Donnerstag, 27. Juli 1972
Vielleicht ist es reiner Zufall, vielleicht aber wirklich
Taktik. Ich glaube eher das Letztere. Die sogenannte unabhängige
Presse, sowohl die Kleine Zeitung, Vorhofer, als auch die Presse
in Wien, beginnen eigentlich ganz hart die Regierungsmannschaft
zu kritisieren. Während sie bis jetzt überschwenglich fast die
charmante Art der einzelnen Minister herausgestrichen hatten,
manchmal sehr penetrant sogar, beginnen sie jetzt in der gegen-
teiligen Richtung zu arbeiten. Ich glaube, dass wir kaum dagegen
etwas unternehmen können. Der grösste Fehler wäre, wenn wir
glaubten, dass die Arbeiterzeitung dies kompensieren kann. Ich
halte deshalb alle Versuche, über ein eigenes Organ sich gegen
solche Angriffe zu wehren, für unmöglich und verfehlt. Ich glaube
deshalb, dass es auch nicht zielführend ist, z.B. über die soz.
Korrespondenz Antworten zu geben, über Angriffe, die Parlamentsab-
geordnete wie z.B. Gasperschitz und Hahn jetzt in einer Anfrage
gegen mich richten. Der ÖAAB denkt, ich möchte, was ja sicherlich
stimmt, ausschliesslich soz. Beamte einstellen und beginnt jetzt
durch eine Parlamentsanfrage zu erkunden, wieviele Gemeinde-
bedienstete ich bereits in mein Ministerium geholt habe. Obwohl
ich für die Antwort sechs Wochen Zeit habe, werde ich vor meinem
Urlaub sie noch endgültig beantworten. Erst in den letzten Tagen
des Monats Juli und Anfang August werden wir eine Beamte vom
Rathaus, es werden auch nur 2 oder 3 sein, zusätzlich ins Mini-
sterium für die Abteilung Marsch nehmen. Da wir insgesamt bis
jetzt 105 Beamte eingestellt haben, ist das ein verschwindender
Prozentsatz. Die Personalvertretung beginnt jetzt im Einvernehmen
mit der ÖAAB-Fraktion im Parlament und wahrscheinlich von dieser
nicht nur unterstützt sondern aufgefordert, sich gegen unsere
Personalpolitik zu wenden. So glaubte sie allen Ernstes ver-
hindern zu können, dass Marsch die Abteilung 25 a bekommt. Marsch
dürfte sich das sehr zu Herzen genommen haben, denn er musste
ins Rudolfspital geführt werden, da er eine Herzschwäche erlitten
hat. Ohne dass wir dazu etwas beitragen müssen, wird es sicherlich
im Hause anständige Beamte geben, die diese Vorgangsweise auf
das schärfste ablehnen und umso mehr jetzt durch die Erkrankung
von Marsch die Attacke als verwerflich ablehne. Ich glaube, wir
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sollten ein Weissbuch führen, wo wir das Verhalten der Personal-
vertretung, die wir als ferngesteuert bezeichnen sollten, klassi-
fizieren. Die Vorgangsweise und vor allem den Erfolg sollten
wir dann in späterer Zeit parat haben, für etwaige Gegenangriffe.
Im Klub und der Vorbesprechung zum Bundesrat hatte ich auch mit
Bundesrat Seidl, dem zweiten Vorsitzenden der öffentlich Be-
diensteten in dieser Frage eine Aussprache. Er bestätigte mir,
dass wir auf alle Fälle hart bleiben sollen, denn die Behauptung,
dass die Personalvertretung sich gegen eine Errichtung einer
Abteilung ausspricht, ist absurd. Seidl meint, dass wir in unserem
Ministerium ganz systematisch vorgehen, während leider in anderen
dies nicht möglich ist. Die Gewerkschaftsfraktion beim öffent-
lichen Dienst überlegt sich, das Blatt "bei uns" zu klagen,
wegen der Behauptung, dass sie im Falle Wanke Missbrauch betrieben
haben. Wanke ist nämlich und dies dürfte dem Blatt "bei uns" ent-
gangen sein, Mitglied der Gewerkschaft für den öffentlichen Dienst.
