Freitag, 5. September 1975
Ich berichtete den Ingenieuren von der Kernkraftwerksplanungs-
gesellschaft und den Ministerium-Fachleuten über meinen Besuch
im A1-Atomzentrum in Pohowice , Slowakei, da noch niemand diesen
Atomreaktor besucht hatte, waren sie an meinen Ausführungen sehr
interessiert. In der anschliessenden Diskussion lernte ich auch
wieder einige sehr interessante neue Details. Angeblich in der SU
jetzt an den Woronesch-Typen ein neues Sicherheitssystem erprobt.
Der einzige Woronesch-Reaktor in Finnland hat von seiten der
finnischen Atombehörde ein weiteres Containment aus Beton bekommen.
Ich konnte je nicht feststellen, ob der Woronesch-Reaktor in der
Slowakei ebenfalls die restlichen Sicherheitserfordernisse auf-
weisen wird. Der leitende Ingenieur konnte mir dort oder wollte
mir nicht entsprechende Auskunft geben. Wir kamen überein, dass
wir nach einiger Zeit, wenn die Bauten weiter fortgeschritten sind,
einen Besuch versuchen werden. Der jetzt laufende Schwerwasserreak-
tor ist von unserem Standpunkt uninteressant und wird, wie mir
auch Barcak versicherte, nach 2 bis maximal 3 Jahren stillgelegt
werden. Dieser Reaktor-Typ ist nicht weiter verfolgt worden.
Da ich die Fachleute beisammen hatte, zwang ich sie, einmal auch mir
zu erklären, was geschieht, wenn tatsächlich der Kern durchschmelzen
würde. Dass ein solcher Unfall erst in 17.000 Jahren oder noch viel
später eintreten wird, so rechnet, nämlich die Wahrscheinlichkeit,
verlangt trotzdem, dass man sich damit beschäftigt. Bis jetzt ist
nur einmal in Grossbritannien ein kontaminierter Dampf aus
dem Reaktor ausgetreten. Er hat dort dann die unmittelbare Umgebung
mit Radioaktivität verseucht, die allerdings geringer war als zuge-
lassen ist. Nach Auskunft der Fachleute würde, wenn so etwas in
Österreich passiert und in weiterer Folge sogar der Kern schmilzt,
trotzdem nichts passieren, weil man Zeit genug hätte, die Umgebung
zu evakuieren. Darüber hinaus würde wahrscheinlich nur das Grund-
wasser durch Schmelzen der Betonfassung kontaminiert werden. Man
nimmt sogar an, dass durch die Hitze die Verglasung der Erde
weitgehend vor sich geht und durch die Absorption der Erde auch
dann wenn sie nicht verglast die Radioaktivität weitgehend abgebaut
wird. Frank verwies ganz besonders darauf, dass die jetzt entwickel-
ten neuen Hochtemperatur-Reaktoren ein noch geringeres Risiko
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darstellen. Der Vergleich mit irgendwelcher Art von Atombomben-
wirkung ist daher unzulässig. Daß bei normalem Betrieb sowieso
überhaupt nichts oder fast nichts hinausgeht an die Umwelt, war
mir bis jetzt schon vollkommen klar und ich bin sicher, dass dies
auch zutrifft.
Mit Jagoda und Wanke besprach ich das neue Berufsausbildungsgesetz,
welches der Gewerkschaftsbund vorlegt und das einige legistisch über-
haupt Unzulänglichkeiten aufweist. Wanke hat vollkommen recht, es
wäre viel besser gewesen, wenn die Funktionäre der Gewerkschafts-
jugend nur eine Punktation vorgeschlagen hätten. Trotzdem glaube
ich, kann man die Leute nicht enttäuschen, indem man ihnen jetzt
sagt, dass der Gesetzentwurf unbrauchbar ist. Am Abend bei der
Konferenz konnte ich mir dann auch genau erklären, wie es zu
dieser Formulierung gekommen ist. Dr. Neuwirth von der Arbeiter-
kammer, der Leiter des Jugendschutzreferates, hat obwohl er dort
erklärte, nur Jurist zu sein, gleich einleitend zugegeben, dass
sie einige wirklich gute Juristen brauchen, die in den Ministerien
sitzen, damit sie die Gesetzesformulierung machen. Ausgelöst wurde
dieses Experiment durch die Tagung der Gewerkschaftsjugend in Salzburg
wo sie sich über die Grundzüge eines modernen Berufsausbildungsge-
setzes unterhielten. Neuwirth erörterte, wie er sagte, sehr kurz
wie aber die Konferenz allein schon durch gewisse Unruhe zu ver-
stehen gab, sehr lang, den Gesetzentwurf. Ich selbst hätte dann
die Aufgabe gehabt, zu dem Gesetzentwurf im einzelnen zu sprechen.
