chef Pahr
wird jetzt ganz besonders wieder vorgeworfen, dass er die Slowenenfrage
durch eine Erklärung der jugosl. Innenpolitik betrachten will, was natür-
lich Cacinovic aber auch Snuderl ganz entschieden bestreitet.
Nach seiner Meinung wird versucht auf Jugoslawien eine Pression auszu-
üben. Unerklärlich ist insbesondere die Feststellung Pahrs in der
UNO-Organisation mit deren Vergleich er Minderheitenpolitik Jugo-
slawiens mit den COMECON-Staaten ganz besonders mit Bulgarien. Zusammen-
fassend hatte ich den Eindruck, dass nach Auffassung der Jugoslawen
Kreisky seine grosse staatsmännische Politik jetzt leider verlassen hat.
Anfang der 70er-Jahre war Jugoslawien durch die kroatischen Ver-
hältnisse in einer schwierigen Situation. Jetzt aber ist das Slowenen-
problem nicht mehr ein Problem Sloweniens allein, sondern ganz Jugo-
slawien steht dahinter. Österreich versucht Jugoslawien unter Druck zu
setzen, hat den Staatsvertrag als erster verletzt und wünscht jetzt
daher auch eine Revision des österreichischen Staatsvertrages
insbesondere des Artikel 9. Nicht nur in Kärnten, auch in anderen
Ländern, in der Steiermark weniger, aber selbst im Burgenland werden
jetzt gegen die Kroaten Maßnahmen ergriffen. In Ottawa im Burgen-
land, soll die Schule gesperrt worden sein. Von Österreich erwartet man
dass die Sprachenzählung nicht erfolgt, weil es sich doch um eine
Minderheitenfeststellung handelt, an der die Minderheit nicht teilnehmen
wird. Mit Italien wo es 10.500 Slowenen gibt, aber auch mit Ungarn
wo es 3.500 gibt, gibt es kein Minderheitenproblem mehr. Dort wurde
dies alles befriedigt gelöst. Von Österreich erwartet man die konkrete
Durchführung des Staatsvertrages ohne Sprachzählung. Ein Hinweis
dass Österreich in der letzten Zeit Rückgabe von Kunstschätzen, Ver-
handlungen über die Briefe, Ortstafelgesetz, dies versuchte, insbesondere
aber das letztere vollkommen gescheitert ist, wird vermerkt aber keines-
falls mit Befriedigung zur Kenntnis genommen. Zusammenfassen sage ich
noch einmal und immer wieder, man soll Österreich dann beurteilen, wenn
die Durchführung des Volkstumsförderungsgesetzes zu erkennen ist.

Auch bei den Wirtschaftsbesprechungen muss ich feststellen, dass immer
wieder die Minderheitenpolitik hineinspielt. So behauptet Cacinovic,


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es hätte eine Aussprache in München wegen der Schnell-
strassen resp. Autobahnen von Deutschland über Österreich
nach Jugoslawien gegeben. Der österr. Vertreter LH-Stv.
Frühbauer hätte sich dort sehr negativ verhalten, ja sogar
gegen das Karawanken-Tunnel fast ausgesprochen. Kärnten möchte
also die Grenze abschliessen. Die Jugoslawen hätten aber
im Jänner 1975 in ihrem Parlament eine Resolution beschlossen,
wo sie die offene Grenze wünschen, den kleinen Grenzverkehr
usw. Selbst jetzt, trotz dieser schlechten politischen Ver-
hältnisse, meint Cacinovic und Snuderl sollte man
sich überlegen, ob man nicht grössere Kontingente für die Messen
in Laibach aber auch in Greinsburg und Oberradkersburg verein-
baren sollte. Insbesondere möchten Firmen den kleinen Grenz-
verkehr mehr als bis jetzt nützen. Ich erkläre sofort, dass
Österreich keine wie immer gearteten Schwierigkeiten machen
wird. Vor Jahren gab es den Wunsch Jugoslawiens, der übrigens
jetzt auch noch besteht, ähnlich wie mit Südtirol ein Accordino
abzuschliessen. Hier erkläre ich, dass dies aus verfassungsmässigen
Gründen nicht möglich ist. Zum Glück habe ich diesen Wunsch bereits
1970, als noch gute politische Verhältnisse bestanden, aus diesem
Grund der jug. Seite immer schon ablehnen müssen. Wie weit sie
heute ernstlich noch daran denkt, kann ich natürlich nicht be-
urteilen, ich versuchte nicht, dieses Problem näher zu erörtern.
Kreisky hätte im Frühjahr 1976 im Fernsehen die Wirtschaftsmöglichkei-
ten zwischen Slowenien/Jugoslawien auf der einen Seite und Öster-
reich herausgestrichen. Kraftwerke, Hydrozentrale Mur, Kernkraft-
werk an der Drau, Schwerindustrieprojekte zwischen österr. u. jug.
Firmen, auch insbesondere auf Drittländer, und gemeinsame Erdöl-
politik insbesondere Pipelines geben jetzt eine gute Möglichkeit,
die Wirtschaftsbeziehungen, wenn schon so schlechte politische
Beziehungen bestehen, zu verbessern. Snuderl fragt mich sehr konkret,
ob die ÖMV an der Pipeline, wo noch 1 1/2 Mill. t frei sind,
sich beteiligen wird. Ich verweise auf die diesbezüglichen Be-
sprechungen, die die ÖMV mit der Firma Petrol, das ist die sloweni-
sche Ölfirma, führt. Die jug. INA kommt dafür weniger in Frage.

