Mittwoch, der 12. November 1975

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Mittwoch, 12. November 1975

Für die Budgetrede hat Androsch außer den graphischen Unterlagen
diesmal auch noch eine ausführliche Erläuterung vorgelegt. Die
Zahlen für das Handelsministerium hatten wir gestern spät abends
bekommen und Gehart wollte unbedingt, daß sie geprüft werden.
Ich sah kaum noch eine Möglichkeit, dies zeitgerecht zu bewerk-
stelligen. Tatsächlich ist dann um 9.15 Uhr Kristinus gekommen
und hat korrigierte Ziffern mir gegeben. Um 9 Uhr hat aber bereits
die Budgetrede bekommen und lag auf jedem Abgeordnetensitz schon
die Unterlage. Eine Korrektur war aus diesem Grund gar nicht mehr
möglich. Mittags hat mich dann Jagoda angerufen und vorher hat
mir Gehart schon mitgeteilt, daß die Korrekturen, die wir ange-
bracht haben, nicht stimmen. Hätte ich etwas gesagt, wäre dies
ganz schön blamabel gewesen. Die Unterlagen, selbst wenn sie in
einem oder anderen Punkt nicht stimmen sollten, was ich bei der
gewissenhaften Bürokratie des Finanzministeriums nicht annehme,
sind sehr gut für Referate zu gebrauchen.

ANMERKUNG für REIM: Bitte die angestrichenen Ziffern tabellen-
mäßig auf Kärtchen zusammenfassen.

Die Debatte war äußerst flau. Dies liegt sicherlich daran, daß
das Problem der Verschuldenspolitik des Finanzministers in der
vorhergehenden Legislaturperiode durch dringliche Anfragen und
ich weiß nicht was, ziemlich zerredet und vor allem durch das
ständige Wiederholen wahrscheinlich auch schon in der Öffentlich-
keit total abgespielt wurde. Auf Grund der neuen Geschäftsordnung,
hat außer, daß die ÖVP einen Untersuchungsausschuß verlangte,
dem sich die FPÖ anschloß und die Oppositionsparteien dann ver-
langten, daß der Rechnungshof eine Prüfung vornehmen soll.

In der Paritätischen Kommission hat der ORF, weil er nicht nur die Bilder
von den alten Paritätischen Kommissionen aus dem Archiv verwenden
will, Aufnahmen gemacht. Ich fragte als Vorsitzender vorher die
Teilnehmer und sie waren damit einverstanden. Allen ist uns ent-
gangen, daß der ORF dann die ganze Sitzung auch im Ton mit aufgenommen
hat, resp. wollte. Auf Intervention erklärte er dann, er bräuchte
dies nur als Geräuschhintergrund.



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Die ganze Tagesordnung der wichtigsten Preiserhöhungen wurden
Inlandskohlenerhöhung um 10 % drei Handelsspannen für In-
landskohle, Speiseeis und Tiefkühlkost um 10.5 %, Fleischkonserven,
Obst-und Gemüsekonserven um 5–33 %, wurden dem Preisunteraus-
schuß rückverwiesen. Der Bierpreis 83 Schilling pro hl, der erst
im April um 60 Schilling hl. für Flaschenbier, um 70 Schilling
für Faßbier erhöht wurde, wurde für die Paritätische Kommission
im Jänner zurückgestellt, d.h. kommt dort garantiert auch noch
nicht zur Beschlussfassung, weil die letzte Erhöhung erst im
April dieses Jahres stattfand. Die Wartungsgebühr für die EDV-
Anlagen wurde einvernehmlich beschlossen, kommt aus dem Bereich der
Paritätischen Kommission heraus.

