Samstag, 24. März 1973
Mein Vater hat mir gleich zeitig in der Früh, als ich ihn so wie immer
besuchte, schreckgeplagt und aufgeregt mitgeteilt, dass in der Arbei-
terzeitung steht, dass meine Versammlung gestört werden wird, nicht
nur, dass er sich die ganze Zeit schon Sorgen macht, wie ich überhaupt
diese Arbeit physisch überstehe, sorgt er sich nun tatsächlich, ob mir
irgendwo passieren könnte. Hätte mich die AZ vorher gefragt, so hätte
ich im Gegenteil ihnen mein Erlebnis auf Tulln erzählt und in diesen
Artikel geschrieben, dass ich mich freuen würde, wenn wir bei Ver-
sammlungen mit den Bauernvertretern tatsächlich diskutieren könnten.
Statt dessen entsteht der Eindruck als ob wir uns in der Öffentlich-
keit fürchtne würden mit Bauernvertretern konfrontiert zu werden.
Diese Pressepolitik verstehe ich nicht.
ANMERKUNG FÜR KOPPE: Vielleicht kannst Du herausbringen, was hinter
dieser Meldung und dieser TEndenz für eine
Absicht bestand.
Bei der Fraktionssitzung des Gesamtvorstandes der Lebensmittelarbeiter
habe ich die politische Lage analysiert. Ich setzte unseren Genossinnen
und Genossen auseainder, dass ich glaube, die Passivität unserer Funk-
tionäre ist primär darauf zurückzuführen, dass wir bis jetzt immer
gewohnt waren aus ständigen FOrderungen heraus in Angriff unsere
Wünsche und unsre Parolen vorzutragen. Jetzt sind wir in die Defen-
sive gedrängt. Die Regierung macht zwar viele positiv wirkende Mass-
nahmen, aber wir müssen nur verteidigen, dies gilt insbesondere für
die Preissituation. Während in den vergangenen Jahrzehnten es selbst-
verständlich war, dass für Preissteigerungen, und diese hat es immer ge-
geben, die Unternehmerseite verantwortlich ist, ist es jetzt der ÖVP
einmalig geglückt, die Regierung für die Preissteigerungen durch die TA
Tariferhöhungen verantwortlich zu machen und jetzt können wir nur mehr
aus der Defensive heraus operieren. Unser Vertrauenspersonenapparat
weder in den Gewerkschaften noch in der Partei ist aber die VErtedigung
gewohnt, ja ich glaube sogar, dass sie gar nicht imstande sind, Vertei-
digungspositionen zu beziehen und sich dann aktiv einzuschalten. In
diesem FAll sind sie nämlich eher bereit sich ncht zu stellen, d.h.
nicht mitzupropagieren, zu agieren und zu diskutieren. Das End-
ergebnis sit, dass in Wirtklichkeit nur einige Spitzenpolitiker
sich mit dem Problem und der Öffentlichkeit auseinandersetzen und
dadurch die breite Schlagkraft unserer Partei und Gewerkschaftsorga-
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nisation nicht zum Einsatz kommt. Ich weiss nicht, wie man dieses
Problem lösen kann, doch glaube ich, müsste hier eine ganze neue Taktik
der Schulung, Propaganda Information unserer Vertrauensmänner erfolgen.
ANMERKUNG FÜR KOPPE: Vielleicht kannst Du dieses Propblem mit Brantl
und den Propagandisten einmal besprechen und
zweckmässige Lösungen vorschlagen.
In der Diskussion, die sehr lange dauerte haben viele Redner und ganz
besonders natürlich die kritisch eingestellten Funktionäre in unserem
Gesamtvorstand hart argumentiert. Sie meinten, dass es unmöglich sei,
die Regierungsfunktion. sie haben meistens allerdings vom ÖGB-
Präsidenten und seiner NR-Präsident-Funktion redne wollen, ich selbst
habe aber sofort mein Amt und meine Siutation in die Diskussion eingefgt,
d.h. also diese Regierungs- oder Spitzenfunktion in irgendeinem Gremium auf
der einen Seite und auf der anderen SEite die Gewerkschaftstätigkeit in
Einklang zu bringen. Ich bin sehr forh, dass dieses Problem zur Sprache
kommt, obwohl ich üerzeugt bin, dass es nicht so grosses Ausmas hat
als es sich vielleicht auf GRund einer solchenDlskussion ergibt. Sicher
ist aber eines, da-s wenn die Funktionäre nicht bereit sind, für diese
Lösung einzutreten, dann natürlich sofort auf die Oberen und ganz be-
sonders auf die Regierung auch von unseren Mitgliedern mitgeschimpft wird.
