Dienstag, der 11. Juli 1972

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Dienstag, 11. Juli 1972

Zum Glück habe ich mir eingeführt, dass ich in der Früh, und
selbst wenn es sehr zeitig früh ist, von Brüssel angerufen werde,
um über den Verlauf der Verhandlungen telefonisch sofort infor-
miert zu werden. Kreisky hat nämlich bei der Ministerratssitzung
ganz unverhofft erklärt. Staribacher soll über die Verhandlungen
in Brüssel berichten. Obwohl ich in die Details gar nicht einge-
gangen bin, musste ich doch erwähnen, dass England die Verhand-
lungen jetzt fast zum Platzen gebracht hätte, da es die Papier-
lösung, die die Kommission vorgeschlagen hat, im Interesse der
engl. Papierindustrie nicht akzeptieren wollte. Bei diesem einzigen
Produkt soll nämlich durch die lange Übergangszeit der Zoll inner-
halb der EFTA-Staaten neu errichtet werden. Die Kommission hat
4 % vorgeschlagen und die Engländer wünschen nun, dass der Zoll
in derselben Parität wie die 6 gegenüber den nicht-beitrittswilli-
gen Staaten im Jahre 1977 ebenfalls aufgebaut ist. Botschafter
Leitner und Marquet haben mir berichtet, dass die Finnen und die
Schweden Samstag und Sonntag bis spät in die Nach hinein in
London mit den Engländern verhandelt haben, und kein Zugeständnis
erreichen konnten. Das Verhandlungsklima war derartig frostig,
dass sowohl die Schweden als auch die Finnen darüber empört
waren. Kreisky, der die Details nicht kennt und vielleicht auch
gar nicht Zeit hat, sich darüber zu informieren, trug unverzüglich
vor, es sollte eine Demarche unsererseits in England sofort erfolgen.
Kirchschläger unterstützte mich, indem er erklärte, die ganze Ver-
handlung sie ja erst um 3 Uhr früh zu Ende gegangen und man hätte
bis jetzt ja gar nichts anders Machen können als eben im Minister-
rat eben jetzt darüber zu diskutieren. Er und ich schlugen dann
vor, dass wir auch den britischen Botschafter in Österreich
am Ballhausplatz bitten werden. In einem Punkt hat Kreisky natür-
lich recht, die EFTA hat eine Solidarität beschlossen und erklärt
sie wird gegeneinander nicht die Zölle neuerdings aufbauen, auch
nicht gegenüber den Beitrittskandidaten. Jetzt aber stellt sich
heraus, dass eben Grossbritannien seine Papierindustrie und den
vorübergehenden Schutz höher einschätzt als die EFTA-Solidarität.
Mich persönlich wundert es gar nicht. Die Demarche ich sicherlich
sehr gut, denn selbst wenn sie gar keinen Erfolg hat, hat es


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gegenüber Schweden und Finnland gezeigt, dass wir sie nicht
allein kämpfen lassen und gegenüber der Papierindustrie in
Österreich können wir dokumentieren, dass wir alles unter-
nommen haben, was irgendwie möglich ist.

Ein Telefongespräch mit Botschafter Platzer in London, das Kirch-
schläger
und ich führten, zeigte mir, dass es gar nicht so ein-
fach ist, eine solche Demarche wirklich zu organisieren. Platzer
selbst war verständlicherweise über die Details überhaupt nicht
informiert. Ich versuchte zwar, ihm so einfach wie möglich das
Problem zu erklären, doch auch Kirchschläger meinte dann zu mir,
dass es auch er nicht ganz verstanden hätte. Ich rief deshalb
sofort Brüssel an und erklärte, man sollte den letzten Stand
der Besprechungen und vor allem einmal was man von den Finnen
und Schweden in der Zwischenzeit erfahren hatte, Platzer durchge-
ben, damit er, wenn er die Intervention macht, doch auch eine
schriftliche Unterlage hat. Platzer selbst hat dies auch von
mir gewünscht. Den britischen Botschafter oder auch nur den Ge-
schäftsträger konnten wir überhaupt nicht erreichen, weil er in
Klagenfurt weilte, wo er ein Mittagessen ich glaube von der Landes-
regierung oder der Landesregierung gegeben hat.

