Mittwoch, 14. Juni 1972
Die Handelskammer attackiert Kreisky, Weihs, aber vor allem mich, damit
wir in die ausländischen Staaten intervenieren fahren, um bei der
Verhandlung mit den EG noch eine bessere Lösung erzielen. Ich hatte
Kirchschläger gestern schon vorgeschlagen, er möge sich überlegen, wie
wir eine entsprechende Aktivität entfalten, obwohl ich mir vollkommen
klar bin, dass wir dabei kaum etwas erreichen. Im Nationalrat frage
ich Kreisky, ob er beabsichtigt – wie er dies seinerzeit auch gemacht
hat – auch eine Tour durch die europäischen Städte oder wenigstens in
eine zu fahren, um mich mit ihm abzustimmen. Ich selbst schlage vor,
dass ich auf alle Fälle nach Frankreich fahren sollte. Kreisky meint,
dass es zielführend wäre, die Botschaft intervenieren zu lassen. Er selbst
würde auf gar keinen Fall Aktivitäten entfalten. Aus taktischen Gründen
meinte ich, es wäre zielführend, wenn ich z.B. Präs. Sallinger persönlich
einladen würde, mit mir nach Frankreich zu fahren. Da Kreisky richtig
meint, dass doch auch ein Bauernvertreter mitfahren müsste – ich schla-
ge Lehner von der Landwirtschaftskammer vor – und erkläre sofort, dass
auch Hrdlitschka vom AKT mitfahren müsste, meint Kreisky, würde dies
die ständestaatliche Politik bedeuten, die er ablehnt.
Reiterer ruft mich aus Brüssel an und teilt mit, dass sie nun doch
eine Liste fertiggestellt haben, wo eine Anzahl von chemischen Papieren,
photographische Papier, Strohpapier, Filterpapier. Indigo-Papiere und
Glaspapiere usw., die noch bei uns Zölle haben und wo keine Produktion
ist, Freitag der Kommission vorschlagen werden, dass die nicht reziprok
behandelt werden. Bei dieser Gelegenheit verlange ich Leitner und erkläre
ihm, dass ich jederzeit bereit bin, entsprechende Aktivität zu entfalten,
wenn unsere Spitzenbeamten in Brüssel dies für notwendig empfinden. Ich
erwäge, ob man nicht vor dem Ministerrat kommende Woche nach Luxemburg
fahren soll. Leitner meint, dass man derzeit überhaupt nonichts fest-
stellen könne, denn am Freitag abends würde sich erst entscheiden, wie
es weitergeht. Z.B. ist die heute durchgeführte Sitzung mit den Schweizern
zuerst abgesagt gewesen und erst im letzten Moment dann doch zustandege-
kommen. Er meint, dass unbedingt in den Hauptstädten wahrscheinlich not-
wendig wäre. Genau das will aber Kreisky derzeit nicht. Kreisky rechnet
aber scheinbar ganz fest, dass der Vertrag auf alle Fälle zustandekommt,
weil er sich bereits den Kopf zerbricht, wer den Vertrag zu unterzeichnen
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haben wird. Er selbst ist überzeugt, dass auch der Regierungschef und
vielleicht der Aussenminister und Handelsminister zur Unterzeichnung
fahren sollen. Ich muss sagen, dies ist mir aber wirklich vollkommen
egal, ob ich den Vertrag unterzeichne oder nicht. Da die Kammervertreter
nicht mehr in Brüssel sind, vorher aber grösste Bedenken gegen ein Abgehen
von der vollen Reziprozität angemeldet haben, Reiterer hat herumgedrückt
und gemeint, die Handelskammer hätte Bedenken usw. fragte ich klipp und
klar, ob sie dafür oder dagegen wären. Nachdem die Handelskammer dagegen
aber die Delegation absolut dafür ist, habe ich selbstverständlich ent-
schieden, dass sie diesen weiteren Schritt entgegenkommend gegen die EG
machen sollen. Leitner selbst konnte ich nur erklären, dass ich nächste
Woche nicht nur den Finanzminister vertrete, sondern auch den ungarischen
Handelsminister Biro zur Unterzeichnung in Wien habe und deshalb beschränkt
nur ins Ausland fahren könnte. Was mich ja nur verwundert hat, war, dass
Leitner fragte, ob er mich öfters anrufen könnte, um mir den Stand mitzutei-
len. Ich hatte seinerzeit bereits erklärt, dass ich eine solche enge Ver-
bindung dringend wünsche, andererseits aber natürlich auch der Kommission
volles Pouvoir gegeben, dass sie jederzeit nach bestem Gewissen entschei-
den können. Ich glaube nämlich, dass in Wirklichkeit die Voraussetzung für
eine zweckmässige und zielführende Verhandlung ist, dass wenn man nicht an
Ort und Stelle sitzt, dem Verhandlungskomitee doch einen weitestgehenden
Spielraum geben muss. Sinnlos wäre es, jedes einzelne Detail hier in
Wien womöglich noch abzusprechen, denn dabei kommt erstens überhaupt
nichts heraus, die Interessensvertretungen würden ja doch nur entsprechende
Hinhaltetaktik führen, um sich nicht entscheiden zu müssen, und die Regie-
rungskollegen würden vielleicht dann alle Wen und Aber hundertmal nach ver-
schiedensten Richtungen in Diskussion stellen, die uns auch keinen Schritt
weiterbringen könnten. Da ich überzeugt bin, dass Marquet als umsichtiger
Verhandlungsleiter die maximalste Lösung anstrebt, verlasse ich mich tat-
sächlich auf ihn, auch dann, wenn es nach Abschluss des Vertrages sicher-
lich eine harte Kritik von allen Seiten geben wird. Es trifft sich sehr
gut, dass am Freitag Integrationsausschuss ist, denn dort wird offiziell
damit über diese Politik eine harte Diskussion abgeführt werden.
