Mittwoch, der 11. Dezember 1974

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Mittwoch, 11. Dezember 1974

Der Handelsausschuß, welcher sich mit dem Preisgesetz be-
schäftigen sollte, wurde von der ÖVP abgesagt. Wie Robert
Weisz
mitteilte, entsprach dies auch der Vereinbarung im
Präsidium, da die Voraussetzung eine Einigung der Parteien
über das Gesetz gewesen wäre. Im Klubvorstand, dem ich als
Gast zugezogen wurde, diskutierte man, wie jetzt weiter vor-
gegangen werden sollte. Letzten Endes einigte man sich darauf,
einen Initiativantrag mit einer dreimonatigen Verlängerung
einzubringen. Natürlich gab es auch Bedenken, was geschehen
würde, wenn die ÖVP dem nicht zustimmt. Blecha, der Mitglied
des Klubvorstandes ist, sagte nachher zu mir, ihn interessiert
besonders, wie Willensbildung zustande kommt, ein Problem, welches
mich seit 1945 besonders fasziniert. Seit dieser Zeit hatte ich
vereinzelt als Experte Gelegenheit, bei Gipfelgesprächen zwischen
den Parteien und den Sozialpartnern oder wie ich im Wiener Vor-
stand war, der damals eine grössere Bedeutung hatte als wie
heute, weil die Länder durch die Okkupation, Zonentrennung, im
Parteivorstand seltener erschienen, wie ich mich immer aus-
drückte, zu beobachten, wie die Parteispitze handelte, d.h. wie
es dort zu der Willensbildung kam. Sicher ist eines, daß die
Willensbildung niemals in den dafür vorgesehenen Gremien erfolgt.
In den Vorständen, ja selbst in den erweiterten Präsidien, manch-
mal sogar überhaupt auch in den Präsidien wird die Willensbildung
nicht vorgenommen. Obwohl wir uns soviel zu Gute halten, eine
demokratische Partei zu sein, was ich gar nicht bezweifeln will,
entscheiden doch immer nur Einzelpersönlichkeiten, momentan
natürlich Kreisky, der als geschickter Politiker versteht, den
zweitmächtigsten Mann Benya für die meisten seiner Ideen zu ge-
winnen, auch wenn dieser es nicht immer wahrscheinlich zugibt.
Andererseits erklärte ich Blecha, daß er auf Kreisky heute
wahrscheinlich den größten Einfluß ausübt, ohne daß er eine
bedeutende Funktion in der parteipolitischen Hierarchie hat.
Früher einmal mußten die Spitzenpolitiker nur nach dem eigenen
Gefühl, wie die Masse reagiert und was die Masse denkt, handeln.
Jetzt liefert Blecha mit seiner Meinungsumfrage die entsprechenden
Entscheidungshilfen, vielleicht hat noch Androsch einen gewissen
Einfluß, was sicherlich nicht der Parteivorstand, der meistens


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vor vollende Überlegungen gestellt wird und in Wirklich-
keit nur mehr Berichte bekommt. Die einzelnen Länder oder
gar die Ministerien werden wieder von Politikern geführt,
die im eigenen Wirkungskreis ihre eigene Politik machen, je
nach Überzeugung und Glück, sich kaum von jemanden beein-
flussen lassen. Natürlich versucht jeder sein Bestes, die
Summe ergibt eben die entweder gute oder, wie die Bevölkerung
auch manchmal urteilt, schlechte Politik. Der Niederschlag oder
das Ergebnis dieser Politik bringt dann bei den nächsten Wahlen
entweder einen Sieg oder einen entsprechenden Verlust, dann be-
ginnt automatisch, insbes. wenn eine andere Persönlichkeit zur
Verfügung steht, die Ablöse. Dies geschieht bei uns in verhält-
nismäßig humanen Bahnen und meistens verhältnismäßig reibungslos,
in anderen Parteien korruptiv und manchmal auch spektakulär.
Auf alle Fälle aber und dies betrübt mich bis zu einem gewissen
Grad, vielleicht auch Blecha, soweit habe ich mit ihm nicht
diskutiert, die Willensbildung und Führung einer Partei weitest-
gehend ein Persönlichkeitsproblem und vor allem eine Persönlich-
keitsfrage. Innerhalb der Bevölkerung in Österreich kommt auch
immer mehr diese Überzeugung zum Durchbruch, man wählt eben den
Kreisky und weniger die Sozialistische Partei als Verkörperung
der sozialistischen Idee.

