Freitag, der 9. Juni 1972

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Freitag, den 9. Juni 1972
Samstag, den 10. Juni 1972

Der norwegische Minister Kleppe teilte bei der Arbeits-
besprechung mit, daß die Norweger große Schwierigkeiten
in Brüssel wegen der fischverarbeitenden Produkte haben.
Ursprünglich haben sie angenommen, daß so wie bei der
EFTA einige landwirtschaftliche Fischprodukte als Industrie-
waren gelten. Fischfilet 03.01/3, Öl 15.12, Konserven 16.04
und 16.05, die bis jetzt zollfrei nach Österreich exportiert
werden können, würden, da sie als landwirtschaftliche Produkte
gelten, bei einem EWG-Abschluß Österreichs mit Importzöllen
bei uns belastet werden. Kleppe sagte mir unter vier Augen,
sie hätten Brüssel vertraut, nachdem der Ministerrat in Den
Haag seinerzeit erklärt hätte, es würden keine neuen Zölle
mehr aufgerichtet werden.

Kleppe meinte auch zu unserer Forderung bezüglich der sen-
siblen Produkte, daß diese von Norwegen kräftigst unterstützt
wird. Insbesondere meinte er, daß bei Papier eine bessere
Regelung herausschauen müßte. Er glaubt nicht, daß Brüssel nur
Finnland eine Spezialregelung oder Spezialzugeständnis machen
wird. Da die Finnen aber erklärt haben, ein Zollaufbau käme
auf dem Papiersektor nicht in Frage, nicht einmal die vorge-
sehenen 4 %, nimmt er an, daß Brüssel für alle nachgehen wird.
Diesen Optimismus teile ich auf gar keinen Fall. Die franzö-
sische, deutsche, aber letzten Endes auch die englische Papier-
industrie wird stark genug sein, an dem Kommissionsvorschlag
unter allen Umständen festzuhalten. Das einzige, was uns vielleicht
gelingen wird, ist, den Zeitraum von 12 Jahren zu verkürzen.
Norwegen selbst wird zu einem späten Zeitpunkt erst eingeschaltet
werden und dort nur konsultiert, daß ich mir keine tatkräftige
Unterstützung erwarte.



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Interessant war der Begleiter von Kleppe, Ministerialdirektor
Bue Brun. Er hat die Fahrt nach Steyr nicht mitgemacht, sondern
mit Moskwitsch und Hendryks Besprechungen über Finanzierung
des Ostclearings ganz besonders Bulgariens geführt. Die Norweger
bauen ihre Schiffswerften nicht so stark aus, daß sie der
konjunkturellen Schwankung ausgesetzt sind. Sie bestellen des-
halb in den Oststaaten Schiffe und haben in Bulgarien 14 Frachter
mit 24.000 t laufen. Die gesamte Bestellung macht insgesamt
1,2 Milliarden nKr. aus und sind zum festen Preis vereinbart.
Kursschwankungen werden zwischen den beiden Staaten ausgeglichen.
Moskwitsch dürfte sich hier erfolgreicher eingeschaltet haben,
da mir immer wieder versichert wird, wie tüchtig dieser Mann
zum Unterschied von Hendryks ist.

In Steyr vereinbarte ich beim Mittagessen mit dem Gen.Dir.
Stellvertreter Rösner, daß er uns die Unterlagen über die Mehr-
wertsteuer-Berechnung zur Verfügung stellen wird. Habe mit
ihm vereinbart, nach Abschluß der Berechnungen, die noch
annähernd nicht fertig sein sollen, von Rösner zu einer Be-
sprechung geladen zu werden.

ANMERKUNG FÜR WANKE: Bitte, dieses Problem weiterverfolgen.

Gen.Dir. Treichl von der CA erklärte mir bei der Festveranstaltung,
daß er große Sorgen wegen der Lastwagenproduktion habe. Wenn man
die Ausgleichssteuer und den Zollschutz wegnimmt, müsse Steyr auf
diesem Sektor in die roten Ziffern kommen. Durch das Werk in
Saloniki wird jetzt eine gewisse breitere Basis geschaffen, aber
auch damit sei keinesfalls die Sicherung der Lastwagenproduktion
und der Traktorproduktion gewährleistet. Derzeit ist das Kugel-
lagergeschäft noch sehr flau, vor allem aber stehen unzählige
Lastwagen fertig jetzt zum Verkauf auf Lager.