Mit Androsch habe ich über seinen Vorschlag, dass die 17 Mill. S
die in unserem Budget noch offen sind und die Autengruber berechtigt
wäre, mit mir sofort abzuschliessen, neuerdings durchbesprochen.
Ich erklärte Androsch, dass ich mit Autengruber und mit dem
Referenten für das Handelsminister Kaber gerne die Diskussion
führen würde und auch die beiden Herren entsprechend aufklären,
welche einzelne Posten bei uns noch offen sind. Ich wies ins-
besondere darauf hin, dass mit diesen 17 Mill. wir die Kürzungen,
die ansonsten nach dem generellen Regierungsbeschluss durchge-
führt werden müssten, soweit kompensiert haben, dass wir einiger-
massen unsere Aktionen fortsetzen können. Dies gilt allerdings
nicht für die Erhöhung des Bundesbeitrages für die ÖFVW von 60
auf 72 Mill. S und vor allem aber von der Klo-Aktion im Rahmen
der Fremdenverkehrsförderung von 40 auf 60 Mill. S. Androsch wies
darauf hin, dass wir aber jetzt schon sehr viel für den Fremden-
verkehr tun und er selbst im Rahmen des Finanzausgleiches den
Gemeinden an stelle der 4 Mill. Zinsenzuschüsse 30 Mill. S geben
werde. da wir sowohl das Fremdenverkehrskonzept als auch die


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die einzelnen Posten mit dem Finanzministerium im Vorjahr ab-
geschlossen und aktenmässig fixiert haben, musste ich und ich glaube,
er hat es eingesehen, ich konnte gar nicht anders, diese beiden
Posten ÖFVW und Klo-Aktion neuerdings eben entsprechend erhöhen.
Androsch wies darauf hin, dass wir ja für den Fremdenverkehr auch
die Hotelaktion jetzt gestartet haben, die ebenfalls sehr viel Geld
kostet. Ich erklärte, ich würde Autengruber, bis ins Detail jede
einzelne Post aufgliedern und vielleicht könnte man aus den
17 Mill., die Androsch meinte, ich sollte sie für diese beiden
Aktionen heranziehen, die eine oder andere Million umschichten. Keines-
falls aber könnte ich 32 Mill, die ich dringend benötige, damit ab-
decken. Androsch kam auch auf die Erhöhung der Wirtschaftsförderung
durch die Aufstockung des Gewerbestrukturverbesserungsgesetzes von
3 auf 5 % zur Sprache und meinte, dass ich darüber hinaus ja auch
noch 20 Mill. S für die Industrieförderung habe, die ich eigentlich
niemals verwende. Hier konnte ich ihm nachweisen, dass doch einige
vorher nicht voraussehbare Ausgaben, die Kreisky teilweise einleitete,
die sich teilweise aber auch aus den internationalen Verpflichtungen
wie z.B. das Dokumentationszentrum ergeben, im Laufe des Jahres damit
gedeckt werden können. Im Prinzip bin ich froh, dass wir nicht noch
mehr Aktionen gestartet haben, denn daraus ergibt sich dann immer in
der weiteren Folge eine riesige Diskussion und fast ein Streit mit dem
Finanzministerium, wie man die Anschlussgelder dann bekommen kann. Da
die entsprechenden Beschlüsse immer auf Kürzungen des Budgets lauten,
muss man dann froh sein, wenn man die Kürzungen unbedingt und hat kaum
eine Chance die notwendigen Aufstockungen zu bekommen. Ohne diese beiden
Posten zu berücksichtigen, würden wir jetzt schon eine Aufstockung
der Fremdenverkehrsförderungsmittel um 22 % und der wirtschaftlichen
Förderungsmittel um 30 % erhalten. Diese Ziffern habe ich Androsch natür-
lich nicht gesagt, aber ich bin überzeugt davon, dass ihm seine
Herren auch diese Berechnungen anstellen. Offen blieb und bleibt die
Frage der Bergbauförderung. Hier kommt ein neues Gesetz und man
kann von vornherein wirklich überhaupt nicht sagen, ob wir mehr
Mittel brauchen oder ob wir nicht durch günstige Preis- und Konjunktur-
situation mit den 61,2 Mill. doch auskommen können.

