Sonntag, der 5. Oktober 1975

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Sonntag, 5. Oktober 1975

Bei uns auf der Landstrasse sind deutsche Genossen aus Bonn, die
den Wahlkampf studieren. Sie sind sehr erstaunt über unser perfek-
tes System, unsere straffe Organisation. Allerdings bemerken sie
sofort, dass wir in Wirklichkeit auch, wie sie es ausdrücken, mit
österreichischem Charme, ich würde sagen durch Improvisations-
kunst, die Schwierigkeiten besser meistern als mit einer preussi-
schen Gründlichkeit. Was sie vor allem aber erstaunt ist und was
natürlich der grosse Unterschied zwischen uns und den deutschen
Genossen ist, dass wir eine gefestigte Partei sind, die nicht
zerstritten ist, wie dies leider in Deutschland heute der Fall ist.
Immer wieder fragen sie, wie dies eigentlich bei dieser und jener
Massnahme ist, bei diesem und jenem Gesetzentwurf und vor allem
wieso es immer wieder dazu kommt, dass wir nach aussen hin so
geschlossen auftreten. Meine Erklärung dafür ist, ohne dass ich
es natürlich ausdrücklich sage, die gute Zusammenarbeit zwischen
den führenden Persönlichkeiten, insbesondere zwischen Kreisky und
Benya.

Mit den Meinungsumfrageergebnissen und insbesondere den Betriebs-
ratswahlergebnissen kann ich umso leichter mit wirklich innerer
Überzeugung all unseren Genossen sagen, dass wir die absolute Mehr-
heit sicherlich machen. Was dann die Wahlarithmetik an Mandaten
bringt, kann man erst nach einer Hochrechnung feststellen. Daher
ist es für mich selbstverständlich, dass ich mich wieder ins ORF-
Rechenzentrum begebe, weil ich dort ja seit eh und je nicht nur gute
Freunde habe, sondern selbst mit Bruckmann gerne über die Einwicklung
diskutiere. Die erste mit 1 % zeigt bereit 92–96, 80–76 und
12. Die zweite mit 2,4 % 93–94, 78, 12. Der KP fehlen nur 800
Stimmen, um eventuell auch ein Mandat zu bekommen. Hier beruhige
ist selbst den Genossen Pirk vom IFES und vor allem anderen, dass
die ganz unbedeutenden KP-Stimmen-Zuwächse eventuell in ganz kleinen
Orten natürlich das Bild verzerren. Bei 3,6 % heisst es 94–78–11,
der KP fehlen schon 1000 Stimmen. Bei 8,9 % 93–94, 78–79, 11,
der KP fehlen schon 4.000. Dann kehre ich bereits wieder in meinen
Bezirk zurück, weil für mich die Wahl schon gelaufen ist. Im Bezirk
kommen die ersten Sprengelresultate und hier beginnt Heindl unruhig


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zu werden. Die Wiener Ergebnisse sind nämlich ungeheuer unterschied-
lich. Letzten Endes gewinnen wir aber doch 0,45 % in der ORF-Ankündi-
gung wird aufgerundet, damit 1/2 %, ein sehr schöner Erfolg. Heindl
hätte geglaubt, dass wir 2,2 % gewinnen können. Darüber wäre ich gar
nicht glücklich gewesen, denn man muss immer auf die nächste Wahl
denken. Ständig ein halbes Prozent dazu gewonnen, ist ein phantastischer
Erfolg, insbesondere für die Landstrasse, dem ehemaligen Lueger-Bezirk
und zweifelsohne auch heute noch ein gutbürgerlicher, natürlich
stark mit Arbeitern durchsetzt. Man darf allerdings nicht vergessen,
dass die Genossen, die aktiv und jung sind, meistens in andere Be-
zirke übersiedeln, weil sie dort Wohnmöglichkeiten bekommen, bei leider
ja fest gar nichts. Die Kreisky-Wahl ist geschlagen. Jeder, der glaubt,
es war etwas anderes als die überragende Persönlichkeit Kreiskys,
irrt. Ich bin fest davon überzeugt, dass er nicht nur diese Legis-
laturperiode Bundeskanzler bleiben wird, sondern dass er sicherlich
auch, natürlich mit entsprechender Forderung von Seiten der Partei
noch einmal zumindestens sich nochmals um das Vertrauen der Be-
völkerung bemühen wird. Adenauer war 73, als er Bundeskanzler wurde.

Beim anschliessenden Empfang des Bürgermeisters setzten sich ein
paar Gewerkschafter, zusammen und da Benya nach Mexiko und Tokio reist,
wurde festgehalten, dass der ÖGB bezüglich der Mandate 3 Forderungen
hat. Sepp Wille – Restmandat Tirol, Prechtl – Salzburg, d.h. die
beiden im Wahlkreisverband 2 und Lachs Wahlkreisverband 1. Hier wird
es Schwierigkeiten geben, weil die Burgenländer auf ihr 4. Mandat
den Kammeramtsdirektor von der AK Kapaun haben wollen und dies auch
berechtigt ist.