Der Antrag der Gewerkschaft der Privatangestellten für Industrie-
angestellte, ganz besonders aber der Antrag für die Handelsangestell-
ten wurde dem Lohnunterausschuß zurückverwiesen, da die Handels-
kammer nicht bereit war durch die überhöhte Forderung von 17 % auch
nur die Fühlungnahme freizugeben. Dies ist ein einmaliger Vorgang.
Bis jetzt hatte sich die Handelskammer damit begnügt, darauf hinzu-
weisen, daß aus den Verhandlungen nicht so hohe Ergebnisse kommen
dürften. Der Gewerkschaftsbund hat in der Präsidentenbesprechung
scheinbar erstmalig dem Verlangen nachgegeben und die Rückverwei-
sung in den Lohnunterausschuß zugestimmt, wo neuerdings über die
Höhe eine entsprechende Fühlungsnahme erfolgen soll, bevor be-
schlossen wird, die Fühlungnahme freizugeben. Alle anderen, Bekleidung
Leder, Spedition, Spiritus, Hefe, Süßwaren, Kohlensäure, Obst und
Gemüseverwertung, Raiffeisenverband Kärnten und vor allem die Metall-
und Bergarbeiter, wurde die Fühlungnahme freigegeben. Die Handels-
kammer verlangte die Anmerkung im Protokoll, die Lohnerhöhung sollte
unter der Inflationsrate von 8.5 % liegen, damit die Investitionen
und damit die Arbeitsplätze nicht gefährdet werden. Wenn es über-
haupt zu Lohnerhöhungen kommt, dann sollten direkte Lohnerhöhungen
vorgenommen werden und nicht die Lohnnebenkosten erhöht werden.
Natürlich hat dagegen die Arbeiterkammer, insbesondere Hrdlitschka,
remonstriert. Die Bemerkungen wurden im Protokoll aufgenommen.
Die Gewerkschaften selbst legen aber eine sehr starke Zurückhaltung
sich selbst bei den Verhandlungen auf. Bei uns z.B. hat die Gruppe
der Getränkearbeiter, die sehr starke und hohe Lohnbewegungen im-
mer abgeschlossen hat, für die Kühllagerhäuser einen gewogenen


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Durchschnitt von 10.02 % Erhöhung abgeschlossen. Vereinbart wurde
in Wirklichkeit auf die Stunde 3.60 Schilling draufzulegen, daß
sich ein %-Satz von 8.31 für den Facharbeiter mit jetzt 47.20
Schilling bis zu einem %-Satz 12.2 für die Arbeiterin mit dem
tiefsten Lohn von 33 Schilling ergibt. Die Lohnbewegung ist derzeit
also stark nivellierend.

Eine heftige Debatte gab es über die Anträge des Gewerkschaftsbundes
im Handelsministerium wegen der Preisregelung von Erdgas bei den
Erzeugern. Der Fachverband und die Bundeskammer bestätigt es bei
der Sitzung, hat sich jetzt bereit erklärt alle Unterlagen der
Paritätischen Kommission zur Verfügung zu stellen, weil sie unbe-
dingt wollen, daß es in diesem Bereich bleibt. Auch ich bin daran
sehr interessiert. Mussil hat dann eine neue Idee geboren, er meinte,
daß solange die Preise in der Unternehmerkette sind, sie überhaupt
nicht der Paritätischen Kommission unterliegen. Natürlich mußte
ich als Vorsitzender ihn sofort korrigieren und erklären, daß es
hier klare Vereinbarungen gibt, die er im Buch von seinem Nachbar
Dr. Farnleitner, über die Paritätische Kommission nachlesen kann.
Der Gewerkschaftsbund und die Arbeiterkammer stellten fest in diesem
Fall wäre nämlich die Paritätische Kommission sinnlos. Mussil meint
alles entwickelt sich weiter und deshalb sei seine Idee zeitgemäß,
zweckmäßig und überprüfungswert. Ich glaube eher, daß er wieder
einen Gag anbringen wollte, als daß er dies ernst meinte. Aller-
dings weiß man bei ihm nie, wie weit er über eine scheinbar humor-
volle Anfrage oder Anregung nicht doch beabsichtigt zu testen, was
der Gegner zu solchen Ideen sagt. Diese ist aber einheitlich auf
Ablehnung gestoßen. Selbst seine eigenen Leute folgten ihm nicht
und Sallinger machte nur die Bemerkung, als man früher unter Raab
noch die Vereinbarung getroffen hat, waren die Unternehmer nicht
so inquisitorischen Untersuchungen ausgesetzt als jetzt.

Im Parlament ersuchte mich Bundeskammerpräsident Graf, ob ich bereit
wäre, im nächsten Jahr in der Burgenländischen Handelskammer-Voll-
versammlung ein Referat zu halten. Ich stimmte natürlich sofort zu.
Graf meinte mir gegenüber, er hätte mich ja immer eingeladen, was
nur für die Festvollversammlungen der Fall war. Ich bin gespannt,
ob Sallinger seine Äußerung mir gegenüber wahr macht, daß wenn
ein Kammerpräsident mich tatsächlich einladen sollte, er eine


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Wirtschaftsbundsitzung zum selben Zeitpunkt einberufen wird,
um damit die Vollversammlung platzen zu lassen.

