Dienstag, 14. Mai 1974.
In der Ministerratsvorbesprechung wird die Parlamentdiskussion über
die Erklärung Kreiskys und Androsch's gesprochen. Kreisky erwartet, dass
Kirchschläger auch in der Debatte am 22. hart angegriffen wird. Die Tages-
ordnung und der Bericht von Kreisky und Androsch wird am Vortag, d.h.
am 21. abgewickelt. Auf der Tagesordnung stehen 7 Vorlagen von Kirch-
schläger. Es ist daher anzunehmen, dass bereits dort die ÖVP den Aussen-
minister als Präsidentschaftskandiaten werden sie ihn nicht angreifen
wollen, aber doch zumindestens dann als Erfüllungsgehilfe Kreiskys bei
dieser Gelegenheit hart attackieren werden. Kreisky berichtet auch von
dem ungemein starken Widerhall, welchen die Abwahl Withalms, d.h. das
zweimalige Ermorden der VP-Funktionäre auslöste. Die Kleine Zeitung am
Sonntag hat einen richtiggehenden Knüller, Withalm : Ich hätte Lugger
auch selbst vorgeschlagen, von Vorhofer und Weissenberger gebracht.
Dort wird auch noch Peter Klar der Chefredakteur von OÖ und NÖ Volksblatt
der ÖVP zitiert. Natürlich wird man diese Walze bei uns in der Propaganda
sicherlich lange spielen. Ob aber tatsächlich die Wähler, ja selbst die
ÖVP-Funktionäre davon stark beeindruckt werden, bezweifle ich. Die
grosse Masse wird sich sagen, Lugger ist ja doch ein viel konzilianterer
Mann als Withalm, wenn sie überhaupt beide kennt und die Funktionäre
der ÖVP werden über den Entscheid froh sein, weil sie damit grössere
Chancen haben zu gewinnen als wenn Withalm tatsächlich kandidiert hätte.
Da Kreisky aber auch bei dieser Bundespräsidentenwahl sein eigener
Propaganda-Chef ist und er sich auf diese Linie festgelegt hat, wird
wahrscheinlich jetzt dieses Problem auch in der offiziellen SPÖ-Propagan-
da eine grössere Rolle spielen. Für mich ist es ganz klar, dass in
Wirklichkeit ein Wahlkampf für die Präsidentenwahl ungeheuer schwierig
zu schlagen ist. Der Kandidat soll und darf in die Tiefen der Politik
nicht reinsteigen. Die Bevölkerung wünscht auch nicht, dass er mit dem
Gegenkandidat streitet. Ausgenommen sind natürlich einige Funktionäre,
die immer gerne haben, wenn der Gegner hart attackiert wird. Mit diesen
Funktionären kann man zwar dann einen Wahlkampf machen, aber keinesfalls
die Wahl gewinnen. Deshalb war es auch glaube ich richtig, dass Kreisky
auf Kirchschläger seit eh und je hingearbeitet hat. Nur so kann er mehr
als 50 % der österr. Wähler für unseren Kandidaten erreichen. Kreisky
spürt aber, dass man doch attackieren muss und meint deshalb, man
könnte hier höchstens mit der Mundpropaganda oder mit Angriffen von
Abgeordneten im Parlament auf die Situation der ÖVP und auch gleichzeitig
auf den gegnerischen Präsidentschaftskandidaten einen agressiveren Wahl-
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kampf führen. Vielleicht hofft er, dass dadurch auch im Fernsehen zuminde-
stens ein Teil übertragen wird. Ansonsten bin ich überzeugt, wird das
Fernsehen sich weitestgehend, fast würde ich sagen, Wadelbeissereien heraus-
halten. Ich meine deshalb fast, weil ich in Wirklichkeit auch immer bei
allen Wahlkämpfen selbst bei Präsidentschaftswahlkämpfen eine solche
Wadelbeisserei für unsere Funktionäre in Form von Wiener Schmäh gemacht
habe und dabei eigentlich natürlich ganz gut angekommen bin. Aller-
dings und das habe ich immer wieder bemerkt nur bei unseren eigenen
Funktionären.
