Sonntag, 25. März 1973
Angesagte Revolutionen finden nie statt ! Die erwartete Bauern-
demonstration – in der Arbeiterzeitung wurde ja geschrieben, dass
beabsichtigt ist, meine Versammlung in Kirchschlag zu stören –
verlief äusserst firedlich. In Tulln war wenigstens noch eine organisi
sierte Gruppe mit einer Resolution vor der VErsammlung erschienen,
um sie mir zuüberreichen und mit mir zu diskutiren. In Kirchschlag
waren Bauernvertreter sowohl vom Bauernverband als auch
vom Bauernbund abe auch ÖAAB-ler anwesend. Die Lokalorganisation
hatte einen Lautsprecherwagen und übertrug die Rede und vor allem
einmal die Diskussion ins Freie. Der Gendarmerie-Bezirksinspektor
meldete mir zum Schluss, dass im Freien wesentlich mehr Zuhörer
waren, als im Saal. Die ANfragen waren verhältnismässig harmlos und
die Kritik war äusserst zahm. Trotzdem machte ich nicht den Fehler,
dass ich überlegen oder gar zynisch antwortete. Ich ging auf jedes
Vorbringen ein und setzte mich rein sachlich allerdings ein bisschen
mit Wiener Schmäh gespickt auseinander. Wesentlich anders war die
VErsammlung in Berndorf. Hier war eine reine Parteiveranstaltung, obwo
es um 4 Uhr nachmittag noch herrlich schönes Wetter war, war der
Saal des Volkshauses bummwoll. Hier waren wir Genossen unter uns.
Zu meinem grössten Leidwesen. Der Bezirksobmann von Baden, NR Horr
war auch anwesend. Die Bürgermeister der umliegenden Gemeinden,
lauter soz. Funktionäre ergänzten die Versammlungsteilnehmer. In
der Diskussion wurde hauptsächlich kritisiert, dass wir viel zu
wenig gegen ORF vorgehen. Die Genossen sind überzeugt, dass eine
vollkommen unsachliche Berichterstattung erfolgt. NIemals werden
Funktionäre fürchte ich anerkennen, dass bei einer Berichterstattung,
wenn einem der Wind ins Gesicht bläst, wenn man also Fehler mach,t
wenn eben die objektivste Berichterstattung auch negatives mitteilen
müsste, selbst wenn es einen objektiven ORF gäbe, sich eine solche
Situation ergebn könnte. Sie wollen auf alle Fälle, dass man si
schnell wie möglich die ORF-Regelung durchführt. Horr meinte ganz
klar und brutal, bei den nächsten Wahlen werden wir dies zu spüren
bekommen und deshalb müsste die ORF-Frage unverzüglich gelöst werden.
Hart aber gerecht, fand ich den Hinweis, dass wir uns nicht der Illus-
ion hingehen sollten, dass vielleicht unsere Funktionäre oder Mit-
glieder mitder Politik zufrieden sind. Das Gute, das wir geleistet ha-
ben und das auch anekannt wird, von den Funktionären zumindetens
die bei dieser Versammlung waren, geht unter unter den negativen
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Aspekten wie Ortstafelstreit, Bürgerinitiativen, ORF usw.
ICh sehe dies heute deutlicher denn je, sowohl aus meinen ERfah-
rungen von der Landstrasse als auch aus denVErsammlungen. Wenn es
zu Rückschlägen in der Politik kommt, d.h. wenn Wahlen nicht so
ausgehen, wie man es sich erwartet hat, dann beginnen in der ersten
Phase zumindestens, nicht unsere Funktionäre sich zusammenzuschlies-
sen und eben aus der VErteidigung heraus, neue Angriffe zu
starten, sondern beginnen an unserer Politik zu zweifeln. NR Horr,
der gleichzeitig Präsident der Arbeiterkammer NÖ ist, hat dann im
Diskussionsbeitrag auch noch auf die Buntmetallösung und auf die
Gefahr, die sich für das Triestingtal ergibt, hingewiesen. Er hat
sogar die Betriebsräte, die anwesend waren, von Berndorf aufgefordert,
zur Problematik Stellung zu nehmen. Der BRO hat sich darauf wirklich
zu Wort gemeldet, erklärte aber, dass er voll überzeugt ist, dass
Kreisky eine Lösung finden wird, die die Arbeitsplätze nicht ge-
fährdet. Ein solcher Hinweis von Horr hat auch mich sehr überrascht.
Der BRD selbst berichtete, dasss er mir Kreisky eine Aussrpache gehabt
hat, nämlich alle Betriebsräte der Buntmetallindustrie und dass sie
überzeugt sind, dass eine optimale Lösung ähnlich der der Stahlindustrie
gefunden wird. Der Ortsobmann forderte zum Schluss alle Teilnehmer auf,
das Gehörte und das Diskutierte jetzt dazu zu verwenden, um bei jeder
Gelegenheit die anderen Mitglieder abe ganz besonders die Gegner und
Neutralen aufzuklären und mit ihnen auch zu diskutieren. Ich fürchte,
dass dieser Appell so wie wahrscheinlich in ganz Österreich auch in
Berndorf nicht befolgt wird. Ich glaube, dass die ZEit, wo in einer
Organisation wie der SPÖ ein solcher Kampfgeist herrschte, dass die
Mitglieder und Funktionäre bereit waren, dafür sogar auf die Barrika-
den zu gehen, endgültig vorbei ist. Vielleicht muss ich hier einfügen,
Gott sei Dank. Ich glaube, dass die Politik nicht mehr so tierisch
ernst genommen wird, dass man sich heute damit anfindet, wenn ein
Wahlverlust eintritt und dass vor allem enmal nur eine verschwindende
Minderheit bereit ist, alle Mittel anzuwenden und jeden Einsatz ver-
langt, um auf alle Fälle zu gewinnen. Mag es durch den gestiegneen
Lebensstandard sein, mag es andere Gründe haben, ich glaube, dass
heute eine wesentlich grössere Masse der Mitglieder aber auch vor
allem einmal der Wähler sich nicht mehr mit der Politik einer Partei
identifiziert. Vor allem aber nicht mehr bereit ist, sich dafür persönl
lich zu engagieren.