Broesigke hat mir ein Schreiben geschickt, wo er bittet Reg.Rat
Biletschka ein Referat für Beschwerde und Pressekritiken in Ange-
legenheit des österreichischen Fremdenverkehrs zu errichten. Ich
sprach mit Broesigke persönlich und erklärte ihm, daß ich keine
Möglichkeit sehe ein solches Referat zu schaffen. Broesigke sah
dies auch ein, meinte nur, sein Vorgesetzter, ein Super-CV-ler,
hemme ihm in seiner Arbeit. Ich schlug sofort vor, Biletschka
könne sich jederzeit an mich wenden, wenn er tatsächlich in
seiner Initiative und Arbeit gehemmt wird.

ANMERKUNG für GEHART: Broesigke verzichtet auf eine schriftliche
Beantwortung seines Briefes.

Nittel als Präsident des Fischereiverbandes und der Vizepräsident
Dvorak intervenierten bei mir, daß die Tschechen für Besatzfische,
allerdings schon 2 kg schwere Karpfen verlangen, daß diese über
die Firma Wiking importiert werden müssen. Da ich abends die
Tschechen traf, versprach ich ihnen mit Handelsrat Kohout das Problem
zu besprechen. Dieser erklärte insbesondere, da 2 Minister dabei
anwesend waren mir in der Oper sofort, er werde mit Wiking ver-
handeln, daß diese Importe direkt an den Fischereiverband abge-
wickelt werden können. Er sieht vollkommen ein, daß sich der Fi-
schereiverband die Spanne, die Wiking verrechnet ersparen will.
Die Tschechen sind von der Aufnahme in den Betrieben und der
Betreuung sehr beeindruckt. Ich wollte sie noch Samstag, Sonntag
dann besonders betreuen, beide müssen aber so schnell als mög-
lich wieder in die CSSR zurück.

Im Kautsky-Kreis referierte und diskutierten wir über Gemeinde-
probleme mit Stadtrat Mayr. Dieser meinte 1976 würden sie 8,6
Milliarden Schillinge Investition für Wien versehen, bei einem
Defizit von 2.2 Milliarden ohne die beabsichtigte Gebührenerhöhung
einzurechnen. 1980 würden die Investition nur mehr 5.2 Milliarden
betragen, wenn es kein Defizit mehr gebe. Die Investitionsfortführung
aber allein macht 9 Milliarden Schilling 1980 aus. Durch die kritische


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finanzielle Situation auch der Gemeinde Wien besteht bei ihm die
Absicht im nächsten Jahr im April das letzte U-Bahn-Los zu be-
schließen und dann den U-Bahn-Bau erst wieder fortzuführen, wenn
er mit dem Bund eine bessere Vereinbarung über die Aufteilung
der Kosten erreicht hat. Derzeit wird ja der vor längerer Zeit
beschlossene absolute Betrag der durch die Inflationsentwicklung
schon nur mehr ein Bruchteil der beabsichtigten Leistung ist, wie
Mayr sich ausdrückt, sehr zu ungunsten von Wien festgesetzt.
Dasselbe gilt übrigens auch für das Krankenhaus Ost mit NÖ, wo
er von 1000 Betten, 200 den Niederösterreichern reservieren muß
und dafür nur 80 Millionen Schilling Zuschuß auch absoluten Be-
trag bekommt. Wien betrachtet sich überhaupt benachteiligt, nicht
zuletzt durch den Finanzausgleich. Wien bringt 4 Milliarden mehr
auf als es zurückbekommt, Salzburg noch 568 Millionen, Vorarlberg
215 Millionen. Alle anderen Länder genießen und bekommen diese
Überschüsse von Mehrleistungen zugeteilt. Selbstverständlich kam
in der Diskussion, ganz besonders von Edi März die mangelnde sozia-
listische Politik der Gemeinde zur Sprache. Merz wollte überhaupt den
Nulltarif, das klassenlose Spital, freie öffentliche Bäder, mit
einem Wort wie er sich ausdrückte mehr Mut, mehr Sozialismus.
Mayr hatte es leicht darauf hinzuweisen, daß die sogenannte so-
zialistische Politik in der ersten Republik der Gemeinde Wien
auf ganz anderer Basis fundierte. Damals hatten die Länder die
Finanzhoheit, Wien unter der Breitner-Ära einen Anteil von 50 %.
Unter Dollfuß wurde er auf 40 % reduziert, derzeit hat Wien 25 %.
Wien muß derzeit den abgestuften Bevölkerungsschlüssel, der die
großen Städte bevorzugt, gegen die Angriffe verteidigen. Die Be-
lastungen Wiens sind gigantisch. Allein der U-Bahnbau und die
Pensionen für die Straßenbahn, die die Gemeinde übernimmt, betragen
3,5 Milliarden Schilling. Die Betriebskosten für die Spitäler werden
von den Krankenkassen nur zu 40 % bezahlt. Das neue Allgemeine Kran-
kenhaus wird, so sagt man jetzt schon, 30 % der Investitionskosten
jährliche Betriebskosten haben. Wenn dies stimmt und die Investi-
tionskosten werden sicher 20 Milliarden betragen, wird dies ein
gigantisches Defizit. Was Mayr nicht sagen konnte, oder wollte,
war, daß er in Wirklichkeit alle diese Riesenprojekte übernommen
hat, kaum eine Chance sie nicht zu vollenden, oder auch nur wesent-
lich verbilligt fortzusetzen, sodaß seine Bewegungsfreiheit fast
Null ist. Hier finde ich meine Theorie wieder vollkommen bestätigt
wenn es nicht zu einer inflationären Entwicklung kommt, wird Wien