Gen.Dir. der Staatsdruckerei Fichtenthal soll durch Auftragsvergabe
an Firmen die nicht ganz einwandfrei war den Grund zur sofortigen
Suspendierung geliefert haben. Für Passhüllen, aber auch Buchbinderei-
arbeiten sollen Firmen ausgeschaltet worden sein, damit gewisse an-
dere Firmen dies unbedingt bekommen. Für die Pässe sollen angeblich
Offerte um 3 Mill. von Firmen persönlich von Fichtenthal ablehnende
Schreiben erhalten haben, während die Firma Mihailow mit 9 Mill. den
Zuschlag bekam. Ich bin neugierig, was wirklich dabei herauskommen
wird.
Androsch berichtet über die Verhandlungen wegen des Stabilisierungs-
paketes. Mit dem Kreditapparat und der Nationalbank hat er sich geeinigt
Erhöhung des Eckzinsfusses von 3,5 auf 5, bei Anleihen von 7 auf 8,5
für die 100 Mia Altwertpapier-Anleihen wird eine Bonifikation gewährt.
Die Sollzinsen werden auf alle Fälle steigen und erwartet, dass die
Kommunalkredite insbesondere für die Wohnbaufinanzierung so teuer werden
dass doch 1 S pro m3 Mietenerhöhung sich ergeben wird. Die Kreditleit-
linien werden bis 31. Dezember 1974 verlängert. Er kommt dann auf das
erste BÜG zu sprechen und weist darauf hin, dass die Bauern 600 Mill.,
für Hochschulbauten 400 Mill., für Bundesheerbauten 200 Mill., für die
Bergbauförderung 60 Mil.., insgesmt 1,7 Mia zusätzlich aufgewendet
werden müssen. Nur 100 Mill. können durch Umschichtung gewonnen werden,
sodass der Rest das Defizit erhöht. In der Personalpost wird er ohne
dass es aufscheint, eine Milliarde Überschreitungen haben. Insbesondere
sind die Erhöhung der Assistentenposten von 3.200 auf 4.200 so viel,
dass ihm jetzt schon Professoren sagen, sie haben zu viele Assistenten.
Hier meldet sich natürlich Firnberg ganz empört und sagt, es ist ein
Skandal, dass Universitätsprofessoren überhaupt so etwas behaupten.
Jeder neue Professoren bekommt nur einen Assistenten und dann
sind zusätzlich nur 20 Assistentenposten geschaffen worden. Vielleicht
kann in dem einen oder anderen Fall ein Assistent wirklich zu viel sein.
Lausecker weist dann darauf hin, dass bei den Beamtendienstpostenplanver-
handlungen es ganz schwere Auseinandersetzungen jetzt mit den einzelnen
Ressorts gibt. Lanc meint, dass er in dem BÜG unbedingt grössere Er-
höhungen gebraucht hätte. Er kann nicht einmal den Treibstoff mehr be-
zahlen. Ebenso hätte er gerne die Vorfinanzierung, die die oö Landesre-
gierung für den Fernmeldebau durchführen möchte unter Dach und Fach
Sein Debattenbeitrag ging dadurch aus, man müsste einen Minimumkontakt
auch auf Ministerverhandlungen halten, damit nicht bei den Beamtenbe-
sprechungen die Wünsche von den Ressorts nicht durchzusetzen seien und
dann nur mehr die Möglichkeit bestünde, ein BÜG zu beeinspruchen, Moser
wieder weist darauf hin, dass er in der Stabilisierungsquote, die je
letzten Endes nicht kommen wird, einzelne Positionen noch zusätzlich im
BÜG braucht und verweist z.B. auf das Bundesheerlager in Kaufholz Allent-
steig wo für 20 Mill. S brauchen würde, insgesamt aber im Budget nur
36 Mill. für noch wichtigere andere Bauten in Allensteig scheinbar zur
Verfügung hat. Der Redoutensaal ist mit 10 Mill. umgebaut worden, er
müsste jetzt die Rechnungen bezahlen und hat keine finanzielle Bedeckung.
Lütgendorf wieder beschwert sind, dass er für das 70 Mill. S-UNO-Bataillon
noch immer kein Geld hat und die UNO wenn überhaupt, dann sicherlich
erst in ein paar Jahren bezahlen wird. Androsch weist darauf hin, dass
es ihm gar nichts ausmachen würde, wenn das BÜG von einem Regierungs-
mitglied beeinsprucht wird. Genau wissend, dass dies gar nicht möglich
ist. Bei dieser Diskussion habe ich mir wieder gedacht, dass meine Tak-
tik die einzig richtige ist. So wenig wie möglich vom Finanzminister
selbst verlangen, da natürlich jeder Finanzminister trachten muss, die
Budgetausgaben auf ein Minimum zu reduzieren. Allerdings habe ich es
hier besonders leicht, weil ich je keinerlei Betrieb oder sonstige
unabwendbare Auslagen habe wie nachgeordente Dienststellen und so weiter.