Die Besichtigung der U-Bahn-Baustelle hat mich sehr beeindruckt. Bisher
vorgesehene projektierte Strecke von Favoriten über Karlsplatz zum
Praterstern und der Ausbau der Stadtbahn zur U-Bahn ist angeblich mit


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5 Mia. S, an denen der Bund ich glaube mit 2 Mia. beteiligt, stellt
sich jetzt bereits auf 8 Mia. S. Ich habe mit den führenden Ingenieuren
während der Besichtigung besprochen und natürlich erklärt. wie
sich die Zeiten ändern. Als in der ersten Republik, es war allerdings
schon unter dem Ständestaat die Höhenstrasse auf den Kahlenberg
gebaut wurde, war dies eine Sensation. Heute baut man gigantische
Bauwerke und betrachtet dies als selbstverständlich. Abgesehen von
der technischen Seite dieser Probleme ist die wirtschaftliche Lage
eben so günstig und wahrscheinlich gerade durch diese Bauwerke
auch auf diese Höhe gebracht, dass man kaum mehr Vergleiche mit der
ersten Republik oder einer vorhergehenden Zeit anstellen kann. Als
einzige Vergleichsbasis bietet sich hier die Ringstrassenzeit
bis zum Ende des vorigen Jahrhunderts, wo ein riesiger Boom auch
in der Kaiserstadt war, an. Damals war Österreich allerdings ein
Riesenreich mit über 50 Mill., wo sich alles in der Reichs- und
Kaiserstadt Wien konzentriert hat. Bei solchen Besichtigungen
mit gigantischen finanziellen Aufwendungen frage ich mich, ob
die Finanzierung solcher Werke überhaupt möglich wäre, wenn wir nicht
die Vollbeschäftigung, d.h. das grosse Bruttonationalprodukt-Wachstum
hätten, allerdings durch eine Inflationsrate finanziert und auch immer
weitergetrieben. Hätte man in der ersten Republik nur einen Bruchteil
dieser Politik gemacht, wäre wahrscheinlich die wirtschaftliche
Lage in Österreich ganz anders gewesen als sie sich eben auf Grund der
sturen Haltung der damaligen Regierungen, die auf die Stabilität
den grössten Wert gelegt hat, ergeben hat. Das ganze Gefasel von der
Opposition, dass jetzt die Inflation etwas unsoziales ist, weil
es den Ärmsten der Armen die Preise verteuert und damit seine Lebens-
haltung wesentlich verschlechtert ist doch in Wirklichkeit
nicht wahr. Natürlich ist die Preisentwicklung sehr unangenehm und
wir sollen sie, so weit es irgendwie geht, bekämpfen, Natürlich ist es
für die Rentner entscheidend, dass die entsprechende Erhöhung ihrer
Rente erfolgt. Natürlich ist es notwendig, dass wir dort, wo unser
Sozialsystem noch nicht alle erfasst hat, durch Einzel- individuelle
Unterstützungen die Ärmsten der Armen wirklich auch auf einen Lebens-
standard bringen, den sie früher nie gehabt haben und den sie jetzt
mit Recht verlangen können. Möglich ist dies aber nur, wenn die Voll-
beschäftigung gesichert und das Wirtschaftswachstum immer stärker
wird. Die einzig Benachteiligten sind die Sparer, deren Zinsertrag


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tatsächlich durch die Preissteigerung wegeskontiert wird. Hier weiss
ich keinen Ausweg, fast aber würde ich sagen, dass eben die Einnahmen,
die man für seine Bedürfnisbefriedigung nicht braucht, ein gewisser
Kaufkraftverlust in Kauf genommen werden muss.