Im Klubvorstand berichtete dann Kreisky ganz kurz über die Er-
gebnisse der Aussprachen und es war wieder typisch, es gab darüber
keine Diskussion.

Die Ordensverleihung, wo diesmal über 40 von mir überreicht wurden,
war wieder improvisiert, hier muß ich allerdings gestehen, daß
ich es gar nicht anders will. Manchmal habe ich mich nur geirrt,
weil man mir die Auszuzeichnenden auf eine Liste zusammen schrieb,
anstelle wie ich es immer wünsche, jeden auf einen einzelnen
Zettel, wie ich es bemerkte, habe ich sofort um Entschuldigung
gebeten, dabei konnte ich wieder feststellen, wenn man kleine
Fehler sofort zugibt, erwirbt man nur die Sympathie, keinesfalls
eine Ablehnung. Außerdem möchte ich das nächste Mal früher die
einzelnen Zettel.

Anmerkung für WIESINGER: Bitte MIT GROSSEN SCHRIFTTYPEN
SCHREIBEN


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Irgendwer hat mir vorgeschlagen, daß ich Präsidenten Sabaditsch
eine Auszeichnung, d.h. ein Schreiben von mir über die erfolg-
reiche Tätigkeit als Präs. des Markensenates überreichen soll,
nachdem dies gesehen war, machte Gehart darauf aufmerksam, daß
ich den Richter belobigt habe, der vielleicht nach dem zweiten
Weltkrieg sich um das Patentamt Verdienst gemacht hat, während
des Weltkrieges aber war er ein Richter, der vielleicht dem
Gesetz genüge, so würde er sich sicher ausreden, aber als Blut-
richter bekannt war. Ich bin kein Mensch der in der Vergangenheit
des Einzelnen nachgräbt und der von jeden Menschen auch ethisch
einwandfreien Lebenslauf verlangt, nur daß ich gerade so einen
Menschen mit einem persönlichen Schreiben belobigen muß, sehe
ich eigentlich nicht ein.

Anmerkung für BUKOWSKI: Bitte kläre, wieso es dazu gekommen ist,
und was insbesonders Leberl dazu sagt.

Ein wirkliches Bedürfnis war mir aber die Belobung von MR Mock,
er ist mit dem Sektionsleiter Gasser gekommen und es war mir ein
besonderes Vergnügen, ihn in dessen Anwesenheit die Initiative,
die Arbeitsfreude und wenn auch ein bißchen umständlich, die
gewissenhafte Vorbereitung des Berggesetzes herauszustreichen.
Überhaupt gibt es in der OB einige, die sehr fleißig sind und
die anderen haben kaum etwas zu tun.

Dies wurde mir neuerdings bestätigt, als SChef Schipper mich
ersuchte, ich sollte den Rechnungshofvertreter, der jetzt bei
uns die Oberste Bergbehörde mit seinen Leuten prüft, Vogler,
kurz empfangen. Dieser erzählte mir sofort, daß er den ersten
Eindruck, den er durch Rücksprache mit zwei Abteilungen ge-
wonnen hat, feststellen mußte, daß diese kaum etwas zu tun
haben. Schipper replizierte, daß es eben an der Führung der
OB liegt und daß wir dort sehr schwach sind. Ich wieder brachte
Schipper ins Gespräch und meinte, er hätte ja schon vor längerer
Zeit auch gemeint, es gehört eine Reorganisation vorgenommen, als
ersten Schritt hat man vor meiner Zeit bereits die Agenden des
Präsidiums aus der OB in das Präsidium des Handelsministeriums,
insbes. Personal- u. Budgetpolitik übernommen. Vogler meinte,
seit dieser Zeit haben sie noch weniger zu tun. Der Rechnungshof-


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bericht wird wahrscheinlich im Frühjahr 1975 zu uns zur
ersten Stellungnahme kommen, dies ist die einmalige Gelegen-
heit dann die Reorganisation der OB gleich in Angriff zu
nehmen, um den Plan, ihn mit der Energiesektion zusammenzulegen,
durchzuführen.

Anmerkung für WANKE und BUKOWSKI: Bitte die Entwicklung genau ver-
folgen, beeinflussen und unseren Plan entsprechend vorbereiten.