Trotzdem glaube ich aber auch, dass unsere Taktik besser ist, unter allen
Umständen zu versuchen, mit den Ansätzen auszukommen, alles in womöglich
bescheidenem Rahmen zu halten, weil früher oder später eine Sparwelle
einsetzen muss und dann natürlich gemachte Zusagen nicht mehr so leicht
vom Finanzminister honoriert werden. Kreisky selbst ist der Meinung, wir
werden durch die öffentliche Meinung, die Kronenzeitung hat bereits
hier drastische Sparmassnahmen verlangt, gezwungen werden, sehr bald
solche auch tatsächlich einzuführen. Die öffentliche Meinung wird nämlich
überhaupt keine Erhöhung mehr für Wissenschaft und Forschung
akzeptieren.
Mit Firnberg habe ich wegen der Errichtung der neuen Lehrkanzler
auf der Technischen Hochschule für Verkehrsplanung gesprochen,
weil Knoflacher vom Kuratorium für Verkehrssicherheit hofft, dass
er endlich jetzt zum Zuge kommt. Bei dieser Gelegenheit sagte mir Firn-
berg, genau für Knoflacher ist diese Lehrkanzel geschaffen worden
und dies hätte ihr noch zwei zusätzliche Lehrkanzeln, weil andere Be-
werber irgendwo untergebracht werden mussten, gekostet. Ich kann mir
wirklich vorstellen, wie dieses System zu einer ungeheuren Ausweitung
der Hochschulen führt, dies natürlich auch sehr viel Geld kostet und
dem Finanzminister jetzt schon zu viel wird. Ähnlich wie seinerzeit bei
den Beamten dürfte jetzt auf dem wissenschaftlichen Sektor eine Explosion
von neuen Dienstposten dazu führen, dass wir wirklich sehr bald zu
einem unlösbaren Problem stehen werden. Ich habe mich schon vor Jahren
gefragt, wer dies einmal alles bezahlen soll. Während man in den Mittel-
schulen noch einigermassen ausrechnen kann, wieviele Schüler kommen
werden, ist auf dem Hochschulsektor es ganz unmöglich festzuhalten,
wieviele Hörer überhaupt nachdem ja nicht einmal mehr Gebühren verlangt
werden, tatsächlich diese neuen Lehrkanzeln brauchen und die Professoren
die jetzt bestellt werden frequentieren. Hier hätte man meiner Meinung
nach ein ganz anderes neues System schaffen müssen. In der Mittelschule
ist der Schüler noch verpflichtet, wenigstens Prüfungen abzulegen
und die Schule zu besuchen. Ob er dabei etwas lernt, ist eine zweite
Frage. Auf den Hochschulen aber ist es so, dass er belegt, vielleicht
sogar nur um vom Militärdienst befreit zu werden, ob er aber wirklich
studiert, bleibt ausschliesslich ihm überlassen, niemand kontrolliert,
niemand weiss wieviele Assistenten, Professoren man wirklich braucht.
Allerdings bin ich jetzt viel zu weit von der Praxis entfernt, um mir
ein richtiges Urteil bilden zu können. Nach den Bemerkungen aber Kreiskys
und auch Androsch's entnehme ich, dass jetzt schön langsam ein grosses
Unbehagen unsere ganze Hochschulpolitik sich breitmacht.
Im Ministerrat war nur interessant, dass Firnberg eine Novelle zum
Bundesgesetz über technische Studienrichtung eingebracht hat, obwohl
nicht einmal noch die Begutachtungsfrist abgelaufen ist. Kreisky hatte
gemeint, das sei ganz unmöglich und wir einigten uns dann, nach Ablauf
der Begutachtungsfrist einen Umlaufbeschluss herbeizuführen, damit
dieser Gesetzentwurf noch so zeitgerecht ins Parlament kommt, um be-
schlossen werden zu können. Zum Preisregelungsgesetz habe ich den
Wunsch Leodolters, die immunbiologischen Präparate und Weihs' Futter-
mittel und Düngemittel in die Anlage A zu geben, Rechnung getragen.