Natürlich habe ich nach so einer müden Einleitung gar nie die Ab-
sicht, dies tatsächlich im einzelnen zu tun. Ich strich die Problematik
heraus und ging insbesondere auf die aktuelle Lehrlingssituation
ein. In kürzester Zeit nach einigen Sätzen hatte ich bereits die
Konferenz aus ihrem Schlaf aufgerüttelt und erntete für mich
schon überraschend langanhaltende Beifallstürme. Da ich nicht über
Gebühr die Konferenz verlängern wollte, musste ich und dies ist mir
das erste mal passiert, immer wieder in den Beifall meine Ausführungen
fortsetzen. Für mich war es ein richtiggehendes Erfolgserlebnis.
Die Diskussion war dann auch sehr interessant und es haben sich
trotzdem es schon sehr spät war, noch 13 Diskussionsredner gemeldet.
Einzelne Beschwerden, die gekommen sind, wird Jagoda sofort über-
prüfen. U.a. hatte sich die Metallarbeiter-Jugend beschwert, dass
ein Lehrling seit einem Jahr zu keiner Prüfung zugelassen wird,
weil es keine Prüfungskommission für einen Wagenbauer gibt.
Ich versicherte dann auch im Schlusswort neuerdings der Ge-
werkschaftsjugend, dass ich alles daransetzen werde, dass dieser
Gesetzentwurf, allerdings in einigen Punkten wesentlich anders
formuliert, schneller Gesetz wird als das erste Berufsausbildungs-
gesetz, welches bekanntlicherweise 17 Jahre brauchte, bis es
beschlossen wurde. Ich liess allerdings die Kolleginnen und Kollegen
nicht im unklaren, dass die Verfassungsbestimmungen, die unbedingt
notwendig sind, verlangen, dass wir uns mit der Handelskammer über
den Gesetzentwurf einigen. Nur so ist die Gewähr gegeben, dass dann
im Parlament der Gesetzentwurf, der die 2/3-Mehrheit braucht, ver-
abschiedet wird.
Im Foyer des Kongresshauses hatte das Berufsforschungsinstitut mit
der Gewerkschaftsjugend gemeinsam ihr Unterrichtsprogramm über die
Lehrlingsausbildung ausgestellt. Durch Tastendrücken kann der
Prüfling feststellen, ob er die Frage richtig oder falsch beant-
wortet hat und dann kommt der nächste Schritt. Auch hier war ich
sehr verwundert und ein bisschen stolz, dass ich nur eine Frage
falsch beantwortete. Immer wieder stelle ich fest, dass ich mich
in diesem Milieu ungeheuer wohl fühle.
Beim Büro-Jour-fixe sprachen wir über die weitere Vorgangsweise jetzt
einmal bis zur Wahl. Alle verlangten, dass jetzt ganz konzentrisch
meine Aussagen bei jeder Gelegenheit irgendeinen Neuigkeitswert
oder zumindestens einen Ankündigungseffekt haben müssten. Sie sind
der Meinung, dass selbst wenn ich eine Plattitüde oder besser noch ge-
sagt einen alten Hut aussage, so wird es schon allein weil es eben
der Handelsminister tut, eine entsprechende Wirkung haben. Ich persönlich
teile diese Meinung nicht. Ich glaube nach wie vor, dass es sich
um doch irgendwelche interessante Fragen handeln muss. Trotzdem bin
ich gerne bereit, wenn mir eine entsprechende Formulierung geliefert
wird, diese dann auch tatsächlich zu bringen. Nur erscheint dies
schon deshalb notwendig, um meine Kollegen nicht zu enttäuschen und
was noch viel wichtiger ist, ihnen vielleicht dann doch im einzelnen
zu beweisen, dass eine Aussage des Handelsministers, wenn sie eben
nicht einen Neuigkeitswert und vor allem keine wirkliche Konfronta-
tion mit womöglich eigenen Parteigenossen oder anderen Ministern
bringt, kaum gebracht wird. Die Presse und Massenmedien sind durch
meine Frühstücksrunden sehr verwöhnt. Ausserdem glaube ich gelte ich
als verhältnismässig seriös, so dass man von mir eben nur seriöse
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Aussagen erwartet. Sensationen mit womöglich Kampfstellung gegen
eigene Leute würden natürlich sofort gigantisch einschlagen.
