Donnerstag, der 16. November 1972

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Donnerstag, 16. November 1972

Die Tagung des EFTA-Ministerrates wurde sowohl von meinem Haus
als auch sogar von Generalsekretariat in Genf bestens vorbereitet.
Ich bekam von Steiger eine Zusammenstellung, nicht nur alle Tages-
ordnungspunkte, sondern darüber hinaus auch Kurzinformationen. Die
Arbeitspapiere sind nur in Englisch und ich konnte mich durch die Kurz-
informationen doch einigermassen über den Text informieren. Das General-
sekretariat wieder hat mir eine Unterlage vorbereitet, wie wir sie im
Parlament als Croquis bezeichnen. Allerdings war natürlich nicht so
detailliert, d.h. wortwörtlich die Abstimmung und sonstige Bemerkungen
wortwörtlich angegeben. Dieses Papier war ebenfalls nur in Englisch ge-
schrieben. Manchmal war ich verleitet, dies in Englisch dann auch tat-
sächlich vorzulesen, da es ja für mich viel schwieriger war, diese
englische Ausgabe ins Deutsche zu übersetzen. Ich habe daher die gute
alte Taktik von mir angewandt, ich habe mich also überhaupt nicht um
die Unterlagen gekümmert. Dies wird dann vom Gen.Sekretariat als auch von
den einzelnen Ministern als ungeheuer mutig empfunden. Ich beherrsche
nicht irgendwelche Sprachen daher muss ich in Deutsch reden. Ich kann
mir äusserst schwer die ganzen Dokumente durchlesen, zum Übersetzen
wäre zwar Zeit gewesen, es wäre aber ungeheuer aufwendig für unser
Büro gewesen, daher habe ich mich eben mit dem Improvisieren begnügt.
Dies entspricht wahrscheinlich der freien Rede im Parlament und man wird
wieder gelobt und die mutige Haltung unterstrichen. So mache ich notge-
drungen aus der Not eine Tugend.

Bei der Vorbesprechung mit Rabaeus, Wacker ergab sich schon die erste
grössere Schwierigkeit. Rabaeus teilte mir mit, dass die Portugiesen,
die das nächste halbe Jahr den Vorsitz führen, unbedingt das Minister-
Meeting nach Lissabon wünschen. Der port. Handelsminister würde deshalb
auch einen diesbezüglichen Antrag stellen. Die Schweden, erklärte mir
Rabaeus würden nun aus Ersparnisgründen, weil ansonsten das ganze
Sekretariat auch nach Lissabon fahren müsste, dafür sein, dass man
unbedingt in Genf verbleibt. Nach der Vorbesprechung beim Hinuntergehen
hat mir Rabaeus mitgeteilt, dass es auch politische Gründe sind, die die
Schweden zu einer solchen Massnahme veranlassen. Ich war mir von allem
Anfang klar, dass die finanziellen Aufwendungen nur der Vorwand sind
und dass es natürlich politische Gründe dafür gibt, dass sie nicht nach
Lissabon gehen wollen. Da aber bereits das zweite Mal die Portugiesen
den Ministerrat eingeladen haben und wieder abblitzen würden, schlug


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ich Rabaeus vor, man müsste unbedingt in Vorbesprechungen mit den
Schweden und Norwegern klären, ob diese wirklich eine so starre Ab-
lehnung einnehmen und wenn dies der Fall ist, den Portugiesen unbe-
dingt empfehlen, nicht einen solchen Antrag zu stellen. Diese Schwie-
rigkeit konnte auch im Laufe der Sitzungen ausgeräumt werden, d.h.
die Portugiesen wurden überzeugt, dass ich bei diesem Tagesordnungs-
punkt Genf als nächsten Tagungsort vorschlagen werde.