ANMERKUNG FÜR WAIS: Bitte sofort eine Besprechung mit der ÖMV
vereinbaren und Bericht über die bisherigen Verhandlungsergebnisse
einfordern.

Snuderl möchte, ähnlich wie ihm dies mit Italien geglückt ist,
auch mit Österreich weitestgehende Wirtschaftsverbesserung erreichen.



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Er ersucht mich z.B. die Unterlagen über die Kanalstudien
Triest - Wien, wie sie bereits in der österr.-ungarischen Monarchie
durchgeführt wurden. Er könnte sich einen solchen Kanal an
die Donau ohne weiteres vorstellen, an dem Italien, Österreich
und Jugoslawen sehr interessiert sein müssten.

ANMERKUNG FÜR PLESCH UND WANKE: Bitte sofort alle Unterlagen
gegebenenfalls über die Kanalgesellschaft verschaffen, damit ich sie
Snuderl schicken kann.

Snuderl interessiert sich sehr für die Elektrizitätswirtschaft,
ich lade ihn für nächstes Jahr ein.



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Snuderl selbst ist über diese Einladung sehr erfreut, da er
scheinbar grössten Wert darauflegt, mit Österreich den Kontakt
zu halten. Er verweist allerdings immer wieder, was mir nur
recht ist, ohne Protokoll! Obwohl er auch bei meinem Besuch die
private Seite immer wieder herausstreicht, er tarnt dies damit, dass
er meint, er wollte mich nicht so sehr mit offiziellen Besuchen
belasten, arrangiert er dann aber doch Aussprachen und insbesondere
auch Besichtigungen. Die Slowenen haben in der Zwischenkriegszeit
keine Küste gehabt, jetzt haben sie in Istrien zumindestens
bis knapp nach Portoroz einen kleinen Küstenstreifen. Die Slowenen
haben gehofft, dass sie von der Zone B einen wesentlich grösseren
bekommen, die Kroaten aber haben ihnen nur dieses kleine Stück
gelassen. Dort investieren sie jetzt natürlich in einem Ausmass,
das gigantisch ist. Ich selbst konnte Hotels, die bereits fertig
sind, wie Metropol und andere in Protoroz besichtigen, am meisten
beeindruckt hat mich aber ein ganz neuer Küstenstrand zwischen
Portoroz und Piran, Bernardin, der jetzt ausgebaut wird. Im Mittel-
punkt ein erhaltener Turm eines Klosters, rundherum touristische
Attraktionen des Hotels mit Geschäftsstrassen, Hafen, Schwimmbad
usw. Cacinovic hat mich eingeladen, mit einem Hubschrauber
von oben die ganze ausgebaute Küste zu besichtigen. Snuderl hat
sofort ihm vorgeschlagen, dass er mir aber nicht nur den slowenischen
Teil sondern auch einen Teil der kroatischen Küste zeigt. Mit
Genehmigung konnte ich auch entsprechende Aufnahmen machen.
Ich hoffe, sie wurden etwas, daran würde man deutlich den Unterschied
sehen zwischen den Investitionen der Slowenen auf dem kurzen Land-
strich und die auch sehr beachtlichen Investitionen der Kroaten auf
Istrien, die allerdings eine Küste bis Dubrovnik hinunter haben,
und daher nicht so konzentriert bauen müssen. Am meisten beeindruckt
hat mich aber der Besuch und die Aussprache im Hafengebiet und im
Hafen von Koper. Slowenien baut hier eine ganz grosse Hafenanlage,
auf der einen Seite baggert sie das Meer bis auf 12 – 14 Meter Tiefe
aus und schafft Hafenbecken, mit Aushubmaterial schüttet sie Lagune
zu und macht damit ein riesiges Industriegebiet. Auf dem Hafengebiet
ist jetzt schon eine Säge für tropische Hölzer eingerichtet. Gesamt-
wirtschaftlich ist die Konkurrenz zwischen kroatischen Häfen, slo-
wenischer Hafen Koper jetzt und vor allem Triest in unmittelbarer
Nähe wahrscheinlich ein Wahnsinn. Ich kann mir nicht vorstellen,
dass diese ungeheuren Anstrengungen, die jede einzelne Hafenver-
waltung heute macht, sich wenn es so weitergeht einmal rentieren
kann. Ausser, man kriegt entsprechende Industrien unmittelbar


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in das Hafengebiet. Snuderl meinte, auch für österreichische
Firmen gebe es dann grosse Möglichkeiten. Diese Möglichkeiten
wurden uns aber schon von Triest angeboten. Jeder Staat
möchte, dass Binnenländer in ihrem Hafengebiet in Freihan-
delszonen und Industriezonen sich ansiedeln.

ANMERKUNG FÜR WANKE: Bitte lasse prüfen, wie die einzelnen
Konkurrenzverhältnisse der verschiedensten Häfen, auch die in
Deutschland, d.h. an der Nordsee und an der Adria sowie anderen
italienischen Häfen sind.

GND ID: 130327808


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    Tätigkeit: Kabinett Staribacher


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        GND ID: 119083906


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          Tätigkeit: Staatschef Jugoslawien


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            GND ID: 1017902909


            Einträge mit Erwähnung:
              Tätigkeit: SChef HM
              GND ID: 12195126X


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                Tätigkeit: jug. MP 1971-77


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                    Tätigkeit: Bundeskanzler
                    GND ID: 118566512


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                      Tätigkeit: Außenminister, Bundespräsident
                      GND ID: 118723189


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                        Tätigkeit: Verkehrsminister, LH-Stv. Ktn.
                        GND ID: 12053536X


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