MMM wünscht eine Rückstrahlfolie für die KFZ und zwar Schwarz auf Weiss,
das bedeutet, dass wir das Kraftfahrgesetz novellieren müssten. Ich
habe den Vertretern, die mit den NR Hobl, Fiedler und Hanreich, also
von allen drei Parteien erschienen sind, klipp und klar erklärt, dass
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ich für diesen einen Punkt keine KFZ-Gesetznovelle durchführen werde.
Ausserdem erklärte ich, dass man klären muss, wer diesen Betrag
dann zahlen sollte. Jetzt kostet eine Tafel 33.– S und dann würde
sie in kleineren Serien bis zu 250.– S und wenn letzten Endes alle
umstellen müssen, nach einem Offert der Fa. Ebiner 120.– S kosten.
Hobl meint, dass dies fakultativ mit einer Übergangszeit von 3–5 Jahren
gemacht werden sollte. Aus irgendwelchen Bemerkungen konnte ich dann
entnehmen, dass sich die Nationalräte hauptsächlich deshalb scheinbar
so für dieses Problem interessieren, weil MMM sie nach Amerika eingeladen
hat, um dort das Werk zu besichtigen. Ich selbst erklärte rundwegs, dass
ich damit nichts zu tun habe, die Nationalräte selbstverständlich tun
und lassen können, was sie wollen, ich selbst nahm das Unterlagenmaterial
erklärte, dass es von unseren Abteilungen geprüft wird und bei der
nächsten Kraftfahrgesetznovelle zur Debatte stehen wird.
Die Fa. Firestone hat ihren Marketing- und Research-Mann Nielsen
geschickt, damit in einem zweiten Land, welches er nicht nennen wollte,
und Österreich untersucht, ob und wo eine Schlauchfabrik errichtet
werden soll. Derzeit produziert sie in 7 europäischen Ländern Schläuche
und möchten dies in einem einzigen Land jetzt konzentrieren. Die Inve-
stitionen würden 5 Mill. $ ausmachen, ca. 200 Beschäftigen Platz bieten.
Zuerst würden sie nur 20.000 m², aber bis zu 200.000 jetzt bereits kaufen,
weil sie auf eine Ausdehnung rechnen. Nielsen war ein Mann, der wirk-
lich vom wissenschaftlichen Standpunkt dieses Problem in Angriff
nimmt. Er wollte
Auskünfte über die Löhne, Steuern und Frachtkosten und erklärte, gleich
rundwegs für Grund und Baukosten sei nur ein sekundäres Interesse vor-
handen, dies erklärt sich für mich, dass sie ganz genau wissen, dass
die Errichtung wohl von Bedeutung ist, dass aber der Betrieb immer noch
die entscheidenden Kosten verursacht. Nielsen erklärte, dass er eine
Studie seinerzeit bereits abgestellt hat und auch österr. Material dabei
verarbeitete, als man sich überlegte, ob eine Fabrik und wo sie in der
BRD errichtet werden soll. Da er zu anderen Ergebnissen gab, als wir
dies bis jetzt immer angenommen haben, gelang es mir, ihn zu überzeugen,
dass wir wirklich sine ira et studio, d.h. also ohne seine Unterlagen
woanders zu verwenden, doch Vergleiche anstellen sollten, wieso er
damals auf den Standort der BRD verfallen ist.
ANMERKUNG FÜR WANKE: Ich möchte in Hinkunft mit solchen interessanten
Investoren doch Kontakt haben.