Marquet und ergänzend Reiterer haben mir von Brüssel berichtet.
Die Verhandlungen liefen in freundschaftlichem Ton, zeigten
aber keinerlei konkrete Fortschritte. Dies war allerdings auch
nicht zu erwarten, da die Kommission ja keinen Verhandlungs-
spielraum besitzt. Bei den sensiblen Produkten wird Österreich
jetzt wirtschaftlich begründen, warum es, ohne das Wort auszu-
drücken, Reziprozität verlangt. Es soll eine schriftliche Dar-


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legung Wellenstein überreicht werden. Bei den landwirtschaft-
lichen Verarbeitungsprodukten ist es so, daß Österreich wert-
mäßig mehr importiert als exportiert. Die EWG geht allerdings
von der Zollbelastung, die in Österreich wesentlich höher ist
als in der Europäischen Gemeinschaft, aus, und meint, damit
sei ein Ausgleich geschaffen. Ich schlug vor, man sollte eine
Berechnung anstellen, wo man den Wert des Exportes mit der
Zollbelastung und den Wert des Importes mit der Zollbelastung
gewichtet, sodaß eine Verhältniszahl entsteht, die tatsächlich
den wirklichen Gegebenheiten weitestgehend Rechnung trägt. Damit
könnte dann, glaube ich, noch immer festgehalten werden, daß
Österreich hier, trotzdem es eine höhere Zollbelastung hat, diese
abbauen muß, einen gewissen Nachteil gegenüber den landwirtschaft-
lichen Verarbeitungsprodukten in der EWG, die wir exportieren
können, hat. Mit dieser Methode könnten gewisse Ziffern außer
Streit gestellt werden. Auf der Präambel wünscht die EWG einen
Hinweis, daß der Vertrag Änderungen und Erweiterungen erfahren
kann, während Kirchschläger natürlich und auch ich diese Änderung
nur auf das Wirtschaftsgebiet beschränkt wissen möchten. Die
EWG beabsichtigt aber scheinbar, diese Präambel für alle Nichtbei-
tritts-Kandidaten anzuwenden und möchte sogar ein Redaktionskomitee,
das multilateral, das heißt mit allen Nichtbeitritts-Kandidaten
dieses Problem besprechen und letzten Endes beschliessen soll.
In der Staatsvertragsfrage wurde eine gute Lösung gefunden, dass
man nämlich alle internationalen Verträge als unberührt bezeichnet.
Die Dringlichkeitskonsultation bei Wettbewerb usw. soll nun dahin-
gehend gefunden werden, dass in erster Linie die normale, d.h. die
tatsächliche Konsultation vor Massnahmensetzung ausgelegt wird.
Bei der regionalen, sektoralen und Zolldisparität allerdings will
die EG nicht auf die Dringlichkeit verzichten. Österreich hat ange-
boten, dass es innerhalb von 8 Tagen eine diesbezügliche Stellungnahme
bei einem Streifall abgeben würde. Die Schweden wünschen nun noch eine
Klausel einer Aktionssicherung des Friedens, die ja ausgenommen werden
sollte, und dass ist die EG bereit, zuzustimmen, auch für uns, obwohl
wir dies gar nicht wünschten. Strittig ist auch noch die Erdölfrage.
Hier hat Österreich die Erklärung abgegeben, wenn die EG in ihrer Ent-
wicklung eine Marktordnung aufbaut und die Produkte aus der Zollfrei-
regelung herausnimmt, dass dies auch für Österreich gelten müsste.
Die ÖMV hat nämlich in einer Vorbesprechung, Meszaros hat dies Rei-
terer
mitgeteilt, grössten Wert darauf gelegt, gegebenenfalls ganz


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aus der Freihandelszonenregelung ausgenommen zu werden. Ich glaube,
dass – wenn die EG mit diesem Wunsch konfrontiert sein wird – sie ihn
dann letzten Endes nicht akzeptieren wird. Bisher hat Wellenstein immer
sich darauf verlassen, dass Österreich eine umfassenden Freihandelszonen-
regelung wünscht, deshalb hat er nun angemeldet, dass gegebenenfalls
bei Ölprodukten aus dieser Regelung bei Marktordnungseinführung ausgenommen
werden könnten und zwar von Seiten der EG. Ich kann mir nicht vorstellen,
dass die Europäischen Gemeinschaften bereit sind, einen solchen Ausnahme
zustand von vornherein Österreich aus zuzugestehen. Reiterer hat die
Herren der Bundeskammer ersucht, sie sollen nach Rückkunft nach Wien
dieses Problem erörtern und ihm dann die Stellungnahme mitteilen.