In der Ministerratstagung wurden die Dokumente nicht wie Rabaeus wollte
Abschnitt für Abschnitt von mir aufgerufen, sondern wenn in der
Generaldebatte gleich die Probleme vor den einzelnen Ministern erörtert
wurden, dann eben zum Schluss von mir eine Zusammenfassung nur gemacht
und erklärt, dass damit das Dokument und die Zusammenfassung sowie
meistens auch eine Zusammenfassung des Generalsekretärs zur Kenntnis
genommen wurde. Diese Vorgangsweise halte ich deshalb für zielführender
denn jeder Minister hatte in Wirklichkeit ein vollkommen vorbereitetes
wörtlich zu lesendes Statement, das in den meisten Fällen gar nicht zu
einem besonderen Punkt passte. Die österr. Statements sollte nach Vor-
schlag von Reiterer ich dort zur Verlesung bringen. Da ich aber den
Vorsitz hatte, habe ich mir überlegt, es ist doch viel zielführender,
den Delegationsmitgliedern die Chance zu geben, selbst dieses State-
ment zu verlesen. Für die Europäische Integration hat deshalb
Marquet, für die Aufrechterhaltung des freien Warenverkehr sowie
zum Bericht des Generalsekretärs Reiterer die Statements abgegeben.
Dies ist wie mir zum Schluss eingefallen ist, gar keine solche
Neuerung sondern es hat auch im Vorjahr Brugger, als er den Vorsitz
führte, Jolles, den Botschafter, der allerdings in der Schweiz ein
ganz grosser Mann ist, der lange Zeit auch Generalsekretär bei der
Atombehörde war, den Schweizer Standpunkt dargelegt. Ich glaube,
dass sowohl Marquet als auch Reiterer über diese Geste von mir sehr ent-
zückt gewesen sind.

Da die einzelnen Länder natürlich ihre Probleme und besonders auch
die Wünsche bei diesen Punkten anbringen, empfiehlt es sich immer
nachher zu sagen, dass sowohl das Generalsekretariat dies mit grossem
Interesse zur Kenntnis genommen hat und dass Experten dieses Problem
bis zur nächsten Sitzung beraten werden und dem Ministerrat dann
entsprechende Vorschläge erstatten sollten. Eine Entscheidung, ob
und wie die Ursprungsregelungen in Hinkunft ausgesehen resp. geändert
werden, oder ob für Fischereiprodukte, wie Island wünschte eine voll-
kommen freier Markt hergestellt werden sollte, ob die landwirt-


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wirtschaftlichen Produkt-Marktordnungen Österreichs und anderer
Staaten nicht eingeführt werden sollen, wie die Schweiz dies für die
landwirtschaftlichen Verarbeitungsprodukte mit der Ausgleichsabgabenregelung
nicht wünscht oder ob wie England die Whisky-Zollerhöhung unterbleiben
soll – alles dieses kann natürlich nicht im Plenum beschlossen, sondern
eben nur von dem Staat angemeldet und dann von einer Expertengruppe
verfolgt werden. Der englische Delegierte, Lord Limerick, hat sogar
diese Whisky-Problematik damit verbunden, dass er erklärte, er möchte
Österreich empfehlen, keinen Whisky -Zoll, den wir auf Grund der Verein-
barung mit der EWG tatsächlich einführen können und wollen, durchzuführen.
Zum Glück ging es in diesem Fall bereits auf 1/2 1 Uhr und ich erklärte,
bevor ich dem österr. Delegierten das Wort gab, die Sitzung für die
Mittagspause für unterbrochen. Dadurch konnte die österr. Delegation
noch schnell eine interministerielle Sitzung veranlassen. In dieser
interministeriellen Sitzung, wo sowohl das Finanzministerium auf eine
Einführung des Whisky-Zolles bestand als auch natürlich die Landwirt-
schaft, die hofft, mit dieser Massnahme ein Druckmittel bei den Verhand-
lungen über die Milchpulver-Exporte nach Grossbritannien zu haben, als
auch natürlich die Handelskammer, die einen Schutz der österr. Spirituosen-
erzeuger wollte. Ich selbst wies darauf hin, dass wenn jetzt alle für
eine Einführung des Whisky-Zolles sind, müssen wissen, dass wir gegebenen-
falls damit das Konträre erreichen, was die Landwirtschaft insbesondere
beabsichtigt. Die Engländer können sich mit dem Whisky-Zoll zwar murrend
aber doch abfinden und dann aber erklären, in diesem Fall sind sie nicht im
entferntesten mehr bereit, uns auch nur eine Tonne Vollmilchpulver abzu-
nehmen. Trotzdem hat Pultar vom Landwirtschaftsministerium als auch
Reich und Grachegg seine Untergebenen sowie auch Ing. Strasser von
der Landwirtschaftskammer unbedingt für die Einführung des Whisky-Zolles
plädiert. Nur Marquet machte die Bemerkung, dass es nicht sehr zielführend
wäre, jetzt gleich den Whisky-Zoll einzuführen, sondern dass es vielleicht
doch besser ist, dies erst anzukündigen und für einen späteren Zeitpunkt,
wenn die Milchpulver-Verhandlungen zu gar keinem Ergebnis kommen, diesen
Schritt zu tun. Reiterer, der ebenfalls mir gegenüber vorher eine solche
Lösung vertreten hat, hat sich in der Sitzung offiziell überhaupt nicht
für diese Idee eingesetzt.

Das FM möchte am liebsten einen 10 %-igen Zoll, da es dann die grössere
Chance hat, die eigenen Branntweine leichter zu verkaufen. Derzeit werden
ungefähr 3 Mill. Flaschen Whisky importiert und es soll einzelne Lie-
ferungen mit 10.– S Grenze-Preis ohne Eingangsabgaben als billigsten
Whisky geben. Als Reiterer dies bei der Sitzung in seinem Statement er-


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wähnte, bemerkte ich, wie die Schweden die Bemerkung zu den
Engländern machten, die sicherlich bedeuten sollte, so einen
billigen Whisky würden wir jetzt auch gerne trinken. Das FM
möchte nun doch sein eigenes Branntwein-Monopol einigermassen
schützen und versucht die landwirtschaftl. Brennereien, die ca.
26 %, die gewerblichen Brennereien, die ebenfalls eine solchen
Prozentsatz und die Sulfitpapier-Erzeugung, die den restlichen Sprit-
brennstoff liefert, indirekt für seine Interessen vorzuspannen. Wir
einigten uns deshalb, dass die vorgesehene Einführung des 40 %-igen
Zolles mit 1.1.1974, wie er bereits auf Expertenebene in Genf verein-
bart und angekündigt wurde, auf 1.1.1973 vorzuverlegen, ohne dass
wir allerdings den Engländern dies mitteilten. Im Statement hat
Reiterer nur erklärt, dass der Aufbau der Zölle durchgeführt wird.
Die Landwirtschaft meint dann, sie könnte der englischen Seite nachher
ein Zollfreikontingent zugestehen. Dieses muss allerdings dann
EWG-weit gemacht werden.

Die Schweizer verlangten eine vertrauliche Sitzung der Minister, be-
gleitet nur von je zwei Beamten, um das Spanien-Problem zur Sprache zu
bringen. Zuerst kam sofort der norwegische Botschafter und hat beim
Gen.Sekretär heftigst gegen diese Absicht protestiert. Er meinte,
damit wird jetzt dieses Problem publik, Norwegen wünscht deshalb auf
alle Fälle, dass dies nicht geschehen sollte. Die norwegische Dele-
gation hat sogar erwogen, an dieser Besprechung gar nicht teilzu-
nehmen. Da bei dieser Sitzung überhaupt keine Dolmetscher anwesend
waren, musste ich in Englisch diese Geschäfte dort führen. Brugger
verwies darauf, dass die Spanier bei ihnen vorgesprochen hatten, um
zu erfahren, wie sie einen Antrag zum EFTA-Beitritt am besten forcieren
können. Der schwedische Handelsminister Feldt fragte ihn, was er nun
beabsichtige zu tun und wie die Stellung der Schweizer Regierung zu
diesem Problem sei. Zum Glück hatte ich den Vorsitz und musste mich
überhaupt nicht materiell äussern sondern habe nur die Bemerkung ge-
macht dass auch die Spanier bei uns waren. Nach längerer Debatte einigten
wir uns, dass dieses Problem von den einzelnen Regierungen noch geprüft
und besprochen werden soll. Bei der nächsten Sitzung im Mai in Genf wird
wieder eine informelle Zusammenkunft der Minister über dieses Problem
stattfinden.



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Als ich spät abends ins Büro zurückkehrte, entdeckte ich einen
Berg von Papierschnitzeln aus einer Zerreissmaschine auf dem Gang
und Tagebuchunterlagen en masse herumliegen. Ich war sehr überrascht
über diese Vernichtungsaktion in aller Öffentlichkeit und glaube,
wir müssen einen besseren Weg finden, um dieses Material wenn
es nicht mehr gebraucht wird, zum Verschwinden zu bringen.

Das lustigste Erlebnis hatte ich aber dann beim Empfang für Suharto
in Schönbrunn. Dort sind fast alle mit Frack und Orden erschienen
und nicht nur die Sozialisten, sondern auch ÖVP-ler kamen und haben
mich bewundert, dass ich mich gegen dieses Protokoll so zu wehren
getraue und gemeint, sie werden auch der Meinung, dass eine sozia-
listische Regierung zumindestens den Frack-Zwang abgeschafft hätte.

Im Unterausschuss, wo das Lebensmittelgesetz zur Debatte stand,
wurde die fraktionelle Vorbesprechung von Minister Leodolter
so objektiv geführt, dass sie mich davon verständigte, ich sollte
unbedingt kommen, da sie sich gegen die Wünsche der soz. Abgeordneten
das Handelsministerium auszuschalten, nicht zur Wehr setzten könnte.
Auch ich hatte es trotzdem sehr schwer, dort einigermassen unsere
Kompetenz für die Lebensmittelkennzeichnung, soweit es die finanzielle
Täuschung betrifft, durchzusetzen, weil ich keinerlei konkrete Formu-
lierungen vorlegen konnte. Petuely erklärte, er hätte mit Koppe
versucht, immer wieder in Kontakt zu kommen, doch dies sei nicht
möglich gewesen. Ich habe deshalb Pansi, der mich aufforderte,
eine konkrete Formulierung dem Unterausschuss zur Verfügung zu
stellen, versprochen, dass wir jetzt eine solche Textierung
machen werden. Allerdings kann ich diese Textierung nicht von
Hauffe machen lassen, weil ich in diesem Fall damit rechnen muss,
dass er wieder eine so extreme Fassung wählt, dass es zu keiner
Einigung kommen kann.

ANMERKUNG FÜR KOPPE: Bitte jetzt die endgültige Fassung, wie wir sie
unbedingt brauchen, vorzubereiten.

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Tagesprogramm, 16.11.1972


Tätigkeit: Schweizer Diplomat


Einträge mit Erwähnung:
    Tätigkeit: Sekr. JS, ab 1973 GF VKI


    Einträge mit Erwähnung:
      Tätigkeit: Gesundheitsministerin


      Einträge mit Erwähnung:
        Tätigkeit: schwed. HM
        GND ID: 131860771


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          Tätigkeit: MR HM


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            Tätigkeit: SPÖ-NR-Abg.


            Einträge mit Erwähnung:
              Tätigkeit: MR HM
              GND ID: 133521052


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                Tätigkeit: Botschafter, Onkel v. Louis Marquet; evtl. Falschidentifikation


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                  Tätigkeit: Dir. ÖVP-Bauernbund


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                      Tätigkeit: Sektionschef HM, Diplomat, Verteter bei der EG


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                        Einträge mit Erwähnung:
                          Tätigkeit: Schweizer BR f. Wirtsch.


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