Gen.Dir. Beuerle und ein zweiter Herr, den ich nicht kenne,
wollten mich dafür gewinnen, daß ich in der Paritätischen
Kommission dafür eintrete, daß der Bierpreis doch jetzt endlich
zur Verhandlung kommt. Sie brauchen die 110 Schilling pro hl,
da ist eine 19 %-ige Erhöhung, da der Ausstoß um 8 % zurückge-
gangen ist. Beuerle meinte, erstmalig müßten sie den Kredit-
rahmen ausnützen und um Steuerstundung ansuchen. Auch hätten
sie nicht mehr die vorzeitige AfA verdient. Sein Begleiter
erklärte, sie hätten jetzt auf Grund des § 3b, den die Handels-
kammer vorgeschlagen hat, bereits ihre Kalkulationen so erstellt,
daß ich sie jederzeit auf Grund des 3b prüfen könnte, noch
scheinen diese nicht manipuliert, denn sie bauen sich auf die
seinerzeitige 5-er Kalkulation, d.h. die 5 Brauereien, die die
Unterlagen lieferten und die der Arbeiterkammer bekannt sind,
auf. Die Brauindustrie hat auch schon bemerkt, daß bei Preis-
anträgen eine Kontinuität auf alle Fälle gewahrt werden muß.
Er versprach mir, auf mein Verlangen, die entsprechenden Unter-
lagen zu schicken. Bezüglich ihres Preiswunsches sagte ich nur,
nachdem sie am 1. März die letzte Preiserhöhung bekommen haben,
sehe ich kaum eine Chance, daß dies vor März, der neue Preis
inkrafttreten würde.

Die wirtschaftspolitische Aussprache ergab das übliche Bild. Prof.
Seidel vom Wirtschaftsforschungsinstitut brachte, ohne konkrete
Ziffern vorlegen zu können, auf Grund der Ergebnisse der letzten
Monate eine Reihe von Einzeldaten und Prognosen. Die Dezember-
aussprache mit den Interessensvertretungen und den Ministerien
im Wirtschaftsforschungsinstitut mit der Dezemberprognose wird
erst erfolgen. Meine vorläufigen Ergebnisse geben mir aber nach
wie vor das Recht optimistisch zu sein. Wir liegen im Verhältnis


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zu den anderen westeuropäischen Ländern noch immer sehr gut.
Androsch wieder baute seine Aussprache bzw. seinen Beitrag darauf
auf, dass er mit Recht die Prognoseziffern des Jahres 1973
für das Jahr 1974 als Grundlage nahm und nachwies, wie sehr sich da-
mals – ohne die Prognostiker kritisieren zu wollen – sich diese ge-
irrt haben. Die Ergebnisse sind alle wesentlich besser, als man
damals prognostizierte. Ich bemerkte Gehart gegenüber, dass ich
mich immer freue, wenn mein Optimismus bestätigt wird, ich nur
sehr gerne hätte, wenn Kreisky und auch Androsch nicht manchmal
in eine ungeheuer pessimistische Welle verfallen, Gehart meinte,
dass mein kontinuierlich dauernder Optimismus eine grosse
Gefahr beinhaltet. Einmal müsste ja eine Rezession kommen und dann
würde es heissen, dass der Happy-Pepi eben nicht das richtige
Spür für die Wirtschaftspolitik hat und seine Aussagen eben in
diesem Punkt dann nicht zutreffen. In dieser dann sicher sehr
pessimistischen und in der Bevölkerung gedrückten Atmosphäre
werde ich dann garantiert zum Prügelknaben. Soll ich aber des-
halb auch denselben Fehler machen, dass ich, wenn irgendwo eine
Schwierigkeit auftaucht, sofort wie Kreisky dies manchmal macht,
in Pessimismus verfallen. Besonders wenn er von Aussprache mit
Deutschen oder sonstigen Freunden in der Internationale zurückkommt,
dann meint auch er, es müsste die Rezession auch auf uns stärker
übergreifen und wir könnten uns nicht als Insel der Seligen be-
trachten, wo dies nicht passieren könnte. Natürlich kann dies pas-
sieren, natürlich steht man dann gut da, wenn es passiert und man
hat es prophezeit. Natürlich wird Koren, der ununterbrochen schwarz
malt seit 1970, einmal recht behalten. Aber wie oft haben die sich
schon geirrt! Da der Österreicher und ganz besonders der Wiener
als Raunzer und im Grunde genommen als Pessimist eine solche
Entwicklung erwartet, ist er gerade für eine solche Aussage sehr
empfänglich. Ich hoffe nur, dass es während meiner Regierungszeit
niemals zu einer solchen Entwicklung kommt. Übrigens, kommt es
zu einer solchen Entwicklung, dann ist sozusagen meine Regierungs-
zeit sowieso bald zu Ende, weil sich dies dann sofort bei den
nächsten Wahlen ganz katastrophal niederschlagen muss. Ich glaube
nämlich nicht an die Theorie, dass man dann der Bevölkerung ein-
reden kann, die sozialistische Partei ist die Partei für schlechte
Zeiten und jetzt sind schlechte Zeiten. Wenn wir überhaupt Chance
haben, die nächsten Wahlen zu gewinnen, dann nur, wenn wir Opti-
mismus, Zukunftsgläubigkeit ausstrahlen. Wenn wir jetzt bei den