Marquet und Reiterer bleiben in Brüssel, weil ein Neutralentreffen statt-
finden soll und wir ausserdem erwarten, dass wir endlich den Entwurf für
die EGKS-Güter bekommen. Nach informellen Meldungen soll bezüglich der
Preis- und Transportkosten Schutzklausel eine entsprechende Formulierung
gefunden werden, die für uns akzeptabel ist.

Die Ausprache mit Benya, Hofstetter, Lachs am Samstag Vormittag, wo es
im ÖGB am Samstag vormittags sehr ruhig ist, hat zwar lange gedauert, er-
gab aber, dass der ÖGB nicht bereit ist, sich an der von Kreisky beabsichtig-
ten Konsumentenliga in der erste Phase zumindestens zu beteiligen. Der ÖGB
und die Arbeiterkammern werden ein eigenes Kontroll-System über die Landes-
sekretäre und Landeskammern sowie über die Bezirkssekretäre und Amtsstel-
len der Arbeiterkammern aufziehen. Zu diesem Zweck möchte Benya, dass
jetzt endlich festgestellt wird, auf welchen Gebieten Preissenkungen, auf
welchen Gebieten die Preise gleich bleiben und wo Erhöhungen zu erwarten
sind. Dies sollte sich auf die wichtigsten Produkte erstrecken. Diese
Produkte würden dann von den einzelnen freiwilligen Helfern in den Bezirken
und einzelnen Läden erhoben werden und dann als Kontrolle nach Einführung
der Mehrwertsteuer wieder. Ich bin gespannt, wie diese Formulare aussehen
werden. Auf alle Fälle aber wünschte man jetzt entsprechendes Unterlagen-
material, wie sich die einzelnen Preise zumindestens kategoriemässig für
die einzelnen Produkte entwickeln sollten. Eine Aussprache mit Tommy
Lachs
ergab, dann, dass wir bezüglich des Vorsteuerabzuges in unserem
Komitee nicht weiterkommen können, solange nicht die Frage der Investitions-
entlastung geklärt ist. Lachs meint, dass nur der Finanzminister die
öffentlichen Unternehmungen zum Beispiel Bahn, E-Unternehmungen und
Eisen- und Stahlbetriebe usw. zwingen könnte, einen Teil der Investitionen
auch in die Vorsteuerentlastung einzubeziehen. Wenn die Unternehmungen


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dazu nicht bereit wären und vor allem auch die Bundeskammer dies
nicht akzeptiert, dann sollten nach Lachs' Meinung der Finanzminister
dekretieren, dass die Ausfuhrvergütungssätze als Vorsteuerabzug ge-
rechnet werden müssen und wenn dies nicht der Fall ist, dann eine
hundertprozentige Versteuerung auf die Differenz in der Einkommensteuer
dann zu legen ist. Ich erklärte Lachs sofort, dass kein Finanzminister,
geschweige denn Androsch zu solch einer radikalen Massnahmne bereit sein
wird. Wie wir aus diesem Dilemma herauskommen, ist mir noch vollkommen
unklar.

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Tagesprogramm, 9.6.1972


Tätigkeit: Botschafter, Onkel v. Louis Marquet; evtl. Falschidentifikation


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    Tätigkeit: ÖGB-Präs., NR-Präs.
    GND ID: 119083906


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      Tätigkeit: SChef HM
      GND ID: 12195126X


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        Tätigkeit: GD auswärt. Beziehungen EWG-Kommission


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            Tätigkeit: norweg. Minister, EFTA-Gen.Sekr.


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              Tätigkeit: Außenminister, Bundespräsident
              GND ID: 118723189


              Einträge mit Erwähnung:
                Tätigkeit: Bundeskanzler
                GND ID: 118566512


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                  Tätigkeit: Leitender Sekretär ÖGB, SPÖ-NR-Abg.
                  GND ID: 136895662


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                    Tätigkeit: Bankier


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                      Tätigkeit: Finanzminister
                      GND ID: 118503049


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                        Tätigkeit: Sektionschef HM, Diplomat, Verteter bei der EG


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