ICh habe unseren Kollegen versichert, dass wenn es einmal zu einer echten
Konfliktsituation zwischen Gewerkschaft und Regierung kommen würde,
ich selbstverständlich daraus KOnsequenzen ziehen müsste und vor allem
gerne ziehen würde. ANdererseits aber wieder habe ich ihnen ver-
sucht auseinanderzusetzen, dass doch das BEstreben und die Idee der Ar-
beiterbewegung seit eh und je war, die Regierung zu erorbern, um eben
dann unser Programm durchführen zu können. INteressant war, dass mri immer
wieder versichert wurde, insbesondere in den Pausen, dass das äussere VBer
halten der Regierungsmitglieder und der Spitzenfunktionäre ganz besonders
genau beobachtet und kritisiert wird. In Graz solle es das VErhältnis
des Bürgermeisters mit eienr Stadträtin sein, die sich einiges heruasnimmt,
aber selbst Kleinigkeiten wie z.B. der Demel-Klub werden von der Arbeiter-
schaft genau registriert und diskutiert - Hier wirken die Tratsch-Ge-
schichten der Boulevardzeitungen ungeheuer stark. Die Arbeiterschaft ist
verhältnismässig sehr ideologisch unbeweglich. Zu meiner grössten Ver-
wunderung wurde nämlich verienzelt sogar auch das gute Verhältnis des
ÖGB zum Kardinal König in der Fraktion diskutiert und kritisiert. Ich
habe so das GEfühl, dass unsere Mitglieder und Funktionäre ausserstande
sind, die Vielzahl von Lösungen und von positiven Abschlüssen auf den
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verschiedensten GEbieten aufzunehmen. Sie nehmen das nicht nur als
selbstverständlich hin, weil sie es gar nicht erfassen, sie sind auch gar
nicht überzeugt, dass dies in Wirklichkeit ganz entschiedende Weichen-
stellungen für die Zukunft sind. Die Arbeiterschaft interessiert in Wirk-
lichkeit nur ihr unmittelbarer Lebensstandard, d.h. wieviel verdiene ich,
was muss ich davon Steuern zahlen und was kann ich für meine Arbeit
mir kaufen. Alle anderen ncoh so positiven Ansätze und Lösungen wirken
nur für den, der unmittelbar davon betroffen ist und zwar nur zu dem
Zeitpunkt, wo er unmittelbar mit dieser Lösung in Berührung kommt. Ich
habe das Gefühl, dass die Vielfalt und die Vielzahl der Massnahmen, die
Kreisky setzt, zum grössten Teil verpuffen. Kreisky hat zwar das letzte
MAl richtig gesagt, dass die Minister viel mehr mit irgendeiner Problem-
lösung identifiziert werden müssten, Ihm ist z.B. vorgeschwebt, dass mit
der ganzen Mietenfrage Moser stärker in ERscheinung treten soll. Andererse
seits aber ist er nicht bereit, den betreffenden Minister die Massnahme
mitteilen zu lassen, d.h. mit anderen Worten den Ankündigungseffekt dem
betreffenden Minister selbst zu überlassen. Natürlich ist er für die
Familienpolitik als koordinierende Tätigkeit hauptverantwortlich. Unbe-
dingt notendig wäre aber gewesen, wenn Leodolter die Erhöhung der Kinder-
beihilfe, die ja letzten Endes gesundheitspolitischen Charakter tragen
soll, tatsächlich ganz gross hätte ankpndigen können und damit ihr Image
wesentlich verbessern. Vielleicht ist es im politischen Geschäft not-
wendig, dass man alle Möglichkeiten, die dem einzelnen Zur Verfüung
stehen, ausnützt, um sein eigenes Image in der harten Auseinandersetzung
mit den Gegnern nicht nur zu verbessernen sondern auch noch weiter auszu-
bauen. Ich persönlich stehe allerdings auf dem STandpunkt, dass eine
Regierung nur so stark ist, wie das schwächste Glied gerade stark ist.