und diesbezügliche Anträge gestellt. Interessant für mich war, wie
gut doch das Finanzministerium funktioniert, als über die Frage des
Weglassens der Verordnungsermächtigung Düngemittel und Futtermittel
Androsch in der Vorbesprechung über mich kontaktierte, was eigentlich
der Grund sei. Seine Beamten haben also tatsächlich auch ihn in diesem
Punkt aufmerksm gemacht, dass dies für die Landwirtschaft vielleicht von
Bedeutung sein könnte. Lütgendorf berichtete über seine Tunesienreise,
dass er mit Präsident Bourguiba, dem Ministerpräsidenten und einigen
Ressortsministern diskutiert hat, was mich aber besonders amüsierte
war, dass er die tunesisch-libysche Grenze besichtigte und dort fest-
stellen konnte, dass sie laufend überwacht wird, zumindestens von Kamel-
reiter-Einheiten. Für jeden Ressortminister ist es natürlich schwer
– ausser für Aussenminister und vielleicht auch Handelsminister –
einen Bericht zu geben, wo die Auslandsreise einigermassen begründet
werden kann.
Vor der Fraktion der Privatangestellten in der Gewerbe- ud Industrie-
sektion hielt ich ein Referat über die wirtschaftliche Situation.
Martinowsky ihr Obmann meinte zu mir er hätte die Diskussion so organisiert
dass nur ein EVU-Mann über die Energieprobleme kurz sprechen wird.
Da ich mit einer solchen Vorgangsweise nicht einverstanden bin habe
ich bei meiner Einleitung sofort gesagt, ich erwarte und hoffe, dass
wir eine sehr eingehende Diskussion anschliessend haben werden. Die Kolle-
ginnen und Kollegen haben haben mir mit frenetischem Beifall gedankt.
Es ergab sich dann auch tatsächlich eine interessante und langwierige
Diskussion, die nur deshalb wieder abgebrochen werden musste, weil
in der durch einen Vorhang getrennten Halle D das Essen ab 1/2 1 Uhr
serviert wurde und dort die ÖVP und insbesondere auch kommunistische
Delegationsmitglieder natürlich alles mithören konnten. Vizekanzler
Häuser, mit dem ich vorher über den Kongress gesprochen habe, erklärte
mir auch sehr betrübt, dass er, allerdings nicht bei der Fraktion
sondern vor dem ganzen Kongress über seine Arbeit referierte und sich
daran überhaupt keine Diskussion angeschlossen hat. Der Vertreter der
Steiermark hatte allerdings mit Recht gesagt, solche Fraktionskonferenzen
insbesondere müssten den Betriebsatmosphäre wiedergeben. Dies wäre
eigentlich der normale und ideale Zustand. In Wirklichkeit aber resigniert
leider ein Teil unserer Funktionäre, will sich nicht unbeliebt machen
will vielleicht vor allem aber auch die anderen nicht vor der notwendigen
Mittagspause abhalten oder aber was noch viel schlimmer ist, resigniert.
Um diesen Zustand nicht zu erreichen, muss man in jeder Organisation
ich mache das sowohl im Bezirk als auch bei den Lebensmittelarbei-
tern immer wieder auffordern die Diskussion zu führen und die Kritik
zu üben. Man darf aber dann die Diskutanten im Schlusswort
nicht niedersetzen, wie dies leider manchmal geschieht, weil
ansonsten die Diskussion in Wirklichkeit nur abgewürgt wird. Ich
habe deshalb immer viel lieber interfraktionelle Veranstaltungen
weil dort auf alle Fälle es zu einer Diskussion kommt und man damit
unseren Leuten mehr Munition in die Hand geben kann und auch gleich-
zeitig das Gefühl, sie sind nicht so hoffnungslos dem Gegner ausge-
liefert wie dies sonst wahrscheinlich im Betrieb der Fall ist.
wo kein Spitzenfunktionär zur Veteidigung oder vielleicht gar zum
Angriff zur Verfügung steht. Auch bei dieser Konferenz konnte ich
feststellen, dass unsere Genossinnen und Genossen in Wirklichkeit
erwarten, dass wir angreifen.
ANMERKUNG FÜR KOPPE: Wie weit sind die Propagandamacher und Referenten
der Partei in der Umstellung unserer Taktik. Wenn es wirklich nicht ge-
lingt, innerhalb der nächsten eineinhalb Jahre unseren Funktionärkader
auf Angriff zu bringen, sehe ich wirklich schwarz im wahrsten Sinne des
Wortes.
in der ÖGB-Bundesfraktion hat sowohl Kreisky als auch dann Androsch
über die Stabilisierungsverhandlungen berichtet. Hrdlitschka fragte,
ob die Preisregelung nun durchgezogen wird und wie die Taktik ist.
Nachdem man scheinbar jetzt von der ÖVP die Wirtschaftspartner ein-
schalten möchte. Kreisky hat dies klar abgelehnt und meinte,
dies müsse jetzt im Parlament entschieden werden und der ÖAAB als
pressure-group wird sich bemühen, dass nicht eine völlige Ablehnung
erfolgt. Auch Androsch war der Meinung, dass man jetzt auf härtere
Auseinandersetzungen gefasst sein muss, er referierte wieder über das
Stabilisierungspaket. Der Höhepunkt war aber auch diesmal als Kirch-
schläger kam, vorher schon hatte Seidl erklärt, wieso Kirchschläger
jetzt nicht Gewerkschaftsmitglied ist. Als er vom öffentlichen Dienst
Richtung Staatsanwälte in das Aussenamt hinüberwechselte, wurde
scheinbar seine Mitgliedschaft verschlampt und im öffentlichen
Dienst wird ja auch der Mitgliedsbeitrag abgezogen. Vollkommen uner-
klärlich ist noch, wieso die neuerliche Beitrittserklärung dann ver-
lorenging, die ich mit ihm vereinbart hatte, und wo er mit Recht mir
damals sagte, er unterschreibt sofort für den Gewerkschaftsbund,
nicht aber für die sozialistische Fraktion, wo ebenfalls automatisch
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eine Beitrittserklärung, die ich ihm gegeben habe, beigelegt war.
Niemand kann das mehr rekonstruieren und das Argument Seidl, dass
Waldheim nie bei der Gewerkschaft war, Mock eine Woche vorher bevor er
Obmann wurde erst beigetreten ist, wird auch in der Öffentlichkeit
nichts bringen. Hier kann man wirklich nur wie Benya richtig sagt
darüber hinweggehen und erklären, das ist der Kandidat der Soziali-
stischen Partei – Schluss, Punkt ! Kirchschläger selbst hat sehr ge-
schickt darauf hingewiesen, dass er in Hinkunft mit dem Gewerkschafts-
bund engen Kontakt haben möchte und mindestens einmal im Monat
Besprechungen mit ihm führen möchte, um direkt Informationen zu be-
kommen. Er hat allerdings gleich darauf hingewiesen, dass er auch
natürlich mit der Handelskammer diesbezügliche Besprechungen führen
wird.
Ein wirklich guter Start war aber der Wahlauftakt in der WIG-Halle.
Die Stimmung war dort schon phantastisch bevor Kirchschläger kam.
Ich will das nicht auf meine Person beziehen, aber ich war sehr er-
staunt, als ich dort die Halle betrat, ebenfalls einen frenetischen
Beifall bekam. Benya und auch andere Genossen meinten dann, die
Leute sind scheinbar froh, dass die Preise noch nicht höher ge-
stiegen sind, andere meinten sogar, ich hätte vielleicht auch Beifall
bekommen, wenn es 15 % und mehr schon wären. Spass beiseite, es wurde
dann natürlich Kreisky und am meisten Kirchschläger sofort mit einem
entsprechenden Applaus überschüttet. Nachdem dort ausser den Bürger
meistern von Österreich je doch nur meistens Genossen waren, die
mit Autobussen und sogar die Strassenbahn hingebracht wurden, war
dies für mich nur der Beweis, dass die tausenden dort in der Halle
wirklich das Gefühl haben, jetzt wird der ÖVP zurückgezahlt,
jetzt werden wir mit Kirchschläger den Kampf gewinnen, jetzt herrscht
sozusagen also ein Angriffsgeist. Kirchschläger selbst hielt ein
phantastisches Referat, wenn wir mit ihm nicht gewinnen, könnte
ich mir nicht vorstellen, mit wem uns dies gelingen sollte. Wahrschein-
lich wäre es nicht einmal Kreisky leichter, denn er wäre trotz aller
Erfolge und trotz seines persönlichen Einsatzes und seiner unbe-
strittenen Leistungen als Bundeskanzler viel mehr im politischen
Tagesgeschehen angreifbar als Kirchschläger. Wenn der Erfolg sich ein-
stellt und ich zweifle nicht daran, wird sich wirklich daran auch
eine Wende in unserer derzeitigen politischen Situation ergeben.
Tagesprogramm, 14.5.1974
Tagesordnung 117. Ministerratssitzung, 14.5.1974
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