Dass es sich dabei aber dann nur um ein Eigengoal handeln kann,
steht ja für mich ausser Zweifel. Wichtig erscheint mir und dies
wurde dann auch so beschlossen, dass z.B. zu den grossen An-
lässen wie Messe-Eröffnungen entsprechende Aussagen zusammengetra-
gen werden müssen. Für die Wiener Messe werde ich versuchen nach-
zuweisen, dass nicht nur die Taus-Behauptung, dass wir ein
Minus-Wachstum heuer feststellen werden, sondern dass wir sogar ein
bisschen höher als das von Androsch prognostizierte plus Nullwachs-
tum kommen können.
ANMERKUNG FÜR WANKE UND REIM: Diesbezügliche Ziffern müsste das
Wirtschaftsforschungsinstitut so liefern können, dass es vor der
Prognosesitzung eben zur Messe-Eröffnung zur Verfügung steht.
Das erste Jour fixe mit den Konsumentenvertretungen d.h. AK und
ÖGB ist danebengegangen. Schmidt vom ÖGB hat gesagt, er kommt
ein bisschen später, Lachs entschuldigte sich mit dem Begräbnis
von Peterschelka, so dass wir nur mit Zöllner und Blaha die Be-
sprechungen führten. Sie waren sehr interessiert natürlich an
einem solchen Jour fixe und wir besprachen auch das Problem der
Preisauszeichnung und das Problem der eventuellen Wiedereinbeziehung
von Motoröl und von Gaspreis durch die RAG. Letzteres ist noch
offen, da der Direktor Diwald sich verpflichtet hat, die Unter-
lagen der Paritätischen Kommission zu geben. Bei Motorölen ersuchte
ich die Arbeiterkammer unbedingt Abstand zu nehmen von dem
Verlangen, die Preisregelung wieder einzuführen, weil dies unge-
heuer kompliziert ist und kaum etwas bringt.
Bezüglich der Stärkeförderung hat die Arbeiterkammer sich von
Wohlmeyer überzeugen lassen, dass wir sehr wohl einen wesentlich
höheren Preis im Waldviertel auszahlen können. Ich erklärte,
dass die endgültige Entscheidung beim Finanzminister liegt, ob
er nämlich doch fast eine Verdoppelung der 25 Mill. S jetzt im
Budget vorgesehenen Ansatzpost vornehmen kann.
Philips-Vertreter waren in der Arbeiterkammer, um wegen der
Einführung eines Zolles auf Farbfernsehröhren zu intervenieren.
Die europäischen Gemeinschaften haben 15 %, Japan auf 15 %
Österreich derzeit Null – GATT-gebunden. In Lebring wurden heuer
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280.000 Röhren erzeugt und die maximale Kapazität ist 400.000 Röhren.
Die Japaner erzeugen 2–3 Mill. und verlangen im Export 1.100
bis 1.200 S gegenüber 1.500 S von Philips. 50 % brauchen die Philips
ihre Röhren im Inland, die anderen 50 % werden direkt oder über
andere Fernsehapparate-Firmen indirekt exportiert. Die Arbeiter-
kammer stimmt zu, dass wir im GATT jetzt den Null-Satz kündigen,
um eine eventuelle 15 %-ige Zollerhöhung einzuführen. Gegenüber Japan
fühlen wir uns dazu berechtigt, weil auch die Japaner für Skischuhe
Zölle erhöht haben. Welche Kompensation anderen Staaten im GATT
allerdings geboten werden kann, kam nicht zur Sprache.
Natürlich unterhielten wir uns auch über die Wahlkampfsituation und
kamen überein, dass die grösste Gefahr darin besteht, unsere Genossen
nicht mehr zu mobilisieren, weil sie auf dem Standpunkt stehen, es
ist alles in bester Ordnung. Kreisky wird das Rennen schon machen.
Ich bin allerdings überzeugt, dass auch in der Arbeiterkammer es
sehr wenige Genossen gibt, die wirklich aktiv mitarbeiten. Meistens
ist es in unserer Organisation jetzt so, dass ein jeder das Gefühl
hat, er leistet schon genug, wenn er in einer Institution arbeitet,
die der Partei nahesteht. Mit dieser Tätigkeit glaubt er, seine
Funktion auch als Parteiarbeiter zu erfüllen. wenn es wirklich dann
einige aktive Leute gibt, so hat, wie mir Wais von der JG mitteilt,
es grosse Schwierigkeiten gegeben, diese Leute zeitweise zumindestens
freizustellen. Dasselbe Bild wie überall, ein paar arbeiten etwas, die
anderen sehen zu und meinen, es geht sie das Ganze sowieso nichts an.
Tagesprogramm, 5.9.1975