Samstag, der 4. Oktober 1975

27-1094

Samstag, 4. Oktober 1975

Bei den drei Marktbesuchen versuchte ich entsprechende Autogramme
teilweise auch wieder den verblüfften Passanten aufzuzwingen. Die
meisten allerdings waren daran interessiert, eines zu bekommen. Dies
waren aber sicherlich meistens nur Genossen. Ganz wenige haben aller-
dings auch überhaupt die Abnahme verweigert. Bei den ÖVP-Mandataren
und Zettelverteilern soll dies viel stärker der Fall sein. Angeb-
lich gibt es hier immer eine ganz grosse Ablehnung von Neutralen
von unseren Genossen eigentlich selbstverständlich. Ich finde,
dass unsere Seite viel härter im Wahlkampf ist als die anderen.
wenn man bedenkt, dass die ÖVP jetzt in Opposition ist und bedenkt,
dass sie noch dazu mit dieser Wahlen ungeheure Entscheidungen ver-
bunden sind, so muss ich mich über ihre verhätltnismässig faire Wahl-
kampfführung sehr wundern. Natürlich darf ich nicht den Fehler machen,
das Verhalten mir gegenüber als Masstab zu nehmen. Sowohl als ich
Wiesinger, Hauser auf den Märkten traf, wo sie ebenfalls verteilten,
gab es immer die nettesten Gespräche und ein bisschen gegenseitiges
Hänseln. Am Kutschkermarkt im 18. Bezirk sind wir im wahrsten Sinne
des Wortes in eine ÖVP-Aktion hineingeplatzt. Da hätte ich erleben müs-
sen, was unsere Genossen in so einem Fall gesagt hätten. Auf der Land-
strasse dagegen zog ich mich, als die ÖVP ihre Zeit am Markt mit
Recht beanspruchte, von dort zurück zum AEZ. Vorher hatte ich noch
eine freundliches Gespräch mit dem ÖVP-Professor Frühwirth, der mit
seinen Funktionären aufkreuzte. Mein Eindruck vom Wahlkampf war,
dass wir ihn aufwendigst geführt hatten. Dies trifft allerdings für
alle Parteien zu, soweit sie dazu eben imstande waren. Für mich ist
es gar keine Frage, dass kleine oder neue Parteien in Hinkunft gar nicht
mehr mitkönnen. Selbst wenn sie die besten Ideen haben, können sie
diese Materialschlacht nicht mitmachen. Andererseits bin ich überzeugt,
dass ohne eine solche Materialschlacht man sich heute kaum bei der
Bevölkerung in Erinnerung rufen kann. Geschweige denn als neue Partei
überhaupt erst bekannt wird. Nach meiner Theorie wird es nach wie vor zu
einer stärkeren Polarisation der beiden Parteien kommen und ganz beson-
ders auch in Hinkunft zu einer Polarisation der beiden Exponenten
der Partei. Die Parteiführer, ob in der Regierung oder ausserhalb,
werden in Wirklichkeit in Hinkunft den Wahlkampf zu führen haben.
Meiner Meinung nach immer schon, auch wenn man in der Sozialdemo-
kratie behauptet, dass es früher nur ein Kampf der Ideen gewesen ist,
eine reine Personalwahl, dies gilt auch für die erste Republik.



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Soweit ich mich noch daran erinnern kann. Jetzt aber geht es mit
Reisenschritten nicht mehr auf die Personen sondern nur mehr auf
den Spitzenkandidaten zu. Wer immer sozusagen im Wahleinsatz steht,
und er kann noch ein so bekannter Minister sein, wird in Wirklichkeit
nur als Beiwagen zum Parteiführer in Erscheinung treten. Die Leute
werden die Personifizierung des Wahlkampfes so weit treiben, dass
sie überhaupt nur mehr den Spitzenkandidaten wählen und kennen.
Weder das Programm noch sein Team werden dabei eine Rolle spielen.
Von mittleren Funktionären habe ich im Wahlkampf immer wieder
gehört, dass sie dies bedauern, weil gerade die politisch Denkenderen
darin eine Entwicklung sehen, die früher oder später wieder zu einem
Personenkult, um nicht zu sagen, Führerkult, führen kann. Dies
stimmt, doch ich weiss kein Mittel dagegen.

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Tagesprogramm, 4.10.1975

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hs. Notizen (Tagesprogramm Rückseite)


Tätigkeit: ÖVP-NR-Abg.


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