Seidl sieht innerhalb der Gewerkschaft des öffentlichen Dienstes
ganz schwere Auseinandersetzungen heraufkommen. Nächstes Jahr
ist Gewerkschaftstag und er fürchtet, dass der ÖAAB sich so
verhalten wird, dass fast mit einer Spaltung zu rechnen ist.
Mag.-Direktor Ertl hat mich verständigt, dass er im Auftrag von
Slavik zustimmen kann, dass 25 Gemeindebedienstete für die Bundes-
polDion. Wien, Wirtschaftspolizei tätig werden können, um Preis-
beobachtungen zu machen. Sie benötigen dazu aber unbedingt einen
Auftrag des Polizeipräsidenten, resp. des Innenministers. Von
den 5 B-Beamten, die uns die Gemeinde für die Abteilung Marsch
bereit ist, abzustellen, und zwar gegen Kostenersatz, haben
wir derzeit leider erst einen bekommen und Ertl meint, er würde
höchstens noch einen weiteren maximal einen zweiten finden. Sie
selbst haben Dutzende B-Posten unbesetzt. Ich habe mir eigent-
lich nicht vorgestellt, dass es so schwer ist, eine neue Abteilung
auf die Beine zustellen und dafür die notwendigen Leute, ich denke
da gar nicht allein auf die politische Schattierung, zu bekommen.
Im Bundesrat dauerte die Integrationsdebatte genau fünf Stunden.
Da 12 Redner das Wort ergriffen, ich selbst habe die Rede noch
viel schneller heruntergelesen als ich dies im Nationalrat tat,
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und ich schaffte die 23 Seiten in einer halben Stunden. Ich glaube
aber, dass es tatsächlich vollkommen uninteressant ist, eine
gelesene Rede sich anhören zu müssen. Umso mehr als jeder schon wusste
den Inhalt resp. wo die einzelnen Redner ja bereits ihren fertigen
Text vorbereitet hatten. Eine wirklich parlamentarische Diskussion könnte
sich nur so ergeben, dass auf einen Angriff man sofort antwortet und
dann der Betreffende sich noch einmal zu Wort melden könnte, um zu
replizieren, worauf gegebenenfalls neuerdings der Minister Stellung
dazu nimmt. Diese Vorgangsweise, die ich einmal im Finanz- und Budget-
ausschuss der ÖVP vorgeschlagen habe, wird aber ganz entschieden ab-
gelehnt, Man wünscht, dass zum Schluss oder maximal nach mindestens
einem halben Dutzend Rednern der Minister Stellung nimmt. Damit geht
die Unmittelbarkeit natürlich vollkommen verloren. Zweckmässig von
der Opposition wäre es in so einem System auch, dass jeder nur einen
Punkt der Kritik herausgreift, weil er damit viel intensiver gegen
die Regierung Stellung nehmen könnte. Auch das setzt ein ungeheure
Disziplin voraus, die kaum zu erwarten ist. Meistens haben die Haupt-
redner die Gewohnheit als erstes bereits das ganze Feld abzu-
ernten. Dadurch haben sie zwar eine grosse Anzahl von Argumenten,
welchen also wirklich Kontra, können aber kein einzelnes im Detail
ausführen und nehmen dadurch den nachfolgenden Rednern, die sich veil-
leicht dann auf ein Einzelargument spezialisieren würden, die grosse
Chance dieses einzelne Argument als erster herauszuarbeiten. Die
besten und bedeutendsten Redner der Parteien, dürften des nicht am
Anfang sondern gegen Mitte oder gar am Schluss erst in die Debatte
eingreifen. Dann könnten sie auf Argumente und Gegenargumente ihrer
Vorredner eingehen und gleichzeitig auch die Hauptangriffe noch ein-
mal starten. Dies würde zur Belebung des Parlamentes wesentlich beitrage
gen. Die ganze Debatte kann doch nur den Sinn haben, den Standpunkt
der Partei und vor allem die Schwächen des Gesetzentwurfes oder
des Vertrags innerhalb der Massenmedien zu verdeutlichen. Ich habe es
noch nie erlebt, dass jemand auch nur einen Fussbreit von seiner Mei-
nung durch die Debatte abgewichen ist. Das ganze System unseres Parla-
mentes gehört so glaube ich zumindestens wesentlich reformiert.
Tagesprogramm, 27.7.1972