Daher sollte und müsste man im Gegenteil den schwächeren Ministern jede
Möglichkeit geben, um ihr Image zu verbessern. Wenn Kreisky die ent-
sprechenden Ankündigungen – meistens stammen ja die Ideen auch tatsäch-
lich von ihm – durchführt, dann heisst eben dass die Geburtenbeihilfe eben
Kreisky, dass das Bergbauernprogramm ebenfalls Kreisky und daher nicht
Leodolter und Weihs diese MAssnahme gesetzt haben. Diese Überlegungen habe
ich natürlich in der soz. Fraktion weder angestellt noch erörtert. ICh
konnte nämlich in den Zwischengesprächen in den Pausen feststellen, dass
selbst die härtesten Kritiker der Regierungspolitik dann am meisten er-
schüttert sind, wenn es wie z.B. in Salzburg zwischen dem LH-Stv. Stein-
ocher und dem Arbeiterkammerpräsident Differenzen gibt, auch wenn diese
Differenzen in der breiten Öffentlichkeit nicht bekannt sind, so bemerken
sie Spitzenfunktionäre und sind dann über diese Entwicklung am meisten
erschüttert.
Mein alter GRundsatz hat sich hier wieder bestätigt, dass die
Funktionäre eine geschlossene einheitliche Führung unbedingt wün-
schen. Von der Wahlstrategie und von der Führungsstrategie ist es
deshalb ideal, wenn ein starke Parteiobmann oder Bundeskanzler
eben ein gewisses Team hat, aber nach aussenhin in ERscheinung tritt,
dasss er der überlegene Führer ist, der gleichzetiig aber von seinem
Team getragen wird und dieses Team ihn natürlich ganz besonders unter-
sützt und gegenseitige optimal zusammenarbeitet.
Mit den Brau-Verhandlungskomitee, das heisst bei uns Lohnkomitee
hatte ich eine harte aber freundschaftliche Diskussion. Ich habe
ihnen unmissverständlich zu erkennen gegeben, dass nicht einmal
ich als Obmann mir getraut hätte, ohne mit den entsprechenden Funktio-
nären und VErtretern aller Gruppen über ein Problem wie Änderung
des Lohnsystems zu diskutieren, einen solchen VOrschlag zu erstatten.
Im Prinzip kann ich sehr stolz sein, dass man jetzt nach Jahren
auf mein ursprüngliches System zurückgekommen ist. Trotzdem habe
ichdamals durch Jahre hindurch und durch viele Gesamtvorstandssitzungen
die oft in Seminaren ganze Wochen eroörtert wurden, alle Für und Wider
zuerst versucht unseren Spitzenfunktionären klarzumachen. ALs ich
nicht die überwötigende MEhrheit dafür gewinnen konnte, habe ich Ab-
stand genommen, weil cih auf dem STandpunkt stehe, dass man nicht
so etwas aufoktruieren kann. Obwohl ich zweifelsohne dazu die
Möglichkeit hätte, kraft meiner Spitzenfunktion. Die Brauer aber
haben ohne Rücksprache mit anderen Gruppen oder Spitzenfunktionären
ganz einfach dieses System jetzt der Unternehmerseite mitgeteilt,
bei dieser Gelegenheit haben sie leider auch REchnungsmässig einen
Ansatz gewählt, der die Unternehmer, wennsie alles zusammenrechnen
nur erschrecken konnte. Der viel wichtigeren Frage, ob der Beginn
der Laufzeit des Kollektivvertrages der 1. Jänner 1972, dort wurde
der Vertrag mit 13,9 % Lohnerhöhung abgeschlossen, oder der Ergänzungs-
vertrag Juni, wo weitere 4 % damit wir die individuellen Lohnbewegungen
in den einzelnen Betrieben eingefangen als Beginn der Laufzeit anzu-
sehen ist, wurde von ihnen vollkommen vernachlässigt. Sie stehen nämli
scheinbar auf dem Standpunkt, dass auf alle Fälle der 1.1.1972 gilt