Der irakische Botschafter kam, um mir auseinanderzusetzen, dass
Irak die Verstaatlichung der Ölindustrie durchführen musste und jetzt
grösstes Interesse daran hätte, wenn Österreich irakisches Öl kaufen
würde. Ich verwies ihn an die ÖMV, weil dies – wie er glaubt – zwar
als verstaatlichter Betrieb dem Staat gehört, aber keinesfalls von mir ge-
zwungen werden kann, irakisches Öl zu kaufen, auch dann, wenn die
Handelsbilanz dies erfordern würde. Gen.Direktor Bauer und Feichtinger,
die abends kamen, hatten dann tatsächlich mit dem irakischen Botschafter
eine neuerliche Aussprache. Sie möchten gegebenenfalls joint venture
mit Irak versuchen. Allerdings erst nach einiger Zeit, bis sich die ganze
Sache beruhigt hat, denn sie können natürlich die internationalen Gesell-
schaften, welche 60 % ihrer Produktion in Österreich abnehmen, nicht vor de
Kopf stossen, Da die Franzosen, wie mir der irakische Botschafter mitteilte
mit Irak kooperieren möchte, will die ÖMV mit den Franzosen gegebenenfalls
gemeinsam nach Beruhigung der Situation ein Projekt verfolgen. Mit dem
Iran hat – wie mir Bauer mitteilt – einige Male ein Versuch bestanden,
die seinerzeit gewünschte Kooperation resp. Besprechung über Abnahme
von Öl zu führen, doch haben sie keine konkrete Antwort bekommen. Ebenso
ist es derzeit mit der SU, wo sie noch immer warten, dass die Gasmenge
erhöht wird, und keine Antwort bekommen können. Der Botschafter Aristow
hat zwar Bauer zum Abendessen geladen und versichert, alle sind dafür,
aber sie können und können keine konkreten Zusagen über eine Gasmengen-
erhöhung bekommen. Ich nehme an, dass Patolitschew, so wie er dies auch
vor zwei Jahren mit den 200.000 t Öl, die er dann präsentierte, die wir
so dringend brauchten, gemacht hat, auch diesmal bei seiner Ankunft in
Wien zu den Verhandlungen eine grössere Gasmenge als Präsent mitbringen
wird. Zum Vorschlag der EG, die Ölmarktordnung eventuell zu errichten
und damit die Zollermässigungen und die Produkte wieder aus der Freihandels-
zone herauszunehmen, möchte die ÖMV auch noch weiter zuwarten und keine
Urteil dazu abgeben. Bezüglich der Ostliberalisierung werden sie mir ein
Elaborat übermitteln. Wegen der Preisgestaltung sowohl bei Ofenheizöl als
auch des Benzinpreises hat nun die ÖMV die Überzeugung, dass sich der
Wirtschaftsprüfer, den Androsch ersucht hat, er soll die Behauptung 50
oder 30 Groschen bei der ÖMV kontrollieren, eindeutig für 50 Groschen
entschieden haben. Da Jarosch in der Kanzlei Androsch selbst verankert
ist, wird als Endergebnis dann tatsächlich herauskommen, dass 50 Gr.
notwendig sind. Das Schweigen im FM, das man jetzt von uns auch will,
wird zwar in der Öffentlichkeit nicht die Tatsache zum Verschwinden bringen,
dass dieser Streit dann für die Ölindustrie entschieden wird. Hier hat
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sich wieder einmal bewahrheitet, wie zielführend es ist, mit Ziffern
und Aussagen grössenordnungsmässiger Art sehr vorsichtig zu sein. Eine
Taktik, die ich ich, seit ich denken kann, immer verfolgte.
kann man sich herumdrücken, numerischer ist man festgelegt.
Das EG-Kommissionsmitglied Barre, welches die Finanzfragen zu bearbei-
ten hat und mit Androsch dann die Besprechungen führte über die Möglichkeit
ob ein neutraler Staat wie Österreich, der Europäischen Gemeinschafts-
währungsunion beitreten könnte, hatte vorerst mit mir, Meisl und Simon-
csics Besprechungen geführt. Androsch musste auf der Regierungsbank sitzen
und ich habe ihn dann erst später ablösen können. Barre selbst nahm das
Elaborat, welches wir ihm überreichten, zur Kenntnis und wird wie er
sich ausdrückte sofort nach Rückkunft seinen Kommissionsmitgliedern diese
Stellungnahme zuleiten. Er selbst hat ja bereits gestern mir erklärt,
dass er selbst die Verhandlungen ja nicht führt und deshalb nur indirekt
darauf Einfluss nehmen kann, indem er eben unsere Wünsche Deniau zuleiten
wird. Bei den Besprechungen mit Androsch kam dann, wie mir dieser mitteil-
te, heraus, dass die Kommission und Barre selbst die Neutralitätsstellung
Österreichs vollkommen berücksichtigen und daher an eine engere Koopera-
tion wie sie jetzt bezüglich der Wechselkursfestsetzungen der Fall ist,
nicht denken.
