Dienstag, der 18. Dezember 1973

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Dienstag, 18. Dezember 1973

24 Diskussionsredner beim Budgetkapitel Handel. Das bedeutet
11 Stunden auf der Regierungs- oder wie ich immer sage Idioten-
bank. Natürlich könnte man weggehen, aber ich habe das nie getan,
ich möchte auch unsere Genossen anhören, was sie zu sagen haben.
Interessant war, dass mir sowohl Sallinger als auch Mussil
mitgeteilt haben, dass sie nicht reden werden. Den Grund kenne
ich eigentlich nicht genau, scheinbar sind sie müde, mich bei die-
ser Gelegenheit angreifen zu müssen und fürchten natürlich ganz
besonders, dass ich bei der Antwort dann mit der einfachsten Waffe
zurückschlagen kann, nämlich: aber meine Herren, das habe ich
doch im Einvernehmen mit Ihnen gemacht. Koppe ist der Meinung
und ich glaube, er hat in dieser Beziehung recht, dass ich
nicht unbedingt immer auf dieses Einvernehmen hinweisen sollte,
weil dies sicherlich auch in der Öffentlichkeit derzeit gar
nicht gefragt ist. Auch wenn ich darauf hinweise, dass ich dieses
oder jenes Problem auf Wunsch der Handelskammer in Angriff ge-
nommen habe und mit ihnen gemeinsam gelöst, muss mein Image
nur schädigen. Heute ist Führung gefragt, starkes Auftreten,
mit anderen Worten der jetzige BEgriff des Regierens unter-
scheidet sich grundlegen-d von meiner Auffassung. In diesem
Punkt habe ich den Zeitgeist nicht erfasst. d.h. ich kann und
will ihm eigentlich nicth nachgehen. Das BEstreben, den grössten
Konsens zu erreichen, d.h. die Politik des Einvernehmens scheint
eine Regierungsmethode der Schwäche zu sein. Warum will man
denn das Einvernehmen, warum will man denn gut auskommen, warum
will man das Kompromiss ? Ich gestehe mir ein, dass auch ich
damit die Idee verbinde, weniger Widerstand bei den einzelnen
Problemen dann zu haben. Ich glaube aber auch, dass damit eine
bessere Durchführung und Abwicklung einer Problemlösung ge-
geben ist.

Von den 24 Diskussionsrednern haben die Sozialisten, Czernetz
ud Blecha, sowie zur Erwiderung dann die ÖVP Kohlmeier und
Karasek, ausschliesslich wegen des Aufmachers der OÖ und nö.
Volksblattes wegen eines Interviews vom ägyptischen Staats-
sekretär an einen Chefredakteurstellvertreter dieses Blattes
ans Rednerpult geschickt. Kreisky wollte ja eine dringliche


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Anfrage, aber der Klubvorstand entschied dann, es sollte nur
in der Handelsdiskussion anknüpfend an die Ölsituation dieses
Problem zur Sprache kommen. De anderen Diskussionsredner von
uns waren selbstverständlich mit meiner Amtsführung einver-
standen, und manche lebten mich, dass es für mich fast peinlcih
war. Nach meinem System würde überhaupt eine Regierung, aus welchen
Parteien sie sich immer zusammensetzt, z.B. ähnlich den Landesregie-
rungen, dem gesamten Parlament Rede und Antwort zu stehen haben.
Das Parlament, welches die Gesetze zu geben hat aber gleichzeitig
auch die Kontrolle der Regierung vorzunehmen hätte, müsste dann
ganz unabhängig von welcher Partei der Minister kommt, eben
entsprechend auch von allen Rednern attackiert werden. Wenn man
seine Aufgabe nicht erfüllt.Oder auch subjektiv nach Meinung
des Abgeordneten nicht richtig erfüllt. Dadruch entstünde eine
theoretisch richtigere Frontstellung, nämlich hie Regierung
hie gesamtes Parlament. SElbstverständlich müssten dann die
Regierungsmitglieder gar nicth Abgeordnete des Parlamentes sein,
sondern im Gegenteil sie müssten aus dem Parlament zumindestens
solange sie ein Regierungsamt haben, ausscheiden. Ich glaube, dass
dies eine wirksamere Kontrolle und ein besser funktionierendes
System wäre als derzeit, wo eben die soz. Abgeordneten die soz.
Regierungsmitglieder verteidigen,auch dann wenn esnicht szu ver-
teidigen gibt, und die ÖVP-Abgeordneten und FPÖ-Abgeordneten
auf alle Fälle angreifen, auch dann, wenn sie vielleicht sogar
der Überzeugung sind, dass die Massnahme ganz richtig gewesen ist.
Denn derzeit ist es eben Aufgabe der Sozialisten, die Regierungs-
politik zu verteidigen und Aufgabe der ÖVP und der FPÖ, die Re-
gierungspolitik zu attackieren. Ich weiss nicht, wie in der Öffent-
lichkeit dieses System ankommt, die Abwicklung der Budgetdebatte
aber wird von Jahr zu Jahr flauer und von der Öffentlichkeit auch
entsprechend negativ kommentiert. Die Zeitungen sind über den Inhalt
und über das Niveau nicht sehr glücklich, das Fernsehen überträgt
und man sieht es natürlich imemr die leeren Bänke der Abgeordneten
und daher bin ich überzeugt, entsteht die Meinung in der Bevölke-
rung, dor wird überhaupt nichts gearbeitet sondern höchstens leeres
Stroh gedrochen. Hier ist eine Reform dirngendst notwendig, wenn
man den Parlamentarismus nicht zu Grabe tragen will. Anderersiets
habe ich jetzt am eigenen Leibe mitgemacht, was es heisst, 11 Stunden
auf einem Platz zu sitzen und nur zuzuhören. Die ÖVP , die meine


