Sonntag, der 13. Oktober 1974

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Sonntag, l3. Oktober 1974

Der österreichische Katholikentag stand unter dem Motto "Ver-
söhnung". Die Mediaschau, die Filme, ja selbst die Botschaft
von Papst war auch zumindestens für meine Begriffe äußerst
loyal und zurückhaltend. Kritisch wurde es nur, als Kardinal
König dann bei seiner Predigt darauf hinwies, die Bischöfe ge-
schlossen hinter der Aktion "Leben" stehen. Hier brandete ein
Beifall auf, den ich eigentlich nicht erwartete. Als dann in
einem späteren Satz wieder das Wort auf die Versöhnung kam und
man nicht Gräben aufreißen wollte, war der Beifall wesentlich
schwächer. Ich hatte den Eindruck, daß von Katholiken jetzt eine
Art Kreuzzug gegen die Fristenlösung gestartet wird. Ich bin sehr
gespannt, wieviel Unterschriften sie bekommen werden. Wenn es nicht
mehr als die Rundfunkreform, dort waren es über 800.000, dann wäre
dies in meinen Augen eine Niederlage. Die Mahnung Kreiskys an die
Kirche, sich nicht allzu sehr mit der ÖVP zu verbinden, war ich,
glaube ich, zeitig gesehen, vollkommen richtig. Andererseits aber
kann sich die Kirche kaum in irgendwelchen Fragen profilieren, weil
sofort die ÖVP dann sich mit diesen Wünschen resp. Forderungen
identifiziert, um Oberwasser und Auftrieb zu bekommen. Was immer
nämlich heute die Kirche machen wird, immer wird die ÖVP sofort
auf ihrer Seite sein und sich lange bevor die Bischöfe sich ge-
äußert haben, versuchen, dieses Problem zu einem Anliegen auch
der ÖVP zu machen. Wie Kreisky aus diesem Dilemma herauskommt,
weiß ich zwar auch nicht. Eine These 1966, als wir aus der Regierung
rausgeworfen wurden und ich bei katholischen Akademikern referierte,
war, daß ich hoffe, daß sich die katholische Kirche aus dem politi-
schen Tageskampf weiter heraushält. Damals allerdings war es gerade
umgekehrt, da fürchtete man, daß die Sozialisten jetzt in Opposition
alles, die Regierung, aber wahrscheinlich auch die Kirche stark
attackieren werden. Ich habe damals folgende These vertreten,
solange sich die katholische Kirche und der österreichische Ge-
werkschaftsbund beide überparteilich sich aus den unmittelbaren
politischen Geschehen insofern heraushalten, als sie nicht eine
Partei offiziell vertreten, resp. unterstützen, sondern eben ver-
suchen über den Parteien zu bleiben, kann es niemals oder wird
es nicht so leicht zu einem 1934 kommen. Ich betrachte nämlich
sowohl die Kirche als auch den Gewerkschaftsbund als die einzigen
starken Organisationen, die über die Parteien hinweg wirklich die


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Demokratie und die Zusammenarbeit in Österreich garantieren.
Daß diese Organisationen mittelbar irgendwie von den partei-
politischen Geschehen beeinflußt waren und sind, ist mir voll-
kommen klar. Solange sie aber nicht direkt eingreifen, resp.
ihre Überparteilichkeit entscheidend vernachlässigen, wobei
ihre Mitglieder selbstverständlich nach politischer Einstellung
ihre eigene Entscheidung zu treffen haben, solange aber eben nicht
von der obersten Führung eine besondere ausschließliche Politik
betrieben wird, solange kann in Österreich, glaube ich, auch wirk-
lich nichts passieren.

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Tagesprogramm, 13.10.1974


Tätigkeit: Kardinal


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    Tätigkeit: Bundeskanzler
    GND ID: 118566512


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