Meine Überlegung, die ich nach wie vor für richtig halte, dass man
die Parlamentsfraktion sehr verstärken kann, wenn die Minister auf
ihre Mandate verzichten, ersuchte mich Heindl jetzt auf gar keinen
Fall ins Spiel zu bringen, da es taktisch wahrscheinlich wirklich
richtig ist und alle meine Meinung kennen, kann ich umso mehr jetzt
momentan schweigen.



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Bei der Wahlbehörde habe ich Busek getroffen, der mir trotz ihrer
Niederlage sehr gefestigt vorgekommen ist. Ganz anderen Eindruck
machte Taus, der allerdings erst dann wirklich nur für die Fernseh-
kamera erst kam, sicherlich hätte nicht der Sprecher gefordert, ob
jetzt das Shakehands kommt, kaum Kreisky die Hand gegeben hätte und,
was sehr interessant ist, auch Peter die Hand gab. Busek dagegen ist
viel robuster, erklärte nur auf eine Frage der Journalisten, er fährt
wieder in die ÖVP, wird dort ein Glaserl trinken, weil Mahr ihn fragte,
ob er mit ihm wohin fährt. Mahr hat übrigens auch Benya diesbezüglich ge-
fragt. Die Kronen-Zeitung hat verhältnismässig wirklich sehr aktive
Reporter und weiss natürlich, wo sie ihre Informationen her bekommt.
Benya hat ihm spasshalber gesagt, wenn es anders ausgegangen wäre,
wäre es ihm ein Vergnügen gewesen, jetzt alles was der ÖAAB gefordert
hat und natürlich auch noch was am Kongress beschlossen wurde, den
Unternehmern auf den Tisch zu legen. Hier machte ich scherzhalber
die Bemerkung: Toni, das darfst nicht, sonst passiert es, dass Mahr
dies ernst nimmt und wirklich schreibt.

Mein Eindruck ist, dass Busek alles gut überstehen wird, robust genug
ist um auch als Generalsekretär schwere Niederlagen zu verkraften.
Busek meinte zu mir gleich, jetzt haben Sie wirklich recht, dass Sie
bis zu Ihrer Pensionierung Handelsminister bleiben, worauf ich
sofort antwortete, dies habe ich ja auch Mussil 1970 schon versprochen.
Taus dagegen macht auf mich einen wirklich sehr niedergeschlagenen
Eindruck, obwohl ich mit ihm kein Wort gesprochen habe, der Mann ist
glaube ich für die Politik viel zu sensibel. Heinz Fischer meinte zu
mir, dass die Politik ein ganz furchtbares Geschäft ist, wenn man an
die Siege auf der einen Seite, aber noch viel mehr an die Niederlage
auf der anderen Seite denkt. Hier meinte ich unter "Seite" nicht ÖVP,
sondern dass es eben immer Gewinner und Verlierer gibt. Dass die
ganze Anstrengungen, wenn man gewinnt, vergessen sind, ist selbst-
verständlich. Für mich persönlich hätte es aber nur bei einer ÖVP
relativen Mehrheit und nicht einmal da ganz sicher ein anderes Los
gegeben als das Handelsministerium weiter zu bekommen. Denn ich bin
überzeugt, selbst bei einer relativen Mehrheit der ÖVP hätte, wenn
es zu einer Koalitionsverhandlung gekommen wäre, der ÖGB zur Sicherung
der Sozialpartnerschaft verlangt, dass ich dieses Ministerium weiter
führe. Benya hat auch vor längerer Zeit Sallinger schon erklärt, dass,
was immer geschieht, er, d.h. der ÖGB für mich als Handelsminister ein-
treten wird. Sallinger war deshalb ja immer geängstigt, wenn Benya


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jetzt nach den Wahlen wirklich wegfährt, dass bei einer nur relativen
Mehrheit der Sozialisten sich etwas ändern würde. Von meinem
privaten Standpunkt kann ich nur sagen, leider nein, in keinem Fall,
das war mir allerdings auch schon seit Jahren vollkommen klar. In
dieser Wahlnacht habe ich mir allerdings vorgenommen, die Arbeitsmethode
im Ministerium ein wenig zu ändern. Ich bin neugierig, was aus diesem
Vorsatz wird.



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    Tätigkeit: SPÖ-NR-Abg.


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      Tätigkeit: Vizepräs. AK Wien, SPÖ-BR, SPÖ-NR-Abg.


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            Tätigkeit: ÖGB-Präs., NR-Präs.
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              Tätigkeit: SPÖ-NR-Abg., KAD AK


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                Tätigkeit: Gen.Sekr. HK, ÖVP-NR-Abg., später AR-Präs. Verbund


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                  Tätigkeit: Bundeskanzler
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                    Tätigkeit: Kronen-Zeitung


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                      Tätigkeit: -obmann


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                        Tätigkeit: FPÖ-Obmann


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                          Tätigkeit: 1970-1973 Büro Staribacher, SPÖ-NR-Abg., stv. Vors. SPÖ-Landstraße
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                              Tätigkeit: ehem. dt. BK


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                                  Tätigkeit: Handelskammer-Präsident


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