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jungen Leute schlecht ankommen, so glaube ich deshalb, weil diese
manchmal das Gefühl haben, dass wir gar nicht mehr die Fort-
schrittlicheren sind. Ich kann nicht glauben, aber man müsste es
doch glaube ich einmal untersuchen, dass sich die Jugend mehr dem
Konservativismus zuwendet. Möglich allerdings wäre es.

ANMERKUNG FÜR KOPPE UND WANKE: Was sagt die Grundsatzüberlegung,
was sagt die Propaganda?

Präs. Kloss von der OeNB leierte sein Ziffernmaterial herunter,
für die meisten unverständlich, denn so schnell kann man die Zif-
fernkombination gar nicht aufnehmen oder gar überdenken.

ANMERKUNG FÜR GEHART: Bitte präpariere dieses Material und diskutie-
ren wir einmal darüber.

In der Diskussion war nur der Beitrag von Mussil interessant,
der immer wieder gestützt auf seine Handelskammerbüro- und -Abtei-
lungen entsprechende Ergänzungen und neue Gesichtspunkte liefern
kann. Da ich den Ölminister Abdul Karim vom Flughafen abholen
musste, konnte ich die weitere Diskussion und insbesondere das
Ergebnis der anschliessenden Paritätischen Kommission nicht mehr
im wahrsten Sinne des Wortes erleben, habe aber sicherlich nichts
versäumt.

Die Heurigenveranstaltung im 21. Bezirk, vom Wiener Sekretär Nittel
eingeladen – es sollte angeblich der Wiener Vorstand dort sein –
in Wirklichkeit waren es nur die Abgeordneten, die daran Interesse
gehabt haben, es waren also nicht nur Wiener, sondern auch andere
soz. Abgeordnete der Länder anwesend – verlief wie jede Heurigenpar-
tie. Ich sage immer, wenn es wenigstens keine Musik dabei gäbe,
könnte man sich unterhalten. Gott sei Dank sind die meisten
bereits im 1/2 10 Uhr gegangen. Wenn man sich aber von solchen
Veranstaltungen ausschliesst, wird man sofort als fader Kerl,
womöglich noch als überheblich, genau das will ich nicht sein,
bezeichnet.

23_1511_14

Tagesprogramm, 11.12.1974

23_1517_01

Information für den Herrn BM betr. Auszeichnung Präs. Sabaditsch


GND ID: 124729509


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    Tätigkeit: ÖGB-Präs., NR-Präs.
    GND ID: 119083906


    Einträge mit Erwähnung:


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        Tätigkeit: SChef HM
        GND ID: 12195126X


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          Tätigkeit: Dir. Brau-AG


          Einträge mit Erwähnung:
            Tätigkeit: Finanzminister
            GND ID: 118503049


            Einträge mit Erwähnung:
              Tätigkeit: OB


              Einträge mit Erwähnung:
                Tätigkeit: FSG-Vors., SPÖ-Klubobmann, Volksanwalt


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                  Einträge mit Erwähnung:
                    GND ID: 129507873


                    Einträge mit Erwähnung:
                      Tätigkeit: Finanzminister, ÖVP-NR-Abg., OeNB-Präs.


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                        Einträge mit Erwähnung:
                          Tätigkeit: MR HM, Leiter OB


                          Einträge mit Erwähnung:
                            Tätigkeit: Gen.Sekr. HK, ÖVP-NR-Abg., später AR-Präs. Verbund


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                              Tätigkeit: Ökonom, ab 1981 Sts.


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                                Tätigkeit: Büro des Bundesministers (Sekretärin)


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                                  Tätigkeit: Präs. Patentamt


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                                    Tätigkeit: irak. Ölminister


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                                      Tätigkeit: Sekr. JS, ab 1973 GF VKI


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                                        Tätigkeit: Bundeskanzler
                                        GND ID: 118566512


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                                          Tätigkeit: Straßburg


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