Präs. Turnauer wollte mir unter vier Augen die Situation der Neusiedler
schildern und hat deshalb Wert darauf gelegt, dass kein Beamter anwesend
ist. Turnauer hat ein riesig verschuldetes Unternehmen übernommen. Auf
seinem gut geführten und finanziell abgesicherten Betrieb ISOVOLTA
hat er auch im Jänner 35 Mill. S in die Neusiedler gesteckt, die aber
jetzt bereits aufgebraucht sind. Er muss nun, um Lieferantenrechnungen
bezahlen zu können, 39 Mill. S flüssig machen. Da er ausserstande ist,
durch höhere Einnahmen die Papierpreise sind nach wie vor ge-
drückt, diesen Betrag zu erwirtschaften, sieht er keine andere Mög-
lichkeit, als den Betrieb Schlöglmühl zu sperren. Er befürchtet nun
und dies zu recht, dass die Gewerkschaft dies nicht hinnehmen wird und
ihn vielleicht sogar noch durch Kampfmassnahmen – er hat dieses Wort
zwar nicht gebraucht – eine finanzielle Schädigung noch zusätzlich
verursachen wird. Turnauer meint, da er jetzt mit 630 Mill. S in Kreide
steht, dass damit die Gefahr besteht, dass die gesamte Neusiedler zu-
sammenbricht. Ob sich die Gewerkschaft eigentlich vollkommen klar ist,
dass der Betrieb auf die Dauer nicht gehalten werden kann, d.h.
Turnauer unter allen Umständen schliessen wird, neige ich auch der
Auffassung zu, es wäre viel zielführender, für die dort Beschäftigten
noch sie viel wie möglich an finanziellen Entschädigungen herauszu-
holen. Ich habe diesbezüglich, ohne dass ich es Turnauer natürlich
sagte, den Präsidenten Hrdlitschka, aber auch den ZS Teschl von
der Chemiearbeitergewerkschaft informiert, dass ich mich bereiterklären
würde, einige günstige Bedingungen an Abfertigungen und an Entschädigun-
gen versuchen würde, herauszuholen. Teschl selbst glaubt nicht, dass
Turnauer infolge seiner schlechten finanziellen Lage dazu bereit wäre.
Ich habe aber das Gefühl, dass sich die Gewerkschaft aus rein optischen
Gründen auf Kampfmassnahmen eingestellt hat und wahrscheinlich auch durch
führen wird, obwohl sie weiss, dass sie damit eigentlich für die dort
Beschäftigten kaum etwas Positives erreichen kann. Bei diesen beiden
festgefahrenen Standpunkten wird es mir sehr schwer sein, in einer
Kompromisslösung eine friedliche Entwicklung zu erreichen. Die Frage
Turnauers, was er machen soll, erklärte ich ihm, er sollte am Mittwoch


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bei der Aussprache mit LH Maurer versuchen, festzulegen, ob die
Landesregierung tatsächlich bereit wäre, die 3 Mill. S, wie sie das
Sozialministerium zur Verfügung stellt, ebenfalls als a fonds perdu,
d.h. als reine Subvention zu geben. Bis jetzt hat nämlich die Landes-
regierung nur die Absicht, auf 5 Jahre hindurch 2 Mill. S zu 4 %
Verzinsung als Kredit zur Verfügung zu stellen. Damit, fürchte ich, ist
Turnauer wirklich nicht geholfen, da er dieses Angebot kaum annehmen
kann, würde dannn nicht die ganze Schuld der Schliessung auf ihn fallen,
sondern auch teilweise auf die Landesregierung, die zuerst erklärt hat,
sie wird den Betrieb, wenn der Bund entsprechende Mittel gibt, unter-
stützen, jetzt, nachdem über die produktive Arbeitslosenfürsorge des SM
eine solche Unterstützung zugesagt ist, zurückziehen.

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Tagesordnung 34. Ministerratssitzung, 11.7.1972


Tätigkeit: Botschafter, Onkel v. Louis Marquet; evtl. Falschidentifikation


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    Tätigkeit: öst. Botschafter EWG


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      Tätigkeit: Finanzminister
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        Tätigkeit: nö. LH (ÖVP), AR-Vors. DoKW


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          Tätigkeit: AK, ÖIAG
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            Tätigkeit: Industrieller


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              Tätigkeit: Obmann Chemiearbeitergewerkschaft


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                Tätigkeit: Bundeskanzler
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                    Tätigkeit: Außenminister, Bundespräsident
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                      Tätigkeit: Ministerialrat Finanzministerium


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