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an der Finanzierung dieser Projekte zugrunde gehen. Nur durch
einen Wirtschaftsaufschwung mit entsprechenden Inflationspro-
zeß kann man sich über diese Schwierigkeit hinwegschwindeln.

Bandhauer von der Verbund mußte mich dringend sprechen, da
er morgen im Tarifkomitee der Elektrizitätsversorgungsunter-
nehmungen eine Preiserhöhung zur Diskussion stellen muß. Burian
hätte ihm angeblich empfohlen, er soll auf alle Fälle mehr ver-
langen, scheinbar damit Burian dann entsprechendes abhandeln
kann. Genau eine solche Taktik halte ich aber für falsch wenn wir
es anregen. Die Landesgesellschaften werden sowieso 25–30 %-ige
Preisanträge stellen. Bandhauer möchte nun 10 % mit 1.1.1976 und
weitere 10 % mit 1.1.1977 beantragen. Auch diese Lösung halte
ich für überhöht, weshalb ich ihn nicht erst recht auffordern muß
noch mehr zu verlangen. Bandhauer meint auch er hätte dafür
keine seriösen Unterlagen liefern können. Ich bin gespannt was die
Arbeiterkammer machen wird, nachdem Blaha und Hrdlitschka
auch durch reinen Zufall diese Forderung jetzt schon kennen.

Mit den beiden besprach ich auch die Frage des Zuckerexportes.
Die Arbeiterkammer ist der Meinung, man soll ein größeres Lager
auf alle Fälle anlegen. Mein Hinweis, daß damit die Konsumenten
in den Preis letzten Endes belastet werden und wir ein solches
Lager wahrscheinlich gar nicht brauchen wenn es uns gelingt 60.000 ha
Anbaufläche zu erhalten, wird nicht zur Kenntnis genommen. Mir kann
es nur Recht sein, wenn tatsächlich durch unmögliche Zuckerexporte
eine größere Reserve vorhanden ist. Ich will nur dafür nicht die
finanzielle und kostenmäßige Verantwortung übernehmen. Wenn die
Zuckerindustrie nicht imstande ist, durch die Weltmarktsituation
den Zucker zu exportieren, ist das ganz etwas anderes, als wir
verbieten es ihnen. Eine ähnliche Situation mit entsprechenden
Angriffen haben wir ja heuer im Sommer bei den Getreideexporten
erlebt. Dir. Lanner hat nicht zu unrecht diese Politik im Parlament
kritisiert. Ich glaube, daß wir auf dem agrarischen Ex- und Importsek-
tor wesentlich beweglicher werden müssen als dies derzeit der Fall
ist.

28_1294_01

Tagesprogramm, 12.11.1975

28_1294_02

hs. Notizen (Tagesprogramm Rückseite)


Tätigkeit: HK


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                            Tätigkeit: Wr. Wirtschafts- u. Finanzstadtrat


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