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Geduld und Ausdauer immer wieder anerkannte, schickte natürlich
so viele Redner zum Pult als sich meldeten. Der Abg. Graf, der
Fraktionsführer der Wirtschaftsbundabgeordneten, meinte aller-
dings zu mir, wenn man so viel nach Hause bringt, er meinte
damit nicht das Budget allein, sondern insbesondere die Gesetze,
die in der letzten Zeit beschlossen wurden, wie Gewerbeordnung
usw., dann kann man ruhig auch 11 Stunden opfern. Zielführender
wäre natürlich, was ich schon seinerzeit 1970, als ich das erste Ma
eine Budgetdebatte als Handelsminister mitmachte, vorschlug,
dass der Minister unverzüglich ganz kurz auf jeden Abgeordneten
antwortet. In diesem FAll müsste man die Materie aus dem Effeff
beherrschen, denn es bestände ja gar keine Zeit mehr, sich von
Beamten informieren zu lassen.

Weihs, der meinen Ministerratsvortrag im Ministerrat vertrat,
berichtete mir, dass Androsch unbedingt eine stärkere BEtonung
der Bewirtschaftung verlangte, Kreisky aber ablehnte und meinte,
die Formulierung, die ich aufgenommen habe, nämlich dass als
letzte Etappe jetzt die Kontingentierung und Rationierung vorbe-
reitet wird, genügt. Ich glaube, dass der Hauptgrund Androsch's
auf die Rationierung so zu drängen, ist, dass er damit hofft, einem
gewissen Preisdruck zu entgehen. Wenn nämlich rationiert wird und
wir nur gewisse Mengen auf dem Weltmarkt kaufen, dann könnten
wir vielleicht mit tieferen Preisen als den zu erwartenden durch-
kommen. In diesem FAll hätte er keine so grosse Steigerung des
Lebenshaltungskostenindex zu erwarten, der dann entsprechende Lohn-
erhöhungen bei den öffentlich Bediensteten auslöst. Ich weiss,
dass es auch eine andere Meinung gibt, aber vielleicht bin ich
so naiv oder vielleicht will ich nicht auf alle Fälle möchte
ich nicht annehmen, dass er unbedingt die Rationierung wünscht,
weil er selbst weiss, dass damit eine Pleite eintreten kann.
Andererseits aber muss ich feststellen, dass alle diese Ratio-
nierung wünschen. Die Oppositionsparteien, die öffentliche Mei-
nung, wenn sie durch Fernsehen und Zeitungen repräsentiert wird
aber auch wie ich abends bei der Besprechung mit unseren Funktio-
nären auf der Landstrasse feststellen konnte, doch auch viele
in den Betrieben. Mir erscheint dies alles als eine verkehrte
Welt oder vielleicht liege ich falsch und die Welt ist richtig
nur meine Überlegungen liegen verkehrt. NOrmal müsste der