womit die 14monatige Stillhaltefrist eingelöst ist. Ich habe sie
von dem Gespräch , das ich
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mit Beurle und nicht wie ich im Tagebuch angegeben habe Dr. Wagner
sondern Egger sowie Blümel geführt habe, die Brauereiarbeiter infor-
miert. Blümel wurde von Wagner nämlich jetzt verständigt, dass die
Brauunternehmer bereit wären, den 1.1.1972 anzuerkennen, wenn eine
gewisse Stillhaltefrist und allem einmal Friedenspflicht auch mit den
Betrieben von uns vereinbart wird, damit nicht wieder während der Lauf-
zeit des Vertrages unmittelbar wömöglich nach Abschluss in einzelnen
Betrieben der westlichen Brauereien Unruhe entsteht, wenn man so sagen
will, erzeugt wird und neuerdings weitere Lohnforderungen mit entsprechende
Zuschlägen durchzusetzen. Die Brauerei-Arbeiter erklärte mir gegenüber,
dass sie alles daran setzen werden, damit nicht wieder dieselbe oder
eine ähnliche Situation entsteht wie bei den letzten Lohnverhandlungen
1972.
In der Gesamtvorstandssitzung wurde dann unser Gewerkschaftstag, die
Delegierungen, die Anträge usw. besprochen. Leider war ich bei einer
Gesamtvorstandssitzung während eines Tagesordnungspunktes Delegierungen
vor etlichen Monaten nicht anwesend. ICh musste damals zu einer Bespre-
chung gehen. In dieser samaligen Gesamtvorstandssitzung wurde von
NR Tonn, dem Vetreter der nö. Lebensmittelarbeiter und ehemaligen BRO
von Schwechat der Antrag gestellt, dass man die kommunistische Fraktion
da sie nicht mher über genügend Mandate in den Betrieben verfügt, nicht meh
in den Vorstand aufnehmen soll. Damit ist auch die Möglichkeit weggefallen
einen KP-ler ins Präsidium zu nehmen. Bis jetzt habe ich durch meine
ganze jahrelange Tätigkeit darauf hingewirkt, dass der ÖGB und ganz
besonders die Lebensmittelarbeiter als überparteilich gelten, indem in
allen Gremien ein entsprechender Vertreter aller Fraktionen ist.
Nach RÜcksprache mit dem jetzigen kommunistischen VErtreterim Präsidium
den ich seinerzeit installiert habe, Fritz Marschall, ehemaliger Betriebs-
rat in der Wiener Molkerei - haben sie leider keine wirklichen Funktionäre
mehr in den Betrieben. Marschall, der einmal ein radikaler Betriebsrats-
obmann der KPÖ in der Wiener Molkerei war, ist seit Jahren jetzt bei uns
im Präsidium und im Vorstand, wird allerdings jetzt wegen Pensionierung
ausscheiden. Die KPÖ hat uns Leute namhaft gemacht, von denen als wir mit
ihnen sprachen, herausgestellt hat, dass sie als Sozialisten sich bezeich-
neten. Als Kompromiss haben wir beschlossen einen kommunistischen VErtre-
ter in unseren Vorstand zu kooptieren. Dies ist zwar keine ideale Lösung
aber immerhin besser als wenn wir überhaupt keinen kommunistischen Vertre-
ter in unserem Vorstand hätten. Das dritte Obmann-Stellvertreter-Mandat
bleibt offen und wir werden am Verbandstag beschliessen, dass bis zum
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nächsten Verbandstag eine REform unserer Geschäftsordnung durchge-
führt werden muss. Durch die Aufgliederung in sechs Gruppen und
die länderweise BErücksichtigung der Mandate kommt es bei der Berück-
sichtigung der Minderheitsfraktionen immerwieder zu Schwierigkeiten,
hier wird es tatsächlich notwendig sein, ein besseres neues System
zu finden.
Tagesprogramm, 24.3.1973