Der Fachverband der Bergwerke, Gen.Direktor Wick und Dr. Denk, der
Geschäftsführer, kamen mit einer ganzen Anzahl von allen Bergwerken,
Generaldirektoren, um mit mir noch einmal ihre Wünsche zum Bergbauförderungs-
gesetz zu unterbreiten. Insbesondere wollten sie jetzt bereits wissen,
ob wir nicht doch die Bergbauförderung auf alle Mineralien erstrecken könnt
Dies habe ich natürlich abgelehnt, weil ich erklärte, innerhalb der
fünf Jahre, so lange soll auch das neue Bergbauförderungsgesetz nur gelten,
wir alle Mittel dazu aufwenden müssten, um die jetzt im Bergbau, d.h. Kohle
und Buntmetall, unterliegenden Produkte einigermassen zu sanieren. Aus
diesem Grund käme auch eine Ausdehnung auf ausländische Aktivitäten nicht
in Frage. Übereinstimmend wurde aber festgehalten, dass die neue Bergbau-
förderung, wenn sie so annähernd Gesetz wird, wie ich sie skizziert habe
von den Unternehmungen sehr begrüsst würden und als äusserst positiv
bezeichnet werden. Bei dieser Gelegenheit machte ich Gen.Dir. Wick nachher
aufmerksam, dass ich bezüglich der Stillegung von Magnesit Tux höre, dass
sowohl der Landesrat Bassetti als auch LH-Stv. Salcher sich über die Vor-
gangsweise beschweren. Wick versicherte mir, dass einvernehmlich mit dem
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Land vorgehen wird und entsprechende Aussprache stattfinden, sodass
keinerlei Unruhe in dieser Gegend entstehen würde. Dr. Denk hatte
anschliessend den Wunsch, dass der Fachverband oder eine Firma eben
bei den internationalen Patentverhandlungen anwesend sein sollten. Ich
habe dies sofort zugesagt, da ja wahrscheinlich es von den Herren,
die aus der Praxis kommen, gut sein wird, wenn unsere Verhandlungsleitung,
insbesondere Dr. Lorenz hier eine Ergänzung vielleicht aber auch eine
Unterstützung bekommen können.
Direktor Bittner vom österr. Jugendherbergswerk, nicht wie in meiner
Tagesordnung steht, Verband, kam mit Amtsdirektor Schubert, der schein-
bar dort auch eine Funktion hat. Das Jugendherbergswerk ist eine ÖVP-
Organisation, der Jugendherbergsverband ist eine Dachorganisation, wo
die Sozialisten die Führung haben. Ich bitte deshalb in Hinkunft immer
auch streng darauf zu achten, weil ich mir nur so ein Bild machen kann,
mit wem ich es zu tun habe. Dieses Jugendherbergswerk hat nun 1 Mio.
Nächtigungen im Vorjahr gehabt, wovon 55 % Ausländer gewesen sind. Bittner
der gleichzeitig auch Stadtschulratspräsident-Stellvertreter ist, möch-
te gerne nun, dass auch diese Organisation Förderungskredite z.B. wie
es auch Gewerbebetriebe bekommen, erhalten. Ich erklärte rundwegs, dass
ich Aktionen, wie Komfortzimmer oder Bürges usw. nur dann geben kann,
wenn ein Gewerbebetrieb vorliegt. In diesem Fall, habe ich ihm aber
erklärt, würde er seine Gemeinnützigkeit verlieren und damit natürlich
die wesentlich höheren Subventionen, die ja teilweise vom Handelsmini-
sterium aber noch viel mehr vom Unterrichtungsministerium sicherlich
bekommt, verlieren. Bittner gab dann auch unumwunden zu, dass er
bereits vor zehn Jahren versucht hatten, eine solchen Vorstoss
doch auch damals wurde ihm bedauert, dass er als Nicht-Gewerbeunter-
nehmer keine Möglichkeit hat. Er hat nun angenommen, dass sich jetzt
unter meiner Führung des Ministeriums eine andere Stellungnahme sich
ergeben würde, die aber beim besten Willen nicht möglich ist. Schubert
hat dies auch zur Kenntnis genommen und man hat dann nur gemeint, man
hofft, dann entsprechend hohe Subventionen vom Handelsministerium zu
bekommen. Ich habe keinerlei Zusagen gemacht, doch erklärt, es würden
selbstverständlich auch heuer wieder Mitteln für die Jugendorganisatio-
nen ausgeschüttet werden.
Tagesprogramm, 14.6.1972
hs. Notizen (Tagesprogramm Rückseite)