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Wirtschaftsminister oder der für die Versorgung der Bevölkerung
zuständige Minister, wenn eine Verknappung eintritt auch als
erstes selbst die Bewirtschaftung verlangen, da er durch die
Reglementierung wesentliche mehr Macht bekommt als mit irgend-
einer anderen Methode. Gegen diese Reglementierung aber müssten
doch eigentlich alle Sturm laufen, die Handelskammer und die Oppo-
sitionsparteien, weil sie mir doch diese Macht nicht geben wollen
die Meinungsbildner, weil sie doch ihre Leser und Hörer schonen
wollen und die Politiker ganz allgemein, weil es doch für sie ange-
nehmer sein muss, einen Sündenbock zu haben, wenn es wirklich mit
der Wirtschaft nicht mehr weitergeht und z.B. die Autofahrer dann
stärker gedrosselt werden müssten, d.h. zuerst eben fahren
konnten und dann eben mit der Reglementierung eine entsprehende
Einschränkung auf sich nehmen müssen. Wahrscheinlich geht man aber
hier oder gehe vielleicht ich nur von einer falschen Voraussetzung
aus. Der einzelne denkt, wenn es zu einer Bewirtschaftung kommt
kriegt er doch eine grössere Anzahl von Marken als was er letzten
Endes erhaltne wird und fürchtet, wenn man jetzt nicht spart, wird
dann dieser Markenanteil nur geringer. Vo der Bewirtschaftung er-
wartet er sich aber eine gleichmässigere und gerechtere Verteilung,
weshalb er wahrscheinlich hauptsächlich aus diesem Grund am liebsten
schon jetzt bewirtschaftet haben möchte, obwohl er derzeit unein-
geschränkt fahren kann, aber auch hier gilt wahrscheinlich,was
ich vorher zur Regierungsform ausgeführt habe, derzeit erwartet
man eine straffe Führung, kein Zögern, keine aus noch so begründeten
Bedenken, sondern eben Massnahmen, die allerdings gerecht sein sollte
und zwar wahrschienlich von jedme einzelnen subjektiv gesehen.
Einsparung würde vielleicht ein Teil auf sich nehmen, erwartet
aber, dass der andere wesentlich grössere Einsparungen macht und
vor allem wird und müsste ihm plausibel sein, dass das System
vollkommen gerecht ist. Eine gerechte Bewirtschaftung gibt es
vielleicht aber in der Theorie in der Praxis ist sie das ungerech-
teste System, was es auf längere Sicht überhaupt gibt. Dass es
vom ökonomischen Stnadpunkt möglich, vom ideologischen Standpunkt
aber für die FPÖ aber auch für die ÖVP verheerend ist, hat erst-
malig jetzr Hanreich erkannt und in seinem Debattenbeitrag des-
halb auch bloss vorgeschlagen, nachdem ja Peter sich für die Be-
wirtschaftung schon so festgelegt hat, man sollte marktwirtschaftlich
nur ein gewisses Grundkontingent zuteilen und mit dem derzeitigen
Preis abgeben und für dne REst sollte eben der Markt, d.h.



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die freie Wirtschaft spielen,
schnell wie möglich wieder in
Preissystem übergehen könnte.
wahrscheinlich ausgelöst durch
bin nuegierig, wie lange noch
unbedingt Bewirtschaftung mit
Erscheinungen, die sich damit

damit man aus dem Zwangssystem so
die freie Wirtschaft, d.h. in das
Eine späte Ernüchterung der FPÖ,
Interventionen ihrer Geldgeber. Ich
die ÖVP auf ihrer starren Haltung,
Preisregelung und den negativen
ergebne werden, festhält.

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Tagesprogramm, 18.12.1973

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Tagesordnung 99. Ministerratssitzung, 18.12.1973

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Tätigkeit: Finanzminister
GND ID: 118503049


Einträge mit Erwähnung:
    Tätigkeit: ÖVP-NR-Abg., ab 1979 GS Europarat
    GND ID: 129202827


    Einträge mit Erwähnung:
      Tätigkeit: Gen.Sekr. HK, ÖVP-NR-Abg., später AR-Präs. Verbund


      Einträge mit Erwähnung:
        Tätigkeit: Landwirtschaftsminister bis 1976
        GND ID: 130620351


        Einträge mit Erwähnung:
          Tätigkeit: Bundeskanzler
          GND ID: 118566512


          Einträge mit Erwähnung:
            Tätigkeit: FPÖ-NR-Abg.
            GND ID: 115848835


            Einträge mit Erwähnung:
              GND ID: 129507873


              Einträge mit Erwähnung:
                Tätigkeit: FPÖ-Obmann


                Einträge mit Erwähnung:
                  Tätigkeit: Sekr. JS, ab 1973 GF VKI


                  Einträge mit Erwähnung:
                    Tätigkeit: Handelskammer-Präsident


                    Einträge mit Erwähnung:
                      Tätigkeit: ÖVP-NR-Abg., ÖVP-GS


                      Einträge mit Erwähnung:
                        Tätigkeit: ÖVP-NR-Abg., Präs. HK Bgld.


                        Einträge mit Erwähnung:
                          GND ID: 105218588


                          Einträge mit Erwähnung: