Donnerstag, der 12. Oktober 1972

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Donnerstag, 12. Oktober 1972

Beim Parteivorstand vor der Klubtagung steht als einziges Problem
die Kärntner Ereignisse zur Berichterstattung durch Kreisky und Sima
zur Diskussion. Kreisky meint, jetzt muss durchgegriffen werden und
wenn die Ortstafeln wieder entfernt werden, dann wird es überhaupt
keine Ortstafeln mehr geben. Auch deutschsprachige sollen dann nicht
mehr aufgestellt werden. Sima selbst meint, dass wenn die Exekutive
sich nicht anders verhält als bisher, ist es besser, sie wird abgezogen.
Sima ist überhaupt für eine harte Tour, die schweigende Mehrheit endlich
zu aktivieren. Die Abgeordnete Herta Winkler greift insoferne die
Regierung an, als sie meint, bei sonstigen Anlässen wie Katastrophen
kommen Regierungsmitglieder sofort in das betroffene Gebiet. Kreisky
hat vorher aber erklärt, dass er bereit ist, wenn die Partei es wünscht,
eine grosse Aufklärungskampagne in Klagenfurt starten. Herta Winkler
möchte am liebsten, dass der Innenminister dort erscheint und entsprechend
Befehle gibt. Rösch kommt nachher zu mir, um mir auseinanderzusetzen,
dass er überhaupt keine Befehlsgewalt hat, sondern dass dies die ört-
lich zuständigen Polizei- und Gendarmerie-Dienststellen machen müssen.
Auf Weisung des Landeshauptmannes. Sima selbst dürfte unentschlossen sein,
welchen Kurs er einschlagen sollte.

Auf der Klubtagung hält Androsch ein blendendes Referat. Seine Vorschläge
zur Stabilisierung gipfeln allerdings nur in einem Appell. an die Sozial-
partner und an die gesamte Bevölkerung. Die Frage für mich ist, wie
weit sein antikonformes Verhalten z.B. die Steuersenkung oder jetzt
insbesondere die neue Einführung der zusätzlichen ausserordentlichen AfA
von 30 % von anderen ihm aufgezwungen wurden. Bei der Steuersenkung
weiss ich, dass es der ÖGB gewesen ist. Wieweit er die 30 %-ige zusätz-
liche vorzeitige AfA selbst erfunden hat oder auf Vorschlag von Kreisky
zurückzuführen ist, weiss ich nicht. Kreisky selbst hat aber, als man
mit der ÖVP endgültig abgeschlossen hatte, die sogenannten Begleitmassnah-
men dann noch verlangt, dass eben jetzt eine zusätzliche Leistung von
Seiten der Regierung für die Industrie erfolgen sollte. Wie weit Androsch
dann die Investitionssteuer kompensieren wollte und deshalb die 30 %-ige
vorzeitige zusätzliche AfA einführte, kann ich nicht beurteilen. Ich glaube
die Hauptschwierigkeiten für den Finanzminister sind darin zu suchen,
dass er aus politischen Einflüssen und ganz besonders natürlich auf Wunsch
des Bundeskanzlers oftmals Zusagen oder eine Politik machen muss, die
eigentlich gegen seine ursprüngliche Linie gerichtet sind. Wanke hat,


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als einmal ganz entfernt die Gefahr bestand, dass ich Finanzminister
werden sollte, deshalb richtig erkannt, in diesem Fall müsste diese
Position die Möglichkeit haben, in allen Gremien vom Präsidium der
Partei abwärts nicht nur zu sitzen, sondern auch dort alle geldmäs-
sigen Ausgaben und Beschlüsse nur mit seiner Zustimmung gefasst werden
können. Diese theoretisch richtige Konstruktion ist in der Praxis natür-
lich nur vollkommen unmöglich. Kein einziger Bundeskanzler in der zweiten
Republik, wo ich es genauer verfolgte, hat jemals dem Finanzminister einer
solche starke Position gegeben oder die Politik, die er meistens als Partei-
obmann ja auch vertreten musste, vom Finanzminister seiner Zustimmung abhän-
gig gemacht.

Als Diskussionsbeitrag hat Benya recht gesagt, man müsste eine Sprach-
regelung für die Stabilisierungsfragen finden und insbesondere der Be-
völkerung und unseren Genossen und ganz besonders unseren Funktionären
die Dinge einfacher darstellen und ihnen die Möglichkeit geben, mit den
Gegnern dann zu diskutieren, indem sie die Probleme verstanden haben.
Durch einfache Erklärung und Beispiele. Benya schwebt vor, man müsste
einen Art Wohlstandsvergleich mit vorhergehenden Jahre anstellen.
Koppe hat die sehr gute Idee, vielleicht wäre es möglich, einen Wohl-
standsindex zu berechnen.

ANMERKUNG FÜR WANKE: Bevor wir so etwas in die Welt setzen, müsste stu-
diert werden, was es bis jetzt auf theoretischem Gebiet und vor allem
in anderen Staaten auf diesem Sektor existiert.

LH-Stv. Sebastian, dem ich unseren Telegrammwechsel mit LH Niederl
zeige, meint, dass die Landesregierung bereits vor Monaten beschlossen
hat, Starlight zu unterstützen, ohne dass ein ERP-Kredit vorgesehen
gewesen ist. Diesbezügliche Vertragsentwürfe zwischen Starlight und
der Landesregierung über Kreditzuschüsse waren bereits fertig. Sebastian
ist mit unserem eingeschlagenen Weg vollkommen einverstanden. ZS Teschl
hat mit Gen.Dir. Weiser von Bunzl & Biach ein Telefongespräch und
teilt mir mit, dass er die Papierindustrie über die Entscheidung von
Niederl, nun Starlight doch zu unterstützen, erschüttert sei. Weiser
behauptet, er hätte einen Ersatzbetrieb, der sofort in die Gegend kommen
würde, aber Niederl hätte ihn bis jetzt nicht einmal zu einer Aussprache
empfangen. Ich bin nicht sicher ob diese Behauptung stimmt, denn ich
kann mir nicht vorstellen, dass wenn Bunzl & Biach Gen.Dir. Weiser wirk-
lich eine brauchbare Losung für Weissenbach hat, es handelt sich natür-


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lich nicht um einen Papierproduktionsbetrieb, dass Niederl eine solche
Lösung ausschlagen würde. Die Behauptung, dass der Referent in der Landes-
regierung, Dr. Fröhlich, ein ehemaliger Angestellter aus der Papierbranche
jetzt bei Starlight dann unterkommen möchte und vielleicht deshalb nur die-
sen Betrieb forciert, ist für mich wenig glaubwürdig.

Koppe selbst treibt sich manchmal auch bei der Presse draussen herum und
hat mit Recht dann mitgeteilt, es ist manchmal im Saale sehr fad,
aber noch viel schlimmer ist es, wenn draussen die Presse nur auf Brocken
von Informationen angewiesen ist und glaubt, weiss Gott was drinnen be-
schlossen und diskutiert wird. Der Pressereferent Rauscher vom Klub hat
deshalb für die Presse erklärt, sollte ich ein Mittagessen geben. Da
ich nicht wusste, ob der Klub und was der Klub organisiert hat, ersuchte ich
Heindl, er möge ein solches Arrangement treffen. Zu meiner grössten Ver-
wunderung war dann Gratz über diese Entscheidung nicht nur nicht
informiert sondern als Hausherr sogar natürlich auch ein bisschen verärgert
dass ich angeblich im Hotel eine diesbezügliche Tafel bestellt hätte.
Rauscher, den Koppe in seiner Postensuche unterstützt hat, wollte hier
wahrscheinlich mir gegenüber eine Geste machen, die wir aber Gott sei
Dank durch die kluge Entscheidung von Koppe, unsere wöchentlichen Presse-
gespräche zu führen, gar nicht brauchen.

Kreisky wollte, dass womöglich die anderen Minister noch am selben Tag
referieren und die Diskussion abgewickelt wird, damit er am Morgen
gleich mit seinem Referat beginnen kann. Auf alle Fälle soll das Referat
noch im Laufe des nächsten Vormittags abgewickelt werden. Da Vizekanzler
Häuser erkrankt ist, hat Weissenberg seine Ausführungen verlesen. Viel-
leicht weil Häuser nicht anwesend war, vielleicht aber auch, weil diese
Materie wirklich sehr einschneidend ist und es einige zwar ge-
rechte Vorschläge in der 29. ASVG-Novelle gibt, die aber in Wirklichkeit
Rentnern etwas wegnehmen, kam es zu einer unvermutet heftigen und
langen Diskussion. Für mich ist diese Entwicklung erklärlich. Die
"Sozialbastler", wie ich sie immer bezeichnete, haben irgendwelche Ent-
scheidungen in der Vergangenheit getroffen, ohne die weiteren Auswirkungen
zu berücksichtigen oder berücksichtigen zu können. Nun ergeben sich Unge-
reimtheiten in den Pensionsfragen, die auf alle Fälle ausgebügelt werden
müssen. Jemandem aber etwas wegzunehmen, weil es im System nicht hinein-
passt, ist wahrscheinlich wirklich in der jetzigen Phase politischer
Selbstmord. Wenn Häuser hier wäre, würde er sich wahrscheinlich mit aller
Gewalt gegen die emotionell vorgetragenen Argumente von Herta Winkler und


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einigen anderen insbesondere Sozialpolitiker der Bundesländer wenden.
Die sehr sachlich vorgetragenen Gegenargumente von Pansi oder Edgar Schranz
gingen in dem emotionell aufgeladenen Saal unter, resp. stiessen auf einen hef-
tigen Widerstand. Wie die Sozialpolitiker aus diesem Problem herauskommen,
weiss ich nicht. Auf alle Fälle wurde die Sitzung wesentlich später als
vorgesehen unterbrochen.

Tätigkeit: Sozialminister
GND ID: 118806904


Einträge mit Erwähnung:
    Tätigkeit: ÖGB-Präs., NR-Präs.
    GND ID: 119083906


    Einträge mit Erwähnung:
      Tätigkeit: SChef HM
      GND ID: 12195126X


      Einträge mit Erwähnung:
        Tätigkeit: GD Bunzl & Biach, Vater v. Georg Weiser (Beamter HM)


        Einträge mit Erwähnung:
          Tätigkeit: SPÖ-NR-Abg. bis 1973
          GND ID: 117404101


          Einträge mit Erwähnung:
            Tätigkeit: Finanzminister
            GND ID: 118503049


            Einträge mit Erwähnung:
              Tätigkeit: Innenminister bis 1977, danach Verteidigungsminister


              Einträge mit Erwähnung:
                Tätigkeit: LH Ktn., SPÖ
                GND ID: 139418636


                Einträge mit Erwähnung:
                  Tätigkeit: SPÖ-NR-Abg.


                  Einträge mit Erwähnung:
                    Tätigkeit: Obmann Chemiearbeitergewerkschaft


                    Einträge mit Erwähnung:
                      Tätigkeit: 1970-1973 Büro Staribacher, SPÖ-NR-Abg., stv. Vors. SPÖ-Landstraße
                      GND ID: 102318379X


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                        Tätigkeit: Vizekanzler, Sozialminister


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                          Tätigkeit: Unterrichtsminister, Bgm. Wien


                          Einträge mit Erwähnung:
                            Tätigkeit: SPÖ-NR-Abg.


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                              Tätigkeit: Sekr. JS, ab 1973 GF VKI


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                                Tätigkeit: steir. LH, ÖVP


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                                  Tätigkeit: Bundeskanzler
                                  GND ID: 118566512


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